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Jens Böttcher: „Ich fokussiere mich auf die Schönheit und die Poesie der Gnade“

Jens Böttcher ist Musiker, Moderator und Autor, kürzlich erschien sein Roman „Herr Sturm und die Farbe des Windes“. Rolf Krüger sprach mit ihm über Weisheit, religiöse Strukturen und – natürlich – die Liebe.

Jens, wie lange hast du die Idee zu diesem Buch schon im Kopf?

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Böttcher: In dem Karton in meinem Herzen mit den Projekten, die gerne verwirklicht werden möchten, war die Idee schon lange drin. Und das, was dort drin ist, versuche ich getreu dem Motto umzusetzen, das ich kürzlich wieder bei Antoine de Saint-Exupéry gelesen habe: Man kann nur gute Bücher schaffen, wenn man damit gute Kunst schaffen kann. Will sagen: Es nützt nichts, über etwas zu schreiben, das man nicht innerlich erlebt hat. Jetzt war der Augenblick richtig. Dementsprechend hat das Buch viel mit meinem momentanen Leben zu tun.

Es ist also autobiografisch?

Naja, eher so: Das was in dem Buch drin steckt an Erkenntnis, an Wissen und an dem Versuch, die Religion und den Glauben der Menschen zu beschreiben, ist lebenslang recherchiert. Aber natürlich – jeder gute Roman hat auch autobiografische Anteile.

Mit welcher der Personen würdest du dich am meisten identifizieren? Welche liegt dir am Herzen?

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Ich mag die meisten Figuren sehr, das habe ich beim Schreiben immer wieder gemerkt. Ich habe versucht, jeden der Charaktere mit viel Liebe zu beschreiben. Ich mag die Diversität und die Schrulligkeit der Figuren. Am nächsten sind mir sicher Richard Sturm selbst, aber auch zum Beispiel der indische Mönch, den Sturm trifft. Er ist für mich eine Heldenfigur des Buches.

Gibt so jemanden in deinem echten Leben?

Interessanterweise gehört zum Charakter der großartigsten Menschen, die ich kenne, eine Art von Bescheidenheit, was ihre eigene spirituelle Reife angeht. Sie sind demütig. Das wirkt aber auf andere oft schon wieder begeisternd. Je demütiger man also ist, desto beeindruckender ist das für andere. Dieser indische Mönch sitzt aber in seinem Wald und hat es gar nicht nötig, immer nach außen zu leuchten, weil er so nach innen leuchtet. So jemanden kenne ich persönlich nicht.

Aber ich kenne Weisheitslehrer wie zum Beispiel Eckhardt Tolle oder den buddhistischen Mönch Ajahn Brahm, bei denen spürt man: Da ist was Wahres dran. Sie müssen gar nicht christlich und nicht mal religiös unterwegs sein. Trotzdem ist das, was sie sagen, für mich Teil der großen unbeschreiblichen Wahrheit.

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Auf der anderen Seite habe ich bei spirituellen Leitern – gerade auch in der Christenheit, zu der ich mich ja zähle – so viel Schreckliches gesehen und erlebt. Vor allem, wenn sie sich selbst maßlos überhöhen mit ihren kleinen Wahrheitsteilchen.

Deshalb will ich eigentlich gar keinem Menschen mehr nachlaufen – egal ob er nun „leuchtet“ oder nicht. Ich finde es auch nicht mehr wichtig, ob jemand in seinem eigenen Leben „funktioniert“. Da sind wir dann nämlich ganz schnell bei der Moral. Ich fokussiere mich nur noch auf die Schönheit und die Poesie der Gnade und versuche mit meinen stets unperfekten Mitteln die Liebe in allem hochzuhalten und zu vermitteln. Eine nicht urteilende Liebe.

Vielen Christen ist das zu wenig. Sie wollen ein festes Glaubensbild haben, das man klar umreißen und beschreiben kann. Nur „Liebe, Liebe, Liebe“ ist ihnen zu nebelig…

Liebe ist nicht neblig. Sie ist im Grunde das einzig Klare. Wir Menschen sind aber so gemacht, dass wir etwas zum Festhalten brauchen, wir brauchen Strukturen, um uns sicher zu fühlen. Das ist auch etwas Positives, es gehört zum Menschen. Zum Beispiel die Familie, in der ich Vertrauen lernen kann und geborgen und behütet bin – das ist eine Grundsehnsucht des Menschen. Genauso wie die Sehnsucht nach der bedingungslosen göttlichen Liebe, die einen aufhebt und trägt. Aber es geht am Ende immer um Liebe – und die erleben wir alle nicht so richtig.

