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Geliebt und gehasst: Worship-Musik im Gottesdienst

In weiten Teilen der Kirchenlandschaft dominieren nach wie vor Orgel und Choräle. „Praise & Worship“ wird teils kritisch betrachtet, teils komplett abgelehnt. Aber was macht diesen Musikstil eigentlich aus? Elf Thesen zur Versachlichung der Debatte.

Von Andreas Scheuermann

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Gottesdienstliche Musik ist wie Fußball: Die Meinungen darüber sind überraschend unversöhnlich. Anhänger von Borussia Dortmund umfahren das Gebiet um Gelsenkirchen weiträumig, und Schalker Fans sprechen nicht von „Dortmund“, sondern von „Lüdenscheid-Nord“. Obgleich außer Frage steht, dass sowohl der BVB als auch Schalke 04 in der Regel guten Fußball spielen, scheint eine sachliche Diskussionskultur in dieser Frage eine (wünschenswerte) Utopie.

In ähnlicher Weise zeigt sich die Debatte um angemessene Musik für den Gottesdienst bisweilen in harte Lager unterschieden, wenn Für und Wider bestimmter Genres gottesdienstlicher Musik in Anschlag gebracht werden. Die eigene Sozialisation und der persönliche Geschmack fallen in der Regel schwerer ins Gewicht, als gemeinhin zugegeben wird. Wer sich also auf diesem Gebiet äußert, begibt sich auf leidenschaftlich umkämpftes Terrain.

I. ZUM GEGENSTAND:
1 „Praise & Worship“-Musik (P&W) lässt sich aufgrund ihres Musikstils, der mit ihr assoziierten Spiritualität und ihres Inhalts beschreiben. Ihr Musikstil ist am ehesten im Mainstream-Pop zu verorten. Die mit ihr assoziierte Spiritualität entspringt der evangelikal-charismatischen Szene. Sie ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Begegnung mit Gott im Lobpreis erhofft und erwartet. Hinsichtlich ihres Inhalts lässt sich zwar für jedes geistliche Anliegen im EG eine Entsprechung aus der P&W-Musik finden. Allerdings werden diese aus der Perspektive evangelikaler Theologie und meist im Modus des Gebets bearbeitet. Im deutschsprachigen Kontext prägt die auflagenstärkste P&W-Liederbuchreihe „Feiert Jesus!“.

II. ZUR RELEVANZ:
2 P&W-Musik nimmt innerhalb der christlichen Popmusik aktuell eine dominante Stellung ein. Ihre weltweite Verbreitung und ihr immenser Einfluss, der teilweise auch in Gottesdiensten evangelisch-landeskirchlicher Gemeinden wahrnehmbar ist, nötigen zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Vorschnelle Geschmacksurteile, bedingungslose Begeisterung oder Vorverurteilungen werden der P&W-Musik nicht gerecht und helfen in der Debatte nicht weiter.

3 P&W-Musik spielt für die Spiritualität und das Glaubensleben von Christinnen und Christen mit evangelikal-charismatischer Prägung (und darüber hinaus) eine wichtige Rolle. Ein kategorischer Ausschluss aus dem Gottesdienst scheint daher wenig sinnvoll und erschwert die Integration dieses Frömmigkeitsstils in die Liturgie.

4 P&W-Musik ist im Kontext des Gottesdienstes ein hoch umstrittenes kirchenmusikalisches Phänomen. Die Diskussion um sie bezieht sich dabei in weiten Teilen je auf die die P&W-Musik definierenden Charakteristika: ihren Musikstil, die mit ihr assoziierte charismatisch-evangelikale Spiritualität und die ihren Texten implizit oder explizit zu Grunde liegende Theologie.

Musik im Gottesdienst polarisiert, begeistert den Einen und verärgert die Anderen.

III. ZUM MUSIKSTIL:
5 Ob Bach-Kantate oder Hillsong-Mainstream-Pop: Musik im Gottesdienst polarisiert, begeistert den Einen und verärgert die Anderen. Wenn gottesdienstliche Musik der gemeinsamen Anbetung durch viele unterschiedliche Menschen dienen und ihrer Kommunikation mit Gott Ausdruck verleihen möchte, wird sie die Pluralität dieser Menschen stilistisch abbilden müssen.

