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Bibellesen: Auf die Genauigkeit kommt es an

Manchmal ist es eine Kunst: Exakt lesen, was in der Bibel steht – und was da nicht steht. Von dieser Kunst hängt viel ab. Es geht um die Botschaft der Heiligen Schrift und manchmal auch um die menschliche Würde.

Von Dr. Ulrich Wendel

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Die Party hat schon vor einer Weile begonnen. Sie stoßen etwas später hinzu. Dicht gedrängt stehen die Gäste um das Buffet. Plötzlich hören Sie unfreiwillig mit, dass ein Gast mit jemand anderem spricht – über Sie! Darüber, was Sie so tun und was für ein Typ Sie sind. Sie wissen: Ja, dem bin ich schon ein paarmal begegnet. Und es ist nicht alles falsch, was er sagt. Aber – eigentlich bin ich doch gar nicht so, wie er mich schildert! Das ist doch alles viel zu pauschal! Wieso glaubt der, mich zu kennen?

Unklar, unscharf, ungenau

Eine erfundene Szene. Sie zeigt aber, wie empfindlich es uns trifft, wenn man uns beschreibt und dabei nur im Ungefähren bleibt. Es tastet schon ein Stück unserer Würde an, wenn wir nur mit Klischees abgestempelt werden. Sich mal näher mit uns zu beschäftigen und dabei genauer hinzuschauen, das wäre doch nicht zu viel verlangt – wenn schon jemand meint, etwas über uns sagen zu müssen.

Gründlich und treffsicher lesen – das wäre ein Segen: der Segen der Genauigkeit.

Mit der Bibel ist es nicht anders. Immer wieder passiert das: Wir werfen einen Blick hinein und meinen schon zu wissen, was da steht. Doch oft haben wir es nur so ungefähr getroffen. Manchmal liegen wir auch ganz daneben. Gründlich und treffsicher lesen – das wäre ein Segen: der Segen der Genauigkeit.

Vorauseilender Ruf

Beispiele gibt es viele: Immer wieder werden Menschen der Bibel im Rahmen eines Klischees gesehen. So ist es mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen, von der das vierte Kapitel des Johannesevangeliums erzählt. In der Mittagshitze, wenn sonst keiner den Schatten verlässt, schöpft sie Wasser aus dem Brunnen. Jesus begegnet ihr, und im Lauf des Gesprächs sagt er über sie, dass sie schon fünf Männer gehabt habe – und mit ihrem jetzigen Partner gar nicht verheiratet sei.

Schnell haben wir uns ein Bild von dieser Frau gemacht. Und in unzähligen Predigten wird es wiederholt: Das ist eine Frau, die zu keiner dauernden Bindung in der Lage ist. Eine, die einen Mann nach dem anderen verschleißt. Eine Schlampe! Ein Vamp! Kein Wunder, dass sie sich nicht gemeinsam mit anderen zu einer vernünftigen Morgen- oder Abendzeit an den Brunnen traut. Bei dem Ruf, den sie hat!

Eine Frage der Ehrfurcht

Die Frage ist aber: Erzählt uns das Johannesevangelium diese Geschichte? Oder haben wir sie hineingelesen? Wenn eine Frau damals ihren Mann verlor, hatte das meist nicht den Grund, dass sie ihn verließ, um sich einem anderen zuzuwenden. Häufiger kam vor, dass der Mann sie verstieß.

Auch Witwen waren damals zahlreich – einige Männer der Samaritanerin konnten schlicht verstorben sein. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Geschichte dieser Frau aus vielschichtigen Erfahrungen bestand: geschieden, verstoßen, verwitwet. Nicht gerade das, was man eine „gute Partie“ nennt – die Chancen für eine erneute Ehe standen wohl nicht gut.

Entscheidend ist aber, dass der biblische Bericht sich mit dieser Geschichte überhaupt nicht aufhält. Dass sie jetzt unverheiratet mit einem Mann zusammenlebt, das kritisiert Jesus durchaus, und diese Kritik akzeptiert die Frau auch (Vers 29„was ich getan habe“). Doch die vorhergehenden Beziehungen werden gar nicht bewertet.

Die Erzählung setzt ganz andere Akzente: Sie schildert eine Frau, die in theologischen Fragen bewandert ist und mit der Jesus auf Augenhöhe über die richtige Art der Anbetung diskutiert. Jesus nimmt sie ernst.