Nicht?

Naja, wir erleben sie nicht so, wie wir es bräuchten. Erich Fromm beschreibt, was die Sehnsucht nach Liebe mit uns macht. Vater und Mutter werden zu den ersten Menschen, die wir zu Göttern erklären. Der Vater bekommt die Patriarchen-Rolle Gottes aus dem Alten Testament und die Mutter die Jesus-Rolle aus dem neuen Testament – wegen der zumindest temporär vermittelten bedingungslosen Liebe. Erich Fromm beschreibt aber auch, wie brüchig das ist, was wir uns so ersehnen und suchen. Wir kommen alle irgendwann an den Punkt, an dem wir spüren: das ist nicht genug. Wir bekommen das einfach auf dieser Welt nicht hin. Deshalb suchen wir Gott und in Ihm Liebe.

Und dann schließen wir uns einer starren Religion an – und je starrer sie ist, je mieser, je einengender, je seelengefährdender und zerstörender sie ist, desto mehr zeugt das von der Angst der Menschen, die sich davon angezogen fühlen. Wir alle haben ja Angst und das führt uns zu einer Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit in Strukturen. Das erklärt viele religiöse Systeme auf der Welt.

Deine Romanfigur Herr Bischoff motiviert Menschen, ihren Weg mit Gott zu finden. Wie viel Herr Bischof steckt in dir als Künstler?

Ich habe kürzlich eine Mail bekommen, die mich sehr gerührt hat. Es schrieb jemand, dass ich mit diesem Buch so eine Art Herr Bischoff für ihn gewesen sei. Das fand ich ganz toll, ich war wirklich gerührt. Aber wie viel in mir wirklich davon steckt? Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich strebe danach, aber ich würde mich nie selbst mit ihm gleichsetzen, weil in meinem Leben vieles einfach nicht perfekt ist und nicht funktioniert. Das sage ich ganz offen: Ich bleibe ein Suchender. Ich bin auf so vielen Leveln nicht angekommen. Ich suche und gehe weiter. Ich weiß mich gefunden, aber ich suche trotzdem. Ich versuche, die Liebe und Versöhnung als Leitstern zu haben, die Gnade, die Vergebung, die Barmherzigkeit, die Milde. Ich versuche, die Herzen von anderen Menschen so zu nehmen wie sie sind. Das ist mein Wunsch, das versuche ich. Ansonsten bin ich recht weit davon entfernt, Herr Bischoff zu sein.

Obwohl du gerade gesagt hast, dass es dir selber egal ist, ob jemand perfekt ist, um von ihm inspiriert zu werden?

Ja, für mich gilt das. Oft ist es gerade das Unperfekte, das mich inspiriert. Kürzlich habe ich Konstantin Wecker getroffen. Er sagte: „Ich wollte nie ein Vorbild sein, weil dann alle immer von einem erwarten, dass man sich „richtig verhält“. Ich mag dieses Bewusstsein der eigenen Brüche. Ich glaube, es ist heilsam. Und ich möchte mir nicht anmaßen, das Folgende allgemeingültig zu sagen. Aber ich persönlich glaube, ein gewisses Quantum an Leid formt das Herz in einer Weise, dass man am Ende sagen kann: „Wow, das hat was Gutes mit mir gemacht.“

Nicht das Leid selbst, aber der Weg, der sich aus dem Schmerz ergeben hat. Entweder wird man im Alter bitter und hart und flüchtet sich in was auch immer. Oder man wird milder und sanfter – mit sich selbst und der Welt.

Wie bekommt man das hin?

Das ist schwer zu beantworten. Hemingway hat gesagt: Es gibt einen Punkt im Leben eines jeden Menschen, an dem die Seele zerbricht. Aber es bleibt geheimnisvoll, wo bei jedem dieser Punkt angesiedelt ist. Ich kann es deshalb nicht sagen. Und gerade der religiöse Kontext ist immer gefährdet, mit einer Formel etwas beheben zu wollen, obwohl die Formel womöglich nichts mit dem individuellen Schmerz und dem Zustand der Seele der Person zu tun hat.

Es ist viel Liebe nötig, um sich dem nähern zu können. Siehst du, die Liebe ist auch hier wieder die Antwort! Wenn wir einen Umgang mit uns und anderen finden, der von einem offenen Herzen und der Bereitschaft geprägt ist, den anderen zu sehen, dann können wohlmöglich viele von uns so ein versöhnender Herr Bischoff sein.