6 Wenn Mainstream-Pop im Rahmen eines musikalisch pluralen Gottesdienstes zum Einsatz kommt, birgt er Potenzial zur Bereicherung der Liturgie: Seine Lebhaftigkeit verleiht dem Festcharakter des Gottesdienstes Ausdruck, seine simplen Strukturen ermöglichen es musikalisch Ungeübten, unkompliziert am Gemeindegesang zu partizipieren, und seine Beliebtheit in Milieus und Altersgruppen, die im Durchschnitt selten oder gar nicht am Gottesdienst teilnehmen, kann Menschen aus diesem Hintergrund eine Brücke zur Liturgie bauen.

7 Beinahe jeder Musikstil kann als Medium zur Anbetung Gottes und zur Kommunikation des Evangeliums dienen. Und wie bei jedem anderen Musikstil ist diesbezüglich auch auf die Grenzen und Hindernisse der Mainstream-Popmusik hinzuweisen. Wo etwa durch aus säkularer Popmusik bekannte Formen der (Selbst-)Darstellung und (Selbst-)Inszenierung der Fokus bewusst auf die Musizierenden gelenkt wird oder die geringe Qualität der Aufführung die Konzentration auf ihren Inhalt stört, steht dies dem Anliegen und Wesen des Gottesdienstes entgegen.

IV. ZUR SPIRITUALITÄT:
8 Ausdrucksformen evangelikal-charismatischer Spiritualität prägen nicht nur die mit P&W-Musik gestalteten „Lobpreiszeiten“ dieses Frömmigkeitsstils, sondern kamen teilweise auch in urchristlichen Gottesdiensten zum Einsatz (vgl. 1. Kor. 14,26). Wird ihnen innerhalb der Liturgie Raum gegeben, können sie die Feier eines ganzheitlichen Gottesdienstes, an dem Emotion und Intellekt, Körper und Geist gleichermaßen teilhaben, als hilfreiches Element unterstützen.

9 In Ausdrucksformen charismatischevangelikaler Spiritualität wird Glaube „greifbar“. In einer Erlebnisgesellschaft entsprechen sie auf diese Weise dem Bedürfnis nach persönlichen spirituellen Erfahrungen. Wo dieses Bedürfnis jedoch zu individualistischer Selbstbezogenheit führt, wird die für den Gottesdienst existenzielle Dimension der Gemeinschaft übersehen. Die Ausdrucksformen charismatisch-evangelikaler Spiritualität innerhalb der P&W-Musik sind – jedenfalls im Kontext des Gottesdienstes – auf ihren Beitrag zur Erbauung der Gemeinde hin zu befragen.

V. ZUR THEOLOGIE:
10 Theologisch durchdachte und reflektierte Texte und Kritikwürdiges bzw. theologisch kaum zu Verantwortendes findet sich in geistlichen Liedern unabhängig ihres Genres. Der Wert einer pauschalen Gegenüberstellung von P&W-Literatur und bspw. den Liedern Paul Gerhardts scheint daher überschaubar, steht einer differenzierten Auseinandersetzung mit P&W-Musik im Weg und bestätigt so letztlich vor allem die Vorurteile derjenigen, die P&W-Musik ohnehin ablehnen. Hinsichtlich theologischer Stichhaltigkeit und Qualität lässt sich weder eine trennscharfe Linie zwischen Evangelischem Gesangbuch und etwa der „Feiert Jesus!“-Reihe ziehen, noch sämtliche P&W-Literatur pauschal als minderwertig aburteilen.

Dementsprechend sollte auch bzgl. der P&W-Musik je nach Einzelfall über die theologische Qualität eines Textes entschieden werden. Hier muss vor allem die Frage des Christusbezugs, die das zentrale inhaltliche Kriterium zur Bewertung christlicher Gottesdienste darstellt, und nicht die Aufnahme in eine bestimmte Liedsammlung oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Genre leitend gestellt werden.

