Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Ist Gewalt vielleicht doch keine Lösung?

Während seiner Schulzeit hat Tom Laengner Gewalt als vermeintliche Lösung erlebt. Warum ist das so und wie lässt sich das vermeiden?

Gewalt ist eine Lösung. Genauso habe ich das erlebt, als ich auf der Grundschule war. Da gab es nämlich einen bösen Wicht, gegen den ich mich hätte wehren sollen. Tat ich aber nicht. Nicht mal eine Briefmarke hätte sich in diesen Tagen vor mir fürchten müssen. Mein jüngerer Bruder war da etwas anders gestrickt. Der hat dem bösen Buben dann nach Schulschluss kurzerhand gezeigt, was eine klare Kante ist. Mein Widersacher zog es vor, lieber aufzugeben. Zugegeben: Diese fast höfliche Form der Gewalt war eine Angelegenheit zwischen Ehrenmännern, wenn auch ganz kleinen. Wichtig war, dass danach Ruhe im Karton war. Und aus meinem Bruder ist trotz seiner kindlichen Robustheit weder ein Gewaltverbrecher noch ein Vertreter der Dritten Halbzeit geworden. Pastor ist er, was ja auch ein schöner Beruf ist. Bei ihm ist die Hütte immer voll, gerade auch jetzt im Winter. Vielleicht heizt er so stark, dass die Gottesdienstgemeinde ein wenig von der Wärme mit nach Hause nehmen kann. Für umsonst, versteht sich! Wer weiß das schon so genau. Ich vermute jedoch eher, dass die Leute kommen, weil er was zu sagen hat.

Als Schullehrer in Bochum bekam ich neue Einblicke, warum Gewalt keine Lösung sein sollte. In diesen sich jährlich wiederholenden Veranstaltungen zur Gewaltvorbeugung war ein Hauptkommissar zu Gast. Er hatte einen feschen Kurzhaarschnitt und kluge Gedanken. Zum Beispiel, wenn es um Pfefferspray ging. Er machte deutlich, dass es weder zum Würzen taugt noch als Wunderwaffe. Stattdessen stellte er die Magie des Gassprays infrage, die es im Park oder dunklen Gassen entfalten würde. Denn abgesehen davon, dass du den Wind richtig einschätzen solltest, muss die gewaltbereite Person dir schon gefährlich nahe sein.  Sonst bringt die Gasattacke nichts. Noch näheren Kontakt zu den Freundinnen und Freunden körperlicher Gewalt schafft übrigens der Einsatz eines Messers. Mal kurz nebenbei: Wie tief schiebst du denn die Klinge im vermeintlichen Fall in einen Körper rein? Uns schauderte und zwei Schüler wollten auf einmal dringend pinkeln. Beim Zuhören erinnerte ich mich, in der Oberstufe meines Gymnasiums oft ein Klappmesser meines Großvaters in der Gesäßtasche gehabt zu haben.  Das sollte mir in kniffligen Lagen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Dabei wurde mir doch schon übel, wenn ich mich in den Finger geschnitten hatte!

Wie weit würdest du gehen?

Heute kann ich Gott nur danken, dass ich es nie benutzt habe. Wie kurzsichtig kann ein Mensch eigentlich sein? Dieses Phänomen scheint kultur- und religionsübergreifend zu sein. Es ist in allen Bildungsschichten und Berufsgruppen zu finden. Unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht ist es auch. Und dennoch leistet die Kurzsichtigkeit keinen Beitrag zur Einheit der Menschheit.

Der freundliche Kommissar wies dann noch auf etwas ganz anderes hin. Das habe ich nie wieder vergessen. Er fragte, wie weit wir gehen würden? Der von ihm  immer wieder gern zitierte Kirmesschläger kloppt drauf, solange er kann. Auch ein Hooligan macht sich wegen einer Platzwunde am Kopf nicht ins Hemd. Mir aber, ich deutete das schon an, wird schon beim Gedanken daran schlecht.

Ja, wie weit würde ich denn gehen, wenn es um Gewalt als Lösung geht? Was hinterlasse ich dabei möglicherweise meinen Kindern und Enkelkindern, wenn ich richtig weit gehe und zeige, was für ein Kerl ich doch bin? Einen halbtotgeschlagenen Erwachsenen, der die Zuckerwatte seiner Kinder gegen irgendwelche Rüpel verteidigen wollte?

