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Porträt: Wenn Christen ihr Geschlecht infrage stellen

Was passiert, wenn Christen das Gefühl haben, mit dem falschen Geschlecht geboren worden zu sein? Wir haben eine Christin befragt – und deren Bruder.

Von Nathanael Ullmann

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Julia Monro ist überzeugte Christin. Sie vertraut auf Jesus Christus als ihren Retter, hört liebend gerne Lobpreis und hat eine Bibelschule besucht. Nur eine Sache sorgt für Konflikte: Julia Monro ist laut Geburtsurkunde ein Mann.

Wer Julia Monro kennenlernt, blickt in schüchterne und zeitgleich entschlossene Augen. Ihr Make-Up und ihre Kleidung verraten jedem, als was sie sich verstanden wissen will: als Frau. Nur ihre Gesichtszüge erzählen noch von einer anderen Vergangenheit.

1981 wird Julia als erstes Kind einer streng gläubigen, russlanddeutschen Heimkehrerfamilie geboren. Sie hat zwei jüngere Brüder. Ihre Kindheit beschreibt sie als ausgesprochen glücklich. Dass Julia anders ist als andere Kinder, merkt sie schon früh: „Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, habe ich mich im Schminken versucht und die Kleider meiner Mutter angezogen“, so die heute 37-Jährige. Doch schnell machen ihre Eltern ihr klar: Das ist Sünde.

Glaube wächst, Gefühle bleiben

Diese Worte sollen Julia noch lange begleiten. Dass sie sich nicht mit dem richtigen Geschlecht geboren fühlt, versucht sie, gedanklich beiseite zu legen. „Ich habe mich selbst infrage gestellt“, erklärt sie mit dem Blick auf ihr früheres Ich. Sie selbst habe laut der Bibel „gar nicht existiert“. 2010 bekehrt sie sich und lässt sich taufen. Doch immer wieder kehrt sie zurück, die nagende Frage nach der eigenen Identität. In der ersten eigenen Wohnung erfährt sie übers Internet: Sie ist nicht die einzige, die ihr Geschlecht hinterfragt. Das Kind bekommt einen Namen: Transidentität – und nicht etwa Transsexualität. Ihr geht es nicht um eine sexuelle Orientierung – früher wie heute fühlt sie sich zu Frauen hingezogen.

Zu diesem Zeitpunkt ist Julia noch der festen Überzeugung, dass sie ihr Gefühl ändern kann. Sie nimmt mehrere Therapien in Anspruch – ohne Erfolg. Die Selbstzweifel werden größer. „Alle haben mir immer gesagt: ‚Du glaubst nicht genug‘, oder: ‚Das kommt daher, dass du zu viel gesündigt hast‘.“ Die Beratenden kommen und gehen, das Gefühl bleibt. „Es ist wie ein Gefängnis.“

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Die Bibelschule: Ein Aha-Erlebnis

Das Aha-Erlebnis kommt auf der Bibelschule in Bonn. Hier lernt die junge Studentin die hebräische und griechische Sprache. „Erstmals konnte ich die Bibelstellen im Original lesen. Und dann sah ich sie erstmals im Zusammenhang.“ Ja, es stehe zwar im Alten Testament, ein Mann dürfe keine Frauenkleider tragen (5. Mose 22,5). Aber dort stehe eben ebenfalls, man solle kein Kleid aus zweierlei Garn tragen (3. Mose 19,19). „Wenn mich jemand mit dem Vers konfrontiert, frage ich ihn, aus wie vielen verschiedenen Garnen denn seine Kleidung besteht.“ Definiere man das eine als Sünde, müsse auch das andere als Sünde angesehen werden. So hält sie es auch mit anderen Bibelstellen.

In Jesus sieht sie zudem die Nächstenliebe manifestiert, die größer ist als das Gesetz: „Er saß mit Prostituierten und Zöllnern, die ausgegrenzt wurden, an einem Tisch. Ich bin mir sicher, heute würde er bei Homosexuellen und Transpersonen sitzen“, ist sie überzeugt.

Kein Verständnis bei der Gemeinde

Trotz allem macht sie ihre Erkenntnisse lange nicht öffentlich. Erst durch ein nicht selbstbestimmtes Outing wird auch in ihrer damaligen Freikirche bekannt, dass sie sich als Frau fühlt. Die Reaktionen beschreibt sie als drastisch: „Die Gemeindemitglieder haben ihre Kinder von mir ferngehalten, haben die Straßenseite gewechselt, wenn ich kam.“ Sie erzählt von Gerüchten, die über sie in die Welt gesetzt wurden, erzählt davon, wie sie als „Schwuchtel“ bezeichnet wurde. Ihr sei vorgeworfen worden, sie habe Gottes Schöpfung infrage gestellt. Zwar habe sie das Gespräch gesucht, jedoch keine Möglichkeit bekommen, sich zu erklären.

