Herz kaputt, Lunge funktioniert nicht richtig – Torsten ist Mitte 50 und gesundheitlich und seelisch am Ende. Zwei Begegnungen verändern alles.
Von Pastorin Luitgardis Parasie
Der 57-Jährige saß vor mir und war verzweifelt. „Mein Herz und meine Lunge funktionieren nicht mehr. Die Ärzte reden von einer Herz-Lungen-Transplantation. Ich bin völlig fertig und dachte, ich muss unbedingt mit jemandem reden.“
Zwei Familienangehörige von Torsten sind an Herzkrankheiten gestorben, einer mit 35, ein anderer mit 40. „Beide waren Sportler, hatten nie was gehabt. Und meine Mutter starb mit 65.“ Torsten war also vorgewarnt. Die Ärzte sagten, er müsse auf sich achten. Mit 43 bauten sie ihm einen Defibrillator ein. Lange merkte er nichts – „ich dachte schon das Ding ist kaputt“ – aber mit 55 wurde ihm im Büro auf einmal schwarz vor Augen, er kippte um, der Defi ging an. Einige Zeit später passierte es morgens um 6, ein lauter Knall, „und es hörte nicht auf, vier Mal hat der Defi ausgelöst. Bis der Notarzt kam und mich ins Krankenhaus brachte.“ Doch trotz Behandlungen und Medikamenten arbeitete Torstens Herz zunehmend schlechter, er wurde von einem Arzt zum anderen und von einer Klinik in die andere geschickt. Schließlich wurde ihm ein brandneues Gerät eingebaut, eine Art Defibrillator kombiniert mit einer Unterstützung für das schwache Herz, und seitdem ging es ihm körperlich besser. „Aber nicht im Kopf“, sagte er, „die Angst ist immer da, und alle sagen ja ständig: Pass auf, lass dieses, mach jenes nicht, streng dich bloß nicht zu sehr an, das ist gefährlich. Das macht mich verrückt.“ Und deshalb kam er zu mir.
Hilfe fürs kranke Herz
Zwei Jahre später treffe ich Torsten wieder. Er wirkt dynamisch, strahlt Energie aus. „Was ist denn mit Ihnen passiert?“, frage ich. „Unser Gespräch hat einen Schalter in meinem Kopf umgelegt“, sagt er. „Sie haben mich gefragt, wie ich zu Gott stehe. Ich bin ein ziemlich gläubiger Mensch. Kein praktizierender – ich gehe nicht in die Kirche. Aber ich rede mit Gott. Und das habe ich dann neu aktiviert. Ich habe Zwiegespräche mit Gott geführt über den Sinn dessen, was mit mir passiert.“ Er berichtet auch, dass er meiner Empfehlung gefolgt ist und Mendelssohn-Bartholdys „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten“ angehört hat: „Es tut meiner Seele gut.“ Außerdem erzählt Torsten, dass er sich die Verfilmung des Buchs „Die Hütte“ angeschaut hat, über den wir in der Beratung gesprochen hatten. Es geht um einen tieftraurigen Mann, der sein Kind verloren hat und mit Gott hadert. Die Geschichte hat etwas in Torsten ausgelöst: „Mit diesem Mann, der verzweifelt nach dem ‚Warum‘ fragt, konnte ich mich total identifizieren. Wie das in dem Film aufgerollt wird, im Gespräch mit Gott, mit Jesus, das hat mich bewegt. Und es hat in mir die Hoffnung bestärkt: Was auf mich nach dem Tod wartet, ist sehr schön.“
Prägend war für Torsten auch eine Begegnung auf einer Bank in Hannover, wo sich plötzlich ein fremder Mann neben ihn setzt, ihn mit seinem Namen anspricht und sagt: „Ich hoffe, dir geht’s gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Dann steht der Mann auf und geht wieder. Für Torsten war das eine Nachricht von ganz oben: „Ich war einfach überwältigt. Da sagt mir einer im Namen Gottes: ‚Für dich ist die Zeit noch nicht da.‘ Das gleiche habe ich in der Türkei nochmal erlebt. Ist das nicht irre? Ich bin Gott so wichtig, dass er mir eine persönliche Botschaft schickt. Jedenfalls, seitdem hat sich mein Zustand extrem gebessert.“
Machst du das umsonst?
