- Werbung -

Herbei, oh Ihr Arbeitenden: Kirche als Co-Working-Space

Kollaboratives und kreatives Zusammenarbeiten neben Taufstein und Altar kann für volle Kirchen sorgen, meint Hella Thorn von der kirchlichen Erneuerungsbewegung Fresh X. Sie hält „Co-Working in Church“ für eine Form des Kirche-Seins mit großem Potenzial.

Die Kirche als Arbeitgeber kennt man. Die Kirche als Veranstalter verschiedenster Formate kennt man auch. Aber die Kirche als Gastgeber, als Raumgeber – das gibt es noch viel zu selten. Dabei scheint es auf der Hand zu liegen.

- Werbung -

Wenn es um Arbeit geht, haben sich nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie neue Formen des Arbeitens herausgebildet und etabliert. Arbeiten im Home-Office war vor 2020 in dieser Ausprägung nahezu undenkbar, heute eine Selbstverständlichkeit. Remote arbeiten, flexibel arbeiten, digital arbeiten – heute kaum noch ein Problem.

Mit anderen kreativ zusammensitzen, sich mit Menschen aus anderen Branchen austauschen und gemeinsam Neues entwickeln ist heutzutage mehr und mehr Wunsch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Selbstständigen oder Gründerinnen und Gründern. Galt in den 50er-Jahren noch der 9-to-5-Job mit After-Work-Drink als die Form des Arbeitens, suchen und streben die Arbeitenden heute nach flexiblen und neuen Formen des Zusammenarbeitens, der Kommunikation und der Gestaltung der Arbeitszeit.

Neue Formen von Kirche in der Arbeitswelt

Auch in der Kirche suchen wir nach neuen Formen. Nach neuen Wegen der Kommunikation, um Menschen mit der frohen Botschaft von Jesus zu erreichen. Nach neuen Möglichkeiten der Gottesdienstgestaltung, um den veränderten Bedürfnissen der Gläubigen und Sinnsuchenden Rechnung tragen zu können. Nach neuen Arten, miteinander in Beziehung zu treten und Gemeinschaft zu feiern.

- Weiterlesen nach der Werbung -

Dabei denken wir häufig zunächst im kirchlichen Kontext oder im privaten Bereich. Doch die einzelnen Lebenswelten lassen sich oft gar nicht mehr so klar voneinander trennen. Arbeit und Freizeit vermischen sich, Engagement und Erholung fügen sich ineinander, Feierabend und Netzwerken sind zuweilen ein und dasselbe. Kirche hat es schwer, in der heute oft so individualisierten und hochflexiblen Welt mit ihren festen Strukturen und uralten Traditionen in der Lebenswirklichkeit anzudocken oder gar sich dort zu verankern.

Was wäre aber, wenn Kirche sich außerhalb ihrer eigenen Bubble auf die Suche nach neuen Formen von Gemeinschaft, Spiritualität und Begegnung machen würde? Wenn Kirche sich auch in die Arbeitswelt einmischen und sich dort positionieren würde? Nun ja, dann könnte man auf eine jahrhundertealte klösterliche Tradition der Arbeitsgemeinschaft zurückgreifen. Ora et labora. Co-Working in Church.

Warum das eine gute Idee für so manche Ortsgemeinde sein könnte, sollen die folgenden Punkte verdeutlichen. Es ist jedoch bei Weitem nicht für jede Kirche, Gemeinde oder Gemeinschaft das einzig mögliche Konzept, um die leeren Bänke oder Stuhlreihen wieder zu füllen, um an Relevanz zu gewinnen oder um sich selbst neu zu erfinden.

1. Kirche als Raumgeber

Die Kirchen in Deutschland sind steinreich – reich an Steinen, die Gebäude bilden. Doch deren Nutzung beschränkt sich zumeist auf den Abend- oder Wochenendbereich. Viele Stunden am Tag stehen etliche Liegenschaften leer. Dabei sind Tische, Stühle, Strom, Toiletten, eine Küche und – wichtig – eine Kaffeemaschine zumeist vorhanden.

- Werbung -

WLAN ließe sich auch beschaffen, ebenso wie ein Drucker und ein bisschen Deko für mehr Wohlfühlatmosphäre. Fertig wäre ein Ort, an dem Menschen aus dem Einzugsbereich der Kirche, aus dem Dorf, Kiez, Viertel oder Quartier zum Arbeiten zusammenkommen könnten. Kirchen mit ihren zentralen Standorten könnten eine attraktive Alternative für Pendler werden. Es wäre wieder „Leben in der Bude“.

2. Kirche als Gemeinschaftsgründer

Co-Working-Spaces ist es gemein, dass sie jemanden haben, der sich um gemeinschaftsbildende Maßnahmen kümmert, der die Co-Workerinnen und -Worker dabei unterstützt, dass sie nicht nur still nebeneinanderher arbeiten, sondern wirklich in einen Austausch kommen und eine Community bilden (wofür das „Co“ im Wort „Co-Working“ steht).

