Glaube: Fragen sind gut, Antworten sind besser

Was bedeutet es, wenn mein Glaube infrage gestellt wird? Ist das gefährlich oder vielleicht sogar hilfreich und gut?

Von Dr. Matthias Deuschle

1. Fragen

„Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm“, lautete der Titelsong der Sesamstraße. Viele haben ihn noch von ihrer Kindheit im Ohr. Kinder müssen lernen, Fragen zu stellen. Sie lernen durch Fragenstellen. Dürfen Kinder keine Fragen stellen, dann bleiben sie in ihrer eigenen Welt, dann sind sie später umso leichter verführbar.

Fragen stellen gehört auch zu unserem Alltagsgeschäft im Bengelhaus. Es steht mitten in Tübingen, weil wir den Fragen nicht ausweichen wollen, die sich in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Bibel und dem Glauben an der Universität ergeben. Es ist gut, Fragen zu stellen. Allerdings gehören wir nicht zu denen, die sagen: Es genügt, Fragen zu stellen. Antworten sind nicht so wichtig, denn sie geben eine falsche Sicherheit. Glaube bedeute nämlich, mit leeren Händen vor Gott zu stehen. Daher sei es gut, alles zu hinterfragen und anzuzweifeln.

Es ist gut, Fragen zu stellen. Das gehört schon immer zur Theologie. Doch allein damit ist es nicht getan. Der Glaube braucht nicht nur Fragen, sondern auch Antworten.

2. Antworten

Wir brauchen Antworten, aber keine pauschalen Antworten. Die Menschen sind sehr unterschiedlich. Gerrit Hohage hat das in seinem Buch Tief verwurzelt glauben sehr gut auf den Punkt gebracht: Es gibt Menschen, bei denen gehen die Fragen vom Kopf aus (vom Denken), die brauchen theologische oder philosophische Antworten. Es gibt Menschen, bei denen gehen die Fragen vom Herz aus (vom Gefühl): In der Regel helfen ihnen ausgefeilte theologische Argumente wenig. Sie brauchen geistliche Stärkungen, Erfahrungen, die sie wieder aufrichten. Schließlich gibt es Menschen, bei denen gehen die Fragen vom Bauch aus (vom Willen). Das sind Menschen, die sich zwischen dem, was sie wollen, und dem, was sie wissen, hin- und hergerissen fühlen. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26,41). Hier braucht es bewusste Willensentscheidungen, Einübung, Ausrichtung auf das, was zu tun ist.

Die Menschen sind sehr unterschiedlich. Das ist das eine. Das andere ist: Wir brauchen tatsächlich nicht auf jede Frage eine Antwort. Wir kennen das aus unserem Alltag: Wir können ganz gut leben, ohne die Tiefen der Quantenphysik verstanden zu haben. Trotzdem gibt sie Einblicke in ganz grundlegende Zusammenhänge. Die entscheidende Frage ist: Was brauche ich zum Leben?

Ich merke das auch, wenn ich Bibel lese. Es entstehen dabei Fragen, die sind zwar interessant, aber die bewegen mich nicht wahnsinnig. Doch dann gibt es Fragen, die mich tief berühren und umtreiben: Ich verstehe nicht, wie Gott hier redet oder was er von mir will. Dabei geht es nicht einfach darum, alles zu hinterfragen oder anzuzweifeln. Hier geht es um Fragen, die mich selbst zutiefst in Frage stellen. Die Bibel nennt das „Anfechtung“.

„Anfechtung ist der Feind des Glaubens.“

3. Anfechtung

Manche sagen: Anfechtung oder Zweifel gehören zum Glauben. Aber das stimmt nicht. Genau genommen muss man sagen: Anfechtung ist der Feind des Glaubens. Anfechtung ist die Infragestellung des Glaubens. In dem Wort „Anfechtung“ steckt das Wort „Fechten“ drin. Das meint nicht die olympische Disziplin, wo man zwar auch ernsthaft aufeinander losgeht, aber so geschützt, dass es am Ende keine Toten gibt. Die Anfechtung kann wirklich gefährlich sein. Sie kann verwunden, im schlimmsten Fall steht alles, nämlich: der Glaube, auf dem Spiel. Sie kann aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen: Sie kann von Menschen ausgehen, die in meinem Leben eine wichtige Rolle spielen. Sie kann von bestimmten Ansichten ausgehen, die gerade aktuell sind. Sie kann auch von meinen eigenen Gefühlen und Erfahrungen ausgehen.

Wo auch immer die Anfechtung herkommt, sie hat eine geistliche Dimension: „Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Epheser 6,12). Das meint nicht, dass wir hinter allem etwas Dämonisches wittern sollten, aber es ist eine Warnung: Anfechtung, tiefe Glaubenszweifel sind keine Spielerei, wir müssen sie ernst nehmen. Doch wie kann man in diesem Kampf bestehen?

