Mit einem Herzinfarkt kommt Uwe Heimowski ins Krankenhaus. Kaum geht es besser, da bringt eine Email seinen Puls auf 180.
Von Uwe Heimowski
Man hätte die Vorzeichen erkennen können. Natürlich. Kurzatmigkeit schon bei geringen Belastungen, der Blutdruck ließ sich im dauergeröteten Gesicht ablesen, die Leistungskurve neigte sich zunehmend nach unten – entgegengesetzt zur Fülle der Aufgaben. Aber: Ich hatte schon immer etwas Asthma, also sprayte ich fleißig. Und es war ja auch kaum Zeit …
Dann kam dieser Tag im Dezember. Unsere Jüngste feierte ihren 11. Geburtstag. Ich war zwischen zwei Terminen eilig nach Hause gekommen. Nach einem ausgiebigen Frühstück spielten wir ein Spiel. Da klingelte der Postbote und lieferte ein Paket ab. Ich trug es die drei Treppen zu unserer Wohnung hinauf, als mir plötzlich schwindelig wurde. Schweiß brach aus, in meiner Brust wurde es immer enger und ein Wahnsinnsschmerz raste durch den Oberkörper. Wir riefen den Notarzt. Die Diagnose: Herzinfarkt. In der Klinik bekam ich Medikamente für den Blutdruck, der über 200 gestiegen war, dazu eine hohe Dosis Aspirin. Langsam beruhigte sich mein Körper und die Schmerzen ließen nach.
Eine Nachricht treibt den Puls in gefährliche Höhen
Am nächsten Tag wurden ein Herzkatheter gelegt und mehrere Stents eingesetzt. Danach lag ich zur Beobachtung auf der Intensivstation, angeschlossen an ein EKG, ein Blutdruck- und ein Pulsmessgerät. Stündlich ging es mir besser. Allerdings wurde mir langweilig. Nach einer Weile schnappte ich mir mein Smartphone und scrollte durch meine E-Mails. Plötzlich fingen die Messgeräte an, lauthals zu fiepen und zu blinken. Die Schwester stürzte ins Zimmer. Der Puls war in die Höhe geschossen und mein Blutdruck war – buchstäblich – auf 180.
Was war passiert? Ich hatte eine Nachricht von einem bekannten und sehr engagierten Christen gelesen. Eine ellenlange Kritik an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, und er forderte mich auf, da in Berlin „mal richtig Druck“ zu machen.
Nun bin ich Politikbeauftragter, und es ist mein Job, dass ich die berechtigten Anliegen der Geschwister aufnehme und vertrete. Und sicher war der Zeitpunkt denkbar ungünstig, um diese E-Mail zu lesen – dafür kann ja der Absender nichts (diesen Artikel schreibe ich in der Reha, bin wirklich dabei, hier mehr auf mich zu achten …). Aber für mich war dieser Moment dennoch ein echtes Aha-Erlebnis. In mehrfacher Hinsicht:
Erstens: Ich bin erschrocken, dass ich die Veränderungen in meinem Körper nicht bemerkt habe. Ohne die Messgeräte wären mir die hochgeschossenen Werte nicht aufgefallen. Ich hatte mich wohl zu sehr daran gewöhnt. Wie der Frosch, den man ins kalte Wasser setzt und dann langsam zum Kochen bringt. Meine Frage in diesem Zusammenhang: Was ist mit uns Christen los, wenn wir meinen, dass unser politischer Auftrag vor allem darin besteht, Druck zu machen? Sollen wir nicht vielmehr Verantwortungsträger segnen? Sie unterstützen? Ihnen Mut machen, sie entlasten? Warum sind unsere Beiträge oft so fordernd, nicht selten frontale Angriffe? Wie halten unsere Bundeskanzlerin, ein Gesundheitsminister zu Corona-Zeiten, die vielen engagierten Politikerinnen und Politiker es eigentlich aus, unter permanentem Druck zu stehen? Muss hier nicht der Glaube und der Beitrag der Gläubigen zu einem Ventil werden können statt zu einem Druckverstärker?
