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Gestern Tankstellenräuber, heute Tankwart und Christ

Martin Weimer überfiel vor 21 Jahren eine Tankstelle. Nach der Haft machte er eine Ausbildung zum Tankwart und wurde Christ. Hier erzählt er seine Geschichte.

Martin, wo bist du aufgewachsen?

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Ich komme aus Ibbenbüren und habe dort die ersten drei Lebensjahre verbracht. Als Kind einer großen Familie ist mir das Familienleben besonders im Gedächtnis geblieben. Ein großes Vorbild war mein Vater. Einen besseren Ehemann und Vater kann man sich nicht vorstellen. Wegen seiner Arbeit sind wir allerdings oft umgezogen. Mit Anfang 20 habe ich nach meiner Haftzeit für ein paar Jahre bei einer Gefährdetenhilfe in Bad Eilsen gelebt – später knapp 12 Jahre im Großraum Hannover.

Mit 19 Jahren hast du eine Tankstelle in der Nähe von Osnabrück überfallen. Wie kam es zu dem Raub?

Ich bin mit 15 Jahren von zu Hause ausgezogen. Als Teenager war ich sehr rebellisch und habe mich von Älteren negativ beeinflussen lassen. Ich habe meine Eltern beklaut und mich viel mit meinen Geschwistern geprügelt. Irgendwann waren meine Eltern so überfordert, dass sie mich zu einer Not-Einrichtung brachten. Von dort aus wurde ich weitervermittelt in eine Wohngruppe für Jugendliche. Da kam ich das erste Mal mit Drogen in Kontakt – Halluzinogene, Cannabis und andere Betäubungsmittel. Nach einiger Zeit bekam ich meine eigene Wohnung. Damals war ich arbeitslos und habe mich in schlechten Kreisen aufgehalten. Schnell hatte ich Schulden und wusste nicht, wie ich damit richtig umgehen sollte. So ergab es sich, dass meine damaligen Kumpels und ich auf die Idee kamen, die Tankstelle in der Nähe „plattzumachen“. Zu dem Zeitpunkt war ich 19 Jahre alt. Das war im März 2003.

Wie lief der Überfall ab und wie hast du dich danach gefühlt?

Wir waren zu dritt und haben uns mit alltagsüblichen Gegenständen maskiert. Meine beiden Kumpels haben Schmiere gestanden. Ich bin in die Tankstelle reingegangen und habe dann mit einer Gaspistole den Kassierer bedroht. Er hat dann die Kasse herausgenommen und mir gegeben. Dann bin ich rausgelaufen – eigentlich total stümperhaft. Nach dem Überfall war ich in erster Linie erleichtert. Ich dachte: Jetzt habe ich es geschafft. Jetzt habe ich Kohle. Schuldempfinden hatte ich in dem Moment nicht. Die Verhaftung kam nur ein paar Tage später.

Hat dich jemand verraten?

Mein Nachbar, der über mir wohnte, gab der Polizei einen Tipp. Er verkaufte Cannabis – auch an mich. Er hat deshalb immer gewusst, ob ich Geld habe oder nicht. Und plötzlich hatte dieser Junge Geld – rein zufällig, wenige Tage nach dem Raubüberfall. Da hat mein Nachbar eins und eins zusammengezählt und mich verpfiffen.

Hat dich die Polizei überrascht?

Ja. Ich kam nichtsahnend nach Hause und da standen die Polizeiautos auf dem Hof. Die Beamten haben mit einem Suchhund alles abgesucht. Da wusste ich: Jetzt haben sie mich. Weglaufen machte für mich keinen Sinn, weil ich nur ein paar hundert Euro hatte. Ich bin dann auf den Hof gegangen und habe mich den Polizisten zu erkennen gegeben. Wir sind anschließend hoch in die Wohnung gegangen, wo sie sehr lange nach der Waffe gesucht haben. Irgendwann haben sie mich nach dem Aufenthaltsort der Waffe gefragt. Sie war in meiner Orgel versteckt. Die hatte ich bei einer Haushaltsauflösung gekauft – das war ein ganz gutes Teil. Die Orgel hat ein Fuß-Pedal und darin habe ich die Gaspistole eingeschlossen. Das Versteck haben die Beamten über mehrere Stunden nicht gefunden(lacht). Ich habe sofort alles gestanden und wollte mich nicht rausreden.

Danach ging es für dich ins Gefängnis. Wie hast du das erlebt?

