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Pastor verzichtet auf Fleisch – und wird dafür beschimpft

Pastor Jann-Hendrik Weber ist Beinahe-Vegetarier. Dafür erfährt er offene Ablehnung – teils mit biblischer Begründung.

Von Jann-Hendrik Weber 

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Als vegetarischer Pastor bin ich eine Sensation auf jeder Freizeit und manchmal auch ein Ärgernis für die Mitarbeitenden an der Essensausgabe. „Waaas? Du isst kein Fleisch? Du kommst doch vom Hof! Und außerdem steht in der Bibel doch gar nicht, dass man kein Fleisch essen soll!“

„Stimmt beides“ – antworte ich. Kleinlaut bitte ich um etwas Ketchup anstelle der Bolognese-Sauce. Versorgt mit dieser „Extrawurst“ verschwinde ich schüchtern zu einem freien Platz. Die Sitznachbarn begutachten zuerst meinen Teller und dann mich. Verschämt entschuldigend sage ich Worte wie „globale Gerechtigkeit“. Ganz leise murmle ich, damit es allen weiterhin gut schmeckt und damit sie mich als vollwertigen Menschen in der Runde akzeptieren. Ich bin gehemmt in solchen Situationen. Ich gebe zu: Bolognese schmeckt wirklich leckerer als Ketchup. Es ist nicht leicht, offensichtlich einer Minderheit anzugehören.

Manchmal kommt am Tisch auch ein offen interessiertes Gespräch zustande. Und dann wird klar, dass ich ein richtig mieser Vegetarier bin. Sorry, tut mir leid, aber so ist es! Im Urlaub an der See esse ich das ein oder andere Fischbrötchen. Beim nachbarschaftlichen Grillfest esse ich die Bratwurst, die meine Kinder übrig lassen. Manchmal kaufe ich Gegenstände aus Leder. Ich erschlage Mücken im Schlafzimmer, wenn’s schnell gehen muss. Und sehr selten nehme ich sogar heimlich eine Scheibe Kochschinken vom Buffet und schiebe sie mir in den Mund.

Verzicht aus Erfahrung

Trotzdem, auch wenn ich so inkonsequent lebe, möchte ich so gut wie möglich auf Fleisch verzichten. Wie ein trockener Alkoholiker, der nach Rückfällen nicht aufgibt. Wie ein Forscher, der neugierig weiter seinem Projekt auf der Spur bleibt.

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Wie hat das alles angefangen? In Wirklichkeit hat alles in Ostfriesland angefangen. Auf dem Hof meiner Eltern. Als Jugendlicher habe ich Ferkel ohne Betäubung kastriert und Hühnern mit einem Beil den Kopf abgeschlagen. Ich habe meine Kaninchen ans Messer geliefert und betäubte Kälber festgehalten, während ihnen mit einem heißen Rohr die Hornansätze aus dem Schädel gebrannt wurden. Ich habe Jungbullen mit der Mistgabel blutig gestochen, bis sie die Rampe des LKW hochliefen, der sie zum nächsten Schlachthof fuhr oder zum tagelangen Export in den Orient. Bei meinem Auslandsjahr in Kenia habe ich eine Ziege mit einem stumpfen Messer geschächtet.

Ich erinnere mich, dass mich das Blutvergießen immer mit einem Schauer, einer Art „Ehrfurcht“ erfüllt hat. Instinktiv wusste ich, dass Gewalt gegen Tiere keine Kleinigkeit ist. Ich habe gehofft, dass diese Ehrfurcht nie verschwinden würde. Und dass sich trotzdem so etwas wie Gleichgültigkeit einstellen möge. Schließlich musste das alles ja sein. Fleischessen ist normal, auch in meiner Familie war das so. Fleisch ist nahrhaft und schmeckt gut. Die Welt will Fleisch.

Kein faires Geschäft

Und für Bauern ist das ein Geschäft. Es ist wahrlich kein faires Geschäft! Die meisten Bauern malochen harte 12–16 Stunden am Tag, in Erntezeiten noch mehr. Sie haben kaum Urlaub. Bei schlechten Preisen bangen sie um ihre Existenz, um ihre Freiheit auf der eigenen Scholle. Manchmal ist das Hofleben idyllisch und aufregend. Wie im Bilderbuch. Es fühlt sich sinnvoll an. Landwirte pflegen die Landschaft und versorgen das Volk. Solange die Familie über die Runden kommt, ist der wirtschaftliche Druck erträglich. Und ja – so tröstet man sich –, am Ende sind es „nur“ Tiere, die wir halten und mästen und schlachten. Fremde Lebewesen, irgendwie minderbemittelt, scheinbar seelenlos. Ob es denen wirklich etwas ausmacht, ihr Schicksal tragen zu müssen, welches unsere Spezies ihnen auferlegt? Sind sie nicht zum Essen da? Solche Gedanken machten die blutige Normalität für mich irgendwie erträglich. Aber getröstet haben mich diese Gedanken niemals. Sie haben mein Gewissen für den jeweiligen Moment ruhiggestellt. Sie haben mir erlaubt, irgendwie mitzumachen, nicht weiter nachzufragen beim Zupacken im Stall und am Grill.

