Pfarrerin Regine Born ermutigt dazu, den Gottesdienst als Herzstück einer lebendigen Gemeindearbeit nicht aufzugeben – trotz verblasster Formate.
Von Regine Born
Das Schild an unserem Ortseingang ist verblasst. Die violette Kirche erkennt man nur noch, wenn man danach sucht. Neben der fast unsichtbaren Kirche steht: „Evangelischer Gottesdienst. Sonntag 10:15 Uhr.“ Sollen wir ein neues Schild aufstellen oder zusammen mit dem verblassten Schild unser Bemühen aufgeben, den Gottesdienst als attraktives Angebot aufrechtzuerhalten? So viele Veränderungen fordern uns heraus: sinkendes Vertrauen in die Kirche, Austritte, Nachwuchsmangel, Traditionsabbruch – und auch ein Rückgang beim Gottesdienstbesuch. Doch nach wie vor steht da öffentlich für alle sichtbar gleich hinter dem Ortsschild unserer Heimatstadt der Gottesdiensttermin. Was ist bei Kirche geboten? „Evangelischer Gottesdienst. Sonntag 10:15 Uhr.“ Auch diese Angabe ist veraltet und ich habe keine Idee, wie man die Vielfalt unserer Gottesdienste kurz und knapp auf ein Schild schreibt, das im Vorbeifahren gelesen werden soll – mal morgens, mal abends, mal mit Brunch …
Experimentierfreude und Lebendigkeit
Die tiefgreifendere Veränderung hat sich jedoch nicht in der Uhrzeit, sondern im Gottesdienst selbst vollzogen. In unserer Kirchengemeinde haben wir die Gestaltung unserer Gottesdienste und die Einrichtung der Kirche so verändert, dass eine Willkommens-Atmosphäre zu spüren ist, Begegnungen möglich sind und wir mit Experimentierfreude lebensnahe Gottesdienste feiern können. Das hat einige Jahre gedauert und wir sind noch weiter auf dem Weg. Es gibt eine modern gestaltete Liturgie, ohne den sinnvollen Aufbau eines agendarischen Gottesdienstes komplett zu verwerfen. Das Thema des Gottesdienstes wird oft durch interaktive Elemente persönlich vertieft. Dass es dadurch konkret wird, hilft Menschen, Gott und den Gottesdienst als etwas zu erleben, was mit ihrem Leben zu tun hat. Bei der Musik wechseln sich je nach Anlass Orgel, E-Piano und Kirchenband ab – die Liedtexte werden immer über Beamer eingeblendet. Bessere Beleuchtung, eine Café-Bar, ein Kindertisch und eine lockerere Anordnung der Stühle unterbrochen durch Beistelltische bewirken, dass man sich willkommen fühlt und gerne vor und nach dem Gottesdienst hier Zeit verbringt.
Das Miteinander im Gottesdienst setzt sich danach an der Bar fort, wenn der Alltag in den Blick kommt. Manche sprechen über die Predigt, andere treffen Verabredungen für die Woche, es findet Kennenlernen und Vernetzung statt, manch eine kurze seelsorgliche Begegnung hat Platz und es werden Ideen gesponnen rund um die Gemeindearbeit. Rund um den Gottesdienst verbinden sich Gott, Menschen und Ideen miteinander. Wer zum ersten Mal oder seit Langem mal wieder in unseren Gottesdienst kommt, ist teils verwundert oder positiv überrascht. Es ist auf eine ungewohnte Weise schön und lebendig.
Doch es gibt auch Enttäuschung über so wenig Bekanntes, Vertrautes. Soll das „Evangelischer Gottesdienst“ sein, wie das Schild am Ortseingang es ankündigt? Warum überhaupt steht auf den meisten dieser Kirchen-Wegweiser nur ein Hinweis auf den Gottesdienst? Es gibt doch viele Menschen, die nicht zuerst in einem Gottesdienst andocken und auftanken, sondern die Erzählrunde beim Seniorentreff genießen, den Spieleabend besuchen oder ihre Kinder gerne zum Bibelentdecker-Club bringen.
