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Landesbischof Kramer: „Kirche ist für mich nur missionarisch zu denken“

Friedrich Kramer ist seit September 2019 Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Im Interview spricht er über Lobpreismusik, Mission und seine Vision von Kirche.

Herr Landesbischof, Sie haben in der vergangenen Advents- und Weihnachtszeit einen musikalischen Adventskalender veranstaltet, der in den sozialen Medien übertragen wurde. Dort waren Sie häufig mit der Gitarre zu sehen. Wie würden Sie auf die Anfrage reagieren, mit der Gitarre in einer Lobpreisband mitzuspielen?

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Landesbischof Kramer: Da wäre ich nicht abgeneigt. Ich habe auch schon Lobpreis in einer Band gespielt. In meiner ersten Pfarrstelle haben wir eine Scheune ausgebaut. In diesem Raum traf dann die Punkband auf die Worship-Band. Das war „crossover“. Ich habe auch schon in einem Haus gewohnt, da gab es einen Probenraum im Keller. Dort spielte eine Band. Irgendwann bin ich runter und habe dem Gitarristen den vierten Griff gezeigt, weil es mich angestrengt hat. (lacht) Ich meine: Kirche sollte musikalisch breiter aufgestellt sein.

Sie sind Mitherausgeber des Liederbuches „Durch Hohes und Tiefes“. Wenn Sie jetzt auf die Kirche blicken, gibt es da mehr Hohes oder mehr Tiefes?

(Pause) Ich würde sagen, es gibt mehr Hohes. Noch wesentlicher finde ich aber, dass wir in Christi Hand sind. Wir sollten Kirche nicht von den Zahlen oder Erfolgen her ansehen, sondern wir haben einen Auftrag: Dieser Auftrag ist uns gegeben für die Höhen und Tiefen. Es gibt viel Hohes, was aber wenig wahrgenommen wird.

Wenn vier Frauen irgendwo in der Gemeinde beten, kann dies das Dorf retten.

Warum wird es nicht wahrgenommen?

Kirche hat viel mit Hausarbeit zu tun. (lacht) Jesus verwendet viele Gleichnisse wie Brotbacken, die Stube kehren usw. Reich Gottes hat viel damit zu tun, dass wir aufräumen, im Hintergrund tätig sind, beten, trösten, beraten und begleiten. Wir machen als Kirche sozusagen den Abwasch weg. Du siehst den Geschirrberg nur, wenn er noch steht. Wenn du aber in die Küche kommst und es aufgeräumt ist, siehst du nicht, dass hier jemand tätig war. Christen arbeiten ganz viel unsichtbar in der Gesellschaft. Sie sind die „unsichtbaren Aufräumer“ in Dörfern und Städten. Wenn vier Frauen irgendwo in der Gemeinde beten, kann dies das Dorf retten.

Sie haben bei Ihrer Bewerbung für das Bischofsamt den Satz gesagt: „Wir sind steinreich.“ Wie kann Kirche gelingen, die zwar reich an Steinen, aber arm wie eine Kirchenmaus ist und immer kleiner wird?

Unsere Öffentlichkeitsarbeit ruft bei dem Satz „Wir sind steinreich“ immer „Vorsicht!“, weil Leute diesen Satz unterschiedlich hören. Wir sind die Kirche in der EKD mit den meisten Gebäuden. Die 3.900 Kirchen sind eine riesige Herausforderung, aber auch ein großer kultureller und geistlicher Schatz. Wir haben in den letzten dreißig Jahren ein unglaubliches Neuwerden von wertvollen Kirchen erlebt. Weil wir wissen, dass wir die Kirchen nicht alle aus eigener Kraft erhalten können, bauen wir auf Kooperationen mit Menschen im Dorf. Dabei hören wir immer wieder den Satz: „Mit Kirche kann ich nichts anfangen, aber dass die Kirche im Dorf bleibt, ist doch wohl klar!“ In der Zusammenarbeit mit den Kirchbauvereinen entstehen spannende Nutzungskonzepte wie das einer „Bienenkirche“: Vorne im Altarraum wird noch Gottesdienst gefeiert, hinten im Kirchenschiff stehen die Bienenstöcke. Da summt und brummt es. Die Imker sind begeistert von der immer gleichen Temperatur des Raumes. Wunderbar sind auch Übernachtungskirchen, Kletterkirchen, Jugendkirchen. Wir können viel machen, wenn wir uns für neue Ideen öffnen. Was wir brauchen, ist Mut, Sakrales und Geistliches mit Profanem zu verbinden.

Wie sieht es mit offenen Kirchen aus?

