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Mit 40 im Hospiz: Erfülltes Leben im Angesicht des Todes

Wie kann ein junger Mann kurz vor seinem Tod im Hospiz von einem erfüllten Leben sprechen? Manuel erzählt von Sorgen und Ängsten, aber auch von Dankbarkeit und ganz viel Gottvertrauen.

Manuel, wie geht es dir im Hospiz?

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Ich habe ein schönes Einzelzimmer mit einem wunderschönen Balkon und einem tollen Ausblick, den ich sehr genieße. Ich kann hingehen, wo ich will. Wenn es mein körperlicher Zustand zulässt, kann ich auch mal jemanden besuchen. Aber es ist schon komisch, wenn ich früher im Krankenhaus lag und auch mal ein paar Wochen kein Besuch kam, wusste ich, ich komme irgendwann wieder nach Hause und werde wieder Leute treffen. Wenn hier der Besuch da ist und wieder geht, frage ich mich oft, was ist, wenn das das letzte Mal war? Denn das Leben hier im Hospiz ist meine Endstation. Die Mitarbeiter hier sind sowas von freundlich, das fällt auch meinen Gästen auf. Sie sind darum bemüht, dass es mir einfach gut geht. Hier werden aber nur noch die Symptome behandelt, es wird nichts mehr unternommen, um mich zu heilen. Wenn ich nicht schlafen kann, bekomme ich was zum Schlafen, wenn ich nicht essen kann, kriege ich eine Infusion mit Nahrung.

Als du 15 Jahre alt warst, hat ein Arzt bei dir Darmkrebs vermutet. Wie war deine Reaktion, als du von dieser Diagnose gehört hast?

Die Situation sah sehr ernst aus. Um mich herum hörte ich Menschen flüstern: „So ein junger Mensch und schon sowas.“ Ich wurde nach Hause entlassen und musste drei Tage auf die Tests warten. Zu Hause bin ich direkt auf mein Zimmer und hab nachgedacht.

Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und wusste sehr viel über meinen Vater im Himmel. Ich habe mich mit 12 Jahren für Jesus entschieden, aber jetzt kam ich an einen Punkt, wo ich ehrlich gesagt nicht weiterwusste. Ich war ein junger Mensch, hatte gerade eine Ausbildung angefangen, das ganze blühende Leben lag vor mir. Es gab nur zwei Möglichkeiten, entweder ich würde den Weg alleine weitergehen, oder ich vertraute darauf, dass Gott mich nicht fallen lässt, dass er mir Kraft geben würde, dass er mir nie mehr auferlegen würde, als ich tragen könnte.

An diesem Abend habe ich ein Gebet geschrieben, in dem ich ihm dankte, dass ich seinen Zusagen vertrauen kann und es gewagt habe, diesen Vertrauensschritt zu gehen.

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Schlussendlich konnte das Geschwür noch entfernt werden, kurz bevor es bösartig wurde.

Was hat es mit dir gemacht, so früh mit der Zerbrechlichkeit des Lebens konfrontiert zu sein?

Mit der Zerbrechlichkeit des Lebens klarzukommen, war am Anfang nicht so einfach, weil mir aufgrund meiner vielen Erkrankungen immer wieder Dinge genommen wurden, die ich gerne getan habe. Früher bin ich gerne spazieren gegangen, auf einmal ging das nicht mehr. Ich bin gelernter Kommunikations- und Feinelektroniker, auf einmal hatte ich keine ruhigen Hände mehr, um etwas zu löten. Eigentlich musste ich mich alle zwei, drei Monate an eine neue Situation gewöhnen. Meine Lebensqualität nahm immer mehr ab. Man existiert ja nicht nur, um im Bett zu liegen und Fernsehen zu schauen, sondern weil das Leben so viel mehr in sich birgt. Das waren Momente, wo ich mich viel mehr damit beschäftigt habe, was für mich Leben bedeutet.

Was bedeutet denn das Leben für dich? Was ist für dich ein „erfülltes Leben“? 

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Mein Leben ist definitiv erfüllt. In der Bibel gibt es einen Vers: „Bedenke, dass du stirbst, auf dass du klug werdest.“ Ich habe diesen Vers für mich mal umgewandelt: Bedenke, dass du stirbst, auf dass du erkennst, was Leben heißt. Wenn der Sinn im Leben darin besteht, viel Party zu machen, Spaß zu haben und ständig in Gemeinschaft zu sein, dann hätte es sich für mich nicht gelohnt zu leben. Aber ich habe gemerkt, dass die Beziehung zu Gott meinem Leben eine wirkliche Fülle gibt. Gott Zeit zu schenken, meine Seele von ihm pflegen zu lassen, ist ein ganz entscheidender Punkt im Leben. Aber auch die Wertschätzung und Dankbarkeit darüber, dass ich das Privileg habe, Gott kennen zu dürfen und dadurch erfahren darf, dass es mehr gibt als das, was man auf der Welt vor Augen hat. Die Gemeinschaft mit echten Freunden hat mein Leben außerdem extrem bereichert. Menschen zu haben, von denen ich weiß, die stehen zu hundert Prozent zu mir, zu denen kann ich kommen und mit denen kann ich auch gemeinsam meinen Glauben leben. Das erfüllt mich.