„Kirche ist die Gemeinschaft von Menschen, die verbunden sind durch ihren Glauben an Gott. Dieser Glaube muss Ausdruck finden in der gemeinsamen Begegnung mit Gott.“
Ungeteilte Aufmerksamkeit
Kirche ist die Gemeinschaft von Menschen, die verbunden sind durch ihren Glauben an Gott. Dieser Glaube muss Ausdruck finden in der gemeinsamen Begegnung mit Gott. Unsere Gemeindeangebote unter der Woche verweisen alle mehr oder weniger auf Gott – bei manchen kommen sehr ausdrücklich Bibel, Gebet, Glaubens- und Lebensfragen zur Sprache, bei anderen ist es einfach das Gebäude, das den Rahmen schafft und zusammen mit engagierten Mitarbeitenden ein unaufdringliches „Herzlich willkommen bei Kirche und bei Gott“ ausdrückt. Aber keine dieser Veranstaltungen widmet Gott ungeteilt die Aufmerksamkeit, so wie es der Gottesdienst tut. Und daher müssen wir ihn unbedingt im Blick behalten als Herzstück und Kraftquelle. Denn die regelmäßige, gemeinsame, ungeteilte Ausrichtung auf Gott ist grundlegend für christliche Gemeinde. Durch das Feiern bekommen wir einen Vorgeschmack auf den Himmel. Und gleichzeitig wirkt der Gottesdienst über unseren Alltag hinaus, hinterfragt, stärkt und prägt ihn. Unser ganzes Leben soll Gottesdienst sein (Römer 12,1). Ohne Gottesdienst verkümmert Kirche über kurz oder lang zu einem Projekt, das diese Welt aus eigener Kraft verändern will und über all dem die kommende Welt des Reiches Gottes aus dem Blick verliert.
Es war nie eine Frage, ob sich Christen versammeln, um ihren Glauben auf Gott ausgerichtet zu teilen, aber wir sollten die Frage wachhalten, in welcher Form wir es tun. Es gab Zeiten, da war ich selbst wenig überzeugt vom Gottesdienst als Herzstück. Aber im Rückblick muss ich sagen, dass es einfach an der Form der Gottesdienste lag. Dabei muss ja nicht einmal alles „Gottesdienst“ heißen, sondern kann auch als Gebetstreffen, Lobpreisabend oder Andacht dasselbe bieten: Gemeinsam in Gottes Gegenwart sein und ihn feiern – nur eben in verschiedenen Formen. Mit Stille und Gebet, mit mehr und anderer Musik oder nicht so lang wie der klassische Gottesdienst. Und seien es Neugründungen, klassische Kirchengemeinden, Freikirchen, Pionierprojekte, in FreshXs oder in innovativen Startups – als Kirche sind wir alle getragen, beflügelt und abhängig von Gott und verlieren so viel, wenn der „Gottesdienst“ keine Rolle mehr spielt.
Gesucht: kreative und lebendige Lösungen
Für unser Schild am Ortseingang werden wir eine Lösung finden – und noch viel mehr wünsche ich mir kreative, lebendige und lebensnahe „Lösungen“ für das, was unser Herzstück als Kirche ist: Gemeinsam bei Jesus Christus, dem Herrn der Kirche sein, und von ihm gestärkt und gesandt in der Welt leben (Markus 3,14). Wo unsere gottesdienstlichen Formate und Schilder verblasst sind, können Gottes Geist und begeisterte Gemeinden wieder Leben und Farbe hineinbringen.
Regine Born teilt sich mit ihrem Mann die Pfarrstelle in Laufenburg am Hochrhein (www.ekilauf.de) und engagiert sich im Netzwerk churchconvention.

Dieser Artikel ist im kirchlichen Ideenmagazin 3E erschienen. 3E ist wie Jesus.de ein Angebot des SCM Bundes-Verlags.
Mal eine ernsthafte Frage: Wie schaffen es die Moscheen in unserem Land, immer so voll zu sein?
da gibt es wohl mehrere Gründe, sofern deine Annahme richtig ist. Ich kenne keine Statistiken über die Besucherzahlen vom Moscheen.:
– Moscheen sind mehr als Gottesdiensthäuser. Da läuft dort auch sehr viel gesellschaftliches Leben ab.
– Für Migranten ist das wohl oft auch ein Heimatgefühl in der Fremde.
– Muslime sind Minderheiten hier im Land. Da sucht man was verbindendes (so sind z.B. katholische Gottesdienste im protestantischen Norden Deutschland auch oft gut besucht)
– Es gibt evtl. auch einen größeren sozialen Druck. Früher ging man ja auch in den christlichen Gottesdienst, zumindest im ländlichen Bereich. Sonst konnte man schnell schief angeschaut werden.
