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75 Jahre Israel: „Dieses Jahr wird ein Schlüsseljahr“

In Jerusalem treffen die drei großen monotheistischen Weltreligionen aufeinander. Der Hass wächst, sagt der Mönch Nikodemus Schnabel, aber auch die Solidarität. Er sieht den Staat Israel am Scheideweg.

Abt Nikodemus, Sie wohnen in Jerusalem. Fühlen Sie sich in diesen Monaten dort am richtigen Platz? 

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Nikodemus Schnabel: Ja, absolut, ich fühle mich immer am richtigen Platz. Wenn Sie darauf anspielen, dass es gerade spannungsreich ist: Ich kenne Jerusalem als eine Stadt, die immer ein Auf und Ab erlebt. Es ist eine tief verwundete Stadt, aber es gibt immer wieder Heilungsprozesse.

Jerusalem ist auch eine Stadt der Beter. In dieser Jahreszeit besinnen sich die drei abrahamitischen Weltreligionen voller Sehnsucht zurück auf das, was trägt. Es könnte wunderschön sein, zum Verlieben. Aber es gibt auch diejenigen, die nationalistisch kleinkariert die Stadt verzwergen wollen. Das hat Jerusalem nicht verdient.

Jerusalem ist eine heilige Stadt für Juden, Muslime und Christen und immer auch Zankapfel für die Religionen. Wie erleben Sie das Miteinander? 

Schnabel: Es gibt die Ungleichzeitigkeiten, da muss man unterscheiden. Zu den tiefreligiösen Menschen, den Betern ist das Verhältnis wunderschön. Ökumene macht richtig Freude. Es gibt eine Entwicklung hin zu einem starken geschwisterlichen Miteinander. Interreligiös bin ich dankbar für jüdische und muslimische Freunde, für Menschen, die Gott suchen und wie ich sehen, dass wir auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind.

„Der Hass wächst, wir haben eine Reihe anti-christliche Attacken in der Heiligen Stadt erleiden müssen. Zum Glück wächst auch die Solidarität.“

Nikodemus Schnabel

Demgegenüber stehen Menschen, leider sind sie Teil der israelischen Regierung, die ihre Identität vor allem durch Abgrenzung bestimmen. Das tut weh. Der Hass wächst, wir haben eine Reihe anti-christliche Attacken in der Heiligen Stadt erleiden müssen. Zum Glück wächst auch die Solidarität. Ich hatte noch nie so viele jüdische Freunde, die sagen: „Was diese Leute sagen, ist Blasphemie.“ Aber leider folgen den Worten besonders extremistischer Regierungsmitglieder auch Taten. Deswegen muss sich die Regierung dem Vorwurf stellen, durch ihr verbales Zündeln auch Früchte des Hasses gesät zu haben.

Sie haben kürzlich gesagt: „An Palmsonntag fühlt sich Jerusalem als christliche Stadt an.“ Das ist aber der einzige Tag im Jahr, oder? 

Schnabel: Exakt. Unzählige Pilger vollziehen dann den Einzug Jesu in Jerusalem nach. Es geht aber auch um ein Bekenntnis: Jerusalem ist auch unsere Stadt. Wir Christen sind keine Gäste. Hier verorten wir das Letzte Abendmahl, die Kreuzigung, Grabesruhe und Auferstehung von Jesus Christus. Wir glauben nicht an ein Buch, wir glauben an den realen, Mensch gewordenen Gott, der hier auf der Erde gelebt hat. Mein Wunsch ist, dass Jerusalem nicht nur eine jüdische, muslimische, sondern auch eine christliche Stadt ist – weil sie auch für unseren Glauben zentral ist.

Jerusalem - Felsendom und Altstadt
Jerusalem (Foto: Pixabay)

Wie schätzen Sie die gesellschaftspolitische Lage ein: Wie wird der 75. Geburtstag des Staates Israel? 

Schnabel: Ich bin ein großer Fan der Staatsgründungsidee. Israel ist die Lebensversicherung für Juden weltweit, damit den Enkeln nicht passiert, was den Großeltern passiert ist. Wenn der Antisemitismus irgendwo zu groß wird, kann jeder Jude nach Israel fliegen und dort angstfrei seinen Glauben leben.

