Pastorin Annette Lapp liebt Gottesdienste: Die Form ist egal, Hauptsache Gottes Wort und der Heilige Geist bekommen Raum. Den klassischen 10-Uhr-Gottesdienst hält sie allerdings für überholt.
Von Annette Lapp
Ich liebe Gottesdienste. Wenn man mich fragt, welchen Teil meines Berufs ich am liebsten mache und welchen ich am besten kann, dann ist das die Antwort: Gottesdienste und Predigten. In (fast) jeder Form. Ganz „normale“ sonntägliche Gemeindegottesdienste, aber auch Festgottesdienste zur Konfirmation, Taufen oder Trauungen und sogar Beerdigungsgottesdienste machen mir wirklich Freude (bitte nicht falsch verstehen, ich wünsche natürlich niemandem den Tod).
Das „Heilige“ feiern!
Gottesdienste sind der Grund, warum ich diesen Beruf ergriffen habe. Zu oft saß ich in der Kirche und spürte so eine „heilige Unzufriedenheit“. Sah den Pfarrer vorne stehen und dachte „Das will ich auch machen!“ oder „Hach, das geht aber auch besser!“. Es ist mir ein großes Anliegen, dass Gottesdienste gut gemacht sind. Durchkomponiert: Dass die einzelnen Teile aufeinander abgestimmt sind und gut zusammenpassen. Dass die Beteiligten gut vorbereitet und für ihre Aufgabe geeignet sind.
Es gibt wenig, was mich so beglückt wie ein wirklich gelungener, „runder“ Gottesdienst, in dem man die Verbindung zum Himmel und zur Gemeinde spüren kann. Dabei ist es zweitrangig, welchen Stil der Gottesdienst hat. Ob klassisch lutherisch, mit Orgel und gesungener Liturgie oder mit Worshipmusik und 30-Minuten-Predigt (ja, das geht, wenn die Predigt gut gemacht ist und kurzweilig vorgetragen wird). Da halte ich es mit C.S. Lewis: „Die Frage sollte nie sein: Gefällt mir diese Art von Gottesdienst, sondern: Ist die Lehre wahrhaftig, ist das Heilige hier?“
Also: Lasst uns Gottesdienste feiern! Fröhlich, begeistert und mit großer Ernsthaftigkeit, ausgelassen oder still – heilige Zeit; Pause vom Alltag; spüren: Wir sind der Leib Christi und es ist nicht egal, ob wir in Gottes Gegenwart zusammenkommen, ihn loben, auf ihn hören und mit ihm sprechen. Gerne mit verschiedenen Arten von Predigten. Ob gründliche Homilie, Bibliolog mit allen, Preacher Slam oder intensive Themenpredigt: Hauptsache, es lebt und Gottes Wort und der Heilige Geist bekommen Raum. Ich finde auch wichtig, dass alle die Möglichkeit bekommen, zu reagieren auf das, was wir hören; in Zeugnissen, im Friedensgruß, im gemeinsamen Abendmahl, im Gebet. Gottesdienste können heilen und beleben, versöhnen und begeistern, beflügeln und bestärken, trösten und wärmen.