Wir nehmen dieser Frau auch ihre Würde.

Wenn wir diesen Bericht aufgrund unserer Vorurteile gegen den Strich bürsten, verpassen wir nicht nur das, worauf es ankommt. Wir nehmen dieser Frau auch ihre Würde. Genau zu lesen wäre eine Sache der Ehrfurcht – auch der Ehrfurcht vor Gottes Wort.

Zu viel Körperkontakt

Ähnlich verhält es sich mit einer anderen Frau, die auf Jesus zugeht. Man liegt abends bei einem Gastmahl zu Tisch – und plötzlich kommt sie herein, vergießt ihre Tränen auf die Füße von Jesus, trocknet diese mit ihren Haaren, küsst sie und salbt sie mit Öl, das aus einem teuren Flakon kommt. Frivoler geht es kaum. So viel Körperkontakt! Und wieso konnte sie sich das teure Flakon leisten?

Der Berichterstatter Lukas sagt, sie sei eine stadtbekannte Sünderin. Seitdem zählen Lesende eins und eins zusammen und sind sich sicher: Das ist eine Hure! Diese Deutung hat sogar Einzug in manche Bibel gehalten, wenn der Abschnitt (Lukas 7,36-50) überschrieben wird mit „Die Hure und der Pharisäer“ oder ähnlich.

Hure oder Frau?

Doch auch hier müssen wir fragen: Erzählt uns die Bibel das? Warum denken wir bei „Sünderin“ sofort an eine Prostituierte? Als Sünder wurde man schnell tituliert, wenn man den Vorschriften der Pharisäer nicht entsprach. Und auch abgesehen von diesen Vorschriften: Die Frau konnte sich zum Beispiel mit Zauberei beschäftigt haben. Oder sie konnte notorisch klatsch- und streitsüchtig sein. Hat sie andere verleumdet? Hat sie gestohlen?

All diese Fragen gehen an der Erzählung völlig vorbei. Jesus allerdings sagt durchaus etwas über sie, als er den Pharisäer anredet. Er sagt: „Siehst du diese Frau?“ – Diese Frau. So wird sie tituliert. Und vielen Predigten würde es guttun, wenn sie nicht über das hinausgingen, was Jesus über sie sagt. Jesus würdigt „diese Frau“ und wir würdigen sie ebenfalls, wenn wir sie so sehen, wie der biblische Bericht sie uns sehen lehrt.

Notorischer Zweifler?

Es sind nicht nur Frauen, die vom Segen der Genauigkeit profitieren würden (und bei denen wir aus diesem Segen Nutzen ziehen können). Thomas ist genauso betroffen. Wer kennt ihn nicht, den „ungläubigen Thomas“? Wenn er nicht sieht, dann will er nicht glauben. Über diese Haltung muss er hinauswachsen – Jesus sagt ja: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig. … Glücklich sind die, die nicht sehen und doch glauben.“ (Johannes 20,27-29). Aber ist das schon die ganze Geschichte?

Er ist leidensbereit und nimmt sogar den Tod in Kauf.

Bereits früher ist Thomas im Johannesevangelium aufgetreten. Als Lazarus, der Freund von Jesus, gestorben ist, will Jesus nach ein paar Tagen Verzögerung endlich nach Judäa gehen. Das ist gefährlich, und die Jünger befürchten, man werde ihn umbringen. Als Jesus bei seinem Plan bleibt, sagt Thomas: „Lasst uns auch gehen, um mit ihm zu sterben.“ (Johannes 11,16).

Dieser Satz hat einen doppelten Klang. Er hört sich einerseits resigniert an. Doch andererseits zeigt sich Thomas voll solidarisch mit Jesus. Er ist leidensbereit und nimmt sogar den Tod in Kauf, um Jesus treu zu bleiben. Später hat Thomas den Mut zuzugeben, dass die Jünger nicht verstehen, was Jesus sagt.

Ehrliche Fragen

„Wir wissen nicht, wohin du gehst.“ (Johannes 14,5). Er spricht für alle, aber nur er bekommt den Mund auf. Und das hat sich gelohnt, denn jetzt spricht Jesus den Satz aus, der unzähligen Menschen seitdem geholfen hat, ihn klarer zu sehen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Vers 6).