Ich war drei Jahre in Herford im Gefängnis. Die ersten zwei Wochen waren wirklich schlimm. Danach gewöhnt man sich an den Gefängnisalltag. Das schlimmste Erlebnis war eine Schlägerei, bei der ich angestachelt wurde und nicht aufgeben wollte. Bis auf diesen Vorfall würde ich die Haftzeit als langweilig beschreiben. Ich bin mittlerweile ein absoluter Gegner von langen Haftstrafen. Ich finde es falsch, dass man jemanden zehn Jahre oder länger wegsperrt, das bringt aus meiner Sicht nichts. Das ist nur eine Verschwendung von Steuergeldern. Die Person wird die ersten zwei Jahre leiden und sich den Rest der Zeit „weiterbilden“ – im negativen Sinne. Ich habe im Knast gelernt, wie man Alarmanlagen kurzschließt, Fenster geräuschlos öffnet und andere krumme Dinge. Es ist wie eine kriminelle Community, die sich austauscht – über Verbrechen und wie man Verbrechen begeht. Viel sinnvoller wäre es, einen offenen Vollzug mit Therapien anzubieten. Das machen auch einige skandinavische Länder und die haben eine erheblich geringere Rückfallquote. Wenn du jemandem begreiflich machst, dass es eine Alternative gibt, die auch interessant ist, hat die Person doch keinen Grund, das Verbrechen zu wiederholen.

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Wie war das Gefühl, als du entlassen wurdest und aus dem Gefängnis kamst? Kannst du dich noch an dem Moment erinnern?

Ja, es war ein Gemisch aus Freude und Verlorensein. Im Gefängnis gab es Strukturen, die waren plötzlich weg – zum Beispiel feste Uhrzeiten und Termine, an die ich mich vorher halten musste. Du wirst entlassen, gehst aus dem Gefängnis raus und ab dem Augenblick ist es eine Challenge für deinen Alltag.

Was hast du nach deiner Haftzeit gemacht?

Danach habe ich drei Jahre bei der Gefährdetenhilfe gelebt. Anschließend war ich bei einigen Zeitarbeitsfirmen angestellt und habe als Produktionshelfer und Lagerhelfer gearbeitet – immer typische Hilfsarbeiten. Zwischendurch habe ich auch eine Ausbildung zum Elektriker angefangen, aber nicht abgeschlossen. Da habe ich viel an Wissen mitgenommen, das ich in meinem jetzigen Job nutzen kann.

Wie kamst du auf die Idee, zu einer Gefährdetenhilfe zu gehen? Hat dir das geholfen?

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Ich wurde auf die Gefährdetenhilfe im Gefängnis aufmerksam. Die hatten dort eine Gesprächsgruppe, an der ich teilgenommen habe. Im Gefängnis habe ich zum Beispiel mehrfach versucht, mit dem Rauchen aufzuhören – 14- oder 15-mal bestimmt. Länger als zwei Wochen konnte ich es aber nie aushalten. Dann kamen Zitteranfälle, Schweißausbrüche und Aggressivität. Nach meiner Entlassung habe ich ein Taxi genommen und bin zur Gefährdetenhilfe gefahren. Bei der Ankunft habe ich dem Taxifahrer meine Zigaretten gegeben und danach war die Sucht einfach weg. Ich glaube, dass Gott mir damals einen Vorschuss gegeben hat, denn zu dem Zeitpunkt war ich nicht gläubig. Es hat sich sogar dahin entwickelt, dass ich Raucher eklig finde. Man Nachbar muss darunter leiden, der raucht. Er kriegt das regelmäßig zu hören.

„Christen können viel reden, aber die leben das, was sie erzählen – gemeinsam mit den Menschen, die Hilfe suchen.“

Wie sah der Alltag bei der Gefährdetenhilfe aus?

Man verbringt den gesamten Alltag miteinander und wohnt dort bei einer Familie, die einen betreut. Man startet gemeinsam in den Tag. Nach dem Frühstück gibt es eine kleine Andacht und fährt dann gemeinsam zum Hauptplatz zum Arbeiten. Christen können viel reden, aber die leben das, was sie erzählen – gemeinsam mit den Menschen, die Hilfe suchen. Man ist nicht ein Patient, der behandelt wird. In dem Augenblick ist man Teil einer Familie. Das ist ein Ansatz, der viel, viel besser ist. Ich war dort drei Jahre.