„Meine Erfahrung: Auf dem Dorf (zumindest gilt das für Südniedersachsen) funktioniert das Konzept ‚Gottesdienst‘ nur noch sehr eingeschränkt.“
Den „Klassiker“ abschaffen
In meiner Zeit als Pfarrerin von zwei landeskirchlichen Landgemeinden kam es nicht selten vor, dass ich sonntags mit 3 bis 8 Personen in der Kirche saß. Ja, ein Gottesdienst hat einen Wert in sich. Daran ändert die Anzahl der Personen nichts. Aber ganz ehrlich: Mit mir als Pfarrerin macht es etwas, wenn ich viel Zeit und Herzblut in die Vorbereitung stecke und dann merke, dass sich der überwältigende Großteil der Gemeindemitglieder (!) überhaupt nicht dafür interessiert. Mich frustriert das und es führt dazu, dass die Versuchung immer größer wird, Predigten einfach aus dem Netz zu ziehen und sich nur mittelmäßig vorzubereiten. Wenn man dann noch regelmäßig Schwierigkeiten hat, einen Organisten oder eine Organistin zu finden, der oder die des altehrwürdigen Instrumentes wirklich mächtig ist, wird das Ganze zum Trauerspiel. Ich habe öfter gedacht: „In den Gottesdienst, den ich hier veranstalte, würde ich selbst als Gemeindemitglied gar nicht unbedingt gehen wollen.“
Meine Erfahrung: Auf dem Dorf (zumindest gilt das für Südniedersachsen) funktioniert das Konzept „Gottesdienst“ nur noch sehr eingeschränkt. Sonntags um 10 Uhr schon gar nicht – und auch alternative Uhrzeiten und Formate interessieren die örtlichen Kirchenmitglieder kaum (ist es überhaupt sinnvoll, auf diese Gruppe von Menschen noch den Begriff „Gemeinde“ anzuwenden?). Da kann man sich noch so viel Mühe geben, den Gottesdienst „attraktiv“ zu gestalten, moderne Elemente einzubauen oder mit aktuellen Themen zu werben. Sobald „Gottesdienst“ draufsteht, erwarten die meisten Menschen überhaupt nichts von der Veranstaltung und bleiben fern. Die Gründe sind vielfältig, keine Frage. Aber das ändert nichts am Stand der Dinge.
„Unpopular opinion“ unter Pfarrerinnen und Pfarrern, aber meine Ansicht: Den klassischen 10-Uhr-Gottesdienst auf den Dörfern am Sonntagmorgen braucht es an vielen Orten wirklich nicht mehr. Ich hätte ihn in meinen Dorfgemeinden am liebsten weitgehend abgeschafft, weil er Geld, Kraft und Manpower bindet, die anderswo viel dringender gebraucht würden. Stattdessen: Aktiv die Gemeindemitglieder ansprechen, die nicht kommen, miteinander reden, Glauben teilen und entdecken. Und dann miteinander entwickeln, welche Form von Gottesdienst passt. Man könnte auch schlicht sagen: missional arbeiten. Die entstehende Gemeinschaft kann den Gottesdienst formen. Dann kommt das Ganze auch wieder seinem ursprünglichen Sinn näher.
Den Gottesdienst missional entwickeln
Gottesdienste sind der Ort, wo Gemeinde sich definiert und definieren lässt von Jesus. Klar ist: Wo sich die Gemeinde versammelt, um Gott zu loben, ist Gott gegenwärtig (vgl. Psalm 22,4). Lobpreis, Verkündigung, Gebet und das Abendmahl sind die zentralen Elemente, die eine Gemeinde konstituieren. Kurz: Der Gottesdienst ist das Zentrum des Gemeindelebens. In meinem aktuellen Dienst erlebe ich es genau so. Der Gottesdienst ist ein lebendiges Geschehen, das Begegnung zwischen Gott und Menschen und zwischen Menschen und Menschen ermöglicht. Hier sind wir Gemeinde. Es bedingt einander: Wir feiern Gottesdienst, weil wir eine Gemeinde sind und wir sind eine Gemeinde, weil wir Gottesdienst feiern. Dafür braucht es aber erst mal Menschen, die zusammenkommen wollen, um Gott zu erfahren. Wo eine Gemeinde lebt, wirkt auch der Gottesdienst ansteckend auf Menschen, die ihn ohne Vorerfahrung im christlichen Glauben besuchen. Wo eine Gemeinde stirbt, wird sich ein Außenstehender kaum vom Gottesdienstgeschehen begeistern lassen.
Das Thema ist vielschichtig und komplex. Es gilt, betend zu überlegen und sich vom Heiligen Geist leiten zu lassen, mit der Frage: Was ist eigentlich „Gottesdienst“ an meinem Ort, mit den Menschen, die hier sind? Ich glaube, Gott fällt dazu noch eine ganze Menge mehr ein, als wir uns vorstellen können. Also lassen wir uns inspirieren!
