Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Ist nach Weihnachten wieder einmal vor Weihnachten?

Wirft man einen Blick auf Discounter-Prospekte und Supermarktregale, dann beginnt der Advent schon im Spätsommer. Tom Laengner fragt sich, was ihm im Blick auf Weihnachten wichtig ist: Versöhnung, Frieden und die Botschaft vom Heiland in der Krippe.

In meinem Briefkasten hatte ich heute einen feinen, aber kleinen Katalog. Darin sollten „besondere Produkte für die Sinne und Denkanstöße für den Geist“ zu finden sein. Schließlich stehe Weihnachten vor der Tür. Ja, das stimmt, dachte ich. Spätestens Ende September ist nach Weihnachten wieder einmal vor Weihnachten. Um sich ‚warmzukonsumieren‘, wurden Premium Eierlikör, der Kerzenhalter ‚Luna‘ und ‚Großer Bruder Wintermaus‘ – eine Baumwollmaus auf Skiern – angeboten. Weniger als Geschenk zu Nikolaus war gewiss der „Eames Lounge Chair & Ottoman Armchair“ gedacht. Die beiden Ganoven gehören sesseltechnisch zusammen wie Dick und Doof oder Pat und Patachon. Als besondere ZEIT-Edition wurden sie hier angeboten für 9.999 Euro. Als Familienvater habe ich in meine Autos immer weniger investiert. Ansonsten entspricht der Betrag in etwa dem Sechsfachen einer deutschen Durchschnittsrente.

Da habe ich dann mal fantasiert, wie jemand sehnsüchtig die beiden Design-Klassiker in Augenschein nimmt. Und er erinnert sich: ‚Wollte ich die nicht vor Jahren schon erwerben? ‘ Ob jetzt die Zeit gekommen sein könnte? Ich frage mich, worauf dieser Mensch bislang gesessen hat und was er nun wird entsorgen müssen. Schließlich muss für einen Klassiker diesen Kalibers Raum geschaffen werden. Ehre, wem Ehre gebührt! Und plötzlich frage ich mich, ob diese Person den Stuhl wirklich braucht? In den letzten Jahren hatte er sie nie vermisst und plötzlich klopft, in Form dieser wunderbaren Design-Legende, eine Begehrlichkeit an die Tür seines Herzens. Ich halte es nicht zwingend für eine gute Idee, diese Tür im Überschwang zu öffnen.

Was ist wirklich wichtig?

Gibt es nicht viel lebensbedeutsamere Fragen, die ich leicht übersehe, schönrede oder verdränge? Wenn ich zwischen einem Klassiker unter’m Baum und einer versöhnten Familie entscheiden dürfte, was würde ich dann wählen? Bis zum immergrünen Baum sind noch zehn Wochen Zeit. In denen kann ich mich natürlich vorrangig um erlesene Geschenke bemühen. Auf der Kippe stand so ein Weihnachtsfest doch immer weniger wegen der Temperatur des Weines als wegen zerbrochener oder unterentwickelten Beziehungen. Weil ich daran nicht gearbeitet hatte, wurde dann der arme Wein zum Opfer meiner Frustration und Wut. Gewachsene Spannungen können weder durch köstliches Essen noch erlesenen Alkohol gelöst werden. Meine Erfahrung zeigt mir, dass Frieden nicht durch teure Geschenke geschaffen wird. Erinnern diese nicht eher an Bestechung, wenn eine Beziehung einen Riss hat? Und ich lege zum Fest auch nicht einfach einen Schalter um und Harmonie durchweht den Raum.

Als mir vor vielen Jahren angeraten wurde, mich mit meinem Vater zu versöhnen, hätte ich dem Ratgeber gerne eine reingehauen. Ich sollte um Vergebung bitten? Damit wir uns nicht missverstehen: Wenn ich auf den Tisch gekleckert hatte oder zu spät gekommen war, dann bat ich um Entschuldigung. Doch durch solche Kleinigkeiten bekommen Beziehungen in der Regel weder dauerhafte Risse noch zerbrechen sie. Aber Vergebung? Das war für mich eine neue Dimension, als ich Anfang 20 war. Zunächst wusste ich nicht einmal, wofür.

Kein Frieden ohne Versöhnung

Ein paar Tage gingen ins Land. Ich dachte nach und fragte mich, ob ich das auch wollte? Inzwischen wusste ich genau, wofür. Ich hatte ihn beleidigt, verachtet und kaum Wertschätzung gezeigt. Und dennoch: War das nicht unter meiner Würde, um Vergebung zu bitten? Damals fühlte ich ziemlich mickrig. Und ich dachte: ‚Wenn ich mit sowas anfange, dann verdunste ich geradezu. Ich löse mich auf. Ich bin weniger wert als wertlos‘. Das fühlte sich ziemlich beschissen an. Da war ich drauf und dran, in den Sack zu hauen. Aber ich hatte erlebt, dass es einen gibt, der mich liebt und annimmt. Das ist derselbe, dessentwegen Weihnachten eigentlich gefeiert wird. Und nein, es ist nicht der Mann mit Rauschebart aus der Cola-Werbung!

