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Nun ruhen alle Wälder

Dieses Lied gilt auch als der „Märtyrer unter den Kirchenliedern“. In den letzten beiden Strophen hat der Dichter Paul Gerhardt etwas „versteckt“.

  1. Nun ruhen alle Wälder,
    Vieh, Menschen, Städt und Felder,
    es schläft die ganze Welt;
    ihr aber, meine Sinnen,
    auf, auf, ihr sollt beginnen,
    was eurem Schöpfer wohlgefällt.
  2. Wo bist du, Sonne, blieben?
    Die Nacht hat dich vertrieben,
    die Nacht, des Tages Feind.
    Fahr hin; ein andre Sonne,
    mein Jesus, meine Wonne,
    gar hell in meinem Herzen scheint.
  3. Der Tag ist nun vergangen,
    die güldnen Sternlein prangen
    am blauen Himmelssaal;
    also werd ich auch stehen,
    wenn mich wird heißen gehen
    mein Gott aus diesem Jammertal.
  4. Der Leib eilt nun zur Ruhe,
    legt ab das Kleid und Schuhe,
    das Bild der Sterblichkeit;
    die zieh ich aus, dagegen
    wird Christus mir anlegen
    den Rock der Ehr und Herrlichkeit.
  5. Das Haupt, die Füß und Hände
    sind froh, dass nun zum Ende
    die Arbeit kommen sei.
    Herz, freu dich, du sollst werden
    vom Elend dieser Erden
    und von der Sünden Arbeit frei.
  6. Nun geht, ihr matten Glieder,
    geht hin und legt euch nieder,
    der Betten ihr begehrt.
    Es kommen Stund und Zeiten,
    da man euch wird bereiten
    zur Ruh ein Bettlein in der Erd.
  7. Mein Augen stehn verdrossen,
    im Nu sind sie geschlossen.
    Wo bleibt dann Leib und Seel?
    Nimm sie zu deinen Gnaden,
    sei gut für allen Schaden,
    du Aug und Wächter Israel‘.
  8. Breit aus die Flügel beide,
    o Jesu, meine Freude,
    und nimm dein Küchlein ein.
    Will Satan mich verschlingen,
    so lass die Englein singen:
    Dies Kind soll unverletzet sein.
  9. Auch euch, ihr meine Lieben,
    soll heute nicht betrüben
    kein Unfall noch Gefahr.
    Gott lass euch selig schlafen,
    stell euch die güldnen Waffen
    ums Bett und seiner Engel Schar.

Paul Gerhardt

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„Märtyrer unter den Kirchenliedern“

Vor Kurzem zitierte ich bei einem Telefonat eine Liedstrophe. Prompt reagierte die ältere Dame so: „Das Lied hat unsere Mutter uns jeden Abend vorgesungen!“ Also ein Wiegenlied? So war es wohl gemeint, auch wenn es sich nur um eine einzelne Strophe des Liedes „Nun ruhen alle Wälder“ handelte, das in der Originalfassung neun (!) Strophen hat.

Das Lied wurde schon vor 375 Jahren veröffentlicht und erlebte dann eine wechselhafte Geschichte. Jemand nannte es den „Märtyrer unter den Kirchenliedern“, denn nicht nur Sprache, sondern auch Inhalte passten nicht in das Weltbild der späteren Aufklärung und des Rationalismus. „Die Erde ist doch keine Scheibe!“ Oder: „Wie kann man denn Tiere und dann erst die Menschen erwähnen?“ Man hat den Text an das „aufgeklärte“ Weltbild angepasst, bis zur Unkenntlichkeit.

Als die Gesangbücher einer solchen weltanschaulichen Zensur unterworfen wurden, protestierten viele. Das ließ selbst Friedrich den Großen nicht ganz unbeeindruckt: „Ein jeder kann bei mir glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist. Was die Gesangbücher angeht, so stehet einem Jeden frei, zu singen“ – hier nennt er das Lied „Nun ruhen alle Wälder“! – „oder dergleichen dummes und törichtes Zeug.“

Bedrohlicher Gegensatz

Ein Blick auf die einzelnen Strophen des Liedes zeigt: Meist sind darin Aussagen gegenübergestellt. Mir kam der Bibelvers 1. Mose 8,22 in den Sinn: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“. Da sind immer zwei Begriffe miteinander verbunden, die aber inhaltlich sehr unterschiedlich sind.