Annette Lapp ist Pfarrerin und tätig in der ELIA-Gemeinde Erlangen.
Dieser Artikel ist im kirchlichen Ideenmagazin 3E erschienen. 3E gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlags.
Ich denke, ein Problem könnte sein, dass Gottes Dienst an uns geschieht, indem er sich aus uns ergibt. von St. Michael, einer Jesuitenkirche in München, werden regelmäßig Predigten ins Netz gestellt, die ich mir gerne anhöre, sodass ich mich als Teil der Gemeinschaft empfinde, die sich dies einfallen ließ. Leider ist es mir nicht möglich dort auf die Schnelle hinzugehen, sodass ich das Internet für die Predigt bevorzuge. Ich höre mir auch immer mal wieder gerne Predigten von Papst Franziskus an, oder lese mir eine Onlinepredigt, die auf dem Weg durchs Netz finde durch, was mir ohne die Möglichkeit Online zu sein nicht möglich wäre.
Ich empfinde den Priester, Pfarrer, Pater oder auch eine Predigt in weiblicher Form nicht als Dienst an der Gemeinde, sondern als Ruf einer Gemeinde, die sich darin an Gott wendet, indem sie ihm ihre Sünden mit Dank für das Leben vorträgt, das daraus resultiert und dabei um seine Hilfe für eben dieses Leben bittet.
Ehrlich gesagt brauche ich keine Inszenierung von Kirche, die sich in ihrem Gottesdienst um eine Gemeinde bemüht, die schon längst im Dienst Gottes schuftet, sich abrackert und dabei nicht vergisst, dass sie als Braut des Herrn auf Gott vertraut, sodass einzig an ihm erfüllt wird, was zu ihrer Erfüllung gedacht ist.
Was eine Predigt tun sollte, das entzieht sich meiner Kenntnis, doch ich empfinde durch die Predigten, die ich hören kann, lese und damit auch in gewisser Weise verarbeite, eine Zugehörigkeit zur Gemeinde, zu der Gemeinschaft, die sich darin wiederfindet, weil sie dieser Predigt nicht nur beiwohnt, sie ist ihr Ursprung und der Inhalt, ihr gesamtes Vertrauen in Gott kommt darin zum Ausdruck und erfährt dadsurch einen Wandel.
Jede*r hat sicher schon einmal erlebt, wie es ist, einer Tatsache Gewicht zu geben, indem sie ausgesprochen wird. Die Wahrheit wird angesprochen und wird dadurch zum Teil der Wirklichkeit, die sich durch ihre Kommunikation in das verwandelt, was Gott möglich macht. Damit verliert der Mensch nichts an Bedeutung für das Leben, dieses Leben dankt Gott für seinen Namen, ohne dessen Einheit es keinen Halt fände der seiner täglichen Herausforderung gewachsen wäre. Dadurch wird mir täglich bewusster, an welchen Lebensinhalt der Mensch gebunden ist, dem sich das Leben durch Gott erschließt.