Aber die Gründungsidee hatte immer dieses weite Herz: Auf dem Staatsgebiet sollen auch Drusen, Muslime, Christen, Tscherkessen, Bahai, Samaritaner oder Karäer gut leben. Was mir Angst macht, ist das, wofür die gegenwärtige Regierung steht. Da ist die Parole: Israel den Juden, Nichtjuden raus! Israel steht vor der Entscheidung: Wo will dieser Staat hin? Dieses Jahr wird ein Schlüsseljahr. Aber ich bin Optimist.

Sie haben Hoffnung, dass Israel am Scheideweg richtig abbiegt? 

Schnabel: Das kann ich sagen. Vielleicht ist es mein Mönchsein: Ich hoffe wider aller Hoffnung und vertraue wider aller Enttäuschungen, dass die Gebete um Frieden und Versöhnung nicht unerhört bleiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Jörg Podworny.

Der deutsche Benediktiner-Abt Nikodemus Claudius Schnabel leitet sei Februar die Domitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem.


Dieses Interview ist in der Zeitschrift lebenslust erschienen. Lebenslust ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

11 Kommentare

  1. In Israel zu leben ist ungeheuer anstrengend. Der internationale Druck, die Angst vor Gewalt, die Hetzreden der Religiösen, bis zu sechzig Prozent Steuern an den Staat, die Militarisierung der Gesellschaft, die vielen harten Gesichter, die nur Feinde wahrnehmen, nur noch auf Rache und Vergeltung pochen. Modern übersetzt: Glaube ist eine Frage der Geografie.

  2. Israel ist ein geschichtliches Wunder

    Ich liebe Israel. Drei mal haben ich in meinem Leben das Land in Studienreisen, die auch so etwas wie pilgern enthielten, gerne bereist. Israel aber besitzt derzeit die komplizierteste Regierung, mit den größten Risiken, weil Mehrheit in dem mehr als 30 Parteien-Parlament immer nur mit den aller-radikalsten Partnern funktioniert. Vielleicht ist Israel aber nur jenes, was wir deutlich weniger komprimiert in Europa und Deutschland erleben. Dort wo die Fundamente des Glauben mit Abraham und Moses gelegt wurden und Jesus als menschgewordener Gott sein überaus liebevolles Gesicht zeigte, gibt es keine anderen Probleme wie bei uns (nur unendlich komprimierter): Religiöser Fundamentalismus (Glaube also ohne Liebe), politisch radikale Parteien, Rassismus und Antisemitismus. Auch nicht mehr als 3 % jüdischer Menschen praktizieren in Israel, wie hierzulande wir Christinnen und Christen, auch ihren jüdischen Glauben. Doch selbst die Moslems gehen nicht alle immer freitags zur Moschee. Dass lediglich die Religionen in Israel Schuld trügen jeden als Feind zu sehen, ist deswegen ein völlig untaugliches Argument. Moslems wären genauso friedlich wie Juden und Christen, wenn sie denn ihren gemeinsamen Glauben an einem sehr barmherzlichen Gott leben würden. Wer Israel bereist, bekommt überall und an jeder Ecke der Geschichte des Landes stets erzählt, dass es nicht (ganz) so war wie es in der Bibel steht. Darum geht es beim Glauben auch gar nicht: Es geht im Glauben darum, Gott selbst – nicht nur in den Überlieferungen – sondern ganz persönlich in der eigenen Seele zu begegnen. Dazu verhilft bereits das deutlich werden der zwei Exile, dann sogar die Zerstreuung in alle Welt der Israeliten und die wundersame Rückkehr in das Land der Väter. Die Existenz Israels ist ein geschichtliches Glaubenswunder. Allerdings: Nirgends gib es so viel Hass zwischen den Ethnien, aber auch nicht so viele Friedensbewegte unter den Israelis (auch gemeinsam mit Christen und Moslems) – heruntergebrochen auf die Bewohner des Landes. Was uns Christen mit jüdischen Menschen eint, dass der noch für Israel erwartete Messias sich wahrscheinlich mit dem in Person gleicht, der als Jesus Christus wiederkommt: Auch wenn man ein Stadttor in Jerusalem zumauerte, um eben dies zu verhindern. Am Ende wird dann alles gut. Aber dieses Ende wird vielleicht – bildlich – so sein, wie wenn die Menschheit als unansehnliche Raupe sich verwandelt in einen bunten Schmetterling. Ich habe gelesen, das Symbol der Christen in der Urgemeinde sei der Schmetterling gewesen. Als Symbol dafür, dass das ganze Universum in einen völlig neuen Himmel und eine neue Erde verwandelt wird. (Im Übrigen teile ich auch die Meinungen von Mark und Dieter)

    • kleine Korrektur: laut Bundeszentrale für politische Bildung sind 30% der Juden tiefreligiös !

