Israel-Zyklus – Teil 3

Oasen der Hoffnung

Als ein Mensch nach einem Attentat in seinen Armen stirbt, gründet Nir Amitai, Therapieorte für traumatisierte Menschen – mitten in der Wüste Negev.

Von Brigitte B. Nussbächer

Alles begann mit einer Tragödie. Am 1. Januar 2016 verübte ein arabischer Israeli einen Terroranschlag in einer Bar in Tel Aviv, bei dem zwei Israelis getötet und sieben weitere verletzt wurden. Nir Amitai war während des Anschlags in der Bar. Äußerlich blieb er unverletzt. Doch die Erfahrung, dass eines der Opfer in seinen Armen starb, wurde zum Wendepunkt in seinem Leben. Er fällte die Entscheidung, der Stimme seines Herzens zu folgen und künftig sozial tätig zu werden.

2020 gründete Nir Amita mitten in der Wüste Negev einen Hof für gefährdete Jugendliche – fernab von den dicht besiedelten Ballungsräumen im Zentrum und im Osten des Landes. Für eine Wüste ist es dort erstaunlich grün. David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident des Landes, träumte davon, den Negev zum Blühen zu bringen. Das hat Israel mit Tröpfchenbewässerung erfolgreich umgesetzt. Links der Straße grünen die Weinberge, rechts wogen die Ähren. Ein weiter Himmel wölbt sich über das Land und der Lärm, der Stress und die Hektik der Städte ist fern.

Drei Jahre später kam die Lahav-Farm dazu – für Menschen, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden. Es gibt Zelte, Beete, Weingärten und weite grüne Hügel. Ursprünglich war die Einrichtung für rund 80 Personen geplant. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 wurden dort bereits mehr als 4.000 Menschen behandelt. Und der Bedarf ist weiterhin groß. So entstand 2024 ein zweiter Hof für posttraumatische Therapien.

Lahav Hof in der Wüste Negev, Israel
Lahav Farm (Foto: privat)

Jeder darf kommen

Die landwirtschaftliche Arbeit ist hart, doch als Belohnung entsteht hier neues Leben. Genau das hat eine heilende Wirkung auf die Betroffenen. Zu sehen, wie die kleinen Pflänzchen wachsen, wie Lämmer und Kälber geboren und groß werden, all das ist ein Zeugnis der Kraft der Erneuerung und vermittelt die Hoffnung, dass auch in verwundeten Seelen Neues entstehen kann. Hier werden Therapie, Bildung und Rehabilitation auf einzigartige Weise miteinander verbunden: In einer inspirierenden Umgebung erfahren die Teilnehmenden emotionale Heilung, begleitet von einer unterstützenden Gemeinschaft.

Die Arbeit mit Pflanzen und Tieren in der Natur schafft eine heilende Verbindung zwischen Körper und Geist, stärkt das Selbstvertrauen und hilft den Patienten, das Gefühl von Kontrolle und Hoffnung zurückzugewinnen. Soziale Kompetenzen werden gestärkt und mit maßgeschneiderten Plänen, die auch Familie und Gemeinschaft einbeziehen, werden die Betroffenen individuell gefördert. Auf diese Art werden gleich drei wesentliche Ziele erreicht: die Heilung und Stärkung der Menschen, die Erschließung und Bepflanzung des Landes, sowie die Förderung der Wüstenregion Negev.

Kommen darf jeder: Sicherheits-, Notfall- und Rettungskräfte, medizinisches Personal, Polizei, Soldaten und Terroropfer. Menschen, die extremen Belastungen ausgesetzt waren, die im Einsatz über ihre Grenzen hinausgehen mussten, die durch intensive Kampferfahrungen, den Verlust von Kameraden oder durch Verletzungen traumatisiert sind; die Schwierigkeiten haben, in ein normales Leben zurückzufinden und eine Brücke zurück in den Alltag suchen.

Durch „Israel Today“ haben mein Mann Harald und ich von dieser beeindruckenden Arbeit erfahren und den Kontakt hergestellt. Wir beschlossen, diese „Oasen der Hoffnung“ zu besuchen.

Brigitte Nussbächer und Nir Amitai
Brigitte Nussbächer und Nir Amitai (Foto: privat9

Heil werden

Wir sind nach Israel gereist und zu Gast auf der Lahav Farm. Nir, der Gründer, Tal, die Resources Development Koordinatorin und Hemia, eine Psychiaterin, kommen mit uns in der „Freilichtküche“ des Hofes zusammen. Um uns herum grüne Weite, Stille, ein leichter Wind streichelt die Wangen. Das Gespräch ist offen, direkt und herzlich. Smalltalk ist nicht erforderlich. Wir haben das gemeinsame Ziel, Menschen, die durch das Massaker vom 7. Oktober in der einen oder anderen Weise verletzt wurden, zu helfen. Wir sind schon lange „Verbündete“ – auch ohne uns vorher gekannt zu haben.

