Ein britischer Gottesdienst-Trend: Gemeindemitglieder werden im Gottesdienst über ihren Alltag interviewt. Drei Fragen sollen helfen, eine Brücke zwischen Glaube und Alltag zu schlagen.
1. Wo wirst du morgen um diese Zeit sein?
Diese Frage richtet den Blick vom Gottesdienst hin zu den verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen der Gemeinde. Ob im Büro, Klassenzimmer, am Steuer oder zu Hause – jeder von uns hat seinen eigenen Platz und seine eigenen Herausforderungen. „This Time Tomorrow“ (TTT) bringt uns dazu, die Vielfältigkeit unserer Gemeinde besser zu verstehen und ihre Bedeutung als „verstreute Kirche“ zu erkennen, die wochentags ihren Glauben lebt.
Nehmen wir an, es ist 10.45 Uhr am Sonntagmorgen. Der „Worship“ ist zu Ende, die Predigt hat noch nicht begonnen. Wo befinden sich dann die meisten Menschen um 10.45 Uhr am Montagmorgen? Im Büro. Im Klassenzimmer. In der Fabrik. Beim Studieren in der Bibliothek. In einer Besprechung. Am Steuer eines Busses. Beim Wechseln von Windeln. Beim Schlafzimmer staubsaugen. Beim Beibringen von Kinderreimen. In einem Bekleidungsgeschäft. Beim Vorbereiten des Operationssaals für die nächste Operation. Beim Bedienen eines Kunden mit einer schaumigen Tasse Cappuccino. Beim Einsammeln des Mülls der Nachbarschaft … Die Möglichkeiten sind endlos.
Aber wie sollen wir die bunte Vielfalt an Jobs, Berufen, Berufungen, Beschäftigungen und Aktivitäten unserer Mitkirchenbesucher kennenlernen, wenn wir immer nur aufgereiht auf Kirchenbänken oder Stühlen sitzen und auf den Hinterkopf der Person vor uns schauen?
Wenn wir regelmäßig die Gelegenheit haben, das Kaleidoskop des sozialen und zivilgesellschaftlichen Engagements in einer bestimmten Kirchengemeinde zu entdecken, werden wir uns des umfassenderen Charakters der Kirche bewusst, des Volkes Gottes, das dazu berufen ist, die gute Nachricht in unserem täglichen Leben von Montag bis Samstag mit Leben zu erfüllen. Das ist die verstreute Kirche, die Kirche jenseits der Gemeinde, die sich jetzt am Sonntagmorgen kurzzeitig versammelt, um ausgerüstet zu werden.
Ausgerüstet für was? Für die Arbeit am Reich Gottes, draußen in der Welt, jeden Tag und unter allen Umständen. Paulus sagt uns in Epheser 4,11-12, dass die Hauptaufgabe der Gemeindeleiter – also der Apostel, der Propheten, der Evangelisten, der Pastoren und Lehrer – darin besteht, den Rest von uns für die wahre Arbeit der Gemeinde auszurüsten, und nicht nur dafür, dass wir uns Predigten anhören.
2. Mit welchen Herausforderungen und Chancen bist du bei deiner Arbeit konfrontiert?
Diese Frage regt dazu an, die eigene Tätigkeit nicht nur als Broterwerb zu sehen, sondern als eine Gelegenheit, Glauben aktiv auszuleben. Die Gemeinde unterstützt ihre Mitglieder im Umgang mit beruflichen und kulturellen Herausforderungen und ermutigt sie, sich treu und ethisch zu verhalten, auch wenn dies oft gegen den Zeitgeist steht. Zugleich offenbart TTT die kleinen und großen Möglichkeiten, wie wir in unserer Arbeit positiv und entgegen der Norm wirken können.
Während der Interviewer diese zweite Frage stellt, fragt sich der Rest von uns wahrscheinlich, welche Antwort wir geben würden. Wir beginnen uns zu fragen, inwiefern meine Arbeit mit der Erfüllung des obersten Gebots, Gott und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, und des Missionsbefehls, Gott allen Menschen überall bekannt zu machen, zusammenhängt. Noch bevor wir die Antwort hören, werden wir angeregt, darüber nachzudenken, wie wir in unserem täglichen Leben für das Reich Gottes arbeiten können.
Die kurze TTT-Einlage im Gottesdienst regt uns dazu an, uns bewusst zu machen, dass unsere Aufgabe im Job nicht nur darin besteht, unsere Brötchen zu verdienen, sondern oft auch Kontakte zu anderen zu schaffen, die sonst vielleicht keinen christlichen Kontakt haben.