  3. Ich fürchte, dass zu viel Politik den Glauben tötet, und ein Mensch gewordener Gott auf mystische Weise unter uns weilt, aber nicht eingreift, wie zu biblischen Zeiten.

    “ Sie haben Hoffnung, dass Israel am Scheideweg richtig abbiegt? “

    Was zählt ist nicht die Hoffnung, sondern unsere Realität, und diese ist nicht besonders hoffnungsverheißend.

    “ Da ist die Parole: Israel den Juden, Nichtjuden raus! Israel steht vor der Entscheidung: Wo will dieser Staat hin?“

    Diese Parole macht Angst, aber es lohnt sich darüber nachzudenken, und nach Wahrheit zu forschen, statt auf Parolen zu hören !

    P.S. Ein wunderschönes Foto..
    Wie ein Stern am fernen Horizont! :

  4. Lieber Martin,
    die „starke geschwisterliche Verbundenheit“ bezog sich auf die Beter in der Ökumene !
    Herzliche Grüße
    Heinrich-H.Albert

  5. Eine radikal-religiöse Minderheit erpresst den großen Rest. Ein gläubiger, korrupter Ministerpräsident macht‘s möglich.
    Um das „Wohl des Volkes“ geht es nicht.

  6. Ich wüsste nicht, dass die israelische Regierung die Religionsfreiheit einschränken will, die Drusen sind dem Staat gegenüber loyal, die Mehrzahl der Christen sieht in den Juden die älteren Geschwister im Glauben. Kritisch sind die Muslime im Land und außerhalb, die wollen die Juden ins Meer treiben und ihr „Palästina“ zurück ! Natürlich gibt es auch hier viele moderate Leute, die ein ruhiges Leben führen möchten und sich mit dem Judenstaat arrangiert haben, aber hier liegt die eigentliche Wurzel des Problems. Das bedeutet nicht die israelische Politik in allen Punkten gutzuheißen. Neben dem Uralt-Konflikt mit den Arabern kommt seit kurzem die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen religiösen und säkularen Juden dazu, der das Land beinahe zerreißt. Ich wage es nicht eine Prognose abzugeben, ein weiterer Krieg wäre denkbar, der würde paradoxerweise die Einheit im Land fördern. Ein Auseinanderfallen des Staates Israel halte ich für unwahrscheinlich, aber auch diese Meinung gibt es. Die Staatsgründung 1948 war ein Wunder vor „unseren“ Augen, ebenso die „Eroberung “ Jerusalems, schier nicht vorstellbar, dass dies alles für die Katz war. „Wünschet Jerusalem Glück“ ! Unser Gott hält alles in seiner Hand, Israel ist sein Augapfel und zum Ende hin wird sich alles wunderbar fügen !

    • Lieber Herr Schnabel wenn ich an Israel denke, dann bin ich so dankbar, Jesus ist fuer uns als Suender gekommen, und hat unseren Schuld bezalt.

  7. „Es gibt eine Entwicklung hin zu einem starken geschwisterlichen Miteinander.“

    Lieber Herr Schnabel, interreligiös ist mit Sicherheit nicht im Sinne des allgewaltigen Gottes, der seinen Sohn, zur Rettung aller Menschen in die Welt gesandt hat. Wenn der eine Gott einen Sohn hat und der andere nicht, müssen es zwei verschiedene Götter sein. Wenn wir den Sohn Gottes ausblenden, finden wir „schnell“ zu starkem geschwisterlichen Miteinander! Was für eine Lüge.

    Lieber Gruß, Martin

    • „interreligiös ist mit Sicherheit nicht im Sinne des allgewaltigen Gottes, “ Aha. Und das bedeutet was? Im AT galten umfassende Rechte für „Fremde“, auch Anhänger anderer Religionen. gastrecht etc. – inklusive Bewirtung und Schutz. Was ist interreligiös? Im AT hätten Juden natürlich Menschen beherbergt, die andere Götter verehrten. Was tue ich also mit meinem muslimischen Nachbarn? Dem Bahai in der Wohung über mir oder dem Agnostiker im Erdgeschoss?

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