Warum hat Jesus das gesagt? Weil Thomas ihm eine Frage gestellt hat. Ihm „verdanken“ wir also diesen christologischen Grund-Satz! Thomas, der Zweifler? Der Ungläubige? Er war wohl eher eine ehrliche Haut. Jesus weiß ihn zu nehmen – und so werden die Berichte über ihn zur Seelsorge für uns heute.

Die Kunst des Sehens

Der Theologe Adolf Schlatter (1852–1938) hat von der „edlen, schweren Kunst des Lesens“ gesprochen. Im Zentrum seiner Theologie stand der „Sehakt“, das heißt der Vorgang des Sehens, des genauen Wahrnehmens. Was er von der theologischen Wissenschaft fordert, gilt genauso auch für jedes vor-wissenschaftliche Bibellesen: „Wissenschaft ist erstens Sehen und zweitens Sehen und drittens Sehen und immer und immer wieder Sehen.“

Vorurteile und Klischees abwerfen, ist ja auch in der Begegnung zwischen Menschen entscheidend.

Das ist der einzige Weg, um unsere Vorurteile, die sich unwillkürlich einschleichen, zu überwinden. Der einzige Weg auch, aus den Bahnen der vorgefertigten Klischees auszubrechen und das zu erkennen, was Gottes Wort uns eigentlich sagen will.

Damit gewinnen wir aber noch etwas anderes: Vorurteile und Klischees abwerfen ist ja auch in der Begegnung zwischen Menschen entscheidend. Wenn wir unseren Blick für das, was da steht und was nicht da steht, an der Bibel schärfen, kommt das auch unserem Umgang miteinander zugute. Auch da können wir Bilder abstreifen, die wir uns voneinander gemacht haben. Die biblische Schule des Hinsehens wird so zu einer Schule der Begegnung. Das kann dem Umgang von Christen miteinander viel von seiner Schärfe und seinem Verletzungspotenzial nehmen.

Mensch liest Bibel
Foto: Rod Long / Unsplash

Altes versus Neues Testament

Genau hinsehen: Hier sind zuerst die Bibelübersetzer in der Pflicht. Immer wieder schleichen sich Ungenauigkeiten mit bösen Folgen ein. Sehen wir uns ein Beispiel an. Johannes 1,17 wird in vielen Bibeln so übersetzt: „Denn durch Mose wurde uns das Gesetz gegeben, aber durch Jesus Christus sind die Gnade und die Wahrheit zu uns gekommen.“ Die neue Genfer Übersetzung, hier zitiert, ist da ganz typisch. Bloß: Das „aber“ steht gar nicht im Grundtext!

Dieses Wort „aber“ reißt einen Gegensatz zwischen Mose und Christus auf, zwischen Gesetz und Gnade, zwischen Altem und Neuem Testament. An dieser Stelle ist das aber gar nicht gesagt. Auch das, was Mose gab, ist bereits Gnade gewesen (so Johannes 1,16 im Kontext). Übersetzt man hier ungenau und schummelt das „aber“ hinein, bestätigt man unfreiwillig die alten Klischees vom „gesetzlichen“ Alten Testament, das keine Gnade kennt, und dem Neuen Testament, das dann endlich den gütigen Gott brachte. Wir sehen: Auch hier steht viel auf dem Spiel. Genauigkeit wäre ein Segen.

Schmerz und Segen zugleich

Manchmal sind es also die Bibelübersetzer, die für diesen Segen zuständig sind. Ein alttestamentliches Beispiel: Nach dem sogenannten Sündenfall müssen Frauen und Männer die Folgen tragen. Bei den Frauen sind es die Schmerzen bei der Geburt (1. Mose 3,16). Leicht wird aber übersehen, dass Gott der Frau auch eine Gabe ankündigt.

In die Konsequenz nach dem Sündenfall ist diese Segensverheißung eingewoben.

Wörtlich heißt der Satz: „Überaus zahlreich werde ich deine Mühsal und deine Schwangerschaft machen, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären!“ Ja, zweifellos ist von Mühsal und Schmerzen die Rede. Aber daneben auch von „zahlreicher Schwangerschaft“. Das heißt doch: Der Frau ist Fruchtbarkeit versprochen, sie darf auf viele Nachkommen hoffen. Das ist der Inbegriff des Segens im Alten Testament. In die Konsequenz nach dem Sündenfall ist diese Segensverheißung eingewoben. Sie kommt leider nur in wenigen Bibelübersetzungen zur Geltung.

