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Kein Land wie jedes andere: Der Wahltag in Israel

Im staatlichen Radio "Kol Israel" meldet sich wiederholt der Vorsitzende der israelischen Wahlkommission, Richter Eljakim Rubinstein, zu Wort. Er betont, laut Wahlgesetz sei eine Beeinflussung der Wähler durch "Schwur, Verfluchung, Exkommunizierung, Bann, Gelübde" oder auch "das Versprechen eines Segens" illegal. Tatsächlich ist Israel kein Land wie jedes andere.

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Um die Mittagszeit zeichnet sich "die höchste Wahlbeteiligung seit mehr als einem Jahrzehnt" ab. Gegen Abend beginnt die Begeisterung dann aber schnell zu verebben. Vielleicht hatte die außergewöhnlich hohe Zahl der Urnengänger in der ersten Tageshälfte ja eine ganz natürliche Erklärung: Aufgrund des frühsommerlichen Januarwetters nutzten Zigtausende Israelis den Feiertag zu einem Ausflug in die Natur. Dass Jerusalem kaum mehr als eine Woche zuvor im Schnee versunken ist, bezeugen nur noch umgestürzte Bäume. Am Wahltag steigen die Temperaturen auf 25 Grad Celsius. Die sonst so karge Landschaft des gelobten Landes grünt und blüht nach den überreichen Niederschlägen der ersten Januarhälfte. Die Cafés auf den Straßen sind überfüllt, in Parks und auf den Plätzen der Stadt herrscht Picknickstimmung.

Im traditionsüberladenen Stadtteil Nachlaot in Jerusalem sitzt ein betagtes Ehepaar in der warmen Sonne auf der Treppe vor seiner Wohnung. "Es ist ein göttliches Gebot, Schass zu wählen", erklärt der Mann seiner Frau und hebt bedeutungsschwer die Hand. "Was, ihr habt Schass gewählt?!", ruft ein Passant den beiden zu. "Natürlich!", lautet die Antwort mit dem Unterton größter Selbstverständlichkeit.

Schass mit dem 90-jährigen Rabbi Ovadja Josef als geistlichem Vater an der Spitze vertritt die Gesetzestreuen unter den orientalischen Juden und hat sich in den vergangenen Jahren als stabile und nicht selten entscheidende politische Kraft in der Knesset erwiesen. "Schass, die Mesusa Israels" verkündet ein Plakat vor der Synagoge der bucharischen Juden in Nachlaot. Die sefardisch-orthodoxe Partei will an das Wort Gottes erinnern, wie die kleine Kapsel an jeder Tür eines jüdischen Hauses. Mit den Worten des biblischen Erzvaters Josef wirbt Ovadja Josef für seine Partei: "Meine Brüder suche ich!" Der Slogan trägt einen messianischen Unterton, denn die jüdische Tradition deutet das Schicksal des Erzvaters, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde, bevor er seine Familie vor dem Verhungern errettete, auf den kommenden Erlöser Israels.

Im berühmten Schuk Machaneh Jehudah finde ich nach langem Suchen ein einziges Wahlplakat: natürlich von Rabbi Ovadja Josef. Im dichten Gedränge der israelischen Touristen, die aus dem ganzen Land zusammengeströmt sind, machen nur die Verkäufer Werbung. Im breitesten Aschkenasi-Akzent preist ein Araber mit heißerer Stimme "die besten Trockenfrüchte" für das "Neujahrsfest der Bäume", TU BiSchwat, an – natürlich "zum niedrigsten Preis aller Zeiten". Von Wahlkampf ist nichts zu spüren. Mit Kind und Kegel genießen vor allem fromme Familien, für die ein Ausflug an religiösen Festtagen nicht in Frage kommt, weil Autofahren dann verboten ist, den Ferientag.

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Jerusalem und besonders der Machaneh Jehudah ist eine Hochburg der Religiös-Rechten. Vielleicht ist deshalb hier Wahlkampf überflüssig. Irgendwo über den Dächern im dritten Stock entdecke ich Zippi Livni, abseits aller öffentlichen Aufmerksamkeit, auf einem Plakat, das sich im lauen Wüstenwind verheddert hat. Und an einem Bauzaun, vom Winde verweht, verkündet Schaul Mofas‘ Kadima-Partei, einst stärkste Kraft in der Knesset, nur schwer lesbar: "Stark bei der Sicherheit. Einer von uns!"

