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Gemeindeleben: Ertragt einander!

Jesus hat seinen Jüngern nichts über Musikstile, Liturgie oder gabenorientiertes Arbeiten gelehrt. An der Liebe zueinander sollen sie erkannt werden. Das kann ziemlich herausfordernd sein.

Von Sonja Sorbara

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Vor einiger Zeit hatte ich eine Buchlesung in einem Städtchen. Ich nahm eine Freundin mit, und beim anschließenden Apéro wurden wir beide in persönlichen Gesprächen mit vielen Fragen gelöchert. Fragen, die die Anwesenden vielleicht schon lange mit sich herumtrugen. Auf dem Nachhauseweg wurden wir nachdenklich.

Wir hatten beide den Eindruck, als seien diese Menschen ziemlich allein mit dem, was sie beschäftigte. Es fühlte sich beinahe so an, als ob sie keinen Ort hatten, um über geistliche Dinge zu sprechen, die sie offensichtlich stark beschäftigten. Meine Freundin und ich fanden einmütig: Wie schön, dass wir in eine Gemeinschaft eingebunden sind.

Eingebunden in eine Gemeinschaft

Ja, wir sind in eine Gemeinschaft „eingebunden“, wie man so schön sagt. Wir gehören zu einer Kirchengemeinde und sind je nach Interesse und Begabung in Gebetsteams unterwegs, in Hauskreisen, in praktischen Helfer-Teams und in Glaubenskursen. Wir essen sonntags nach dem Gottesdienst zusammen Pasta, wir feiern Feste, unsere Gottesdienste sind generationenübergreifend.

Es herrscht eine große Freiheit, wie der Glaube gelebt wird, und es kommen immer wieder neue Menschen dazu, zurzeit vor allem junge Erwachsene. Im Quartier sind wir durch ein Café präsent, und wir bauen eine neue Kirche in einem Gebäudekomplex mit gemeinschaftlicher Wohnform und Co-Working-Space.

Aber auch bei uns ist der Lobpreis wahlweise zu lahm oder zu energisch, die Liturgie zu starr, die Orgel zu dominant oder zu wenig im Einsatz. Manche finden die Predigten zu kompliziert, anderen geht der Gottesdienst zu lange. Es herrscht Uneinigkeit darüber, wie lange einzelne Elemente des Gottesdienstes sein sollen.

An Feiertagen finden sich zu wenige Freiwillige und es sind immer die Gleichen, die den Job dann machen. Es gibt Menschen, die die Gemeinde verlassen haben, weil sie hier nicht finden, was sie brauchen. So viel Schönes und Ermutigendes, so viel Imperfektes und Unbefriedigendes! Gleichzeitig und nebeneinander.

Ein seltsames Konstrukt

Manchmal ähnelt unsere Gemeinschaft eher einer wilden Horde, die sich halb blind in unterschiedliche Richtungen bewegt und sich erheblich an den unterschiedlichen Vorstellungen der anderen stört. Wie vergleichsweise einfach wäre es, mit Gott zu leben, gäbe es da nicht immer diese anderen. Es könnte so gemütlich sein, nur Gott und ich.

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Manchmal breiten sich trotz allem der Friede und die Gegenwart Gottes aus. In Gottesdiensten, in Vorbereitungssitzungen, bei Treffen oder während der Kaffeerunde. Diese Gegenwart rückt meinen Blick wieder gerade und auf die wichtigen Dinge. Darauf, was Gott gerade tut und schon getan hat, in mir und in anderen. Auf Freundschaften und Wachstumssprünge. Darauf, wo sein Reich bereits sicht- und spürbar ist. Und auf das Herz des Gegenübers und die wilde Liebe Gottes für diesen Menschen. Dieses seltsame Konstrukt, diese Gemeinschaft der Heiligen – was hat sich Gott nur dabei gedacht?

Einander lieb haben

Nach dem letzten Abendmahl offenbart Jesus seinen Jüngern, dass er demnächst weg sein würde. Zum Abschied gibt er ihnen ein neues Gebot: „… dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“ Und dann kommt eine gewagte Prophezeiung: „An eurer Liebe zueinander wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid“ (Johannes 13,34-35).

