- Werbung -

Sich selbst verzeihen: 5 Schritte, um mit sich ins Reine zu kommen

Anderen zu vergeben, ist schon eine Herausforderung. Vielen fällt es aber noch schwerer, sich selbst zu vergeben. Doch auch das kann man lernen.

Von Gabriele Berger-Faragó, Theologin und Systemische Therapeutin

- Werbung -

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ (Matthäus 6,12) Wie oft haben wir dies schon im Vaterunser gebetet? Es besteht ein Zusammenhang zwischen meinem Verzeihen anderen gegenüber, dem Geschenk der Vergebung von Gott und anderen Menschen mir gegenüber, und dem Sich-selbst-Vergeben.

Doch wie herum ist dieser Zusammenhang? Ist mein Verzeihen anderen gegenüber die Voraussetzung oder die Folge, Vergebung von Gott zu bekommen und mir selbst vergeben zu können?

Sich selbst verzeihen ist Schlüssel zur Vergebung

Oft wird dieser Satz im Vaterunser so interpretiert, dass meine Vergebungsbereitschaft die Bedingung dafür ist, dass Gott mir vergibt: Erst muss ich in Vorleistung gehen, damit Gott mir etwas schenkt; danach kann ich mir dann (vielleicht) selbst vergeben. Aber ist das wirklich so?

Ein anderer Blick könnte so aussehen: Gerade da, wo ich Vergebung erfahren habe, werde ich überhaupt erst fähig, anderen zu vergeben. Ebenso ist sich selbst vergeben oft der Schlüssel zur Vergebung anderen gegenüber. Warum ist das so?

Selbsterkenntnis ist nötig, um zu verzeihen

Es liegt in unserer menschlichen Natur, uns selbst als „normal“ und „Maß aller Dinge“ anzusehen. Wenn ich etwas gut kann, wie Pünktlichkeit oder Organisationstalent, fällt es mir schwer, anderen gegenüber Verständnis zu haben, die das nicht so gut hinbekommen. Wenn ich jedoch selbst zur Unpünktlichkeit neige, kann ich diese auch anderen verzeihen, weil ich hier selbst immer wieder auf Vergebung angewiesen bin. Selbsterkenntnis und Vergebungsbereitschaft anderen und mir selbst gegenüber gehen oft Hand in Hand.

Wieso verderbe ich mir den Tag mit so einer Kleinigkeit?

Anders ergeht es uns bei Fehlern, die wir unbewusst mit uns herumschleppen. Über diese Fehler können wir uns bei anderen besonders aufregen und sind meist weniger großzügig und verständnisvoll. Beispielsweise ärgerte ich mich kürzlich im Supermarkt über einen Kassenvordrängler.

Hinterher war ich noch stundenlang wütend. Wieso verderbe ich mir den Tag mit so einer Kleinigkeit? Weil sich hier jemand erdreistet, seine Ungeduld schamlos auszuleben, und mir dabei einen Spiegel vorhält: Ich neige selbst zur Ungeduld und würde auch gern mal vordrängeln.

Seiner Fehler bewusst werden

Wir ärgern uns besonders über Fehler bei anderen, die wir selbst haben, aber verdrängen. Bei diesen Fehlern tun wir uns mit dem Vergeben besonders schwer. Jesus bringt dies in seiner Bergpredigt pointiert auf den Punkt: „Wie kannst du zu deinem Bruder oder deiner Schwester sagen: ‚Komm her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehe’‘, wenn du selbst einen ganzen Balken im Auge hast?“ (Matthäus 7,4)

Genau dies ist die Kür beim Vergeben: sich seiner Fehler bewusst werden, sich vergeben lassen, sich selbst und daraufhin anderen vergeben. So eröffnet die Bitte um Vergebung im Vaterunser einen Raum zu Selbsterkenntnis und innerem Wachstum, statt Druck zum Vergeben auszuüben. Aber wie kann man diesen Weg der (Selbst-) Vergebung gehen?