Für uns alle ist es eine Herausforderung, in einer Kultur zu leben, die von der Ablehnung Gottes und der Bibel als seinem offenbarten Willen geprägt ist. Wir brauchen die Unterstützung der Gemeinde, um am Arbeitsplatz, auf dem Markt und im Klassenzimmer treu und mutig gegen den Druck des Zeitgeists anzukämpfen, z.B. ethische Kompromisse einzugehen, eine „kreative“ Buchführung zu betreiben oder der Kultur des Arbeitsflirts zu erliegen …
Chancen? „Jetzt, wo du es erwähnst …“ Wir beginnen zu erkennen, dass jeder Tag Gelegenheiten bietet, „im entgegengesetzten Sinne zu reagieren.“ Mit der Zeit bemerken andere dies und fragen sich, was an uns anders ist. Oder vielleicht kannst du Einfluss auf die Erstellung eines Lehrplans nehmen, in welchem die Würde eines jeden Kindes gewahrt wird. Oder einen fairen Preis für eine gut ausgeführte Schreinerarbeit verlangen… kleine treue Schritte des Gehorsams innerhalb des Laufs des Universums.
3. Wie können wir für dich beten?
Diese Frage hebt hervor, dass die Gemeinde nicht nur im Gottesdienst füreinander da ist, sondern auch im Alltag unterstützt. Beten wir für die alltäglichen Aufgaben und Anliegen unserer Mitmenschen, geben wir ihnen Rückhalt und ermutigen sie, ihre Rolle im Reich Gottes wahrzunehmen. Jeder von uns ist berufen, dort, wo er sich befindet, Gottes Liebe und Licht zu verbreiten.
Was für eine Ermutigung für jeden von uns, zu erkennen, dass die ganze Kirche mit uns im Gebet für unser tägliches Leben steht! Und dass Gott jeden von uns berufen hat, eine Rolle im Missionsbefehl zu spielen, wo auch immer wir uns befinden; dass wir Teil des Einsatzes der Kirche in der Gemeinde und der Stadt sind!
Kürzlich nahm ich an einem Gottesdienst teil, in dem eine junge Frau für die Aufgabe des Kassierers der Kirche gesegnet wurde. Doch ihr normaler Job im Finanzsektor brachte weitaus mehr Verantwortung mit sich als ihre neue Aufgabe in der Kirche. Warum haben wir uns nicht die Mühe gemacht, auch für ihre tägliche Aufgabe zu beten? Das fragte ich mich.
Hintergrund und gesellschaftliche Bedeutung
Das TTT-Konzept, das aus anglikanischen Kreisen Großbritanniens stammt (siehe z.B. dieses Video, auf Englisch), kann in jedem kirchlichen Umfeld umgesetzt werden. Eine andere Variante besteht darin, sich in kleine Gruppen aufzuteilen, in denen jeder abwechselnd die drei Fragen beantwortet und abschließend füreinander gebetet wird.
TTT kann unser Verständnis sowohl von der Kirche als auch von unserer persönlichen Berufung als Vertreter des Reiches Gottes in unserem täglichen Leben erweitern. TTT könnte auch im deutschen Kontext eine wertvolle Möglichkeit sein, die Bindung und Relevanz des Glaubens im Alltag zu fördern.
Diesen Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung von MrJugendarbeit veröffentlicht. Andy Fronius ist Initiator der gemeinnützigen Organisation MrJugendarbeit. Der Artikel ist zuerst erschienen auf weeklyword von Jeff Fountain, Gründer des Schuman Centre for European Studies. Deutsche Version von Priscilla Alvarez.
Der eigentliche Gottesdienst ist der Alltag
Der Artikel weckt bei mir die Erinnerung, dass der eigentliche Gottesdienst am Montag beginnt, also im Alltag. Da bewährt sich immer unser aller Christsein. Das ist nichts besonderes, aber ich halte ein solches Bewusstsein für erstrebenswert und notwendig. Am Montag, oder auch in anderen Tagen jeder Woche, kann niemand die Welt retten, aber oft ist dort nur ein freundliches Lächeln wertvoller als gedacht und vorallem antworten die Mitmenschen auf gleiche Weise. Mit etwas Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft – alles nicht aufgesetzt und künstlich – vielleicht auch die Bereitschaft des Zuhörens und bisweilen des Bemühens sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen mit Empathie, fängt vielleicht das Reich Gottes an. Das Reich Gottes ist ja nicht nur etwas was langsam kommt, wie mit den Wolken, sondern auch in uns bereits anwesend sein kann. Dafür sind die Anstöße gut, ab gerade dies alles braucht die Gemeinde, wobei Kirche nicht Kirche ist wegen ihrer hohen Hierarchie, sondern eher wegen einer Bereitschaft in einer Gemeinschaft, daß da einer des anderen Last trägt und alle gemeinsam den Leib Christi bilden. Netzwerke von Christen, auch solche in der ganzen Ökumene im Sinne guten Miteinanders, sind wichtig und Kirchen selbst sollten möglichst wenig Hierarchie abbilden. Der Turmbau zu Babel ist eine gute sinnbildliche Geschichte, daß in diesem Turm und in dessen obersten Kammern die Menschen einsam sind und daß die Menschen sich wegen der Höhe des Turmes (der Höhe der Hierarchie und der Verteilung unguter Macht) auch nicht mehr gut verstehen. Den Geist von Pfingsten darf man sich in christlichen Netzwerken immer wünschen und dann ist er auch anwesend.
Ich denke, das normale Christen sowieso ihre Glauben im Alltag leben.
Was wären das für Christen, die das nicht tun? Kirchenchristen vielleicht …