Es menschelt überall
Antwort an Chey: Es gehen doch logischerweise nicht alle Gläubigen in Moscheen, denn es ist unmöglich da alle, die zu Allah auch nur beten könnten, schlicht dort nur unterzubringen. Selbst in Ägypten habe ich verwundert gesehen, daß der Gebetsruf erschallte, aber die Menschenmengen doch völlig ungestört auch auf dem Basar weiter flanierten. Sozialer Druck gibt es auch bei uns, den habe ich indirekt auch hier in einer landeskirchlichen Gemeinde erlebt, die sich wie eine christliche Psychosekte benahm. Unter dem Diktat der Moralisten erlaubte der örtliche CVJM seinen Jugendlichen mit einem Menschen anderen Geschlechts nur eigenständig unterwegs zu sein, mit einem braven entsprechenden Anstands-Wau-Wau. Nur eine Person hat sich gegen diesen Terror durchgesetzt und ich habe mich im Nachhinein gewundert, dass sie dort nicht ausgetreten ist. In diesem Falle würde ich einfach katholisch werden. Das würde kein Paradies sein, aber doch ein wesentlich menschlicheres Umfeld. Auch wenn diese deutschen Erlebnisse schon Jahrzehnte her sind, scheint es solche Gemeinden, wie etwa in Bremen, noch zu geben. Es ist nicht alles christlich, was manche meinen dass es sei. Besonders wenn die wichtige Nächstenliebe etwas ist, was völlig vergessen fehlt. Möglicherweise ist dies beim Islam auch so. Es gibt unterschiedliche Formen und Haltungen auch in Moscheegemeinden. In liberalen Moscheegemeinden sind die Frauen gleichberechtigter und man wundert sich, dass nicht alle vorgefassten Meinungen stimmen. Genau so wie kopftuchtragende Frauen nicht selten starke Persönlichkeiten sind. Oder wenn Reisende aus dem Iran begeistert berichteten, daß Frauen fast mit Ganzverschleierung ihre Gäste, zuhause herausgeschält aus den Gewändern, als wunderschöne Geschöpfe begrüßten, in modisch-sommerlicher Kleidung. Was so garnicht dem Bild entsprachen, dass wir allgemein von dieser Religion in unseren Gehirnwindungen bewegen. Vorurteile entstehen auch aus selektiver Wahrnehmung.
Ich habe da mal nachgeforscht. Genaue Zahlen gibt es nicht, nicht mal, wie viele Moscheen es überhaupt in Deutschland gibt.
Man geht davon aus, dass 18 bis 24 % der Muslime hier regelmäßig eine Moschee besuchen (statista geht von 18 % aus, eine Untersuchung des Zentralrates der Muslime von 24%)
Egal, was genau stimmt, von solchen Zahlen können christliche Kirchen in der Regel nur träumen.
Nicht nur Gottesdienst – auch Gemeinden brauchen Veränderung
„Ohne guten Gottesdienst verkümmert die Kirche“! Ich bin fast auch davon überzeugt, daß der christliche Traditionsabbruch vielleicht gar nicht existiert, weil auch Vereine, etwa jene die Gesang oder Kultur pflegen, an der fehlenden Lust auf Gemeinschaft und die Bindungsunwilligkeit der Menschen oft verzweifelt leiden, oder ihre Arbeit schlicht einstellen. Da geht es uns Christ:innen genauso. Ich sehe hier wie meine sehr bemühte Gemeinde der …….kirche am Sonntag manchmal nur ein Dutzend (in der Regel ältere Menschen wie mich) um den Altar versammelt. Gibt es ein gemeinsames Mittagsmahl – eine gute Neuerfindung – sind da mehr Menschen, und manchmal auch viele im Gottesdienst. Aber ich denke doch, dass die Worte meines alten Pfarrers der alten Heimat vor einigen Jahrzehnten prophetisch waren: „Der Gottesdienst ist die immer stattfindende wöchentliche Jahreshauptversammlung der Gemeinde“. Dabei gibt es zum Erfolg leider keinen Königsweg und auch nicht perse sind die neuen Gottesdienstformate Erfolgsgarantie für mehr Mitfeiernde. Aber wir müssen wir einst Abraham in neue Gegenden aufbrechen und uns verändern.
Aber trotzdem bietet sogar die ganz normale sonntägliche Liturgie alle Freiheit und Kreativität, diese Sonntagsfeier – nicht (nur) zur Unterhaltung der Gemeinde – aber vorallem „als Werk für Gott“, zu einem Erlebnis werden zu lassen. Insbesondere wenn man ein Gottesdienstteam hat, öfters Dialogpredigten durchführt oder neue Formen der Predigt und andere Gottesdienstformate anbietet. Da kann ich mir Taizegottesdienste, oder Lichtergottesdienste, Salbungs- und Segnungsgottesdienste, alles mit vielen Kerzen, harmonischer Musik, zudem auch einer guten menschlichen Begegnung vorstellen. Warum ist Taize immer von mehreren tausend Jugendlichen und jungen Erwachsenen besucht? Doch deshalb, weil da die unsere Existenz als „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“, auch unausgesprochen deutlich wird. Ein subkritischer Hinweis: Wenn wir Menschen im Gottesdienst Aufgaben geben, hat man schon ein halbes Gottesdienstteam. Die Gemeinde besteht nicht nur als Erwachsenen, sondern auch aus jungen Menschen. Eine nur noch zielgruppenorientierte Kirchengemeinde hat einen Denkfehler, wobei ich nicht gegen Jugendgottesdienste bin..