Zwei Frauen umarmen sich innig vor einer Stadtkulisse.
Foto: Eva-Katalin / E+ / gettyimages

Der Weg der Selbst-Vergebung

1. Schritt: Schuld eingestehen

Der erste Schritt besteht darin, von der Verdrängung zur Wahrheit zu kommen. Solange ich meine Fehler ignoriere, schönrede oder bagatellisiere, werde ich mir nicht verzeihen können, weil ich mich selbst betrüge. Dies beschreibt die Bibel so: „Wenn wir behaupten: ‚Wir sind ohne Schuld‘, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit lebt nicht in uns. Wenn wir aber unsere Verfehlungen eingestehen, können wir damit rechnen, dass Gott treu und gerecht ist: Er wird uns dann unsere Verfehlungen vergeben.“ (1. Johannes 1,8-9)

2. Schritt: Sich von Gott vergeben lassen

Auf das Eingestehen der Verfehlungen folgt, sie Gott zu bekennen und sich von ihm vergeben zu lassen. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Christinnen und Christen kennen die Erfahrung, von Gott Vergebung geschenkt zu bekommen, sich den Fehler aber wieder und wieder vorzuwerfen. Der Kopf weiß zwar, dass Gott vergibt, doch kann man sich selbst nicht vergeben. Was ist der Ausweg?

3. Schritt: Selbstüberhöhung oder Selbsterniedrigung aufgeben

Es gibt zwei Ursachen, warum wir uns mit dem Selbst-Vergeben so schwertun. Beide hängen miteinander zusammen und sind die zwei Endpunkte einer Linie: Selbstüberhöhung am einen Ende und mangelnde Selbstannahme am anderen Ende.

Gott ist Gott, und wir sind seine Geschöpfe.

Einerseits haben wir Menschen die Tendenz, nach Perfektion zu streben und uns selbst zu überschätzen. Wir wollen sein wie Gott, allmächtig, allwissend, fehlerfrei und vollkommen. Es ist hart, sich einzugestehen, dass wir das nicht sind und niemals sein werden. Gott ist Gott, und wir sind seine Geschöpfe. Dass wir trotz unserer Fehlbarkeit in Beziehung mit Gott treten dürfen, ist sein Geschenk an uns.

Scheitern vergeben

Um uns selbst vergeben zu können, müssen wir uns dieses Streben nach Perfektion und das unweigerliche Scheitern an diesem unrealistischen Ziel eingestehen. Wenn ich begreife, dass Gott mich in und mit meiner Bruchhaftigkeit liebt, kann ich diese annehmen und mir mein Scheitern vergeben.

Am anderen Ende der Linie liegt die Selbsterniedrigung. So wie manche Menschen sich selbst überhöhen und nach außen perfekt in Szene setzen, so sind andere dabei, sich kleinzumachen, sowohl vor anderen als auch innerlich. Sie dürfen lernen, dass Gott sie mit ihren Fehlern liebt.

Sich selbst annehmen

Sie haben dasselbe Bedürfnis nach Annahme von Gott und nach Selbstannahme, nur kommen sie von der anderen Seite als die Selbstüberschätzer. Dabei machen sie sich mit ihrem innerlichen Selbst-Abkanzeln genauso unglücklich wie die, die stets an ihrer Selbstüberschätzung scheitern. Auch die Selbsterniedriger werden sich erst dann vergeben lernen, wenn sie sich selbst annehmen und als vom Schöpfer geliebt sehen.

Manchmal stecken sogar beide Tendenzen in uns: Mal neigen wir zur Selbstüberschätzung, mal machen wir uns selbst zur Schnecke. Beides verhindert, sich selbst anzunehmen und sich seine Fehler zu vergeben. Für beide Seiten ist die Lösung dieselbe: Gottes Liebe und Vergebung annehmen.

Wenn ich mir selbst etwas zu vergeben habe, weiß ich genau, ob es Absicht oder Versehen war.

4. Schritt: Zwischen Absicht und Versehen unterscheiden

Es fällt uns oft leichter, Fehler zu verzeihen, wenn sie nicht mit Absicht geschehen sind – sowohl anderen als auch uns selbst gegenüber. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen der Selbst-Vergebung und dem Verzeihen anderer: Wenn jemand sagt, er habe etwas nicht mit Absicht gemacht, kann ich ihm nur glauben. Wenn ich mir selbst etwas zu vergeben habe, weiß ich genau, ob es Absicht oder Versehen war.

Aber – weiß ich das wirklich? Manchmal möchte ich etwas schönreden, statt der harten Wahrheit ins Auge zu blicken: Ja, ich habe diese Tat bewusst begangen. Hier ist nicht nur die Bitte um Verzeihung nötig, sondern auch die Auseinandersetzung mit mir selbst: Ich habe negative Charaktereigenschaften; auch das braucht Vergebung. Ein heilsames Erschrecken über mich kann dazu führen, mich meinem Schöpfer hinzuhalten und über seine Liebe und Vergebung zu staunen. So kann ich mich mit mir aussöhnen.