Ohne Familie, ohne Beruf

Nach dem Tod ihres Vaters wandelt sich auch die Einstellung in der Familie. Ursprünglich als Mensch angenommen, hätten Angehörige sie dazu gedrängt, zur Besinnung zu kommen. Und nicht zuletzt sei sie arbeitslos geworden. Einen neuen hat Job sie bisher nicht gefunden. Wer geschlechtsangleichende Maßnahmen in Anspruch nimmt, ist nach amtlicher Befugnis als nicht arbeitsfähig einzustufen. Das Arbeitsamt stuft sie als nicht vermittelbar ein. Seitdem hält sie sich mit Vorträgen als Referentin über Wasser.

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In kurzer Zeit verliert die Christin also nicht nur ihre geistliche Heimat, sondern zudem die Familie und den Beruf. Was ihr bleibt, ist der Glaube. Dieser ist ihrer Einschätzung nach in dieser Zeit sogar enorm gewachsen: „Der einzige, auf den du dich verlassen kannst, ist Gott.“ Zwar lese sie nicht täglich in der Bibel, Gott wisse jedoch, wie ihr Herz aussehe. Und das habe für sie oberste Priorität. Sie ist fest davon überzeugt, dass auch sie von Gott angenommen ist, dass die Heilsgewissheit auch ihr gilt.

Auf Mission

Mittlerweile ist Julia Monro ehrenamtlich für die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) tätig. Sie berät Transpersonen, hält Vorträge, bearbeitet Pressemitteilungen. Auch im Bundesverband Trans* wurde sie zum Vorstand gewählt.

Aus ihrem Glauben macht sie hier keinen Hehl. So weiß sie von einem gemeinsamen Wochenende in Winterberg zu berichten: „Ich habe die ganze Zeit Hillsong-Lieder laufen lassen. Und plötzlich kamen Leute auf mich zu und fragen: ‚Was ist das für Musik? Die beruhigt mich total.“ Auch in ihren Beratungsgesprächen komme sie immer wieder auf den Glauben zu sprechen.

Nur eine neue geistliche Heimat, die fehlt ihr noch. Verteufeln möchte sie die Institution Kirche trotz ihrer Erfahrungen nicht. Denn sie gebe den Menschen Halt. Vielmehr sucht sie selbst wieder nach Anbindung: „Weil mir die Gemeinschaft fehlt.“ Derzeit engagiert sie sich beim Arbeitskreis der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau zum Thema Gendergerechtigkeit. Zwar sei Kirche und Transidentität noch nicht ihr Hauptfokus, wohl aber im Blick.

Immer wieder wagt sie Annäherungen an Gemeinden als neue geistliche Heimat. Bisher noch ohne positives Ergebnis. Häufig gibt es nicht einmal eine Rückmeldung. Dadurch steigt die Angst davor, wieder verstoßen zu werden. „Wenn ich mir eine Sache von Christen wünschen dürfte, dann, dass sie das Wort ‚Evangelium‘ begreifen – als die frohe Botschaft.“

Ob sie denn Christen habe, die ihr beistehen? „Nein.“

Wochen später ist es zumindest einer: Ihr jüngster Bruder, selbst Jugendpastor, hat sich bei ihr gemeldet. Künftig wollen die beiden mehr Kontakt halten.

Als Jugendpastor Marcel Steiner (Name von der Redaktion geändert) erfährt, dass die Person, die er jahrelang als Bruder kannte, sich nun als Frau verstanden wissen will, fällt er aus allen Wolken. Das abstrakte kirchliche Streitthema bekommt plötzlich eine persönliche Note. Steiner macht sich auf die Suche nach Antworten – und findet einen ganz eigenen Zugang zur Problematik.

Als Jugendpastor einer evangelischen Freikirche hat Marcel Steiner eine besondere Stellung: Mit seinem Glaubensleben dient er anderen als Vorbild. Mit seinen Lehren und Taten prägt er andere. Umso brisanter ist für ihn die Situation, als sich sein Bruder bei ihm meldet und ihm mitteilt, dass sie sich in Zukunft als seine Schwester verstanden wissen will – als Julia Monro. „Das war erst einmal sehr heftig und emotional sehr aufwühlend“, erzählt er.

Steiner kommt wie seine Schwester aus dem konservativ russlanddeutschen Kontext. Transidentität ist dort klar eine Sünde. Angleichungen des Geschlechts werden als Verstoß gegen die göttliche Ordnung gesehen. „Aber ich bin ein rationaler Mensch. Für mich müssen die Dinge Sinn machen“, so der Jugendpastor. Er wolle nicht alles schwarz-weiß sehen. Also macht er sich als Theologe selbst auf die Suche nach Antworten. Er wälzt Literatur und Fachartikel, lässt sich von Julia Texte zuschicken. „Mittlerweile habe ich eine Antwort gefunden, die von der Julias abweicht.“

Vor dem Sündenfall

Vor allem theologisch unterscheidet sich seine Sicht von der seiner Schwester. Der markante Unterschied liegt für Steiner in der zeitlichen Verortung der Transidentität. Transbefürworter verorteten Transgender meist schon vor dem Sündenfall. Dieser Meinung schließt sich der Jugendpastor nicht an: „Für mich ist das ein Phänomen nach dem Sündenfall.“ Also eine Sünde? So einfach macht er es sich nicht. Viel mehr vertritt er die Meinung, dass durch den Sündenfall das Ökosystem durcheinander gekommen ist.