Und sicherlich haben wir eine schöne Karnevalveranstaltung durchgeführt mit wunderbaren Büttenreden, wobei auch unserer Pfarrerin, die sich humorvoll und leicht kritisch-ironisch in ihrer Büttenrede äußerte, daß sie sich über mehr Besuch freuen würde. Der Karnevalssaal war überfüllt und es wurde gelacht. Es wäre, um einen gleichnamigen Film hier zu zitieren „WIE IM HIMMEL“, wenn am Sonntag so viele Seelen dabei wären.
Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, immer mehr unsere Heiligen Hallen verlassen, nicht nur um auf der Wiese vor der Kirche Gemeindefest oder an Himmelfahrt zu feiern, sondern indem wir an den Hecken und Zäunen auch der Welt auftauchen. Die Kooperationszonen unserer Gemeinden vergrößern nicht den Gottesdienstbesuch, allenfalls sieht man neue Gesichter des/der >Prediger:in, aber sie könnten dazu dienen zu verdeutlichen, daß wir als Gläubige nicht zum Lachen in den Keller gehen. Daher dürfen auch gemeinsame Taufen einiger Gemeinden, ein fröhliches Fest zum Mitfeiern, doch sehr verdeutlichen: Das Glaube macht Spaß und es wird niemand bei uns eine mürrische oder ernste Miene verordnet. Der Uralt-Film „der Pfarrer von St. Pauli“ erzählt eigentliche die sehr banale Geschichte, daß kaum noch jemand in den Gottesdienst kam und der Pfarrer ihn kurzerhand in die Kneipe verlegte. Vielleicht sollte wir langfristig aus einer reinen Komm-Struktur auch eine Gehhin-Struktur machen: Als Kirche dort zu sein wo die Menschen wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen. Das Kirchengebäude ist nicht heilig und Gottes Natur nicht unheilig, Gott ist überall und in der Bibel sind alle zu dem großen Festmahl eingeladen. Aber die Frommen kommen nicht, oder die fromm sein könnten, aber so schickt der Gastgeber aus, alle von der Straße einzuladen. In Wien sah ich im Fernsehen eine Gemeinde, in der jeden Sonntag nach dem Gottesdienst sich viele Menschen zum Mittagsmahl versammeln. Auch Menschen anderer Religionen, alle die gerne kommen und es werden auch alle an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt. Es war so wie bei den Speisung der 5000, denn viele bringen auch die Lebensmittel mit und dies geschieht nach dem himmlischen Rezept: „Dinge die man teilt, vermehren sich immens“! Die Migranten hatten dort die große Freude, die Anwesenden mit den unbekannten exotischen Gerichten zu verwöhnen. Menschen anderer Religionen nehmen dann ohne falsche Ängste auch am Gottesdienst teil. Vielleicht steht nicht an erster Stelle genau zu definieren was wir alles glauben,aber dafür wie wir wirklich unser Leben führen.
„Gemeinsame Begegnung mit Gott“ – wenn 3 % der Mitglieder dasitzen?
Das ist doch keine Frage der Quantität.
Sondern der Ernsthaftigkeit derer, die da sind.
Evangelische und katholische Christen sind es auch ernsthaft
Lieber Ulrich Wößner: Nochmals, was ich geschrieben habe. Die Kirche erreicht 3 % ihrer Mitglieder als Kerngemeinde und Gläubige. Ob die anderen Menschen, die nie oder nur an Heiligabend in eine Kirche gehen, sich als Christ:innen verstehen, habe ich nicht zu entscheiden. Was ich glaube, daß alle Menschen dieser Erde Geschöpfe Gottes sind und von ihm voraussetzungslos geliebt sind. Das Konzept Volkskirche funktioniert nicht schlechter wie etwa die Vernetzung der Freikirchen, die gemessen und ihrer Größe und Engagement, sicherlich nicht mehr Menschen erreichen. Was Chey dazu schreibt findet ich absolut zutreffend: „Das ist doch keine Frage der Quantität. Sondern der Ernsthaftigkeit derer, die da sind“! Schönes Wochenende.