„Für mich ist Thomas nicht der Zweifler, sondern der, der es wirklich wissen möchte.“

4. Gewissheit

In der Bibel finden wir sehr viele Beispiele, wie Menschen mit sich und Gott um Antworten ringen. Ich möchte die Person herausgreifen, die gemeinhin als „Zweifler“ gilt: den Jünger Thomas, der seine Finger in die Wunden des Auferstandenen legen will (Johannes 20,20-29). Für mich ist Thomas nicht der Zweifler, sondern der, der es wirklich wissen möchte. Der sich nicht so schnell zufriedengibt, der nachfragt, der selbst sehen und erfahren möchte. Hier wird deutlich: Glaube braucht Gewissheit. Thomas will nicht einfach aufs Hörensagen hin glauben, er will es genau wissen, er will sehen, sich vergewissern. Dass Johannes davon berichtet, ermutigt auch uns, Fragen offen auszusprechen. Wir dürfen fragen, denn der Glaube beruht auf einer verlässlichen Grundlage. Jesus ist wirklich auferstanden. Thomas gehört zu denen, die das bezeugen.

Interessant ist aber, dass gar nicht berichtet wird, ob Thomas Jesus tatsächlich berührt; ob er die Finger in seine Seite legt oder nicht. Ich vermute: Er hat es nicht getan. Stattdessen fällt er auf die Knie und sagt: „Mein Herr und mein Gott!“ Wer Jesus vor Augen sieht und reden hört, der braucht keine weiteren Beweise mehr. Und was Jesus dann sagt, ist eine Verheißung – für Thomas und für alle, die danach kommen: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Ich verstehe das so: Ihr könnt an mich glauben, auch wenn ihr mich nicht mehr seht. Denn ich bin nicht tot. Ich lebe und sende euch meinen Geist, den Beistand, der euch in alle Wahrheit führt. Den Geist, der auch dann da ist, wenn ihr fragt, wenn ihr es genau wissen wollt. Den Geist, der euch die Schrift öffnet, wenn ihr auf der Suche seid. Den Geist, der euer Herz fest macht in mir.

Dr. Matthias Deuschle ist württembergischer Pfarrer und Rektor am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Er ist Privatdozent für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen.



Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „Theologische Orientierung“ (Ausgabe 216 „Glauben, was trägt“). Die Veröffentlichung auf Jesus.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Albrecht-Bengel-Haus e. V.

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5 Kommentare

  1. Damit kann man sich immer herausreden. Dann macht also jeder Prediger Eigenwerbung? Sollte man das nicht verbieten und alle Kirchen schließen? Ich dachte immer, sie machen Werbung für Christus. So täuscht man sich offenbar.
    Ich jedenfalls mache NUR Werbung für Christus. Und man muss sich nicht wundern, dass die Kirchen immer leerer werden, wenn man selbst seine Diener nicht zu Wort kommen lässt. Dabei beruft sich der evangelische Glaube auch noch auf das Priestertum aller Gläubigen…. Es ist doch alles Heuchelei, was hier abgeht. Sektiererei.
    Andere Leute nehmen Geld für Ihre Verkündigung. Ich rufe zu keinen Spenden auf.
    Wer das unverfälschte Evangelium kennenlernen will, wird hier fündig: https://manfredreichelt.wordpress.com/inhaltsverzeichnis/ Wer Antwort auf zentrale Fragen haben will, bekommt sie hier: https://manfredreichelt.wordpress.com/inhaltsverzeichnis/

    • Herr Reichelt, Sie selbst sagen, dass es auf ihrer Seite das „unverfälschte Evangelium“ gibt. Das ist ein hoher Anspruch. Uns halten Sie dagegen Heuchelei und Sektiererei vor. Wir sind offen für viele Meinungen und Standpunkte – das lässt sich leicht an den unterschiedlichen Inhalten und Kommentaren hier ablesen. Aber wenn Sie uns für Heuchler halten, dann sehen wir nicht, wie das zusammenpassen sollte. MfG, das JDE-Team

  2. Der Himmel winkt uns mit riesengroßen Scheunentoren

    „Für mich ist Thomas nicht der Zweifler, sondern der, der es wirklich wissen möchte.“ Auch ich bin ein wenig wie der Thomas, der theologisch auch mehr wissen möchte. Aber so erkenne ich, daß Gott keinerlei Gegenstand ist, keine Verortung in der Physik besitzt und nicht irgendwo auf einem Throm des Universums sitzt und es lenkt sowie regiert, wie man sich dies bei allen Fürsten und Alleinherrscher der Antike vorstellte. Es waren die Herrscher, die damals keinen Widerspruch duldeten, denen man nie kündigen durfte und die auch nicht unseren Freien Willen akzeptiert hätten, sondern nur wenn wir ihrem Willen vollständig folgten. Leider haben Menschen immer Gott mit jenen Alleinherrschern in einen Topf geworfen. Es ist daher unser schlimmster Irrtum, Gott sei so wie wir, oder die heute Herrschenden, er habe unsere Vorurteile und habe auch unsere Neigung, gleiches mit gleichem zu vergelten. Der Himmel hat nie unsere Kriege gerechtfertigt und alle Lieblosigkeit, an der die Welt zugrunde gehen kann.
    Aber so ist eben Gott nicht. Er hat alles ins Leben gesetzt, er ist das Leben gleichsam selbst, weil er Liebe ist. Ein Philosoph hat geantwortet, daß das Sein und nicht das Nichts ist, weil die Existenz wichtiger ist als das Nicht-Sein und damit die Nichtexistenz. Aber hilf dies uns? Ich glaube nicht: Weil uns nur die Liebe hilft. Gott ist Liebe, denn er hat alles aus sich selbst erschaffen. Wir sind Geist von seinem Geist. Wir also kommen von Gott und gehen von hier zu ihm zurück. Unser aller Leben hat die größte Perspektive, die es geben kann: Wir sind die Kinder von Gottes Ewigkeit.

