Die Russische Orthodoxe Kirche hat sich nach Ansicht der Ostkirchenexpertin Gisa Bauer aufgrund der engen Kooperation mit dem Staat zu "einer Säule des russischen National- und Identitätsgefühls" entwickelt. "Wer sich als Russe fühlt, ist orthodox", sagte die Referentin im Konfessionskundlichen Institut Bensheim der evangelischen Kirche.
Präsident Wladimir Putin wisse diese Rolle der orthodoxen Kirche für seine Strategie der Homogenisierung der russischen Gesellschaft zu nutzen.
Die Theologin sieht diese Entwicklung auch durch jüngste Gesetzesinitiativen des Präsidenten bestätigt, die auf eine Ausschaltung der Opposition, "so marginal sie auch sein mag", ziele. Dazu gehöre auch das neue Gesetz gegen Gotteslästerung, das die Staatsduma am Dienstag verabschiedet hat. Das sogenannte Blasphemiegesetz ist eine Reaktion auf den Auftritt der Punkband "Pussy Riot" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale und sieht für Verletzung religiöser Gefühle Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor. Deutlich mache dies auch, wie sich Russland auf einen Sonderweg begebe und sich vom Westen abwende. In Russland trete ein Gesetz gegen Gotteslästerung in Kraft, während es in westlichen Ländern Bestrebungen gebe, derartige Strafvorschriften zu streichen.
Ein weiterer Beleg für die Verflechtung von Kirche und Staat in Russland sieht die Wissenschaftlerin darin, dass russisch-orthodoxe Geistliche laut Kirchenordnung neuerdings in Ausnahmefällen für politische Ämter kandidieren dürfen, was bisher untersagt war. Die Änderung sei damit begründet worden, politische Kandidaten auf allen Ebenen könnten, wenn es notwendig sei, die orthodoxe Kirche gegen "schismatische und andersgläubige Kräfte" verteidigen.
Auch die Auslandsreisen hochrangiger Repräsentanten der orthodoxen Kirche seien Ausdruck einer Übereinstimmung von kirchen- und staatspolitischen Interessen, argumentiert Bauer. So habe es sich bei dem Griechenlandbesuch des Moskauer Patriarchen Kyrill in der vergangenen Woche um "einen außenpolitischen Besuch im Sinne des Kreml vor dem Hintergrund der Eurokrise" gehandelt. Dabei sei es nicht vorrangig um das Gespräch mit den griechisch-orthodoxen Glaubensbrüdern gegangen, mit denen es durchaus gewisse Spannungen gebe.
Die Ostkirchenexpertin empfiehlt deshalb den evangelischen Kirchen, auf längere Sicht im ökumenischen Dialog auf das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel und unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation auf andere orthodoxe Nationalkirchen zuzugehen.
(Quelle: epd)