Als ich spürte, dass es ohne Versöhnung keinen Frieden gäbe, entschied ich mich für den nächsten Schritt. Noch nie hatte ich einen anderen Menschen um Vergebung gebeten. Was sagte man da? Ich wusste nicht, wie das geht. Wie ich gar nichts sage oder mich rechtfertigen kann, da hätte ich Beispiele! Und wieder waren wir ein paar Tage näher am 24. Dezember. Ach ja, und das eigentliche Treffen hatte noch gar nicht stattgefunden. Bis dahin hatte ich etwas hinzugelernt und konnte klar benennen, was ich getan hatte und wofür ich Verantwortung übernehmen sollte. Und genau das habe ich dann auch gemacht. Letztendlich war es ganz anders als geplant, dennoch sehr ergreifend. Aber ich meine, dass das reichen sollte.

Es ist Zeit, die Lasten abzulegen

Gibt es sowas in deinem Leben? Dann wäre heute eigentlich ein guter Tag, um sich etwas zu überlegen. Unterm Tannenbaum ist meist zu wenig Platz. Unversöhnte Beziehungen können meines Erachtens erdrückend für einen Menschen sein. Ist es nicht endlich an der Zeit, diese Last abzulegen? Das gilt selbstverständlich auch für alle Menschen, denen Weihnachten eigentlich, aus welcher persönlichen Geschichte heraus auch immer, zu 102 Prozent belanglos und sinnentleert erscheint. Obwohl! In diesem Jahr liegen die Feiertage in der Mitte der Woche. Zumindest die nehme ich gerne mit. Da bin ich nicht kleinlich!

Das ist ein Weg, um Raum dafür zu schaffen, Design-Klassiker, Goldschmuck und den guten alten Weihnachtsbaum zu ‚entthronen‘. Wir bekommen den Blick frei für das Eigentliche: ‚Und der Engel sprach zu ihnen:

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Lukas 2, 10+11

Dolle Sache! Doch damit sich diese Botschaft entfalten kann, sollte ich mich heute auf den Weg machen. Sonst ist Weihnachten vorbei – und ab dann ist wieder vor Weihnachten.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier >>

Tom Laengner

Tom Laengner (1957-2024) war ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitete er journalistisch freiberuflich und bereiste gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitete er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schrieb er fast vier Jahre lang alle 14 Tage über Lebens- und Glaubensfragenfragen, die ihn bewegten.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

1 Kommentar

  1. Tal der Tränen gehört zur Partnerschaft

    „Gewachsene Spannungen können weder durch köstliches Essen noch erlesenen Alkohol gelöst werden“! Was Tom Laengner hier nachvollziehbar so als Nebenbemerkung meint, trifft doch aus einem Aspekt vollkommen zu: Die Beratungsstellen für Ehe, Familie und Beziehungen haben nach der gut gemeinten Weihnachtsversöhnung Hochbetrieb, weil es dann nicht selten beim so stimmungsvollen Fest extrem überbordend zu großen Enttäuschungen kommt. Wenn ich tief in meiner Seele/Psyche verletzt bin, seien die Vorwürfe noch so richtig, oder vielleicht völlig falsch, dann kann Weihnachtsstimmung und die geforderte Friedlichkeit des Festes nicht nur schwache Menschen hier völlig überfordern. Kein Wunder also, dass es mit der Brechstange und mit noch so gut gemeinten Absichten oft an Weihnachten nicht funktioniert, unsere Liebe zu reanimieren. Aber ich würde dann trotzdem sagen, dass Weihnachten ein Grund dafür sein kann, miteinander zur Psychotherapie oder in eine Beratungsstelle zu gehen, um an einer Besserung der Beziehung/en professionell zu arbeiten. Liebe ist immer konkret und bedarf als Beigabe fast immer auch Gefühl und Emotion, aber davon gibt es Ausnahmen. Manchmal muss so mancher erst sehr anstrengend durch enge Täler der Tränen gehen, eine hier doch sehr schwierige Konfliktbewältigung absolvieren, um dann auf den wahren lichten Höhen des Miteinanders erneut anzukommen. Egal, ob nun Weihnachten eine gute Möglichkeit für Geschäfte ist und schon ab September beworben wird – und dies nichts mit dem Fest der Liebe zu tun hat.. Denn Liebe braucht immer das konkrete Tun und dies kann oft nur eine Therapie, oder Beratung, und schlimmstenfalls auch die Trennung sein. Es soll auf Erden durchaus nicht wenige Menschen geben, die es durch eine Trennung erst wieder zur normalen Annäherung geschafft haben. Ohne sich zu verteufeln und die Schuld prinzipiell beim Partner zu suchen. Weil dies in der Antike noch nicht den Möglichkeiten jener Zeit entsprach, darf man der Bibel und hier also Jesus dies nicht entgegen halten. Auch das irdische offizielle Aus für eine Beziehung, also etwa die Scheidung, bedeutet keinesfalls über einem Menschen endgültig den Stab zu brechen – oder gar ihn fallen zu lassen. Jeder Mitmensch, und damit auch der/die ehemals engste Partner/in, bleibt immer unser Mitmensch und hat stets auch Anspruch auf Vergebung. Dass Vergebung schon seit geraumer Zeit kaum noch praktiziert wird, schon gar nicht offen, darf man zurecht bedauern. Oft sind wir schlicht zu individuell, um bei uns selbst nicht auch eigene Schuld einzugestehen.

WAS KANNST DU ZUM GESPRÄCH BEITRAGEN?

Bitte gib hier deinen Kommentar ein
Bitte gib hier deinen Namen ein

Die neusten Artikel