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Leben im Rollstuhl: „Manches ist kompliziert, vieles möglich“

Martina und Horst lernen sich auf der Arbeit in einer Drogeneinrichtung kennen. Sie verlieben und verloben sich. Dann hat sie einen schweren Autounfall. Beide hadern mit Gott.

Martina, Horst, ihr habt in einer Einrichtung für Suchtkranke gearbeitet. Wie kam es dazu?

Martina Köninger: Ich war auf einer Bibelschule in Jerusalem und musste wegen des ersten Golfkrieges unverhofft abreisen. Ich erfuhr von einer Drogeneinrichtung, die eine Töpferin suchte. Meinen Beruf wollte ich gerne mit der Arbeit mit Menschen verbinden.

Horst Köninger: Ein Freund hat mir Schloss Falkenberg empfohlen. Wir Zivis mussten mit den Gästen den Tagesablauf einüben. Morgens aufstehen, pünktlich zum Arbeitsplatz gehen … Ich war herausgefordert, weil ich von Natur aus schüchtern war. Die Arbeit hat mich angeregt, mein eigenes Leben zu hinterfragen.

Bei Horst war es Liebe auf den ersten Blick. (Foto: privat)

Was hat euch damals aneinander fasziniert? Wann hat es gefunkt?

Martina: Mir fällt es schwer, mich auf Verbindlichkeiten einzulassen. Das erste halbe Jahr unserer Freundschaft habe ich fast wöchentlich Schluss gemacht. Weil wir in einer engen Gemeinschaft gelebt haben, lernte ich Horsts stabile, ausgeglichene Art zu lieben.

Horst: Mein erster Eindruck: Frühstückzeit 7:00 bis 7:20 Uhr. Regelmäßig um 7:15 Uhr ging die Tür auf und eine junge Frau mit langen braunen Haaren kam rein, schleifte eine blaue Jeanstasche hinter sich her und setzte sich seufzend auf den nächsten Stuhl. Sie war so anders als ich … Eines Abends erzählte Martina aus ihrem Leben. Ich fand ihre ganze Art begeisternd. Ich war sofort verliebt.

Dann kam der Unfall. Was ist passiert?

Martina: Eine Woche nachdem wir unseren Hochzeitstermin abgesprochen hatten, hatte ich beim Materialeinkauf einen schweren Autounfall. Ich habe nur knapp überlebt und lag einen Monat auf der Intensivstation.

Horst: Wir waren in einer Besprechung, als die Polizei kam und sagte, dass meine Verlobte einen Unfall hatte. Ein Mitarbeiter fuhr mich ins Krankenhaus. Ich konnte Martina nur durch eine Glasscheibe sehen. Es war unsicher, ob sie die schweren Verletzungen überleben würde.

„Unter dem sternenklaren Himmel fing ich auf einmal an, Loblieder
zu singen.“

Ich wollte allein sein und ging spazieren. Ich war wütend auf Gott: Warum hat er Martina nicht bewahrt? Je länger ich lief, desto ruhiger wurde ich. Unter dem sternenklaren Himmel fing ich auf einmal an, Loblieder zu singen. Ich konnte mir das selbst nicht erklären.

Wenn ich es recht erinnere, wollte Martina die Beziehung beenden. Aber Horst ist dran geblieben …

Martina: Unter dem Einfluss von Morphinen, die ich wegen der Schmerzen nehmen musste, erzählte ich Horst wilde Geschichten. Obwohl ich noch nicht realisierte, was für bleibende Schäden ich hatte, machte ich Schluss und dachte, er kann besser eine andere Frau finden.

Horst: Ich war schockiert und rief den Chefarzt an, der mich beruhigte, dass die Verwirrung an den Schmerzmitteln liege. Die Beziehung wegen der Unfallfolgen zu beenden, stand für mich nie zur Debatte. Ich liebe Martina als Person, ob sie laufen kann oder im Rollstuhl sitzt.

Was hat es praktisch bedeutet, plötzlich mit einer Behinderung zu leben?

Martina: Bei allem Schweren hatten wir auch lustige Erlebnisse. Einmal gingen wir in zwei Rollstühlen in ein Restaurant. Auf dem Rückweg schoben zwei alte Herren uns den steilen Berg hoch. Der Mann, der Horst schob, war völlig außer Atem, aber Horst traute sich nicht aufzustehen …

„Plötzlich war ich nicht mehr die junge Frau, sondern eine Rollstuhlfahrerin.“

Mir machte zu schaffen, dass ich vieles nicht mehr konnte. Aber langsam merkte ich, was möglich ist, wenn auch mit viel Mühe. Ich lernte schwimmen, Kanu fahren, Reiten und Rollstuhlbike fahren. Wenn es nur nicht so viele Treppen gäbe! Sehr belastet hat mich, dauernd angestarrt zu werden: Plötzlich war ich nicht mehr die junge Frau, sondern eine Rollstuhlfahrerin.

Horst: Viele Hürden und Hindernisse taten sich auf. Auf einmal musste ich, der Schüchterne, für meine Frau Sachen erfragen, Leute auffordern, den Behindertenparkplatz zu verlassen. In unseren Flitterwochen in Portugal hatten wir am Strand einen Platten. Wir fuhren mit einem Taxi zum nächsten Fahrradgeschäft. Dort setze ich Martina auf den Tresen, und sie erklärte auf Englisch, was wir brauchen.