Torsten wurde aktiv. Er fährt viel Fahrrad, geht regelmäßig zur Herzsportgruppe – und wollte jetzt auch etwas für andere Menschen tun. Als einziger Mann arbeitet er im Krankenhaus bei den „Grünen Damen und Herren“ mit. Besucht Kranke auf den Stationen, fragt, was er für sie tun kann. Er besucht auch alte Damen im Altersheim, redet mit ihnen, spielt mit ihnen Karten. „Ich bekomme ganz viel zurück, Herzenswärme. Erlebe mich als so selbstwirksam. Meine Freunde fragen dauernd: ‚Machst du das umsonst?‘ Wissen Sie, die kennen mich ganz anders. Ich hatte eine leitende Position in der Wirtschaft, war ein Businessman, echt ein harter Hund. Aber jetzt kann ich auf einmal meine weiche Seite zulassen und zeigen. Manchmal weine ich, ich bete auch oft. Ich habe so einen inneren Frieden.“
Torsten hat auch noch ein weiteres Projekt in der Pipeline: „Ich bin ja im Verein ‚Senioren heute‘, und viele von denen haben keine Ahnung von Handy und Computer. Vielleicht biete ich da mal einen Kurs an.“
Torstens Geschichte zeigt sechs Bausteine, die zur Resilienz beitragen. Mir gefällt das Wort Bausteine dafür am besten, denn Tipps klingt so banal und die in der Resilienzforschung vielfach verwendeten Säulen so statisch. Bausteine, das lässt Raum für Phantasie und Kreativität.
Luitgardis Parasie ist Pastorin der hannoverschen Landeskirche und systemische Beraterin. Zusammen mit ihrem Mann, dem Allgemeinmediziner und Arzt für Psychotherapie Dr. Jost Wetter-Parasie, hat sie mehrere Bücher zu Lebenshilfethemen geschrieben.
Resilienz
Resilienz wird häufig mit Widerstandskraft erklärt, aber das trifft es noch nicht ganz. Es ist eher wie das Verhalten von gesunden Bäumen: Sie sind fest verwurzelt in der Erde. Aber sie sind auch flexibel. Im Wind biegen sie sich und zerbrechen nicht. Sie haben einen festen Standpunkt und reagieren zugleich gut angepasst auf die jeweilige Situation
Luitgardis Parasie
In Teil zwei dieses Artikels lesen Sie morgen, wie Torsten Resilienz entwickelte und dadurch einen hoffnungsvollen Weg zurück ins Leben fand.
Ein Engel kam nachts
Prägend war für Torsten auch eine Begegnung auf einer Bank in Hannover, wo sich plötzlich ein fremder Mann neben ihn setzt, ihn mit seinem Namen anspricht und sagt: „Ich hoffe, dir geht’s gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Dann steht der Mann auf und geht wieder. Für Torsten war das eine Nachricht von ganz oben: „Ich war einfach überwältigt“!
Ich hatte auch so ein umwerfendes Erlebnis: Eines nachts meinte ich – oder träumte es nur – es stehe eine große Gestalt an meinem Bett, die mich eindringlich auffordert: „Gehe morgen sofort zu deiner Ärztin, du bist sehr krank“! Aber ich fühlte mich gesund, hatte keine Einschränkungen oder Symptome. Trotzdem machte ich mich am übernächsten Morgen zu meiner Ärztin auf. Um es kurz zu machen: Nach Ultraschall, CT und zuletzt MRT stellte man ein Onkozytoman der Niere fest. Dieses musste in mehr als 5stündiger im Bundeswehrkrankenhaus mit miniinvasiever Operation entfernt werden mit dem Ergebnis, nur halb gutartig gewesen zu sein. Es hätte also durchaus ein bösartiger Krebs daraus entstehen können. Dazu meine Erkenntnis: Es gibt durchaus Engel, die nachts an Betten stehen, auch wenn sie nur im Traum erscheinen. Dass Engel keine Flügel haben, brauchen wir auch nicht zu diskutieren.