Im Lied „Nun ruhen alle Wälder“ wird eines dieser Wortpaare sogar als bedrohlicher Gegensatz benannt („die Nacht, des Tages Feind“). In den meisten Strophen ist zuerst von alltäglichen, irdischen, weltlichen Dingen die Rede, dann aber geht es in der Regel um eine geistliche, ja himmlische Perspektive, geprägt von dem biblischen Impuls: „Herr, … lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen“ (Psalm 90,1.12).

In der – leider nicht in allen Büchern zu findenden – Strophe sieben wechselt der Text hinüber von einer Beschreibung zum Gebet. Und dann folgt jene Strophe, die ganz vielen – um ein anderes Lied zu zitieren – „von Kindesbeinen an“ vertraut ist. Hier handelt es sich offensichtlich um ein Abendgebet für ein Kind, ein kleines Kind. Darin werden drei Bitten genannt. Sie richten sich an den, der gesagt hat: „Lasset die Kinder … zu mir kommen“. Sein Handeln wird hier mit dem liebevollen Einsatz eines mütterlichen Lebewesens verglichen, das sich fürsorglich um seinen Nachwuchs kümmert. Bei der Analyse dieser Strophe entdeckte ich etwas Neues.

Besondere Strophe

Paul Gerhardt, Dichter des Liedes, hatte in schwierigen Zeiten für viele Jahre Unterkunft bei einer Familie gefunden. 1647, also noch vor dem Ende des 30-jährigen Krieges, erschien das Lied „Nun ruhen alle Wälder“ in einem Gesangbuch. Knapp zwei Jahre zuvor, nämlich am 12. Januar 1645, war jene Familie mit einem Enkelkind beschenkt worden.

Wenn man den damaligen Gebrauch poetischer Stilmittel berücksichtigt, findet man in dieser besonderen Strophe die Monogramme, also die Anfangsbuchstaben der Vor- und Nachnamen vom Großvater und vom Vater des Kindes. Diese Buchstaben werden in den ersten beiden Versen der Strophe betont hervorgehoben: A B J F. Der Opa hieß Andreas Berthold, dessen Schwiegersohn und nun Kindesvater Joachim Fromm. Beide Vornamen wurden übrigens, wie damals üblich, an das Kind weitergegeben! Das Lied ist also ein Geschenk an die Familie.

Den eigenen Namen „versteckt“

Die bis heute mit dem Lied verbundene ältere Melodie von Heinrich Isaac („Innsbruck, ich muss dich lassen“) war allgemein bekannt. Hat Gerhardt sein Lied der Familie vorgesungen? Wer weiß es … Auffällig ist auf jeden Fall, dass in der dem Gebet folgenden, letzten Strophe noch ein Wunsch für die gesamte Familie geäußert wird. Und hier sind nun die Namenskürzel aller Angehörigen enthalten!

In der letzten Zeile hat Gerhardt seinen eigenen Namen „versteckt“, nicht als Monogramm, sondern als Kryptogramm. Das bedeutet: Alle Buchstaben seines Nachnamens sind enthalten! Und zwar in der – für Akademiker damals üblichen – „lateinischen“ Form. So endet sein Name mit -us.

Text: Günter Balders


Hier findest du gute Gedanken zu weiteren altbekannten Chorälen und christlichen Liedern.

Falls du die Liederschätze auch anhören möchtest, dann kannst du im SCM-Shop vorbeischauen. Der SCM-Shop gehört wie Jesus.de zur SCM Verlagsgruppe.

2 Kommentare

  1. Hallo!
    Wenn es neun Strophen gibt, wo ist dann die neunte Strophe? Ihr habt nämlich den Refrain, der dem Lied den Namen gibt als Strophe 1 bezeichnet.
    Gruß, Peter

    • Hallo Peter,

      danke für dein Feedback. Das Lied wird überall mit den neun Strophen, die wir haben, angegeben. Sogar der Erstabdruck im Gesangbuch Praxis Pietatis Melica von 1660 kennt nur diese neun Strophen. Allerdings scheint dort durchaus die erste Strophe der Refrain zu sein, gleichzeitig wird der Refrain aber als erste Strophe gezählt (siehe Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Nun_ruhen_alle_W%C3%A4lder).

      Liebe Grüße,
      Pascal vom JDE-Team

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