In der Ben-Jehudah-Fußgängerzone diskutieren zwei Teenager-Mädchen, die mit Aufklebern Werbung für Naftali Bennet machen, mit drei schwarz gekleideten, bärtigen Anhängern des Rabbi von Lubawitsch. Während ich ein paar Wortfetzen aufzuschnappen suche, kommt einer von ihnen auf mich zu: "Komm, unterschreib hier, dann kommt der Messias!", fordert er mich auf. Eine Werbung der Linksparteien suche ich in der Hauptstadt Israels vergeblich. Offensichtlich hat die friedensbewegte Linke "die Stadt der Religiösen, Araber und Fanatiker" schon im Vorfeld aufgegeben. An einem Blechzaun kleben die Überreste von Plakaten der arabischen Chadasch-Partei. "Wir weigern uns, Feinde zu sein!" ist noch zu entziffern. Aber irgendwie scheint das in Jerusalem keiner mehr glauben zu wollen. Die roten Fetzen der arabischen Partei sind überklebt von grünen Aufklebern des "Jüdischen Hauses" (HaBait HaJehudi).

An der Fußgängerampel neben mir diskutiert ein Paar mit Kind im Kinderwagen. "Nu, wie viele Mandate wird Naftali Bennet bekommen?", fragt der Vater die Mutter nach dem Einkaufsbummel in der Mamillah-Fußgängerzone. "Was weiß ich", lautet die Antwort, "zehn, vielleicht fünfzehn…" – "Nu, ich will eine genaue Aussage", bleibt der Mann hartnäckig als würde die Wahl von der Prognose seiner Frau abhängen: "Leg dich fest!"

Junge Leute mit der typischen national-religiösen Siedlerkleidung sind die einzigen eifrigen Stimmenfänger, die auf den Straßen Jerusalems unterwegs sind. Der rechte Newcomer ist das Gesprächsthema dieser Wahlen zur 19. Knesset, in deren Vorfeld ansonsten von den Kommentatoren hauptsächlich über die Glaubwürdigkeit und den Sinn von Meinungsumfragen diskutiert wurde. Etwa 80 ausländische Medienorganisationen haben sich im Parteihauptquartier des "Jüdischen Hauses" angemeldet, um dort den Wahlabend mitzuerleben. Aber das bemerkt im Alltag Jerusalems nur, wer danach sucht.

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Selbst am "Roten Platz" – so von Autofahrern genannt, weil die Ampeln dort dauernd rot sind –, wo eigentlich chronisch demonstriert wird, ist kein einziges Wahlplakat zu finden. Wie an jedem anderen Tag hupen die Autos, wenn die Ampeln völlig unerwartet und unverschämt kurz auf Grün schalten.

Endlich, unmittelbar vor der Residenz des Premierministers, ganz so, als müsse "Bibi" – wie Benjamin Netanjahu im Volksmund genannt wird – daran erinnert werden, ein Wahlplakat der Arbeitspartei: "Bibi ist gut für die Reichen – Schelly ist gut für Dich". Vollmundig sieht sich die Sozialdemokratin Schelly Jachimowitsch bereits als Oppositionsführerin und scheut auch nicht davor zurück, offen ihre Träume vom Sessel des Premierministers zuzugeben. Doch wen spricht ihr Wahlslogan an im Jerusalemer Nobelviertel Rechavja, in dem sich ein Normalbürger kaum die Miete einer Mansardenwohnung leisten kann?

Vor der Restobar, die in Deutschland vor allem als "Café Moment" bekannt wurde, als die "Bild"-Zeitung die Bilder nach dem Selbstmordanschlag im März 2002 den von zerfetzten Leichen übersäten Boden zeigte, wiegen israelische Yuppies zu ohrenbetäubender Pop-Musik die Hüften. Wodka und Bier fließen in Strömen. Vom vielleicht bestbewachten Haus Israels, der Residenz des Premierministers, äugt misstrauisch ein schwer bewaffneter Leibwächter in Richtung der Straßen-Party. Nichts trübt die ausgelassene Stimmung. Die Bar mit der grauenhaften Geschichte ist überfüllt. An der Tür steht nicht einmal der Wächter, der vor einem Jahrzehnt noch unvermeidlich gewesen wäre. Hundert Meter weiter, an der Ecke zur Rambam-Straße, steht eine Gruppe palästinensischer Bauarbeiter und wartet am Ende eines Arbeitstages auf den Rücktransport nach Bethlehem oder Ramallah. Die schwarzen Bärte verraten ihre streng islamische Einstellung.

Dann, endlich, gibt es doch eine Andeutung von Wahlkampfstimmung in einem Wahllokal in der Gegend, wo Rechavja in den Stadtteil Nachlaot übergeht. Fast alle großen Parteien sind durch Plakate an Wänden und Zäunen vertreten. Wie eigentlich schon lange erwartet, bieten Wahlhelfer die in Israel unvermeidlichen Aufkleber an oder sind mit Passanten ins Gespräch vertieft. Doch dann taucht Richter Eljakim Rubinstein auf, der Vorsitzende des israelischen Wahlkomitees, und die Frage drängt sich auf, ob der Rummel an dieser einen Stelle im Zentrum Jerusalems nicht einzig für den Besuch von Israels oberstem Aufseher der Wahlen zur 19. Knesset inszeniert wurde.

(Quelle: Israelnetz.com)

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