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Euch ist heute der Retter geboren!

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Menschen neigen dazu, den Hals nicht voll genug zu kriegen. Doch dann verpasst man mitunter das Wesentliche, meint Tom Laengner.

Nat hat mir zugeflüstert, dass er immer noch wach sei. Ich sagte ihm, dass er sich mit dem Einschlafen nicht beeilen müsse. So blieb ich bei meinem fünfjährigen Enkel liegen, schaute auf den gezackten Stern im Fenster und schloss meine Augen. Wir waren zusammen auf dem Weihnachtsmarkt gewesen. Nach vielen Jahren war es mein erster Besuch. Denn glühweinselige Touristen und der Duft von antikem Bratfett bringen mich weder in Stimmung noch sonst irgendwo hin. Mit Kindern ist es dann eine ganz andere Geschichte. Für sie kann so ein Markt ein Ort des Staunens, erstmaligen Erlebens und der Überraschungen sein. Meine Aufgabe sollte nicht sein, das kaputtzumachen. Und so nahmen wir auf den Bierzeltgarnituren vor Woitschacks Theater Platz.

Es war eiskalt. Aber wir warteten auf den Auftritt einer hölzernen Legende, die in Deutschland so bekannt sein dürfte wie zum Beispiel Lindenbergs Udo. Pünktlich um siebzehn Uhr raschelte der Vorhang. Eine rote Zipfelmütze lugte hervor. Dann diese Nase, lang wie ein Storchenschnabel! Und dann kam auch sie, die Frage aller Fragen, die seit 1928 allen Stürmen des Lebens standgehalten hatte. „Seid ihr alle da?“, rief der original Hohnsteiner Kasper ins Publikum. Nicht gerade die hohe Schule der offenen Frage, nicht wahr? Davon unbeeindruckt erfolgte eine rauschende Antwort. Aus dutzenden Kinderkehlen jubelte und kreischte langgezogene Bejahung. Auf jeden Fall, ich war platt! Tri-tra-trulalla und ‚Seit ihr alle da?‘ statt ‚Was geht, Bro?‘. Und die lange rote Zipfelmütze wurde nicht durch ein Hoodie von Palm Angels ein wenig zeitgemäßer gemacht. Der Puppenspieler sein Kerngeschäft meisterhaft zu verstehen! Soviel anrührende Schlichtheit!

Der Kasper hatte leider nicht so gut verstanden und fragte noch ein zweites Mal, ob alle da waren. Diesmal habe ich laut mitgerufen. Danach war klar, dass es nun losgehen konnte. Diesmal war der Löwe aus dem Zoo entwischt und der Wachtmeister Dimpfelmoser hatte noch eine Sitzung im Stadtrat. So mussten Kasper und sein Freund Seppl ran. Während nun die Sache ihren Lauf nahm, riefen die Kinder im Chor, mehrstimmig und immer laut. Dass etwas so Kleines und Unscheinbares solch eine Wirkung entfalten kann. Fast wie bei Jesus, schmunzelte ich in mich hinein. Den hatte Gott ja nicht deshalb als Baby auf die Welt geschickt, weil er keine größere Raumkapsel hatte. Das Geheimnis dahinter haben wir Menschen scheinbar bis heute nicht verinnerlicht. Sollte Gott der Meinung gewesen sein, dass Waffen helfen Menschenleben zu retten, dann hätte er vielleicht die Menge der himmlischen Heerscharen geschickt und auf die Sache mit dem Baby verzichtet.

Kann ich mich noch unverstellt freuen?

Auf der Bühne schwitzten die Puppen im Rampenlicht. Sie gaben wirklich ihr Bestes. Das noch mehr Beste aber waren die Kindergesichter. Es gab staunende, explodierende und schlichtweg glückselige. Wo ist diese unverstellte Freude in meinem Leben geblieben? Habe ich sie verschachert, weil mir mein „Vieles“ immer noch viel zu wenig war? Wir Menschen neigen ja dazu, dass wir den Hals nicht voll kriegen und dann das Wesentliche verpassen. Kurz bevor die Beine ganz steif wurden, fiel der Vorhang. Der Löwe war wieder auf dem Weg in den Zoo. Er wollte die Fütterung keinesfalls verpassen. Und während auch die letzten Väter ein Lächeln wagten, wurde mir mit einem Male ganz weihnachtlich. In alle dem Trubel kamen mir uralte Worte der Bibel in den Sinn: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein großes Licht. Und für alle, die im finsteren Land des Todes wohnen, leuchtet ein Licht auf!“ Spricht dieses Wort der Bibel nicht von unserer Gesellschaft, von mir? Und wir Menschen suchen seither Erlösung aller Art bei Führern, starken Händen und noch mehr Konsum. Gott aber erinnert mich in seiner Art an die Naivität des Hohnsteiner Kaspars, wenn er ausrichten lässt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude. Euch ist heute der Retter geboren!“ Ich hoffe, ich bin nicht verbeult genug, dass mir das zu wenig ist.

