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Theologe Moltmann: „Kirche funktioniert auch ohne Landeskirchenämter“

Er war stets ein Freund klarer Worte: Professor Dr. Jürgen Moltmann (87), einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, spricht im Interview mit der Zeitschrift „3E“ unter anderem über das Ende der Volkskirche, Mission und geistliche Aufbrüche in Korea, China und Lateinamerika.

Den Satz „Der beste Platz in Tübingen ist der Flugplatz“, haben Sie des Öfteren geäußert, weil Sie gerne und viel unterwegs sind. Was hat Sie auf Ihren vielen Reisen in den Bann gezogen?

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Jürgen Moltmann: Der Flugplatz ist ja nicht nur für den Abflug da, sondern auch für die Heimkehr. Fasziniert hat mich immer die Vielfältigkeit der weltweiten Christenheit. Zwei Länder sind für mich besonders wichtig geworden: Nicaragua und Korea.

Inwiefern?

Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Land ist geteilt in die protestantische Atlantikküste und katholische pazifische Küste. Und dazwischen gibt es keine Straße. Die Miskito Indianer sind von den Böhmischen Brüdern geprägt worden. Anfang der 90er habe ich dort ein theologisches Seminar kennen gelernt, und das hat mich begeistert. Vor zehn Jahren haben wir dort eine evangelische Universität aufgebaut. Korea lernte ich noch unter den Militärdiktaturen kennen. Ich bin befreundet mit Dr. David Paul Yonggi Cho.

Sie sind mit einem Pastor der Pfingstgemeinde befreundet? Das erstaunt.

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(lacht) Ja! Der fing damals Kirche in einem Zelt an. Heute gehören zu seiner Gemeinde 800.000 Menschen. Das Geheimnis seiner Gemeinde sind 55.000 Hauskreise.

Noch bis vor ein paar Jahrzehnten galten Europa und Nordamerika als die Zentren der weltweiten Christenheit. Heutzutage finden sich die großen geistlichen Aufbrüche vor allem in China, Afrika und Lateinamerika. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diese Entwicklung?

Das sind die Erstentdeckungen. Wir müssen hier in Mitteleuropa einen neuen Ansatz finden oder wie Sören Kierkegaard das formulierte „Wie man Christ wird, wenn man schon Christ ist.“

Handelt Gott zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten?

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Gott wiederholt sich nicht. Das hat er nicht nötig. Gott ist schöpferisch und überraschend tätig. So wird er in Europa auch wieder handeln. Da bin ich mir sicher. Die Aufbrüche in China sind Heilungsbewegungen. Diese Art Reich Gottes zu bauen, haben wir wohl zu sehr vernachlässigt.

Sie meinen Heilung im körperlichen Sinne?

Heilung im ganzheitlichen Sinne. Während der chinesischen Kulturrevolution wurden alle westlichen Missionare ausgewiesen. Kirchliches Eigentum wurde nationalisiert. Die Pastoren wurden ermordet oder eingesperrt. Man dachte: Das Christentum als westliche Religion sei damit erledigt. Dann waren sie plötzlich in viel größerer Zahl wieder da: Die Christen aus dem Untergrund. Sie leben jetzt selbstbewusst ihr chinesisches Christsein. Die Kirche der Drei-Selbst-Bewegung zeichnet sich durch die drei Kennzeichen Selbstfinanzierung, Selbstunterhaltung und Selbstausbreitung aus. Diese Kirche wird nicht vom Westen oder gar von oben bestimmt, sondern von unten gelebt. Und daher ist sie nicht aufzuhalten.

„Der auferstandene Christus ist die Fleisch gewordene Verheißung Gottes“

Die chinesische Kirche wuchs also von der Basis. Was könnte das für uns hier in Deutschland bedeuten?

Wachstum, Veränderung, Mission, dies sind keine Aufgaben der Landeskirchen von oben, sondern der Christen von unten. Meine These war immer: Die Gemeinde ist die Kritik der Kirche und ihre Zukunft. Unter Kirche versteht der normale Mensch in Deutschland Pfarrer, Bischöfe, Priester und die Hierarchie. Und genau das ist grundfalsch. Luther hat genau aus diesem Grund das Wort Kirche nicht verwenden wollen. Die eigentliche Kirche ist die Gemeinde am Ort, die versammelte Gemeinde. So habe ich das jedenfalls von meinem Lehrer Otto Weber gelernt. Die Gemeinde, die durch das allgemeine Priestertum geformt wird, ist die eigentliche Kirche. „Wir sind Kirche!“

Ihre Konsequenz lautet?

Kirche funktioniert auch ohne Landeskirchenämter und die vielen Referenten. Die Bürokratien behindern und lähmen die Arbeit vor Ort. Karl Barth hat dies auch so verstanden. Er sprach von Christen- und Bürgergemeinde und nicht von Kirche und Staat.

Das klingt aber ziemlich aufrührerisch.

Jürgen Moltmann (Foto: SCM Bundes-Verlag)

Machen Sie mal eine Taufordnung für Muslime, die Christen werden wollen. Die EKD hat eine Handreichung geliefert, was jeder vom Islam wissen muss. Es braucht aber zuerst eine Handreichung, was Muslime vom Christentum wissen sollen, wenn sie hier leben wollen. Nur die Freikirchen kümmern sich um diesen blinden Fleck. Da bilden sich manche Kirchenleute etwas drauf ein, weil sie in eine Moschee eingeladen sind. Wo sind die Kirchen, die Muslime in ihre Räume einladen und dort das Evangelium erklären?

Sie treten Leuten gerne auf die Füße?

Nein, das ist nur meine Leidenschaft als Theologe. Ich meine, dass es heute eine Wiederentdeckung des Missionarischen braucht. Das Dialogische ist so langweilig. Leider haben alte Sünden lange Schatten. Aber Ihnen, den jungen Theologen und der Gemeinde vor Ort gehört die Zukunft. Träumen und leben Sie doch Kirche fröhlich nach vorne. Seien Sie risikofreudiger und revolutionär. Sie sind doch nicht die Sklaven der Oberkirchenräte.

„Die Zukunft der Kirche ist freikirchlich“

Sie haben kürzlich in einem Vortrag gesagt, das Betreuungskirchensystem funktioniert nicht mehr. Was wir benötigen ist eine Beteiligungskirche.

Provokant gesagt: Die Zukunft der Kirche ist freikirchlich. Nicht mehr in meiner und der nächsten Generation, aber so wie die Entwicklung läuft, sehe ich, dass die Zukunft der Kirche eine freiere und freiwilligere sein wird.

Berechtigte christliche Hoffnung hängt stets an Gottes Verheißungen. Welche Verheißungen Gottes haben Sie in Ihrem persönlichen Leben am meisten geprägt?

(spontan) Die Auferstehung! Der auferstandene Christus ist die Fleisch gewordene Verheißung Gottes. Die Welt im Horizont der Auferstehung zu sehen, dafür habe ich gelebt und gestritten, und dies würde ich gerne weiter verbreiten.

Danke für das Gespräch!

QuelleJesus.de

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