Leuten Begegnungen zu ermöglichen, Austausch zu fördern und unterschiedliche Generationen und Milieus zusammenzubringen, ist ein kirchlicher Auftrag, den die meisten Kirchen, wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, schon lange nicht mehr erfüllen können. Zu homogen sind die Besucher der Gottesdienste.

Beim gemeinschaftlichen Arbeiten vermischen sich jedoch Branchen. Begegnen sich Junge und Alte, Festangestellte und Selbstständige, Akademiker und Leute aus Ausbildungsberufen. Mit dieser heterogenen Gruppe gemeinsame Werte zu entdecken, zu leben und einander – nicht nur im beruflichen Kontext – zu unterstützen, würde eine Gemeinschaft bilden, die an die klösterlichen Traditionen erinnert.

Inzwischen ist Arbeit ein immer größerer und wichtiger Teil des Lebens geworden und doch kommt Kirche – außer als Arbeitgeber selbst – nur wenig darin vor.

Da war (und ist) Kirche bzw. das Kloster nicht nur ein Ort, an dem man seinen Lebensunterhalt verdiente, sondern ein Ort der Gemeinschaft, wo man sich über das Leben unterhielt. Und genau das möchte Kirche heute auch noch sein. Ein Ort, an dem man über den Lebenssinn nachdenkt, sich darüber austauscht, in Gemeinschaft mit anderen und mit Gott kommt.

Inzwischen ist Arbeit ein immer größerer und wichtiger Teil des Lebens geworden und doch kommt Kirche – außer als Arbeitgeber selbst – nur wenig darin vor. Wie cool wäre es, wenn Kirche zeigen und leben könnte, dass ehrliche und auf Augenhöhe stattfindende Begegnungen und Gemeinschaft bereichernd sind, gerade weil sie nicht abhängig oder marktgesteuert sind?! Und ganz nebenbei würde Kirche einen Beitrag dazu leisten, dass nicht noch mehr Menschen im Home-Office vereinsamen.

3. Kirche als Spiritualitäts-Space

Mit dieser sich neu gebildeten Gemeinschaft lassen sich nicht nur wichtige Impulse zur Kirchenentwicklung und Kirchengestaltung erarbeiten, sondern es entwickeln sich im besten Fall auch neue Formen der Spiritualität. Morgenmeditation, Tischgemeinschaft oder das Gebet zum Feierabend, Arbeitsexerzitien, Segnungshandlungen oder theologische Diskussionen – all das ließe sich in eine Arbeitswoche integrieren und würde sich der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Menschen anpassen.

Der gemeinsame Arbeitsort schafft eine Nähe und Beziehung, die sonntagmorgens im Gottesdienst nur schwer hergestellt werden kann, wenn alle beim Glockengeläut nach draußen strömen.

Co-Working-Spaces könnten mit den Co-Workerinnen und -Workern nicht nur zu neuen Formen gelebter Spiritualität werden, sondern zu Räumen der Seelsorge. An der Kaffeemaschine, im Lounge-Bereich oder beim Tischkicker ergeben sich womöglich tiefe Gespräche, für die im alltäglichen Kirchenkontext wenig Platz ist.

Der gemeinsame Arbeitsort schafft eine Nähe und Beziehung, die sonntagmorgens im Gottesdienst nur schwer hergestellt werden kann, wenn alle beim Glockengeläut nach draußen strömen. Veranstaltungen zu Themen des Lebens und des Sinns, der Berufung und Bestimmung bieten einen wichtigen und stärkenden Kontrast zu dem leistungs- und marktgetriebenen Denken des Berufsalltags.

4. Kirche als Learning-Community

Sich weiterentwickeln, Neues lernen, die Wissensgrenzen erweitern, sich inspirieren lassen und andere inspirieren, dank Methodenvielfalt und unterschiedlichen Grundhaltungen zu kreativen Höchstleistungen kommen – genau das suchen (und finden) Menschen, die in Co-Working-Spaces arbeiten. Und genau das sollten sie eigentlich in der Kirche finden können.

Kirchen können von den Co-Workerinnen und -Workern zu vielen Fragen und Themen wichtige Impulse erhalten, sei es im Bereich der Digitalisierung, Organisationsentwicklung, Nachhaltigkeit oder des Projektmanagements. Die Co-Workerinnen und -Worker wiederum erleben eine völlig andere, leistungsunabhängige Art der Wertschätzung, erproben sich in gewaltfreier Kommunikation auf Augenhöhe, beschäftigen sich mit Fragen nach dem Sinn und Zweck und erhalten einen anderen Blick auf ihr Leben und die Welt.

5. Kirche als Transformationsinkubator

Kirche will die Gesellschaft verändern. Will nah an den Menschen dran sein. Relevant sein. Und das kann sie auch – besonders, wenn sie sich nicht nur als klassischer Sonntagsgottesdienst ereignet. Wenn Kirche, wenn Glauben auch in anderen Strukturen, Kontexten oder Gesellschaftsmodellen vorkommt.