Wann kamst du zum Glauben?

Das war nach meiner Zeit bei der Gefährdetenhilfe. Dort habe ich viel über Gott gelernt. Insgesamt habe ich versucht, wie ein Christ zu leben. Ich habe eine Gemeinde besucht, regelmäßig gearbeitet und mich gut verhalten – aber es fehlte die bewusste Entscheidung für Gott. An einem Abend habe ich mich stark betrunken und ging in ein Bordell – in der Nacht habe ich viel über mein Leben nachgedacht. Am nächsten Morgen ist mir dann bewusst geworden: Ohne die große Entscheidung, ohne das Herz für Jesus, werde ich immer wieder fallen – egal, wie viel biblisches Wissen ich anhäufe. Da sind mir die Schuppen von den Augen gefallen.

Nach dieser „Nacht der Sünde“ hat sich vieles für mich verändert. Es hat weniger Druck auf meinen Schultern gelastet. Gott will nicht, dass ein Christ versucht, alles selbst zu machen und sich nur an Gesetze hält. Er möchte eine Beziehung zu mir haben. Das ist mir über die Zeit immer klarer geworden. Mein Leben hat sich danach in vielen Bereichen verbessert. Ein paar Jahre später habe ich die Ausbildung zum Tankwart gemacht.

Wie kamst du auf die Idee, diese Ausbildung zu machen?

Durch eine Pizza, die ich als Kurier ausgeliefert habe. In der Tankstelle hing ein Zettel mit der Aufschrift „Lehrling gesucht“. Da dachte ich mir: Gut, ich habe eh nichts zu tun, dann mach ich das mal. Ich habe dann meine Ausbildung in der Nähe von Hannover gemacht und bis zu meiner Selbstständigkeit als Tankwart an verschiedenen Orten gearbeitet – zuletzt in Osnabrück.

Du bist momentan der einzige mobile Tankwart in Deutschland. Wie kam es zu dem Berufswechsel?

Ich war in Osnabrück bei einer Tankstelle tätig. Irgendwann hatten wir einen Pächterwechsel. Nach einigen Differenzen wurde ich gekündigt. Dann war ich arbeitslos, aber hatte beim Arbeitsamt eine sehr gute Beraterin. Dort entstand schnell die Idee, dass ich mich selbstständig machen könnte. Im Rahmen der Selbstständigkeit musste ich eine Schulung bei einer Wirtschaftspraxis machen. In diesem Prozess habe ich nach einer Halle für die Arbeit gesucht. Es gab nur ein Problem: Ein knappes halbes Jahr verging und meine Beraterin machte mich darauf aufmerksam, dass die Frist für die Förderung, die ich beantragen wollte, in zwei Wochen ablief. Dann habe ich aufgehört zu suchen und den Antrag auf „mobil“ umgeschrieben. Von der Förderung habe ich die ersten Werkzeuge gekauft. Das ging am Ende alles ziemlich schnell. Das Konzept des „mobilen Tankwarts“ kannte ich vorher nicht. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass das in Saudi-Arabien wohl normal ist.

Wie ist das, wenn Kunden von deiner Vergangenheit erfahren oder davon wissen?

Für die Kunden, die es wissen, spielt es gar keine Rolle. Das ist auch inzwischen lange her.

Warst du nach deinem Tankstellenraub nochmal am Tatort?

Nein, ich war nach meiner Haftzeit nicht nochmal dort – bis vor ein paar Monaten. Da hat mich ein Fernsehteam bei meiner Arbeit begleitet und wir sind dorthin gefahren. Die Tankstelle sieht heute völlig anders aus, weil es einen Besitzerwechsel gab. Dadurch, dass sich bei Tankstellen auch das Personal sehr häufig wechselt, habe ich auch nicht die Person angetroffen, die ich damals bedroht hatte. Insgesamt hat der Besuch bei mir auch keine negativen Gefühle hervorgerufen, weil sich von außen und innen sehr viel verändert hat – es war wie eine neue Tankstelle. Das Gefühl wäre sicher anders gewesen, wenn es noch dieselbe Marke gewesen wäre.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Tim Bergen. Er ist Volontär im SCM Bundes-Verlag und zuständig für das Webportal Jesus.de und das Männermagazin MOVO. In der kommenden MOVO-Ausgabe erscheint ein Jobportrait, das einen Einblick in Martin Weimers Arbeitsalltag gibt.

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