Da bin ich ein großer Fan von. Allerdings ist dies nicht leicht zu realisieren, da in vielen Kirchen unglaublich wertvolle Gegenstände stehen und hängen. Außerdem haben wir zu wenig Menschen, die vor Ort als Betreuerin oder Betreuer anwesend sind. Offene Türen sind aber auch wichtig, damit wir Orte der geistlichen Einkehr haben und mit Angeboten wie der Andachtsbox präsent in der Gesellschaft bleiben. Wir brauchen geistliche Formate, die unabhängig von Hauptamtlichen sind. Eine Pfarrperson, die für 26 Kirchen zuständig ist, kann nicht mehr alles abdecken. Hier brauchen wir ein Umdenken, hier müssen wir den Schatz des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen neu entdecken, ihn zum Klingen bringen. Regelmäßiges geistliches Miteinander wird nur im Miteinander von vielen und unterschiedlichen Formen und Formaten funktionieren.

Es gibt eine Missionsphobie in der Gesellschaft und der Kirche.

Was bedeutet für Sie, dass Kirche missionarisch ist?

Es gibt eine Missionsphobie in der Gesellschaft und der Kirche. Dies hat etwas mit Geschmacks- und Stilrichtung zu tun. Ich selber komme mütterlicherseits aus der Brüdergemeinde. Die haben als erste evangelische Gemeinden Mission betrieben. Für die war Mission Bildungsmission. Die haben den klugen Missionsbegriff des „Erstlings“ geprägt. Sie sind z. B. in den Himalaja gezogen, haben dort Kontakte geknüpft und von Jesus erzählt. Wenn sich dann der Erste aus den Stämmen dort taufen ließ, war es dessen Aufgabe, von seinem Glauben weiterzuerzählen.

Was bedeutet das für die Mission heute?

Wir brauchen einen großen Respekt vor dem, was ist. Mission gehört für mich stark verzahnt mit Bildung. Besserwisserische Mission nach dem Motto „Ich bin gerettet, du bist verloren“ ist für mich überholt. Mission ist kein Überreden und Ziehen. Mission ist dort in Misskredit geraten, wo sie mit Macht, Perversion, Enteignung, nicht Respekt verbunden war. Trotz aller Schatten, die es gab: Kirche ist für mich nur missionarisch zu denken. Deshalb müssen wir auch an unserer Missionsfurcht arbeiten, uns trauen, von Christus zu erzählen. Mission heißt: sich riskieren. Dabei kommt man selbst verändert raus. Mission heißt aber auch, dem Geist Gottes etwas zuzutrauen. Wir müssen Resonanzen erzeugen. Das heißt ganz praktisch: Besucht Leute, teilt euer Leben.

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Wo muss sich Kirche mehr in Demokratie und Gesellschaft einbringen?

Wir bringen uns an vielen Stellen schon ein. Allerdings verorten wir uns in keiner Parteipolitik. Demokratie ist nicht die letzte aller Ordnungen, sondern die vorletzte, aber es ist die vernünftigste in unserer Zeit. Ich halte sie für eine kluge Institution, die aber nicht garantiert, dass Kluges gemacht wird. Die Demokratie ist eine wunderbare Form der Gewaltenteilung, die verantwortlich gestaltet werden muss. Wir erleben gerade, dass die Demokratie immer anfällig ist für Nicht-Demokraten. Deshalb erheben wir als Kirche unsere Stimme da, wo rote Linien überschritten werden. Die Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen einer rechtsnationalistischen Partei ist für uns jedenfalls keine Option. Allerdings würde ich hier einen Unterschied machen: Faschistisch sind nicht die Wähler, sondern der AfD-Flügel um Björn Höcke. Klar ist: Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit. Das Parteiensystem ist im Osten in der Krise. Unser Einsatz für Demokratie heißt: Wir müssen darauf drängen, im Gespräch zu bleiben.

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Welche Vision von Kirche haben Sie? Wie sieht die mitteldeutsche Kirche in zwanzig Jahren aus?

An Schmidt kann man sich immer bedienen. (lacht) Ich stelle mir folgendes Szenario vor: Wir sind eine fröhliche Kirche, der man abspürt, dass sie Lust hat, das Evangelium zu verkündigen. Mitarbeitende haben Freude an ihren Aufgaben. Sie wissen, was sie zu tun haben. Gemeindekirchenräte und Älteste wissen, worauf sie sich verlassen können. Ich wünsche mir, dass wir ein Hort der Kirchenmusik bleiben, dieses Angebot entfalten, um Menschen mit dem Glauben in Berührung zu bringen. Ich wünsche mir, dass wir das Gerede vom Niedergang hinter uns gelassen haben und erleben, dass Weniger-Werden nicht zugleich eine Schwächung des Glaubens bedeutet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Ulrich Mang. Er ist Sozial-Missionarischer Referent breim Deutschen EC-Verband und Redaktionsmitglied des des Kirchenmagazins 3E.


Dies ist ein gekürzter Auszug aus einem Interview mit dem mitteldeutschen Landesbischof Friedrich Kramer, das in Ausgabe 2/2020 des Kirchenmagazins 3E erschienen ist. 3E wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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