An der Liebe zueinander. Nicht an unserer reibungslosen Organisation, an den transparenten Kommunikationswegen; daran, dass wir gabenorientiert arbeiten oder einen bestimmten Musikstil pflegen. Jesus lehrt seine Jünger nichts über Gemeindestrukturen. Es geht nicht um diese Dinge. Sondern darum, einander trotzdem lieben zu können. Denn vieles hat die Macht, Beziehungen anzuknacksen. Darum ist das Gebot der Liebe wohl das Herausforderndste, was Gemeinde zu bieten hat.

Liebe praktisch

Paulus erklärt im Brief an die Kolosser, wie diese Liebe praktisch aussieht: „Das sind die neuen Lebenseinstellungen, die ihr einüben sollt: barmherzige Zuwendung, Herzensgüte, Demut, Taktgefühl und Geduld. Sagt ein echtes Ja zueinander, so wie ihr seid, und vergebt einander immer wieder“ (Kolosser 3,12-13, DBU).

Liebe heißt nicht: Schwamm drüber! Ich beiße die Zähne zusammen und mache kein Aufheben! Oder: Jetzt ist das Maß voll. Ich kann endgültig nicht mehr vertrauen. Nein. Liebe ist eine mutige, entschlossene Entscheidung. Ein Ja dazu, die anderen so anzunehmen, wie sie sind, und ihnen immer wieder zu vergeben. Immer wieder!

Wir müssen nicht andauernden Frieden haben. Das erwartet Gott gar nicht. Aber wir dürfen immer wieder neu aufeinander zugehen, uns vergeben und neu anfangen. Die Gemeinde ist der perfekte Ort, um einen Lebensstil der Versöhnung einzuüben. Sie ist ein Schutzraum und ein Ort, wo wir Fehler machen und lernen dürfen.

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Gemeinschaft der Zerbrochenen

Und das ist erst der Anfang! In der Gemeinschaft ist Gott in besonderer Weise gegenwärtig. Ja, wir sind eine Gemeinschaft der Zerbrochenen, die immer wieder vergeben müssen und auf die Vergebung der anderen angewiesen sind. Die fallen und wieder aufstehen.

Aber gleichzeitig sind wir auch die Gemeinschaft der Heiligen. Uns folgen Zeichen und Wunder. Gottes Reich bricht durch uns in die sichtbare Welt hinein, und wir tragen es in unsere Umgebung, in unseren Alltag, in unsere Beziehungen, in unseren Arbeitsplatz hinein. Das Reich Gottes ist mitten unter uns, und die Gemeinde ist der Ort, wo wir einen neuen Lebensstil – die „neuen Lebenseinstellungen“ – einüben dürfen.

Ich brauche Liebe für diesen Menschen. Bitte schenke mir deine Sicht für ihn!

Das muss nicht durch Kraftanstrengung und wilde Entschlossenheit geschehen. Als wir uns für ein Leben mit Gott entschieden, hat er unseren Geist erneuert. Dieser erneuerte Geist ist unsere Neuschöpfung, unsere neue Natur, die in Gemeinschaft mit Gott lebt und empfängt, nimmt, ergreift. Glauben ist ja viel weniger ein mentaler Kraftakt, als Dinge in blindem Vertrauen zu empfangen – Vertrauen, das noch nicht sieht, aber sich voll und ganz auf seinen himmlischen Vater verlässt.

Ich sage so oft zu Gott: „Ich brauche Liebe für diesen Menschen. Bitte schenke mir deine Sicht für ihn!“ Oder: „Das war jetzt richtig unfair. Bitte schenke mir doch Weisheit, wie ich mit dieser Situation umgehen kann. Was ich sagen soll und was nicht. Und bitte gib mir doch genug Liebe, damit ich von Herzen vergeben kann.“

Ein Lebensstil

Ein Wundermittel? Eine todsichere Methode? Nein. Gott hat Zeit. Manchmal dauert es länger, bis ich eine Veränderung sehe. Empfangen zu lernen ist ein Lebensstil. Weil wir so sehr auf eigene Kraft und Leistung fokussiert sind, fällt uns das oft am allerschwersten. Aber wozu hat man Gemeinde? Wo, wenn nicht hier, kann ich das einüben mit diesem Empfangen?