Manuel wenige Wochen vor seinem Tod.

Hat sich deine Sichtweise da verändert?

Mir wurde irgendwann bewusst: Dass es meiner Seele gut geht, ist viel entscheidender, als dass es meinem Körper gut geht. Ich würde für kein Geld meine gesunde Seele eintauschen wollen für einen perfekten, gesunden, gutaussehenden Körper, und noch alles Geld dazu, aber dafür  eine kranke Seele haben. Dass meine Seele gesund ist, dass ich einen Seelenfrieden habe, das ist so eine Erfüllung in mir, ohne die ich es mir gar nicht mehr vorstellen könnte zu leben.

Woher kommt deine Sicherheit darüber, was du glaubst und wer Gott ist?

Vertrauen hat immer mit Wagnis zu tun. Ein Beispiel: Da ist ein zugefrorener See und Gott symbolisiert das Eis. Am Ufer des Sees stehen ganz viele Menschen und Gott sagt: „Hey, vertraut mir, das Eis wird euch tragen, ihr könnt ohne Bedenken draufgehen. Dann gibt es die erste Gruppe, die sagt: Da werden mich keine zehn Pferde draufbringen, ich kann einstürzen, ich kann erfrieren, ich kann sterben und dann war’s das. Es gibt hier nirgendwo eine Sicherheit, kein Bohrloch, wo ich sehen kann, wie tief das Eis ist. Sondern einfach nur Gott, der sagt: „Vertrau mir, du kannst auf das Eis kommen.“ Und das genügt mir nicht. Die zweite Gruppe steht am Ufer und überlegt, und dann geht die schleichend auf allen Vieren, Hand für Hand, Zentimeter für Zentimeter auf das Eis. Und es gibt die dritte Gruppe, die sagt: Wenn Gott das sagt, dann wird das stimmen. Und dem vertraue ich. Die geht, ohne zu überlegen, hüpfend und springend auf das Eis.

Ich habe in Jugendgruppen früher oft gefragt: „Welche von den drei Gruppen hat vertraut?“ Und die Antwort war fast immer dieselbe. Natürlich die dritte. Und das stimmt. Die zweite aber auch. Weil der Punkt ist: Sie sind gegangen. Es war nicht entscheidend, wie sie gegangen sind, am Ende waren sie auf dem See. Und das ist es, was zählt. Wenn ich das mit meinem Glaubensleben vergleiche, dann erfahre ich immer wieder, dass Gott sein Wort hält und am Ende darf ich sagen „Ja, das Eis hat mich getragen.“ Ich war früher ein Mensch, der total unsicher und überlegt war, aber ich bin auf das Eis gegangen, wenn auch auf allen Vieren kriechend. Und wenn man die Erfahrung macht, dass es trägt und nach einer Weile kommt eine neue Situation, wo Gott sagt: „Komm auf das Eis, es wird dich halten“, dann wirst du aufgrund deiner Erfahrung sicherer aufs Eis gehen. So hat sich mein Glaube weiterentwickelt, weil ich erleben durfte, dass Gott gar keine Fehler machen kann. Er steht zu seinem Wort – das kann ich bezeugen bis zu dem heutigen Tag.

Ich weiß bis heute bei manchen Dingen nicht, warum die in meinem Leben sein mussten, aber ich weiß, dass Gott keine Fehler macht und dass er einen Sinn und ein Ziel verfolgt. Und das genügt mir.

Nach einigen Tagen im Fieberkoma hast du Gott mal gesagt, er soll dich zu sich holen. Diese Bitte hat Gott dir nicht erfüllt. Was hilft dir, bei solchen Erlebnissen nicht zu verzweifeln? 