    Eines ist mir dabei gewiss: Gott ist kein Theologe, er gehört dieser Zunft auch nicht an und ob er ihr zutraut sich auch seiner göttlicher Wahrheit anzunähern und sie immer auch erkennen, kann hier nicht einheitlich beantwortet werden. Aber darum geht es ebenfalls nicht. Weil Gott keine Angelegenheit dieser Welt ist, kein römisch oder griechischer Gott der menschelt, heiratet und/oder Menschen und Geschehnisse wie Figuren aus Langweile auf einem himmlischen Schachbrett herumschiebt und damit ein allesbestimmendes Schicksal ist. Gott ist Liebe. Dort bei ihm sind wir gewesen und nun auf diesen kleinen Planeten geschickt, vielleicht auch um etwas zu lernen und dann wieder zurück zu kommen zu dem A und 0 aller Existenz. Der also Anfang und dem Ende ist und in einem Licht wohnt, welches Nahtoderfahrende sehen und dabei sofort gerne nicht anders können als ihr ganzes Leben zu ändern. Die nach überwundenem klinischen Tod eine nie mehr (durchdringende!!) Angst vor dem Tod besitzen.

    Gott ist besser als die besten Eltern. Er ist der absolut Gute und es ist nichts Böses in ihm. Die Hölle betreiben wir selbst hier auf Erden, aber sie hat längst ihren Insolvenzantrag gestellt und kein Putin, Trump, Mächtiger oder Reicher werden Bestand haben, sondern nur diese Liebe Gottes. Die Schönheit und das Wunder des Glaubens besteht daher nur darin, daß Gott sich schon längst mit uns versöhnte, daß er selbst Mensch wurde und sich dem menschlichen Elend auslieferte. Eine größere Liebe kann es daher nicht geben und es kann auch niemals tiefer fallen als lediglich in die geöffneten Hände Gottes. Trotzdem bin ich wissbegierig. Ich möchte die Quantenphysik als Laie verstehen, auch wenn sich dort jegliche Kausalität verliert. Ich interessierte mich für das unendliche Universum. Aber dies erzeugt alles keine Anfechtung, weil Gott alle diese Wirklichkeiten umfasst und ebenso die Tatsache, daß ich momentan hier schreibe. Er umfasst auch meine Zweifel und meine Schuld. Daher wird sie vergeben und daher soll und darf auch ich meinen Mitmenschen vergeben, mit allen deren Ecken und Kanten. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ist es daher christlich, wenn wir uns immer bemühen um Toleranz und Achtsamkeit. Jesus hat seine Jünger mit seiner Empathie überzeugt und nicht mit Netzen eingefangen wie Fische. Die Jünger:innen hätten jederzeit gehen können und sie haben entschieden, mit ihm den engen Weg zu gehen.

    Der Maßstab der Beurteilungen anderer Menschen wurde im Himmel neu formuliert: Es geht da nur um den Maßstab unserer Liebe. Denn sie ist größer als Hoffnung und Glaube und ohne die Liebe (Gottes) ist alles weniger wert als eine schwarze Null. Wie kann man diese Liebe leben? Nicht ist einfacher und auch nichts schwieriiger: Ein wenig das eigene EGO hintanstellen, anderen Menschen auch ein freundliches Lächeln gönnen und über niemanden in Gedanken oder durch den Akt eines Handelns endgütig den Stab zu brechen. Man darf dies alles auch lassen, jede/r darf böse, eine Egomane oder Nihilist sein, Gott zwingt niemand. Aber keiner kann sich an Gott vorbeimogeln, ohne ihn ansehen zu dürfen, und dabei auch völlig freiwillig sich für ihn zu entscheiden. Denn wer möchte nicht die Fülle, sondern nur den Mangel?? Und welche Liebe könnte größer sein als die eines Gottes, der als kleines Baby auf die Welt kommt und am Kreuz aus Mitleid für uns stirbt und unsere Defizite damit ausgleicht? Wenn der Himmel mit großen Scheunentoren winkt, mit diesen bahnbrechenden Offenbarungen, dann müssten die geistlich Blinden endlich sehen lernen. Heute wissen wir daß er Himmel allen Menschen offensteht und sich jede/r jederzeit mit Gott versöhnen darf. Bevor wir hier auf diesem chaotischen Planeten gelebt haben, hat Gott jeden Menschen und auch jede andere Kreatur die lebt, in sein Buch des Lebens bereits eingetragen.

    • Ja, aber irgendwann ist es genug mit der Eigenwerbung. Darauf hatten wir schon mehrmals hingewiesen. MfG, das JDE-Team

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