Dann setzt sich ein weiterer Mann zu uns. Er möchte nicht, dass sein Name hier genannt wird. S., so nenne ich ihn hier, lächelt freundlich, doch gleichzeitig ist sein Lächeln herzzerreißend. Aus seinen Augen strahlt Wärme, aber darin erklingt auch ein Schrei. Wir erfahren bald, wieso. S. ist einer, der auf dieser Farm daran arbeitet, langsam heil zu werden. Früher lebte er in einem Kibbuz neben dem Gazastreifen. Doch früher, das gehört für ihn zu einer anderen Zeitrechnung. Früher, das war vor dem 7. Oktober.

S. war ursprünglich Bauingenieur. Weil ihn das nicht erfüllte, wurde er zum Farmer und zog mit seiner Frau in den Kibbuz – weil es keinen besseren Ort gibt, um eine Familie zu gründen. Die Familie war glücklich und genoss das Leben in der engen Gemeinschaft. Seine Frau arbeitete als Lehrerin und ihre Kinder, die inzwischen 7 und 10 Jahre alt sind, wuchsen dort auf. Nach dem Angriff der Hamas wurden sie evakuiert.

„Hier hält mich niemand für seltsam“

Zunächst spricht S. nicht davon, was er am 7. Oktober erlebte. Er erzählt, wie wichtig es für ihn ist, zur Lahav Farm zu kommen. Es ist der einzige Ort, für den er zwei- bis dreimal pro Woche seine Wohnung verlässt. Ansonsten vermeidet er es. Er hat nach anfänglicher Skepsis Vertrauen zu seinen Betreuern gefasst. Die Gespräche und die Arbeit tun ihm gut. Er ist in einer kleinen Gruppe von Menschen, die alle an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Hier muss er nichts erklären. Niemand hält ihn für seltsam. Das gibt ihm Geborgenheit und die Möglichkeit, sich zu öffnen. Es motiviert ihn, morgens aufzustehen und den nächsten Tag in Angriff zu nehmen.

Dann erzählt S. uns, dass er aus dem Kibbuz Nir Oz stammt. Dieser Name legt sich wie Eis auf unser Herz. Ohne es zu wollen oder zu planen, haben wir seit dem 7. Oktober immer wieder ehemalige Bewohner aus Nir Oz getroffen, zum Beispiel Hadas, Tamir und ihre Kinder. Als wir erwähnen, dass wir Kontakt zu Familien von dort haben, möchte er die Namen wissen. Es stellt sich heraus – er kennt sie alle.

S. und seine engste Familie haben das Hamas-Massaker überlebt, aber heil sind sie nicht geblieben. Schwiegervater und viele seiner Freunde wurden ermordet. Heute besteht Nir Oz fast nur noch aus verbrannten Ruinen. Alles, was sich S. und seine Familie erträumt hatten, alles, was sie sich aufgebaut hatten, liegt in Trümmern. Wie lebt man danach weiter? Wie kann man wieder Mut fassen oder Hoffnung haben? Das versucht S. auf dem Lahav Hof zu lernen.

Trauma-Patient "S" in Israel
Trauma-Patient „S.“ (Foto: privat)

Ungeweinte Tränen

Während er darüber spricht, wirkt S. beherrscht. Aber wir sehen ihm an, wie schwer es ihm fällt. Trotz seines Lächelns zuckt sein Gesicht und man spürt die ungeweinten Tränen. Der Schmerz und die Qual sind immer wieder sichtbar. Das Gespräch ist viel intensiver und tiefergehender geworden, als wir das erwartet hatten. Die Tatsache, dass wir uns schon seit Monaten für Bewohner seines Ortes engagieren, hat ihm vielleicht Vertrauen eingeflößt. Wir sind erschüttert, tief bewegt und können ihm seine Offenheit gar nicht hoch genug anrechnen. Als wir uns nach ein paar Stunden verabschieden, tun wir es nicht mehr als Fremde – sondern als Freunde. Mit einer herzlichen Umarmung.

Erst später wird uns klar, wie schwer es für S. gewesen sein muss, sich überhaupt an einen Tisch mit uns „Fremden“ zu setzen und mit uns zu sprechen. Wie viel Überwindung und Tapferkeit muss es ihn gekostet haben, mit uns über sein Trauma zu sprechen! Doch seine Bereitschaft dazu und seine Offenheit haben es uns ermöglicht, die Tragödie von Nir Oz noch besser zu verstehen.

Es gibt Tausende wie S., die hier auf dem Lahav Hof wieder lernen zu leben. Die Aufgabe, die sich Nir und seine Mitarbeitenden gestellt haben, ist gigantisch – doch das potenzielle Ergebnis beflügelt alle, die sich hier engagieren. Sie säen, oft unter Tränen, im Vertrauen darauf, Resilienz und eine starke Zukunft für die Betroffenen zu ernten.