Ich sage Gott ganz ehrlich, was ich fühle. Ich kann auch sagen „Gott ich habe heute überhaupt keinen Bock auf diesen Tag und dieses Leben zu führen“, aber aus diesen Gebeten kommt am Ende immer Dankbarkeit raus. Ich finde nirgendwo in der Bibel, dass ein Christ keine Probleme, Krankheiten und Sorgen haben wird. Aber alles andere finde ich: Wie Gott einem helfen will, wie Gott einen durchträgt, dass Gott einen nicht fallen lässt, dass er mir Stärke gibt. Es ist oft so, dass ich keine Kraft mehr habe, aber ich möchte den Willen des Vaters über meinen Willen stellen. Ich habe mal zu Gott gesagt: „Solange du mich gebrauchen kannst, durch meine Krankheit und dadurch, dass du durch mein Leiden sichtbar wirst für andere Menschen, dafür lohnt sich das noch.“

Welcher Vers hat dich besonders ermutigt? 

Ein Bibelvers, der mich immer wieder ermutigt ist Philipper 4,6-7, wo es darum geht, dass wir in allem Gott danken sollen, in allem heißt wirklich in allem. Und dass wir ihm flehend unsere Anliegen kundtun sollen und dass der Friede Gottes, der mit dem menschlichen Verstand nicht zu erklären ist, unsere Herzen in Christus Jesus bewahren soll. Das habe ich so oft erlebt, dass ich in Situationen wirklich flehend vor Gott war, für Situationen gedankt hab, wo manche gesagt hätten: „Bist du bescheuert, wie kannst du dafür danken?“ Aber dann ein Friede über mich gekommen ist. Das kann man nicht erklären.

Trotz deiner Situation hast du Hoffnung in deinem Herzen, worauf dich oft auch andere Patienten ansprechen. Eine Geschichte hat dich sogar zum Initiator einer neuen Bibel werden lassen. Was ist da passiert?

Vor fünf Jahren habe ich in einem Krankenhaus eine Frau kennengelernt. Wir haben uns zwei Wochen gesehen und ihr ist aufgefallen, dass ich nicht total verzweifelt in der Ecke saß. Da fragte sie mich, wie ich die Kraft habe, das durchzustehen. Ich habe ihr dann von meinem Glauben erzählt und dass der mir in meiner Krankheit Kraft gibt.

Vor dieser Frau lag noch eine große OP, die ihr wirklich Angst gemacht hat. Ich habe ihr dann 30 Mutmachkarten mit Versen aus der Bibel und anderen Texten geschrieben. Diese haben sie sehr bewegt. Sie fragte mich, ob ich ihr aus der Bibel vorlesen würde, wenn sie nach der OP auf der Intensivstation liegt. Ich habe zugestimmt, allerdings bin ich dann früher entlassen worden. Während meiner Krankheitszeit hatte ich in meiner eigenen Bibel alle Bibelverse, die ich von anderen bekommen hatte, markiert. Und mit einer anderen Farbe die Stellen, die mir Mut und Hoffnung gegeben hatten. Ich hatte ihr schon eine Bibel gekauft, also habe ich meine Bibel Seite für Seite durchgeblättert und die markierten Stellen übertragen. Wenn jetzt jemand, der ihr vorliest, die Bibel durchblättern würde und an einem markierten Vers hängen bliebe, dann würde sie definitiv ermutigt.

Nachdem ich die Bibel abgegeben hatte, dachte ich auf dem Heimweg: „Ich habe in meinem Leben so viel im Krankenhaus gelegen und so viele Menschen kennengelernt, die ohne Hoffnung und mutlos waren. Wenn da eine Bibel stehen würde und alle mutmachenden Verse wären in einer anderen Farbe gedruckt, würden sie irgendwann mal reinschauen und bemerken, dass die Bibel wirklich Kraft, Mut und Hoffnung gibt. Ich bin dann direkt zu einem Verlag gefahren und habe denen meine Idee vorgestellt. So ist die Mutmacherbibel entstanden. Eigentlich waren die sechs Wochen Krankenhaus für’n Arsch, aber Gott hat wirklich Großes daraus gemacht.

Gibt es etwas, das du gerne noch erleben möchtest in diesem Leben?

Ich hab einem Freund mal gesagt, ich würde gerne noch einmal ans Meer und der hat, ohne dass ich das wusste, den Herzenswunsch-Krankenwagen aktiviert. Das ist eine Organisation, die Kindern oder Erwachsenen einen letzten Wunsch erfüllt. Das ist gerade in Planung. Viel wichtiger, als das, was ich gerne noch erleben würde, ist mir aber irgendwann das geworden, was ich noch sagen will. Dadurch ist auch der YouTube-Kanal #LebenUngefiltert entstanden.

Manuel, danke für dieses Gespräch.

***
Mitte November 2020, nur wenige Wochen nach diesem Gespräch,
ist Manuel im Hospiz verstorben.
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Das Gespräch führte Sarah Hermann für die Zeitschrift DRAN (Ausgabe 08/2020). DRAN ist ein Produkt des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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