In meinem bäuerlichen Heimatdorf gibt es viele Christen. Sie glauben an den Himmel, die neue Welt Gottes. Ohne Leid, ohne Tränen, ohne Geschrei. Manche engagieren sich gegen Abtreibung. Aber echtes Bedauern über die Notwendigkeiten in der Viehwirtschaft habe ich selten gehört. Höchstens Ärger über Güllegeruch. Einmal kursierte die Story über einen Landwirt, der seine Rinder bis in den Schlachthof hinein begleitet hatte, und dem der Tod seiner Tiere sehr zu Herzen gegangen war. Ansonsten war unter den Landwirten eher Klage über unfaire Preise zu hören. Verständlich. Hörbar war auch die Entrüstung über „die Grünen“ und andere „Ökos“. Mit deren Vorschriften werde den Bauern die letzte Freude an ihrem Beruf geraubt und den Verbrauchern die Roulade madig gemacht.

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Überrascht von neuen Geschmackswelten

Einige medientaugliche Lebensmittel- und Tierskandale später war es mir zu viel. Vor sechs Jahren habe ich mit Unterstützung meiner Ehefrau mit dem Fleischessen aufgehört. Lange genug hatte sie meine innere Unruhe ertragen und sich dann mit mir auf den Weg gemacht – „Lass uns doch einfach anfangen mit dem Aufhören und schauen, wie weit wir kommen. Niemand zwingt uns, Fleisch zu kaufen.“ Also kauften wir keine Salami mehr und kein Hack. Keinen geräucherten Speck mehr als Basis für Suppen und andere Gerichte. Stattdessen stöberten wir bei Nüssen, Pilzen, Oliven, Artischocken, Hülsenfrüchten, Sprossen und so weiter. In all den Regalen im Supermarkt, die der Bauer bisher nicht kannte. Wir wurden zu sogenannten „Vegetariern“ und sind es bis heute mit Ausnahmen geblieben. Dabei wurden wir überrascht von völlig neuen Geschmackswelten. Und es ist eine neue Beziehung zur Schöpfung entstanden. Solidarischer, innerlich bewegt und ergriffen. Eine emotionale Barriere ist weggefallen, die ich vorher aufgebaut hatte.

Heute finde ich es erstaunlich, dass immer noch so wenig Bedauern über das Leid der seufzenden Kreatur in Mastanlagen, Viehtransportern und Schlachthöfen zu hören ist. Mich erstaunt, mit welcher Gleichgültigkeit viel billiges Fleisch auf Kosten der schwächeren, ärmeren und noch ungeborenen Geschöpfe verzehrt wird. Und dass Vegetarier beim Sommerfest der Kirchengemeinde nicht selten ignoriert, belächelt oder sogar beschimpft werden.

Der Gleichgültigkeit etwas entgegensetzen

Christen weisen ja gern darauf hin, dass in der Bibel nicht grundsätzlich verboten werde, Fleisch zu essen. Dass Gott es sogar ausdrücklich erlaubt habe (Genesis 9,3). Ich meine, dass diese „Erlaubnis“ nicht das einzige und letzte Wort Gottes zu dem Thema ist. Folgende Beobachtung in Genesis 9 ist mindestens genauso wahr: Nach der Sintflut hat Gott einen Bund mit Mensch und Tier aufgerichtet. Der Bund Gottes gilt allem Lebendigen der Erde. Menschen und Tiere leben gemeinsam unterm Regenbogen! Manche utopischen Zukunftsvisionen der Bibel malen eine unglaublich harmonische Beziehung unter allen Lebewesen vor Augen. „Niemand wird mehr Verderben anrichten, denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn“ – so beschreibt der Prophet Jesaja die Zeit, wenn der Messias da ist. Kühe und Bären werden zusammen weiden (vgl. Jesaja 11). Ich frage mich: Wie dürfen wir angesichts solch friedvoller Bilder weiterhin völlig gleichgültig ins Schnitzel beißen?

Ja, Fleischessen ist normal geworden. Aber es ist und bleibt Teil eines Gewaltakts, den man nur in Ausnahmefällen und in selbstkritischer Ehrfurcht vor dem Leben tun darf. Sonst verkommt der Mensch zum Täter und das Tier zur Ware und die Welt zu einer abgewirtschafteten Wüste. In sogenannten „Naturvölkern“ war und ist diese Ehrfurcht tief verwurzelt. Mein persönlicher Fleischverzicht kann die industrialisierte Fleischproduktion nicht aufhalten. Ich muss vielmehr in Kauf nehmen, dass sich Mitmenschen über mich ärgern. Aber für meine persönliche Biografie ist hier etwas ins Lot gekommen. Die träge Gleichgültigkeit hat nicht gesiegt. Ich bin etwas mehr als Geschöpf unter Geschöpfen angekommen.

Jann-Hendrik Weber (37) ist verheiratet mit Manuela und Vater von drei Kindern. Nach seiner Ausbildung zum Landschaftsgärtner und einem Auslandsjahr in Kenia studierte er Theologie. Er arbeitet jetzt als Pastor im Gemeindejugendwerk Nordwestdeutschland.


Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift MOVO erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

 

 

 

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