Ich wünsche mir, immer mehr ins Nehmen und Empfangen hineinzuwachsen. Und auch in die Liebe zu Gott und zu mir selbst und zu diesen wunderbaren, herausfordernden anderen. Ich glaube, bei jeder Versöhnung wird im geistlichen Raum ein großes Fest gefeiert und es wird darauf angestoßen, dass wieder mehr Menschen erkennen können, was für eine wunderbare, wilde, geliebte Horde hier direkt auf Jesus zeigt. Mit unserer unvollkommenen, übernatürlichen, empfangenen Liebe zueinander.

Sonja Sorbara lebt mit ihrer Familie in Zürich. Sie ist Erwachsenenbildnerin und Familienfrau, schreibt und backt. In der Gemeinde engagiert sie sich für Leitende und für alles, was mit Gebet zu tun hat. Sie bloggt auf www.himmlischgeerdet.wordpress.com.


Ausgabe 4/22

Dieser Artikel ist in der Frauenzeitschrift JOYCE erschienen. JOYCE ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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4 Kommentare

  1. “ Ich brauche Liebe für diesen Menschen. Bitte schenke mir deine Sicht für ihn!“
    Solche Ratschläge bedienen vor allem die eigene Selbstherrlichkeit.

    Wer zwingt die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinschaften dazu, andere zu lieben ? Manche Menschen mögen diese Bevormundung unter dem Deckmantel der Liebe nicht, und würden lieber auf Distanz gehen, was ihnen aber kaum gestattet wird.

    @Meike, ich sehe es ähnlich.

    @Bernd Hehner, obwohl ich auch Ihre Sichtweise nachvollziehbar finde, [gestrichen – siehe Netiquette / MfG, das JDE-Team] Bei zu viel gemeindlicher Nähe könnte es da zu Dissonanzen kommen.
    Das nur als Beispiel, wie unterschiedlich Menschen einer Gemeinde sein können, und wie wichtig dort eine entspannte Atmosphäre ohne übertriebene Forderungen an die Gemeinschaft sein kann.
    Denn es geht doch nicht um Perfektion ?

    • Geschwisterlichkeit kann nicht abgeschafft werden

      Nein, dieses ist im Kommentar von Gabrielle fast ein vermuteter Versuch, mich mit aller Gewalt missverstehen zu wollen. Dies mit den kleinen Gruppen hatte ein eine große ökumenische Gemeinschaft leitender Jesuit, der Nachfolger von Pater Leppich (Maschinengewehr Gottes), sehr intelligent formuliert, und bereits in den 1970er Jahren fast prophetisch vorausgesagt. Wir können in unserer Kirche nicht die Bemühungen um echte Gemeinschaft samt Bergpredigt und Liebesgebot Jesu einfach abschaffen. Im Gegenteil: Dann geht vielleicht auch alles ein wenig etwas „lockerer vom Hocker“, auch wenn viel weniger bürokratischer Wasserkopf, und überhaupt nicht besonders jesusgemässe Hierarchien über uns wabern müssen. Leider kommen die (großen) Kirchen dann wieder mehr revolutionär in eine Richtung, wie es – Gott sei es gedankt – auch viele Christen noch für richtig finden. Ich kenne leider Gemeinden, die haben noch nicht einmal mehr eigene Gemeindegruppen bzw. Angebote: Kerngemeinde ade und Gemeinschaft fehlt völlig. Die wichtige psychologische Aufgabe ist aber immer, und zwar vor allem auch individuell, zu einer ausgewogenen Nähe und Distanz zu kommen. Wir sind nicht alle abgründig dazu verdammt, ungesunde oder gar abgründige Beziehungen zu pflegen. Diese bis hin zur Übergriffigkeit und Kriminalität, gibt es vor allem in sehr nahen sozialen Beziehungen. Sollen wir deshalb die Nähe und Beziehungen auf Augenhöhe abschaffen ? Allerdings braucht man immer (geistig und geistlich) erwachsene Christinnen und Christen, die ihren Glauben bewusst und auch mit Humor praktizieren. Normen und Werte, auch modernerer Art, sind wichtig. Ethik darf von jeden gelebt werden.