Wie viel Macht hat die Liebe?

Ich möchte sagen: alle Macht! Aber Worte wie Liebe oder auch Gott sind so trivialisiert und bagatellisiert, dass es schon wirklich schwer ist, das zu kommunizieren. Man gilt gleich als naiver und romantischer Träumer oder Spinner, weil die Welt eben offensichtlich nicht so liebevoll ist. Die Welt handelt aus irgendwelchen Gründen nicht nach dieser wundervollen Tiefe, dieser begnadigenden, Freiheit schenkenden Tiefe, die in der Liebe und dem Göttlichen ist. Wir alle kriegen das nicht so richtig hin. Also: Ich glaube die Liebe hat alle Macht, aber wir brauchen noch eine Weile, um das zu verstehen.

Könnten wir überhaupt ohne Scheitern lieben? Wären wir in einer Welt, in der alles gut und schön ist, überhaupt fähig, zu lieben? Brauchen wir die Negativfolie, um das Positive zu sehen?

Tolle Frage! Darauf gibt es natürlich keine einfache Antwort. Die Biografien der Menschen sind alle so unterschiedlich. Als Jon Foreman in meiner Fernsehsendung „Tiefsehtauchen“ zu Gast war, da war genau das ein großes Thema. Man muss wohl die Dunkelheit durchwandern, um das Licht überhaupt in seiner ganzen Glorie und seinem Wunder begreifen zu können. In der Dunkelheit ist die Sehnsucht ganz sicher am größten. Es gibt von Rio Reiser ein Zitat:“ Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten.“ Das ist ein schönes Bild dafür. Ich glaube: Man braucht tatsächlich die Dunkelheit, um das Licht zu sehen.

Es gibt in deinem Buch eine einzige Person, die auffallend unsympathisch ist, und zwar der Pfingstler Herr Boderberg… Hat das einen Grund?

Ich brauchte eine Figur, die an ihrem Glauben auf eine tragische Weise verrückt geworden ist, sonst wäre das Buch nicht vollständig gewesen. Jemanden, der das Eigentliche seines Glaubens komplett aus dem Augen verloren hat. Jemand, der in der Hölle lebt und anderen mit der Hölle droht, weil er eben selbst in einer lebt.

Das ist aber kein Angriff auf Pfingstler, sondern ein Sinnbild für jede Art von christlich-fundamentalistischer Glaubenspraxis, die für mich – in welchem Konfessionsmantel auch immer sie daher kommt – nur sehr schwer zu ertragen ist. Nämlich dann, wenn sie Menschen buchstäblich in die Irre führt. Aber in der Figur Herr Boderberg ist ja auch etwas Tragisches und ich wollte sie auch nicht im Regen stehen lassen, deswegen ist da das christliche Ehepaar, das für ihn betet.

Genügt denn Liebe? Hat Herr Boderberg denn etwas gelernt aus der Begegnung mit den Dreien?

Im Zweifel nicht. Im Zweifel geht der die nächsten Jahre so weiter durch sein Leben und durch seine Gemeindeleitung.

Hätten sie ihm klarer widersprechen müssen?

Nee. Ich glaube, es gibt so viel, was man nicht machen kann. Der Wunsch des Menschen nach Kontrolle ist ja in uns allen übermächtig. Wir sind Kontrolljunkies. Das ist aber gerade das Interessante an Lebenskatastrophen: Wenn man in die Dunkelheit gestoßen wird, verliert man die Kontrolle. Auch die Bekehrungswut in vielen Religionen – dieses „Du musst jetzt das und das machen und das muss jetzt auch allen gesagt werden“ – hat viel mit Kontrolle zu tun. Das ist aber keine Liebe. Liebe geht ganz anders mit dem Gegenüber um. Du fragtest gerade, ob Liebe genügt. Ich glaube das doch. In Jesus ist sie verkörpert. Wie könnten wir sagen, dass sie nicht genügt?

In ihr beginnt für mich dann die Kooperation mit Gott oder dem Göttlichen im eigenen Herzen. Es geht darum, Kontrolle durch Liebe zu ersetzen. Das kann dann für den Einzelnen genügen, etwas Heilendes zu empfangen, muss aber nicht. Das ist am Ende nicht in unserer Hand.

Vielen Dank für das Gespräch.

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