Neben mir höre ich ein Schnarchen und ich schleiche mich leise aus dem Zimmer. Und ich wette, dass wir uns den Hohnsteiner Kasper noch ein zweites Mal gönnen. Dann heißt es wieder: Seid ihr alle da? Alter Schwede, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Das Wesentliche zu finden ….da tue ich mich seit meiner Kindheit schwer! Da ist immer die Ahnung gewesen „So kann das nicht sein !“ Aber wie dann?
    Der süße Knabe mit lockigem Haar,Engelchen mit Baby-körpern,Halleluja trällernd ,viele Lichter,die Schneeerwartung,(damit alles auch so richtig stimmungsvoll wird). Der Retter ist da,der Retter von was oder für was?- Ja,da ist der Wendepunk,markiert durch Weihnachten,die Tage werden wieder länger! Gott sei Dank! Die Tage der Finsternis machen depressiv ,da erscheint es tröstlich,um an dem Wendepunkt angekommen zu sein. -Ich schaffe den inneren Spagat nicht ,zwischen dem erscheinen des Retters auf dieser Erde und der Erwartung ein stimmungsvolles Fest zu feiern….Kinder zu verzaubern,die dann mit Weihnachten auch später nur verbinden : es muß so richtig glitzern ,gut duften und wir müssen Geschenke besorgen,wenn wir Geschenke haben wollen…und auch wiederum das wesentliche kaum entdecken können, weil so viel Verpackung den Blick verstellt…

    • Kirche darf noch im Dorf bleiben

      Das Wesentliche zu finden ….da tue ich mich seit meiner Kindheit schwer! Lieber Vobert: Das kann ich nachvollziehen. Aber Tom Laengner hat einen allerdings ganz wichtigen Satz geschrieben. Nämlich dass Gott ein kleines Kind schickte – oder er ein kleines Kind wurde. Also es kommen auch zukünftig keine schwerbewaffneten Engel als himmlische Vollstrecker von Gottes Willen. Die Welt wird nicht durch Gewalt, auch nicht eine himmlische, gerettet, sondern durch die Liebe Gottes. Das Gottesbild von Weihnachten ist durchaus revolutionär. Da bleibt Gott nicht auf seinem Thron über das unendliche Universum. Wahrscheinlich richtet er auch nicht wie die altertümlichen Herrscher. Nein: Ich glaube fest, er wird nicht richten mit Brutalität wie Machthaber der damaligen und auch der jetzigen Welt. Gott ist Jesus Christus und der ist ein Friedefürst. Unser Schöpfer arbeitet unten. Er ist jenes Kind, als welches Gott zu uns kam, und auch jener Mann am Kreuz, der für uns starb. Und er hat die Schlüssel zur Hölle und zum Tode, zum aufschließen. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Natürlich hat jedes Geschenk eine Verpackung und diese ist nichts wert. Aber die dicken festen Verpackungen über Weihnachten – welches schon Wochen vor Weihnachten beginnt – sind die guten alten Traditionen auch hierzulande: Weihnachtsmärkte, Geschenke, Tannenbäume, Nikoläuse und auch der Kirchgang der sogenannten Einjährigen: Dann ist der Besuch beim lieben Gott so umfangreich wie nie. Dieses um Weihnachten „drum-herum“ ist zwar völlig sinnverschieden vom realen biblischen Ereignis zu Bethlehem, aber es ermöglichst uns dennoch, mit etwas mehr Liebe und Licht sich untereinander zu begegnen. Dass Kriege nur an Weihnachten unterbrochen und dann doch weitergehen sollen, ist genauso von Übel. Oder wenn auch Christen nach Ostern einfach weniger daran denken, wie Jesus für unsere Schuld starb. Deshalb sollten wir die Kirche (doch) im Dorf lassen. Besser wäre aber, wenn wir Christen mehr an den Hecken und Zäunen der Welt wären, nicht nur an Weihnachten. Und auch bei den Armen dieser Welt. Denn Jesu Lieblingsmenschen waren diejenigen, die nicht vollkommen waren, die arm sind und die den himmlischen Arzt wirklich benötigen. Denn eigentlich sollten wir nicht nur an Weihnachten (vielleicht auch) die Armen bescheren, sondern wir sollten eher – wenn auch auf Zeit – bei ihnen wohnen. Das Gebot „einer trage des anderen Last“, beschränkt sich nicht lediglich auf Geschenktes, oder einem Geplagten nur das Ohr zu leihen. Dann wären wir allerdings auch nach Weihnachten wirklich weihnachtlich.

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