Vielleicht hatte der Hauptkommissar so was im Sinn, als er sich ein letztes Mal an die interessierte Schulklasse wendete: Ein richtig brutaler Schläger sollte einmal ausgekontert werden. Das geschah mit den Worten: „Für eine Diskussion reicht’s bei dir wohl nicht!“ Eine messerscharfe Analyse. Chapeau!  Das war witzig. Das war deutlich. Einschüchtern lassen zählt nicht. So nickten wir alle verständnisinnig.

Doch ein paar Minuten später war dann der Wortgewandte auf dem Weg ins Krankenhaus, der Schläger in Polizeigewahrsam. So gar keine Win-Win Situation, oder hatte ich da was übersehen?

„Du hast doch den Kopf nicht nur für die Haare!“

Ich brauche meinen Mut für andere Dinge. Auf diesem Wege finde ich den Gedanken hilfreich, Frieden zu suchen und ihm nachzujagen. Er war wohl schon immer sehr brüchig. Deshalb steht das bereits in der Bibel. Vor 2500 Jahren gab es noch keine „Leos“, die unbedingt geliefert werden müssten.  Als handele es sich um Kuscheltiere für ein Kleinkind! Aber die Menschen wussten, wie schwer es ist, Frieden zu schließen und zu bewahren. Sie erinnern mich an meine Mutter. Sie bekam die Bilder von 1945 nicht aus dem Kopf. Ihre geliebte Florastraße in Gelsenkirchen schien allemal noch eine Zukunft als Parkplatz zu haben. Und die Menschen lebten in Löchern und Verschlägen und tranken Wasser aus Bombenkratern.

Vielleicht haben es sich bestimmte Menschen zu keiner Zeit nehmen lassen, auch für die Judas Ischariots aller Jahrtausende zumindest zu beten.

Bevor ich Muskeln welcher Art auch immer spielen lasse, bin ich gut beraten mich zu fragen, wie ich mit den Folgen umgehen werde. Falls ich das überhaupt dann noch kann. Wie sagte mein Papa früher: „Du hast doch den Kopf nicht nur für die Haare!“

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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3 Kommentare

  1. Als Kriegsdienstverweigerer hat man sich früher ja mal damit auseinandersetzen müssen.Wenn man ehrlich damit umgegangen ist, hat man in die Abgründe der menschlichen Seele geblickt. Dass man nicht garantieren kann, wie man in einer extremen Situation wirklich reagieren würde und kann. Theoretisch kann man sich bestimmt verhalten, aber seine Ängste zu überwinden und zu erleiden das Unrecht geschieht, ein super großer Konflikt, den man so nicht lösen kann. Allein die Entscheidung einen Konflikt sich aufbauen zu lassen oder den Frieden zu suchen, dem anderen einen Ausweg zu lassen und es nicht darauf ankommen zu lassen, ist schon Herausforderung genug.

  2. Natürlich kann Gewalt eine Lösung sein. Allerdings nur eine menschliche. Deswegen bin ich froh, dass meine innere Gewaltbereitschaft – durch Gottes Hilfe – von anderen nicht erzwungen wird, ich also nicht in entsprechende Situationen komme.

