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„Hättest du geschossen?“ – DDR-Grenzer und Montagsdemonstrant blicken zurück

Wie denken sie heute über die DDR? 35 Jahre nach dem Mauerfall kommen die beiden an der ehemaligen innerdeutschen Grenze ins Gespräch.

Von Urs Christian Mundt

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Kaum jemand glaubte im Herbst 1989 an ein nahes Ende der DDR. Doch dann fiel die Mauer – ein einschneidendes Erlebnis für die Bürger der DDR, auch für Peter Valdueza (63) und Marc-Dietrich Ohse (58), die heute in Hannover leben. Damals verteidigte Valdueza die DDR als Grenzoffizier beim Grenzregiment Treptower Park an der Berliner Mauer. Der Pastorensohn Ohse studierte währenddessen in Leipzig Theologie und beteiligte sich an Montagsdemos und Friedensgebeten.

Treffpunkt: Grenzübergang Marienborn an der A2

35 Jahre später treffen die beiden bei einem Pressetermin am ehemaligen Grenzübergang Marienborn an der A2 zwischen Helmstedt und Magdeburg zum ersten Mal aufeinander. Valdueza ging damals freiwillig zu den Grenztruppen. «Das war eine bewusste Entscheidung», erzählt er, während die Männer über Fahrbahnplatten aus Beton gehen, überragt von Scheinwerfertürmen und dem riesigen Dach des Abfertigungsterminals. «Ich bin in einem Arbeiterhaushalt groß geworden, insofern stand ich diesem Staat positiv gegenüber.»

Ohse dagegen trieb die Unzufriedenheit auf die Straße. Für ihn war überdeutlich, wie marode das System war. «Leute gehen weg, sind weg. Andere gehen in Haft, und da muss jetzt irgendwie was passieren.» Was den Frust steigerte, war außerdem der alltägliche «Doppelsprech, dass man nach außen dies sagte, innerlich aber zum Teil ganz anders miteinander redete».

Valdueza indes musste die Demonstrierenden als Feinde ansehen. «Das waren für uns Gegner des Sozialismus und des Staates, Helfer des Kapitalismus, Agenten möglicherweise, die hier nur Unruhe verbreiten wollen.» Rückblickend sagt er: «Ich muss, aus heutiger Sicht betrachtet, eingestehen: Ich war indoktriniert.»

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Zwei verschiedene Lebensrealitäten in der DDR

Im weiteren Gespräch erkennen Ohse und Valdueza, dass sie schon als Schuljungen in gänzlich verschiedenen Welten lebten. Valdueza, der Arbeitersohn, trug sein blaues FDJ-Hemd mit Stolz. «Damit kam man in bestimmten Diskotheken umsonst rein. Das bedeutete für mich auch ein Zugehörigkeitsgefühl.» Ohse, der Pastorensohn, war kein FDJ-Mitglied und fühlte sich trotzdem nicht ausgeschlossen. «Ich kann mich noch erinnern, dass einige bei mir in der Klasse neidisch waren, weil ich nicht zu den Gruppennachmittagen der FDJ musste.»

Vorsichtig fragt Ohse den ehemaligen Grenzoffizier: «Wie weit wärest du gegangen, um den Befehlen Gehorsam zu leisten?» Über die auf den Schießbefehl an der damaligen innerdeutschen Grenze zielende Frage «Hättest du geschossen?» habe Valdueza schon Hunderte Male nachgedacht, sagt er – und findet doch keine eindeutige Antwort, auch weil er nicht mehr der Mann von damals ist. «Ich hatte damals wahrscheinlich eine ganz andere Denkweise als heute.»

Und heute?

Bald nach dem Mauerfall änderte Valdueza seine Einstellung zur DDR: «1990 gab es eine Zeit, wo für mich persönlich klar war: Halt, du hast einer falschen Ideologie angehangen. Der Sozialismus ist gescheitert. Alles, was dir erzählt wurde, ist falsch gewesen.» Er zögert und fügt hinzu: «Und insofern habe ich mich schon betrogen gefühlt.» Valdueza hätte rückblickend lieber eine andere Karriere eingeschlagen, weil sein damaliger Weg ihm, wie er sagt, viele Möglichkeiten genommen hat. Heute arbeitet er für einen Sicherheitsdienst in Hannover.

Ohse zog bald nach der Wiedervereinigung nach Göttingen, wo er zusätzlich Geschichte studierte. Heute arbeitet er als Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Stadtrat Hannover. Er empfindet es als Glück, dass er 1989 aktiv bei den Montagsdemos in Leipzig dabei war. «Ich bin stolz, dass wir das geschafft haben und ich bin glücklich über diese Zeit. Das war die intensivste, aufregendste Zeit meines Lebens. Wann bricht schon mal ein Staat zusammen und man hat dabei mitgeholfen?»

Quelleepd

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2 COMMENTS

  1. Zwei verschiedene Welten in einer

    Was hier deutlich wird: In der DDR mussten Menschen zumindest in zwei verschiedenen Realitäten leben. Vielleicht war dann da noch eine dritte Gruppe, wie es die überall in undemokratischen Regimen gibt und die sich möglichst versuchten in politisch windstillen Bereichen aufzuhalten. Etwa auch im großen China könnte man heute gut leben, wenn man am besten nicht politisch denkt, ethisch nicht tief reflektiert und einfach den Nachrichten in den Medien glaubt, oder auch nicht. Ob dies aber in der ehemaligen DDR so einfach war, bezweifle ich. Denn auch da gab es wohl viele Familien, in denen die ideologische Grenze mitten durch sie hindurch ging. Nach der Wende mussten praktisch alle Menschen in der DDR umdenken. Bei uns war die Wende einfacher, es bleib im Prinzip alles beim gleichen. Leider scheint der Ost-West-Gegensatz sich immer noch restbeständig in den Gefühls- und Gehirnwendungen zu befinden, obwohl heute kaum noch jemand mit Ossi oder Wessi bezeichnet wird. Es kann also nur besser werden. Die Kohl`chen blühenden Landschaften waren wohl nicht nur ein riesiger Irrtum, sondern eher einer Wahlkampfsprache geschuldet. Ob man hätte pressimistischer sein sollen, also Geduld anmahnen, will ich nicht behaupten. Der Prozess auf zwei mach eins hatte keinen Königsweg.

    • > Etwa auch im großen China könnte man heute gut leben, wenn man am besten nicht politisch denkt,

      Ist etwas ot aber da du den Vergleich gezogen hast:

      Nein, in den ländlich geprägten Teilen Chinas kann man nicht gut leben. Dort herrscht teilweise Hunger, es gibt kaum bis keine medizinische Versorgung, kaum Bildungsmöglichkeiten.

      China hat sich bei seiner Entwicklung auf die Städte und Industriegebiete konzentriert.

      Wusste ich bis vor kurzem auch nicht, dass das so krass ist. Gab da eine interessante Doku (ich glaube auf 3dat oder Arte)

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