„Friendly fire“ ohne die Spur einer Lösung
Zweitens: Mein Blutdruck schoss nicht schon bei den vorherigen E-Mails in die Höhe, sondern erst beim „friendly fire“, bei der Nachricht eines „Verbündeten“, eines anderen Christen. Wie kommt das? Natürlich hatte ich eine Vorgeschichte mit dieser Person, da liegt es dann näher, sich den Inhalt „zu Herzen zu nehmen“. Aber das alleine war es nicht. Es war der Duktus. Die ganze E-Mail war von einem (vermeintlichen) Wahrheitsanspruch durchzogen. Hier wusste einer ganz genau, was Sache ist. Er zählte detailliert auf, was alles falsch lief (und vergaß, ganz nebenbei, eine Lösung anzubieten). In den vergangenen Monaten habe ich etliche solcher und ähnlicher E-Mails und Briefe bekommen. Christen, die von Gott her genau zu wissen meinten, dass Bill Gates der Antichrist sei, und das neue Infektionsschutzgesetz ein geplanter Schritt zur Verfolgung von Christen in der westlichen Welt und so weiter und so fort. Ein paar Spinner hast du immer. Aber hier waren durchaus Menschen dabei, die ich bisher als seriös und vernünftig wahrgenommen hatte. Wie kann das sein?
Ausgerechnet Christen, die doch wissen müssten, dass Gott die Welt in Händen hält (um mit Karl Barth zu sprechen: „Es wird regiert“), werden plötzlich zu Verschwörungstheoretikern und treten dabei mit einem Wahrheitsanspruch auf, der keine Widerrede zulässt. Der Druck, mit dem sie andere bearbeiten, hat nichts, aber auch gar nichts mehr von der Frohen Botschaft des Evangeliums.
Drittens: Ich will nicht müde werden, Brücken zu bauen zwischen Politik und Christen. In beide Richtungen. Aber eins habe ich verstanden – ich werde diejenigen aus meinem Verteiler löschen, die nicht gesprächsbereit sind, sondern dich nur zuschütten mit ihren Erkenntnissen. Freunde, Jesus ist die Wahrheit. Wir haben sie nicht gepachtet.
Uwe Heimowski (56) vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern.
Dieser Artikel ist zuerst im Magazin MOVO erschienen. MOVO wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.
Liebe Jutta Schierholz,
ich sage es einmal locker vom Hocker: „Ihr Wort in Gottes Gehörgang“! Wir sollten uns als Christinnen und Christen nicht allzu schnell in Denkschubladen gegenseitig einordnen, die nicht der Einheit im Geist, sondern eher dem Unfrieden dienen. Ich bin kein Theologe (ich muss kein Blatt vor den Mund nehmen), ich denke und glaube evangelikal, aber ich halte die Auslegung der ganzen Heiligen Schrift nicht nur für legitim, sondern für absolut notwendig. Wir Jesusnachfolger*innen sollten mehr miteinander reden über das, was wir wirklich denken. In der Kirche Jesu Christi, die alle Konfessionen und Kirchen weltweit umfasst, sollte die Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen an erster Stelle vor einer Überhöhung des Dogmatischen stehen. Bevor liberale und evangelikale Christen nicht mehr miteinander beten und arbeiten, kann man von der Welt nicht erwarten, dass sie die Schwerter zu Pflugscharen macht. Wir haben weder auf diesem kleinen Planeten in Gottes unendlicher Welt eine Heimstatt, noch besitzen wir die absolute Wahrheit. Wir verkündigen keine absolute Wahrheit, sondern die Wahrheit der Liebe Gottes. Diese Wahrheit der Liebe Gottes eignet sich nicht dazu, über andere Menschen im Namen des Glaubens und/oder der Kirche (ungerechte) Herrschaft auszuüben. Christi und daher auch unsere Herrschaft wäre eher das Dienen und wenigstens in unserem Umkreis ein wenig Licht der Welt zu sein, natürlich gerne auch noch mehr. Dies beginnt bereits mit einem kleinen Lächeln und einer Briese Herzlichkeit. Ich selbst wünsche mir mehr Gelassenheit, mich über einfachgestrickten Fundamentalismus genauso nicht mehr aufzuregen wie über jene Leute mit grottenschlechten und langweiligen Predigten – die inhaltlich dünner sind als Krankenhauskaffee – und damit einen immensen Schaden anrichten. Am letzten Sonntag waren in meiner neuen Heimatgemeinde nur 8 Personen im Gottesdienst und vor Corona war das zumeist auch nicht viel besser. Wären wir als Kirche nur eine Firma, müssten wir (geistliche) Insolvenz anmelden. Kein Wunder dass Haupt- und Ehrenamtliche leicht depressiv werden. Der Heilige Geist ist kein Wind aus einem automatisierten himmlischen Gebläse, sondern man muss ihm auch selbst Raum geben: Beten und arbeiten. Diskussion ist immer gut, aber sie sollte fair sein mit Wertschätzung und Achtsamkeit. Christliche Verschwörungstheorien gibt es auch.