Kain und Abel

Ein anderes Beispiel zeigt, dass wir schon in unseren deutschen Bibelübersetzungen durch „einfaches“ genaues Lesen die Nuancen erkennen können. Wie war das mit Kain und Abel (1. Mose 4,1-7)? Beide bringen eine Opfergabe dar. Abels Gabe wird von Gott angenommen, Kains nicht. Man hat viel darüber spekuliert, warum Gott diesen Unterschied macht. Hatte Kain nur zweitklassige Feldfrüchte geopfert? Bei Abel steht immerhin, er opferte „von den Erstlingen seiner Herde“, bei Kains Opfer fehlt so ein Qualitätsmerkmal.

Andere glauben, Gott hätte ein Opfer erwartet, bei dem Blut vergossen wird. Abel bringt das auch, während Kain „nur“ Getreide darbringt. Doch all das ist gar nicht entscheidend. Wer genau liest, entdeckt: Gott „blickte auf Abel und auf seine Opfergabe; aber auf Kain und seine Opfergabe blickte er nicht.“ (Vers 4-5).

Gott nicht irgendwelche Interessen unterstellen

Gott interessiert sich also zuerst für die Person und erst dann für die Gabe. Er blickt ins Herz, und was er dort wahrnimmt, macht den Unterschied. Was da auf dem Altar lag, war zweitrangig. Genau lesen bedeutet also: Gott nicht irgendwelche Interessen zu unterstellen, die er dem Wortlaut zufolge gar nicht hat.

Genauigkeit bringt Segen mit sich. Sie hilft, menschliche Würde zu wahren und Gottes Wort zu ehren. Sie ist eine Schule des Respekts. An der Bibel können wir ihn einüben.

Dr. Ulrich Wendel ist Theologe und Chefredakteur des Magazins Faszination Bibel.


Dieser Artikel erschien im Magazin Faszination Bibel. Faszination Bibel ist eine Zeitschrift des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

4 Kommentare

  1. Ich habe begonnen, die Bibel zu lesen, als ich mit meiner eigenen Weisheit am Ende war. In ihr fand ich mein Leben, das sich von dem derer nicht unterschieden hat, die darin zu Wort kamen. Die Gegenwart ist so voll der Bibel, gerade so, als zehre sie von ihrer eigenen Geschichte. Auch das Verhalten der Menschen lässt sich durch die Bibel reflektieren, doch was macht die Bibel zum Buch der ewigen Erkenntnis?

    Wer legt sein Wissen in ihrer Weisheit an und gibt es damit an Gott zurück? Warum bleibt die Bibel ein offenes Buch mit sieben Siegeln? Erzählt sie von all den Tagen, an denen Gott bereits mit uns ist, indem er in uns ruht? Der 7. Tag wird in der Genesis zur Herausforderung an uns, denn was geschieht an diesem Tag? Wir wissen es nicht und doch glauben wir daran, dass es ihn gibt, diesen Tag, an dem der Herr ruht. Trägt uns dieser Glaube immer wieder zum Montag? Wie anders sollten wir die volle Woche erlangen und mit ihr Monate, Jahre eines Lebens, dessen 7. Tag in der Ruhe von Gott liegt, der von uns geboren sein will? Was bringt uns zum Anfang einer Geschichte, deren Ende wir bereits kennen wollen? Wessen Geschichte schreiben wir und wie wurde das sichergestellt?

    Ich glaubte an Gott, doch irgendwie war dieser Glaube so abhängig von einer unbekannten Größe, die mich an einem bestimmten Punkt in meinem Leben überfordert hat. Danach begegnete ich Jesus, ich begegnete ihm nicht, er nahm mich für sich in Anspruch. Das dauert bis heute an und ich lerne immer besser damit umzugehen. Am Anfang landete ich in der geschlossenen Psychiatrie, doch Gott half mir da wieder raus. Heute empfinde ich durch Jesus mein Herz im Dialog mit Gott. Das integriert ein Denken, dass sich mit mir auseinandersetzt bevor es sich kommuniziert. Ich bin sozusagen ein denkendes Wesen, dass erst durch seine Kommunikation immer besser Fuß fassen kann. Am Anfang dieser Kommunikation war es unglaublich wichtig für mich, eine Antwort zu bekommen, doch mit der Zeit kann ich immer besser wahrnehmen, was meine Kommunikation durch Jesus in mir auslöst.