Wenn Kirche es schafft, Beziehungen auf Augenhöhe zu ermöglichen. Wenn Kirche nicht nur um sich selbst kreist, sondern sich engagiert. Sozial. Diakonisch. Gesellschaftlich. Wenn Kirche sich einmischt, Veränderungen anstrebt und sich aktiv daran beteiligt, die Welt von morgen heute schon besser zu machen. Wenn Kirche Menschen zusammenbringt, die – in ihren jeweiligen Kontexten und Strukturen – mit ihren Fähigkeiten und Kenntnissen gemeinsam Neues entwickeln und ausprobieren.

In der Idee des kollaborativen Zusammenarbeitens unter göttlichem Segen steckt großes Potenzial für eine neue Form nicht nur des Arbeitens, sondern des Glaubens und Kirche-Seins.

Kirche und Co-Workerinnen und -Worker könnten eine wirklich neue, kreative und innovative Kirchenentwicklung vorantreiben, die der Kirche eine bislang ungeahnte Relevanz zuschreibt. Kirchliche und nichtkirchliche Akteurinnen und Akteure würden durch ihre Zusammenarbeit gemeinsam den Stadtteil, das Dorf, den Kiez prägen, wertvolle Verbindungen zu den Vereinen, Institutionen, Organisationen und auch Arbeitgebern vor Ort knüpfen und der Gesellschaft, den Menschen dienlich sein.

Co-Working in Church ist viel mehr als nur ein hippes Hirngespinst. In der Idee des kollaborativen Zusammenarbeitens unter göttlichem Segen steckt großes Potenzial für eine neue Form nicht nur des Arbeitens, sondern des Glaubens und Kirche-Seins.

Hella Thorn arbeitet unter anderem als Redakteurin für 3E und Fresh X und hat schon viele gute Erfahrungen in Co Working Spaces gesammelt.

Kluge Gedanken und spannende Praxisbeispiele rund um Co-Working und Kirche finden sich auch in dem Buch: „Coworking: aufbrechen, anpacken, anders leben. Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen“ von Dorothea Gebauer und Jürgen J. Kehrer, Vandenhoeck & Ruprecht, 2021


Ausgabe 3/22

Dieser Artikel ist im Kirchenmagazin 3E erschienen. 3E ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

Zuletzt veröffentlicht

2 Kommentare

  1. Super, wie die Kirche laufend die Gesellschaft verändert! Man sieht zwar nichts davon, aber vermutlich muss man das einfach glauben.
    Dass die Idee mit Lernen und Arbeiten in der Kirche funktionieren könnte, scheinen ihre Erfinder auch einfach zu glauben. Kirche als Sache des Glaubens, das hat man doch schon mal irgendwo gehört?
    Das Haupthindernis für die vorgestellte Idee dürfte – falls überhaupt jemand auf die Idee kommen sollte, sie irgendwie umzusetzen – derzeit vor allem das Heizen sein. Aber vielleicht würden die anwesenden Lernenden und Arbeitenden ja durch die wunderbare Gemeinschaft und den Glauben der Veranstalter gewärmt – dann würde sogar ein Wunder geschehen …

  2. Neues ist zumeist nachdenkenswert

    Auch wenn der Aufsatz inhaltlich zu unübersichtlich war, mit einer etwas zu elitären Sprache, vielleicht fast schon zu beliebig, so bin ich doch ein großer Freund neuer Ideen, neuer Gemeindeformen, alternative Gemeinschaftsformen und vielleicht auch für so etwas wie ein alternatives Kloster mit gemeinsamem Arbeiten und Beten. Vielmehr wäre wichtig, nicht das wir vieles tun und damit uns selbst und andere verwirren: Sondern vielleicht einmal ganz ernsthaft aus der oft reinen Komm-Struktur in die Heiligen Hallen unserer Gotteshäuser, wechseln auch zu einer Geh-Hin-Struktur dorthin wo Menschen leben, arbeiten, feiern, wohnen und ihre Freizeit verbringen. Eine Kirche die auch an den Hecken und Zäunen der Welt stattfindet, und wo wir Christinnen und Christen sprichwörtlich zum wirklichen Salz und Licht der Erde werden können. Da entstehen auch ganz von selbst neue Formen von Gemeinschaft. „Was wäre aber, wenn Kirche sich außerhalb ihrer eigenen Bubble auf die Suche nach neuen Formen von Gemeinschaft, Spiritualität und Begegnung machen würde? Wenn Kirche sich auch in die Arbeitswelt einmischen und sich dort positionieren würde?“ – wurde geschrieben. In meinem geistigen Entwurf von Kirche ist dies alles schon drin. Neues ist immer gut. Immerhin hat Jesus mit der Bergpredigt so viel neues formuliert, was sich durchaus selbstverständlich anhört, aber nicht ist. Wenn wir selbst mehr Licht sind in unserer Umgebung, und die nicht hinter dicken Kirchenmauern und bei internen Veranstaltungen verstecken, könnten wir auch heute noch die Welt verändert wie damals die Urchristenheit.

Die Kommentarspalte wurde geschlossen.