„Wir sollten niemanden von vorneherein ablehnen.“

 

Grundsätzlich gutheißen möchte der Pastor Transidentität also nicht. Gegen eine generelle Ablehnung von Operationen spricht er sich jedoch ebenfalls aus: „Das muss man von Fall zu Fall untersuchen.“ Ob eine Umoperation für die jeweilige Person sinnvoll sei, liege an vielen Faktoren: Theologie, Biologie und Psychologie spielten gleichermaßen eine Rolle.

Gegen generelle Stellungnahmen

Gemeinden sieht er in der besonderen Verantwortung, mit Betroffenen umzugehen: „Wir sollten niemanden von vorneherein ablehnen.“ Gerade in Julias Geschichte erkennt er ein Negativbeispiel. Er selbst war zu der Zeit, als seine Schwester aus der Heimatgemeinde ausgeschlossen wurde, nicht mehr Mitglied. Er kennt also nur Julias Perspektive. „Aber ich kann verstehen, wenn sie über die Gemeinde verbittert ist.“

Für ihn liegt die Lösung in klärenden Gesprächen mit den Transpersonen. Gemeinden sollten versuchen, die Beweggründe der Betroffenen herauszufinden. „Aber auf jeden Fall sollten sie ergebnisoffen in die Gespräche gehen.“ Generelle Stellungnahmen zum Thema – sowohl pro als auch kontra Transpersonen als Gemeindemitglieder – hält Steiner nicht für sinnig. Jedem Schicksal sei anders und individuell zu begegnen. Zielführender sei es, mit unterschiedlichen Ansichten Wege zueinander zu suchen. Bei der Aufnahme anderer Mitglieder mache das seine Gemeinde beispielsweise genauso. Hier gebe es vorab Gespräche und es werde ein Glaubensbekenntnis vorgestellt: Wer das teile, könne Mitglied werden.

„Ich bin stolz,
dass sie den Weg geht,
der sie glücklich macht.“

 

Wo Marcel Steiner bei Christen auf jeden Fall noch Nachholbedarf sieht, ist in puncto Aufklärung: „Es gibt schon sehr viel Unwissen bei dem Thema in christlichen Kreisen.“ Unwissen sei in diesem Falle allerdings nicht immer mit Ablehnung gleichzusetzen. Zwar gebe es viele Christen, die kategorisch Transpersonen ausgrenzten, dies gelte aber bei Weitem nicht für alle. Seiner Ansicht nach fehlt es vielen an sachlicher Aufklärung, sowohl aus theologischer wie auch biologischer Perspektive. Sie wollten nicht verurteilend sein, hätten mit der Thematik jedoch nie Erfahrungen gemacht, seien überfordert und schwämmen dann mit dem Strom. „Aufklärungsarbeit muss hier sensibel und zielführend von beiden Seiten geschehen.“

Viel Einfühlungsvermögen

Steiners Überlegungen über den Umgang mit Transpersonen bleibt jedoch erst einmal theoretischer Natur: In seiner Gemeinde hatte er noch nicht mit der Problematik Transidentität zu tun. Viele Gemeindemitglieder wissen nicht einmal von Julia. Mit einzelnen habe er aber darüber gesprochen: „Diese Menschen sind mir mit sehr viel Einfühlungsvermögen begegnet.“

Zu Julia hatte er nach ihrem Outing immer wieder sporadisch Kontakt. „Ich habe ihr auch meine Hilfe angeboten.“ Lange Zeit habe er allerdings nichts mehr von ihr gehört. Angestoßen durch einen Beitrag über sie im Südwestrundfunk (SWR) hat er wieder den Kontakt gesucht. „Auf jeden Fall bin ich stolz, dass sie sich vom sozialen Druck freigemacht hat und den Weg geht, der sie glücklich macht.“

„Ich sollte dem Menschen mit der Hingabe Gottes begegnen.“

 

Ob der Weg der richtige ist, könne er nicht sagen. Solche tiefgreifenden, identitätsdefinierenden Themen überstiegen die Möglichkeit, aus der Ferne von definitiv richtig oder falsch zu sprechen. „Darüber hinaus gilt für alle Situationen, nicht nur bei Transidentität: Selbst wenn einzelne Lebensentscheidungen eines Menschen biblisch-moralisch verkehrt sein sollten, sollte es rein gar nichts daran ändern, wie ich diesem Menschen begegne: mit der Hingabe Gottes.“

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