11 Die Grundhaltung der P&W-Musik ist das Gebet, ihr Ziel der Lobpreis. Damit verweist sie nicht nur auf Grundhaltung und Ziel des Gottesdienstes, sondern vor allem auf Ursprung und Fluchtpunkt aller Theologie, denn „Reden von Gott und seinem Wort, mithin auch alle Theologie erschließt sich vom Gebet her und geht auf das Gebet zu. Die Rede von Gott und über Gott gründet in der Rede zu Gott.“

Aber vielleicht ist es es auf beiden Seiten möglich, zu akzeptieren, dass der jeweils andere eine wertvolle und notwendige Stimme darstellt.

EINE BEOBACHTUNG
Michael Herbst formuliert in seinen Thesen eine „kleine Liebeserklärung an Paul Gerhardt“ (Herbst, „20 Thesen“, 2019, S. 55.) und seufzt über die liturgische (Un-)Logik in Lobpreiszeiten. Ähnliches ist interessanterweise aus der P&W-Szene selbst zu vernehmen. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass Paul Gerhardt und seine Lieder durch die P&W-Literatur verdrängt werden. Vielmehr ist der P&W-Szene an der Bewahrung bewährter, tiefgängiger Texte aus der Tradition gelegen. So finden sich im aktuellen „Feiert Jesus!“-Liederbuch (Feiert Jesus 5) elf Lieder in popmusikalischer Überarbeitung, deren Texte zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert entstanden sind. Und auch in Bezug auf sinnvolle und nachvollziehbare Liturgien ist Sensibilität in der Szene zu beobachten. Seit 2011 unterteilt die „Feiert Jesus!“-Reihe ihre Lieder in neun Kategorien, die sich am liturgischen Ablauf der Messe orientieren, und die aktuellste Ausgabe enthält einen Anhang mit Vorschlägen zu Liturgien mit P&W-Musik.

Für die Fans von Borussia Dortmund und Schalke 04 sind die Höhepunkte einer jeden Saison die Lokalderbys. Das spielerische „Konzert“ (im Sinne des Lateinischen concertare – „wetteifern“) der Mannschaften und Fans auf den Rängen bietet ein unvergleichliches Fußballerlebnis. Ohne das andere Team und ihre Anhänger würde etwas Entscheidendes fehlen. Auf gottesdienstliche Musik übertragen bedeutet das, dass nicht jeder P&W-Musik-Liebhaber nun das Gesamtwerk Bachs studieren und schätzen lernen muss. Umgekehrt soll und kann von Menschen, die mit Paul Gerhardt-Texten aufgewachsen sind, nicht verlangt werden, beim Klang von Hillsong-Liedern dasselbe zu empfinden wie in dem Moment, wenn die Gemeinde „Befiehl du deine Wege“ anstimmt. Aber vielleicht ist es auf beiden Seiten möglich, zu akzeptieren, dass der jeweils andere eine wertvolle und notwendige Stimme darstellt im Konzert derer, die der schönsten Hauptsache der Welt singen, und dass ohne ihn jemand im Gesamtklang der Stimmen, die Jesus als den Herrn anbeten, fehlen würde.


Dieser Artikel ist zuerst im Kirchenmagazin 3E erschienen. 3E wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

5 Kommentare

  1. Ein weites Feld, von singt dem Herrn ein neues Lied, bis ich will das Geplärr eurer Lieder nicht mehr hören !
    Die Kritik an oftmals oberflächlichen Texten ist sicher berechtigt, entscheidend wird aber die Herzenshaltung sein !
    Stilrichtungen sind belanglos, wie bei den Klamotten, oder hat Gott eine Vorliebe für Krawatten und hasst Jeans ?

  2. Leider werden immer mehr Anleihen an die Welt gemacht, von der wir uns doch getrennt halten sollen. Und die Oberflächlichkeit der Texte ist manchmal nur noch schwer ertragbar. Wird noch viel weiter gehen.

    • Welche Musik wäre denn angemessen? Luther hat damals „dem Volk aufs Maul geschaut“ und populäre Melodien übernommen. Ganz bewusst. Damit will ich nur andeuten: Komplexes Thema. VG, Daniel vom JDE-Team

  3. Das „Ergebnisse“-Feld ist wohl nur zur Vera**? Keinerlei Reaktion beim anklicken! Egal welcher Browser.

    • Hallo Peter, sicher keine „Vera***“, da lag ein technischer Fehler vor. Danach ging es bei mir wieder. Auch bei Ihnen? VG, Daniel vom JDE-Team

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