  2. Kirche der Zukunft sind ganz viele kleine Gruppen

    So gut wie alles was hier geschrieben wird, könnte ich unterschreiben oder auch kommentiert haben. Auch nicht evangelikal geprägte Christinnen und Christen sind ebenso Jesusnachfolger*innen. Nicht die Kirchen in ihrer Buntheit – will heißen geistlichen Vielgestaltigkeit – sind auch meiner Meinung nach nicht das Problem: Tatsächlich vermute ich, dass zu wenig Dialog in vielen Gemeinden stattfindet. Dass auch das Gespräch, auch in unorganisierter Form etwa über Glaubensfragen, nicht wirklich oft stattfindet. Über allem was landeskirchlich oder katholisch ist, lastet so eine unsichtbare Folie von Institution. Wir sind als Christinnen und Christen, wie immer wir unseren Glauben in unserem Leben auch ausdrücken, oft zu wenig geschwisterlich zueinander unterwegs, manchmal nicht genug auf Augenhöhe, es gibt zu viele kirchliche Hierarchien und die großen Noch-Volkskirchen schleppen einen gewaltigen bürokratischen Wasserkopf mit sich herum. Evangelische Kirchenvorstände befassen sich zumeist mit Verwaltung, Mitarbeiterkonflikten in Kindertagesstätten, Bauen und Finanzen, für das Geistliche bleibt wenig Raum. Ich denke, bei unseren katholischen Geschwistern ist dies nicht viel anders. Dies wird durchaus erkannt, aber es gibt leider kein Patentrezept. Vielleicht werden – wie ich an anderer Stelle kommentierte – die zukünftigen Kirchen aus ganz vielen kleinen Gruppen bestehen, die ökumenisch, dialogbereit und ernsthaft fromm ihren Glauben exemplarisch leben. Die an den Hecken und Zäunen und nicht nur in ihren Heiligen Hallen präsent sind, auch bei den Armen. Mehr jesusgemäß. Dies bedeutet auch, wir alle brauchen grundsätzlich mehr Gemeinschaft. Ausdruck unserer Christlichkeit ist die Liebe.

  3. Ich könnte einiges zu diesem Beitrag sagen….
    vielleicht aus meiner Sicht.
    Liebe untereinander….das ist ein echt schwieriges Thema.
    Ich muss Gott um Hilfe bitten, gewisse Geschwister zu lieben und ich denke, weil wir alle nur Menschen sind, kann man nicht jeden lieben.
    Einzelne sicher, aber alle meine Geschwister?
    Annehmen kann ich sie in Liebe, ja…aber wirklich lieben?
    Das klingt illusorisch…ist biblisch-aber illusorisch.
    Wie soll man „uns“ an der Liebe erkennen, wenn es Streit in der und außerhalb der Gemeinde gibt?
    Kann jeder vergeben, so wie Gott uns vergibt?
    Wir machen Fehler, weil wir Menschen sind….einfach unperfekt.
    Jesus ist perfekt!
    Wir nicht….Liebe will gelernt sein….und gelebt.
    Dazu gehören auch die-die am Rand stehen!
    Anders sind, beeinträchtigt, überfordert, belastet….und nicht gerade im Gebetsteam…Gemeindezugehörig!
    Um wirklich an der Liebe untereinander erkannt zu werden….müsste man Jeden so akzeptieren und annehmen, wie er ist…..
    leider habe ich da andere Erfahrungen gemacht.
    Und Andere auch….ein gutes Thema….aber längst nicht in jeder Gemeinde gegeben…..
    Zwischenmenschliche Beziehungen sind schwer…da sind Gemeinden keine Ausnahme.
    Schön für diese Gemeinde in der Schweiz, wenn das funktioniert….
    Ich habe das hier nicht kennen gelernt.
    Traurig….aber wahr.
    Das geht nur mit einzelnen Geschwistern …..die sich dann auch sehr nahe sind….aber in einer ganzen Gemeinde funktioniert das meiner Meinung nach nicht.
    Dafür sind wir Alle, auch im Glaubensleben mit eigenen Überzeugungen viel zu unterschiedlich!
    Jesus ist das Haupt der Gemeinde…ersteinmal geht es ja um ihn.
    In der Gemeinde geht es vielleicht die Zeit….die man da ist….Liebe…..untereinander…..aber was ist denn im Alltag?
    Trägt immer Einer die Last des Anderen?
    Können wir das überhaupt?
    Sind wir wirklich füreinander da?
    Ich habe da meine eigenen Erfahrungen….
    wie Jeder, denke ich…..
    Gott liebt bedingungslos….das kann ich dazu sagen.
    Und wenn man Glück hat, ein zwei Geschwister…die treu lieben und Einem zur Seite stehen….aber untereinander….das Stelle ich ganz klar in Frage.

    Meike

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