Ich kenne Herrn Heimowski nicht, bin aber so dankbar für diesen Artikel! Das macht mir am geisterfüllten Christentum am meisten Sorge, dass von manchen dieser Geschwister die eigenen Überzeugungen als vom Geist inspiriert gewertet werden, und wer vom Geist inspiriert ist, muss ja recht haben! Dass hier möglicherweise nur der eigene Narzissmus zu Tage tritt, wird nicht wahrgenommen.
Ich wünsche Herrn Heimowski weiterhin gute Besserung und danke ihm sehr für diesen Bericht und die deutlichen Worte zum Schluss. Mir steigt auch der Blutdruck bei so manchen Aussagen bekannter Freikirchler und bin froh über diese klare Distanzierung aus der Feder eines ebensolchen bekannten Mannes. Ich hoffe, dieser persönliche, authentische Bericht kann dazu beitragen, dass in so manchen Köpfen wenigstens mal ein Fragezeichen hinter der eigenen Haltung auftaucht.
Erstmals freue ich mich sehr, dass es Uwe Heimowski wieder besser geht und Segen auf Medizin und Therapie lag. Ich hatte mit Hr. Heimowski mal ein sehr nettes, positives Gespräch über seinen Fachbereich.
Zweitens finde ich die Zeilen sehr hilfreich, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin.
Vielen Dank, Uwe Heinowski,
ein guter Artikel. Selbstverständlich hält Gott die Welt in seinen Händen. Modern müssten wir sogar schreiben: Gott hält das ganze riesige Universum in seinen Händen und er wird alles auf Anfang setzen: Mit einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde, einer völlig neuen Schöpfung. Vor diesem Omegapunkt unserer Existenz werden dogmatische Aussagen relativ. Wir dürfen manches wissen, theologisch, philosophisch, kosmologisch und soziologisch, nicht alles ist böse oder falsch. Ich darf hart aber fair dafür streiten, was ich für richtig halte, obwohl ich sehr irrtumsfähig bin. Leider bleibt bei mir die Erkenntnis, dass Verschwörungstheoretiker sich nicht widerlegen lassen. Man wird kaum jemand vom Gegenteil überzeugen können. Auch politische Dogmatiker nicht. Mit einem Kommunisten bin ich vor vielen Jahrzehnten um einen Häuserblock marschiert, eine halbe Nacht lang. Bei manchen Themen lagen wir auseinander, bei anderen gabs Übereinstimmung, aber an einem gewissen Punkt der Diskussion konnte mein marxistischer Freund nur sagen: „Hier stehe ich und kann nicht anders“! An den Grundfesten von solchen Überzeugungen zu rütteln ist kaum von Erfolg gekrönt. Da sollte ich mich nicht allzu sehr aufregen und meinen Blutdruck in die Höhe treiben: Gott hat das ganze Universum in seiner Hand und ich oder andere sind hierbei nicht seine Berater*innen.