Martina sitzt in einem Kanu und hält ein Paddel in der Hand.
Martina lässt sich von ihrer Querschnittslähmung nicht ausbremsen. (Foto: privat)
Martina sitzt an einer Töpferscheibe und töpfert.
Martina töpfert leidenschaftlich gerne. (Foto: privat)

War euch immer klar, dass ihr Kinder wolltet, und dass es möglich sein würde?

Martina: Ich sammelte Informationen, was es bedeutet, mit Querschnittlähmung Kinder zu bekommen. Nach sieben Jahren war ich bereit für ein Kind. Die Geburt ging einfach, unsere Tochter war pflegeleicht.

Als Philine eineinhalb Jahre alt war, kündigte sich ein Doppelpack an. Die Jungs kamen in der 34. Schwangerschaftswoche. Zwillinge kommen oft etwas früher, aber sie hatten nach der Geburt Probleme mit der Lunge.

Jachin musste in eine Spezialklinik. Wir sind dankbar, dass er die schweren acht Wochen überstanden hat. Heute haben beide Jungs völlig intakte Lungen. Doch als er ein Jahr alt war, wurde bei Boas eine schwere Hörschädigung festgestellt.

Horst: Als wir dachten, alles ist überstanden, kam die neue Diagnose wie ein Hammer. Nun hatten wir 200 Prozent Schwerbehinderung … Eine Familie in unserer Gemeinde hat uns aus eigener Betroffenheit unterstützt. Uns wurde wichtig, Gebärdensprache zu lernen, um die Kommunikation zu gewährleisten.

Familie Köninger posiert für ein Bild hinter einem Bilderrahmen.
Gott segnete Martina und Horst mit drei Kindern. (Foto: privat)

In all der Zeit: Was hat euch getragen? Wann habt ihr besonders gezweifelt, wann Gott intensiv erlebt?

Martina: Als mir langsam dämmerte, dass Gott mich nicht heilt, war ich wütend. Was ist mit den vielen Heilungen, von denen ich in der Bibel gelesen habe? Es hat Monate gedauert, bis mir langsam der Gedanke kam, dass Gott in meinem Leben etwas anderes vorhat. Trotzdem ist Gott mir die ganze Zeit nah gewesen, hat ausgehalten, wenn ich ihn angeschrien habe. Ich habe seine Nähe gespürt.

Die Ehrlichkeit in den Psalmen hat mir gutgetan. Mit der Zeit merkte ich, wie wertvoll es ist, keinem schwammigen Schicksal ausgeliefert zu sein, sondern in Jesus ein Gegenüber zu haben, mit dem man sich auseinandersetzen kann.

Horst: Mir hat sich besonders der Tag des Unfalls eingeprägt, wo ich erst so wütend auf Gott war, dann immer ruhiger wurde und schließlich anfing Gott zu loben. Diese Gewissheit, dass Gott da ist und mich hält, mich auffängt, egal wie tief ich falle. Der innere Friede entgegen allem rationalen Verständnis, hat mir geholfen, schwierige Phasen durchzustehen.

Horst ist selbständig, Martina engagiert im PerspektivForum Behinderung und in der Flüchtlingsarbeit. Wie schafft ihr das alles: auch mit Handicap?

Martina: Viele Dinge sind mit einer Behinderung zwar komplizierter, aber doch möglich. Nach meinem Unfall dachte ich, ich hätte mich verhört, als ich dachte, Gott hätte mich in die Mission in den Nahen Osten berufen. Nun kommen diese Menschen in unsere Gemeinde.

„Gelebte Inklusion ist immer ein
starkes Zeugnis.“

Horst hat extra für mich den Zugang zum Willkomenscafé rollstuhlgerecht umgebaut. Das hat auf die Leute starken Eindruck gemacht. Gelebte Inklusion ist immer ein starkes Zeugnis. Es zeigt ganz praktisch, dass jeder Mensch wertvoll ist.

Horst: Meine betriebliche Selbständigkeit ist ein Vorteil, da ich mir die Zeit selbst einteilen kann. So konnte ich mit den Kindern zu Ärzten, die keinen barrierefreien Eingang haben. Wenn Martina auf Tagungen der Evangelischen Allianz unterwegs war, konnte ich die Kinder nehmen. Die liegengebliebene Arbeit erledigte ich dann abends oder am Wochenende.

Martina, zum Schluss zum Perspektivforum: Was wünschst du dir in Bezug auf Menschen mit Behinderungen?

Martina: Als ich im Rollstuhl saß, war ich geschockt, dass ich in die meisten Kirchen und Gemeinden nicht reinkomme wegen der Treppenstufen. Es hat mich verletzt, wie wenig Christen gelernt haben, mit Behinderung umzugehen. Ich suchte Kontakt zu anderen Christen mit Behinderung, und wir gründeten Ende der 1990er Jahre das PerspektivForum.

Ich wünsche mir, dass christliche Gemeinden Worten Taten folgen lassen. Sind Menschen mit Behinderung so wertvoll, dass wir Geld und Arbeit investieren, damit sie teilhaben können? Das darf nicht der Diakonie überlassen werden. Sie ist kein Ersatz für Inklusion vor Ort, zumal die wenigsten Menschen mit Behinderung in diakonischen Einrichtungen leben.

Vielen Dank, ihr beiden! Und Gottes reichen Segen!

Die Fragen stellte Uwe Heimowski.


EiNS-Magazin 1/22

Dieses Interview ist im EiNS-Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) erschienen.

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