Antwort an Roswitha
Nach der sehr konservativen bleibenden Überzeugung ist der Gottesdienst (in erster Linie) „ein Werk für Gott“. Und damit was die Gemeinde tut, um Gott zu ehren und zu LIEBEN. Natürlich kann und sollte die gottesdienstliche Feier wirklich auch die „Feier des Lebens“ sein, nämlich mit Gott und allen Geschwistern. Leider haben nach langjähriger und wiederholten Erfahrungen auch unsere alternativen Gottesdienstformen, welche die Gemeinde auch durchaus erfreuen, niemand mehr langfristig in die Gottesdienstbank verbracht. Es sind immer noch die mageren 1-3% des lieben Kirchenvolkes, die wir landeskirchlich und katholisch erreichen und davon treten mit Volljährigkeit die meisten aus. Bei den Freikirchen dürften es auch nicht mehr sein. Was wichtig wäre, ist erstens die Zuversicht nicht aufzugeben und zweitens dem Heiligen Geist keine Knüppel zwischen die Beine zu werfen, denn wir sind als Hände, Füße und Gehirne für den Himmel unterwegs. Vielleicht sind wir, bis hin zu den Predigten, zu verkopft. Es geht nicht in erster Linie um die wahre und richtige Lehre, sondern über den wahren Gottesdienst, der eigentlich 24 Stunden am Tag stattfindet und sodann vorwiegend im Alltag mein authentisches christliches Leben, dem ich leider als ein Ideal immer nachrenne. Er kann beginnen mit einem lieben sowie absichtslosen freundlichen Lächeln. Allerdings wäre dies die erste bewusste Haltung eines jeden Menschen, wäre die Erde dann bereits ein halbes Paradies. Am Ende steht der Neue Himmel und die Neue Erde, also ein völlig anderer Kosmos. Dort gibt es nur Liebe. Wer dies verinnerlicht, wird nie hoffnungslos. Gott kann nicht irren.
Gottesdienst ist ein Werk für Gott
Es gibt viele Formen auch neuerer Gottesdienste, nur weiß man leider auch: Menschen kommen meist nicht und sie bleiben auch nicht, n u r wegen neuer Gottesdienstformen. Wir müssen wieder wie die Urgemeinde werden, keine Kopie und nicht rückwärts gewandt, aber dafür in moderner Form. Es gilt den Gottesdienst, auch in herkömmlicher Liturgie wunderbar gestaltbar, als „Fest des Lebens“ zu halten. Ein Uralt-Prinzip des Gemeindeaufbaues ist: Bitte einen Menschen, eine Aufgabe zu übernehmen. Dann wird dieses auch einen Menschen bitten, ebenso eine Aufgabe zu übernehmen. So funktioniert Taize und als wir vor 50 Jahren von dort nach Lausanne zu einem riesigen Jugendfestival fuhren, mit 2000 Menschen und selbst mit unzähligen Bussen anreisten: Da bekam jede/r auch, wenn auch meist zu einer kleinen Aufgabe. Wenn uns gelingt Menschen mit in in den Gottesdienst zu locken, dann wird er (oder sie) vielleicht bleiben und ebenso einen Menschen werben, der möglicherweise im Gottesdienst und in der Gemeinde bleibt. Die Gemeinde ist das Prinzip das Leben zu feiern und der Gottesdienst ein solches einer Wochen- Hauptversammlung. Und wir Christinnen und Christen sind Geschwister und dies ist das Gute, was wir – immer in auch in sehr irdenen Gefäßen – anzubieten haben. Wir sollten lieber nicht gegen etwas, sondern f ü r etwas sein. Es gibt keine charismatischen, evangelikalen oder liberalen Christ:innen, sondern n u r Christen. Und dies sind Menschen wie alle anderen, aber sie wissen, daß sie genauso wie jeder andere Mensch auf dieser Welt, oft völlig unverdient von Gott geliebt wird. Denn von Glaube, Hoffnung und Liebe ist die Liebe die Größte unter ihnen. Und Liebe kann man sich nicht verdienen, sie ist was sie ist – ein göttlicher Ursprung. Die Kirche ist daher keine Gemeinschaft der religiösen Überflieger, sondern diejenigen die Gott lieben und ihre Nächsten wie sich selbst – als immerwährende gerne praktizierte Annäherung an ein Ideal. Und was ist der Gottesdienst?: Auch eine Feier des Lebens, nicht zur Unterhaltung der Gemeinde, sondern ein Werk für Gott. Aber dieses Werk soll vielstimmig sein: Mit schöner Orgelmusik, wunderbaren Chorstimmen, Pfarrer:innen welche normale Alltagssprache sprechen und sollte – idealerweise – aus Menschen bestehen, die das mit Freude und locker vom Hocker praktizieren was sie persönlich als ihre Aufgabe als Gläubigeund damit auch Hoffende, vom Glauben verstanden haben.