Brigitte Nussbächer und ihr Mann Harald Bottesch sind regelmäßig in Israel und unterstützen Familien, die von dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 direkt betroffen waren. Sie berichten darüber auf ihrer Webseite Arc to Israel. Veröffentlichung auf Jesus.de mit freundlicher Genehmigung. Der Beitrag wurde für Jesus.de gekürzt und redaktionell überarbeitet.

Wir veröffentlichen auf Jesus.de regelmäßig Artikel aus dem Israel-Zyklus von Brigitte B. Nussbächer.

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1 Kommentar

  1. Nachrichtenagentur für gute Botschaften gründen

    Dieser Tage, als es nur schlechte Nachrichten gab, hatte ich die Schnapsidee: Wer gründet die Nachrichtenagentur nur für die guten Botschaften?
    Es ist wohltuend, auch positive Nachricht zu sehen und zu verinnerlichen. Wenn wir nur noch auf das Böse, Destruktive und Zerstrittene sehen, uns die Medien nur solches als wesentlich vorab herausfiltern, produzieren wir grauschwarze Realitäten. Nehmen wir hier gerne wahr, daß derzeit vielen Menschen in Israel geholfen wird. In der Wüste Negev wurde ein Hof für gefährdete Jugendliche gegründet. 3 Jahre später kam die Lahav-Farm dazu, für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Nach Hamasüberfall finden hier viele Traumatisierte Therapien. Also es gibt
    durchaus unendlich viel unheile Welt, aber auch jene die heilsam bleibt. Wer aber immer nur noch Negativbotschaften erhält, kann irgendwann in ein tiefes Loch fallen, wenn seine Wirklichkeit nur noch düster aussieht. Was wir häufig sehen, wird zur Wirklichkeit. Was wir selten und nie erleben, glauben wir zumeist nicht. Wunder halten wir also öfters für Aberglauben. Zuversicht erzeugt die Wunder und eröffnet sogar Selbstheilungskräfte. Sogar Jesus sagte nicht, er habe mit seiner großen Kraft geheilt und seelisch aufgerichtet , sondern nur „DEIN GLAUBE HAT DIR GEHOLFEN“!

    Als Mitarbeiter der Schwangerenberatung aber begegneten mir auf jeder Straße nur Frauen mit dicken Bäuchen. Die Suchtberatungsstelle brachte mir den Blick auf die Alkoholkranken und die mit Suchtproblemen kamen anscheinend aus allen Ritzen und Richtungen. Man sollte also auch das Gute sehen, es gerne wahrnehmen wollen, wenn es von Menschen getan wird, oder das Gute und Wunderschöne unserer Natur. Wenn wir vor den vielen Bäumen den Wald nicht mehr sehen, dann nehmen wir nicht mehr wahr, daß doch viele Menschen sogar ihre Mitmenschen gerne lieben, Empathie verbreiten, keinen Hass unter die Leute streuen und ebenso intelligent und erwachsen mit Realitäten umgehen. Ein elftes Weltwunder muss nicht bleiben, daß mich morgens ein Mensch freundlich anlächelt und mir dies dann nicht auch noch verdächtig vorkommt. Oder mir mit dem freundlichen Wort nicht auf meine Nerven tritt. Aber natürlich war ich auch als Nichtberatender in der Diakonie ebenso ein Helfer der Freude.
    Mich freut das Projekt in Israel, ganz vielen traumatisierten Menschen zu helfen: Das Gute ist nur gut, wenn man es tut. Meine Idee will niemand umsetzen, nämlich ein Nachrichtenportal zu schaffen, daß ausnahmsweise nur die guten und besten Nachrichten verbreitet, wenn sie durchaus auch Relevanz haben, wir sie kopieren können, oder aus ihnen sogar neue Ideen geboren werden dürfen. Dazu gehört eine Zugabe Humor, eine doppelte Portion Gottvertrauen, ein Schlaf mit sanftem Gewissen in der Nacht und die Freude über jeden neuen Tag, auch wenn es Backsteine oft montags Backsteine regnet und zudem die Arbeitswoche beginnt. Ausserdem fühlt es sich innerlich besser an, wenn ich nicht jede/n Politiker/in in Berlin für unfähig halte, nicht alle in der Opposition für unverschämt und wenn meine Stärke sich gut anfühlt, weil ich durchaus die völlig andere Philosophie meines Gegenübers, von meiner unendlich entfernt, auch gerne toleriere. Der andere Mensch ist nur anders, weil er ein Anderer bleibt und nicht eine Kopie von mir. Gott muss sich was dabei gedacht haben, dass wir so unterschiedlich sind. Er wollte uns das Leben nur interessanter machen. Also macht mal Vorschläge, wie man eine Nachrichtenagentur für gute Botschaften aufstellen kann. Sicherlich im Netz, dies ist angesagt.
    Vielleicht ist der wirksamere Werbetrick (Trick nicht Betrug), wenn die Lust auf sinnvolles Leben sich mit guten wahren Nachrichten ergänzen lässt.

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