    Es betrifft mich eigentlich nicht direkt, doch ich bin daran gerade in dem Maß beteiligt, das mich trägt. Manchmal wünsche ich mir mehr Resonanz, doch ich glaube, die erfahre ich erst mit der Zeit, die sich über Gott erschließt. Die Bibel ist sein Testament, an dem sich auch mein Leben erfüllt und ich bin unsagbar froh, dass es Jesus gibt, der den Umgang mit ihr pflegen lässt und einarbeitet, was sie lebendig hält.

  2. Vielen Dank, Dr. Wendel für diesen wertvollen Beitrag! Wir sind tatsächlich oft viel zu schnell dabei, Dinge in die biblischen Geschichten hineinzuinterpretieren.

  3. Gott sieht ins Herz

    „Gott interessiert sich also zuerst für die Person und erst dann für unsere Gabe. Er blickt ins Herz, und was er dort wahrnimmt, macht den Unterschied“! Ich denke, wie es hier vom Autor ausgedrückt wird, sollten wir die Haltung Gottes zu uns und damit alles was uns als Gottes Wort überliefert wird, ernsthaft betrachten. Es geht um unsere innere Ernsthaftigkeit, und bei aller unserer Unvollkommenheit um den Willen, aus Gottes Gnade zu leben. Der Schöpfer aller Dinge sieht in unserer Herz, auch in manches was hinter einer harten Schale versteckt wird. Dabei wird aber oft übersehen, dass Gott uns völlig voraussetzungslos, d.h. um unserer selbst willen, wirklich liebt. So begegnet Jesus auch Menschen, denn er ist der Mensch wie ihn sich Gott wünscht. Er begegne ihnen auf Augenhöhe, liebevoll, er trennt sie nicht in die Guten und die Bösen, sodass er sich in das Haus des Zöllners einlädt, in den Augen des damaligen Durchschnittsmenschen unsäglich. Er sieht im ungläubigen Thomas, auch als er ihm nach seiner Auferstehung begegnet, nicht in erster Linie denjenigen mit den Glaubenszweifeln, sondern den Mitarbeiter mit der ehrlichen Haut. Petrus der Jesus verleugnete, bittet er seine Gemeinde zu leiten. In und mit Jesus geht Gott menschlich mit uns um. Was immer über ihn gesagt wird, er kommt nicht wegen unserer oder der ganzen Menschheit Vernichtung, sondern ist am Kreuz für alle Menschen gestorben. Es sollen also alle erlöst werden, weil wir im Leben und auch im Tod nicht an demjenigen vorbei können, der Liebe ist: Wie ein Vater, wie eine Mutter bzw. gute Eltern. Auch sie werden ihre Kinder nicht verstoßen. Auch der Atheist oder sogar der schlimmste Verbrecher auf Erden kann nicht den traurigen Umstand rückgängig machen, dass Gott ihn erschuf. Aber auf Gottes Weise, auf eine die wir nur geringfügig verstehen, wird es am Ende aller Tage Gerechtigkeit geben. Jedenfalls habe ich das Vertrauen, dass Gott nicht wie der Brötchenbecker offensichtlich misslungene Exemplare in den Müll wirft. Liebe und zumal diejenige des Himmels ist immer ein unverdientes Geschenk. Denn Jesus ist für jeden am Kreuz gestorben, nicht nur für die Guten und die Frommen, sondern für die Erlösung der gesamten Schöpfung. Sieben mal siebzig mal sollen wir unserem Nächsten vergeben – es gibt keine Grenze Vergebung (bei uns schon, aber nicht) bei Gott.

  4. Vielen Dank, Herr Dr. Wendel, für diese aufschlußreiche und tief gehende Auslegung.
    In der Tat ist es auch meine Erfahrung, dass man die Bibel nie gründlich genug studieren kann. Allzu oft kommt es erst nach unzähligem Lesen eines Abschnittes zu einem „Aha-Erlebnis“, und da ist es hilfreich, wenn man die Hilfe und das Wissen erfahrener Glaubensgeschwister und/oder eines Theologen in Anspruch nehmen kann.

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