  3. Der lange Weg von Frieden und Gewaltlosigkeit

    „Bevor ich Muskeln welcher Art auch immer spielen lasse, bin ich gut beraten mich zu fragen, wie ich mit den Folgen umgehen werde. Falls ich das überhaupt dann noch kann. Wie sagte mein Papa früher: „Du hast doch den Kopf nicht nur für die Haare!“ Dies schreibt hier Tom Laengner „klar und deutlich“ – gewissermaßen als Zusammenfassung seiner Kolumne. Es ehrt ihn, insgesamt keinen Königsweg gegen Gewalt zu wissen, weil es ihn nirgendwo im persönlichen Bereich oder zwischen Staaten gibt. Die Bergpredigt, eine erstaunliche zeitlose hohe Ethik von vor 2000 Jahren, hier von Jesus höchst persönlich formuliert, spricht im größeren Zusammenhängen bildlich von kreativer Klugheit, Sanftheit und Konsequenz. „Die andere Wange auch hinzuhalten“ ist ja ein Gegenbild zu dem „so du mir – so ich dir“ und praktisch die Umkehrung des Prinzips, sich mit anderen auf dessen sehr niedrige Ebene menschlichen Umganges zu begeben: „Auf einen groben Klotz gehört (k)ein grober Keil“! Wenn jemand sogar mit dem Rücken zur Wand steht ihn noch zu bedrohen, könnte den vorgeblichen Feind nur noch zorniger, gewalttätiger und möglicherweise scharf wie eine Handgranate machen. Auch einen Herrn Putin mit samt seinem Machtapparat hier aufzuführen traue ich mich fast schon nicht, will ich doch andererseits überhaupt nicht damit ausdrücke, ihn stattdessen weiter den brutalen Angriffskrieg, unsägliche Gewalt- u. Kriegsverbrechen begehen zu lassen. Mit der Option: Ich hole mir das verschwundene Imperium von dazumal zurück. Da muss auch jedes weitere Nachbarland sehr befürchten, eine Invasion finde statt. Heute sind Atomkriege mit Kurzstreckenraketen wieder denkbar, auch kein besorgter Widerpart wird deshalb die ganze Welt in die Luft sprengen. Also was tun in Sachen Tyrannen/Unrechtsstaaten? Oder was sind die Möglichkeiten im gänzlich privaten Bereich?

    Die Putin´che Gefahr besteht tatsächlich, dass ein machtverlierender Staatschef zu Kurzschlussreaktionen kommen könnte. Eine in allen Formen konsequente Unterstützung der Ukraine, auch mit Waffen, kann da nie ausgeklammert werden. Feindesliebe ist nicht sich zusammenschlagen oder erobern zu lassen. Aber Feindesliebe fängt schon da an aus Liebe zu Gott und den Menschen, die Diplomatie auf allen Ebenen und durchaus penetrant permanent einzufordern. Nicht miteinander zu reden führt zu nichts. Es muss alles ausgereizt werden was menschenmöglich ist, und im Falle der Ukraine entscheidet diese letztlich über die Konsequenzen und die Art eines Friedens: „Ein neuer 30jähriger Krieg ist globaler Untergang“!

    Auch im persönlichen Bereich würde ich meinen, wirkliche Feinde erst einmal mit ganz normaler Kommunikation zu erreichen. Vielleicht den sehr schweren Versuch unternehmen sich in das Gegenüber hinein zu versetzen. Dann ist es eher möglich, auch überhaupt eine Gesprächsebene zu finden. Langfristig gilt es aus Feindschaft einen normalen Umgang zu machen, langfristig könnten aus Feinde Freunde werden. Allerdings ist dies ein überaus mühsames Geschäft. Aber immerhin hatte Gott mit uns noch ein mühsameres Geschäft: Er wurde Mensch, als kleines Baby in einer Notunterkunft, einer Mutter vielleicht erst 13 Jahre. Jesu Motivation war Liebe, am Kreuz hat er sich nicht gewehrt und dort in Golgatha wurde alle Sünde von uns Menschen für alle Zeiten eben ans Kreuz genagelt ungültig. Uns wurde ohne Vorleistung, gewissermaßen in einer Art himmlischer Begnadigung Versöhnung angeboten. Weil das so ist kann man auch für Menschen beten wie Judas Ischariot. Eben weil dieses 70×7 zu vergeben für uns als ethische Wertmarke vorgegeben – und kaum erreichbar – doch gerade von Gott selbst praktiziert wird. Da hat auch die Hölle Insolvenz und niemand kommt an Gott(es Liebe) vorbei, spätestens nicht nach dem Tod. Denn der Himmel richtet uns nicht mit Gewalt und herabfallendem Feuer, sondern mit Liebe. Die Liebe Gottes wird für viele von uns nicht auszuhalten sein ohne dass wir uns verändern, nicht erst im Himmel, aber auch dort. Wie wurde in der Wirtschaftspolitik ehemals argumentiert: Man muss antizyklisch, also gegen den Strom sich verhalten. Die Wege des Himmels sind antizyklisch, gegen alle unsere Logik und hinlängliche Vernunft. Es wird alles umgedreht: Die größte Autorität hätte dann jener, der ein Diener aller ist. Jenes auch die andere Wange hinzuhalten wird erst verständlich, wenn wir dies wie gemeint „sinnbildlich begreifen lernen“.

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