5. Schritt: Zwischen kleinen und großen Fehlern unterscheiden

Beim Einüben von Vergebung sich selbst gegenüber ist es wichtig zu differenzieren: Geht es um kleine Dinge, die ich wiederholt falsch mache, oder um einen großen Fehltritt mit schlimmen Konsequenzen?

Bei den kleinen Fehlern ist es hilfreich, sich der Ursache bewusst zu werden. Wenn ich immer wieder in dieselbe Falle tappe, kann es sein, dass ich tiefer graben muss, um die Zusammenhänge zu verstehen. Theresa wird oft wütend, wenn jemand in der Familie Essensvorräte leert, ohne nachzufragen, wer noch davon möchte. Das hängt mit ihrer Kindheitserfahrung von nicht ernst genommenen Bedürfnissen zusammen. Als Theresa sich dessen bewusst wird, kann sie sich ihre wiederholten scharfen Reaktionen vergeben und lernen, anders mit leeren Kekspackungen umzugehen.

Kindheit ist keine Entschuldigung

Mich mit meinen biografischen Verletzungen auseinanderzusetzen, hilft mir, dem früheren Verursacher meiner Verletzungen zu vergeben. Und es erleichtert es, mir selbst zu vergeben, wenn ich übertrieben reagiere; ich verstehe nun, woher dies kommt. Dennoch ist meine Kindheit keine Entschuldigung, Fehlverhalten aufrechtzuerhalten. Die Auseinandersetzung mit Wunden der Vergangenheit und ihrer Heilung geht mit dem Einüben gesünderer Verhaltensmuster in der Gegenwart einher.

Gnade bedeutet, mir wird „einfach so“ vergeben.

Bei großen Fehltritten hingegen gilt es, sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen, um Vergebung zu erlangen – sowohl vom Geschädigten als von sich selbst. Hier ist die Unterscheidung von Gnade und Sühne wichtig: Gnade bedeutet, mir wird „einfach so“ vergeben. Sühne heißt, dass ich eine Wiedergutmachung an den Geschädigten leiste, um von meiner Schuld freigesprochen zu werden.

Unsere Schuld ist bezahlt

Oft fällt es uns schwer, Vergebung „einfach so“ anzunehmen, ohne etwas dafür zu leisten. In Jesus Christus kommen Gnade und Sühne zusammen. Er litt am Kreuz, weil menschliche Schuld nicht „einfach so“ weggewischt wird, sondern in letzter Konsequenz zum Tod führt. Jesus ist auferstanden, um zu bezeugen: Unsere Schuld ist bezahlt, Gott spricht uns in Gnade frei. Zu ihm können wir durch Jesus schuldfrei kommen.

Dennoch heißt dies nicht, dass wir in diesem Leben nicht anderen Menschen gegenüber Sühne leisten und die Konsequenz unserer Fehler tragen müssen. Das hilft nicht nur dem Geschädigten, mir zu vergeben, sondern auch mir. Die Konsequenzen der Schuld zu tragen, ist mitunter schwer, aber bei aller Härte oft befreiend und heilsam.

Kleine Schritte führen zum Ziel

Der Weg, sich mit sich und seinen Fehlern auszusöhnen, ist lang und nicht immer leicht. Das Ziel ist allerdings erstrebenswert, bringt es doch eine innere Gelassenheit und Frieden im Umgang mit sich und anderen. Erreicht wird es durch viele Zwischenschritte, die aus kleinen Alltagssituationen bestehen.

In diesen kann ich einüben, meine Fehler weder zu überspielen noch mir in Dauerschleife selbst vorzuwerfen, sondern sie in gesunder Auseinandersetzung zu verarbeiten und mir so vergeben zu lernen. Auf diese Weise kann auch die Supermarktbegegnung mit dem Vordrängler zu einer Lernerfahrung werden, die inneres Wachstum und Erkenntnis schenkt.

Gabriele Berger-Faragó ist evangelische Theologin und Systemische (Ehe-) Therapeutin in eigener Praxis in Heidelberg und online.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Family erschienen. Family wird vom SCM Bundes-Verlags herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

Zuletzt veröffentlicht