Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die Kolumne von Tom Laengner

Hast du schon einen Sack Salz mit mir gegessen?

Im Krankenhaus lernt Tom Laengner, weniger über Menschen zu urteilen. Ein altes türkisches Sprichwort hilft ihm dabei.

Ich war versucht, die Ergebnisse meines Stuhlgangs zu fotografieren. Das klappte dann aber wegen der Lichtverhältnisse nicht. Meine Losung in weißer Keramik zu hinterlassen, war schließlich Voraussetzung für meine Entlassung aus dem Hospital. Dann bezog Bakir das türnahe Bett in diesem Dreibettzimmer.  Wir waren beide mit gemischten Gefühlen hier.

Der muslimische Maschinenführer teilte seine Angst vor seiner Leisten-OP und schnitt sich später versehentlich bei der Rasur im Intimbereich. Da hatte er doch keine Erfahrung! Tröstlich fanden wir beide, einen Gott zu haben, der uns sieht und dir nicht das Gefühl gibt, einem Gebrauchtwagen gleichgesetzt zu werden, dem eine komplizierte Reparatur verpasst werden muss.

Klappe halten

In seiner alten Heimat, so erinnerte sich Bakir, sage man, dass ein Mensch einen Sack Salz mit einer Person gegessen haben müsse, bevor er ein Urteil über ihn abgeben könne. Da sehe ich den Mann aus Nazareth zustimmend nicken. Dann ging es für Bakir los zur OP und ich zog mich auf das weinrote Kunstledersofa der Besucherkoje zurück. Einen Sack Salz essen? Das hallte in meinem Herzen nach. Ja, so sollte es wohl sein. Klappe halten und dann erst mal einen Löffel Salz in die gemeinsame Suppe. Denn es geht ja um Begegnungen zwischen Menschen.

Ich verstöpselte mich mit meinem Telefon und hörte eine Predigt. Darin sah ein anerkannt gläubiger Mann auf eine Frau. Er sah auf sie herab. Er kannte sie und meinte alles über sie zu wissen. Und er war sich sicher, dass sie nur an einen Platz gehörte. Der befand sich draußen vor der Tür. Und die habe verschlossen zu bleiben.

Ich war der Mann

Doch dann meinte der Prediger: „Dieser Theologe sah die Frau gar nicht; er verachtete sie.“ Diese schlichten Worte ließen mich erschauern und ich drückte die Stopp-Taste. Da ging es um mich. Ich war der Mann. Vielleicht trifft es „verachten“ nicht immer. Aber ich stecke in Schubladen, ich stempel ab, weiß wie ‚die da‘ sind und urteile, beurteile, pflege meine unwesentliche Meinung über Gruppen sowie Einzelne. Ich mache mich lustig, rümpfe meine Nase und lege meine Stirn in Falten. Den Sack Salz hatte ich wenig angerührt und den Blick des Nazareners noch nicht gelernt.

In dieser Nacht schlief ein weiterer Kranker neben mir, laut atmend und schnarchend. Er wälzte sich hin und her. Immer wenn ich dadurch wach wurde, kamen mir Gedanken über ihn. Ich habe sie vergessen, aber sie waren nicht nett.

Tränen fließen

Auch diese Nacht ging irgendwann schlafen. Die Sonne, die Gott für uns alle um sonst scheinen lässt, tauchte den Backsteinbau der Kirche ‚Unsere Liebe Frau vom Siege‘ – den Namen wollte ich niemandem vorenthalten – in ein wundersam goldenes Licht. Währenddessen war Visite und der wilde Schnarcher neben mir berichtete, dass er schon vier Tage so liege. Vier Tage ohne Bewegung! Ich dachte an den Sack Salz, den Blick Jesu auf Menschen und Tränen flossen meine Wangen runter. Dann war ich dran. Vier blaue Kittel standen um mich herum, blieben aber nicht lange.

Vor meinem Abschied hockte ich mich ans Bett von Bakir. Er konnte noch nicht aufstehen, aber strahlte mich an, als ich kam. Wir redeten noch eine Weile miteinander. Er stimmte später auch zu, als ich ihn fragte, ob ich hier beten dürfe, mit ihm, zu Jesus und für uns beide. Ja, wir hatten einander durch unsere Geschichten und die Wertschätzung glücklich gemacht. Und das ist doch schon was im Leben.

Out of the box - weil wir wunderbar gemacht sind

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Tom Laengner

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind" schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.

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2 Kommentare

  1. Ja,der Tom,und sein Herr Jesus!
    Danke Tom das Du Dich in Deiner Kolumne immer wieder nackig machst , in Deine Seele Einblick gibst und die Spannung aufzeigst die zwischen Dir und dem Schöpfer des Universums, teils so bedrückend deutlich wird! Ja ,dieser Gott hat Freunde ,die nicht dem entsprechen was zu Anbeginn der Schöpfung gedacht war und Ja,, er liebt jeden einzelnen mehr als wir uns vorstellen können! Und ich halte es nicht für ausgeschossen ,das ER Dich mehr liebt als mich……Ja und???? Und vielleicht liebst Du IHN viel mehr als ich???
    Liebe Grüsse

  2. Jesus macht keine Unterschiede bei Menschen

    Da bin ich ganz beim Tom Laengner: Nur ein Mensch, der einen Sack Salz mit einer Person gegessen haben müsse, könne ein Urteil über ihn abgeben. In einem anderen Bild könnte man aussagen: Nur wer in den Schuhen eines anderen Menschen gelaufen ist, kann ihn verstehen. Auch ich möchte kein Urteil, vor allem kein vorschnelles, über andere verinnerlichen: Also niemand nach Möglichkeit in eine Schublade einsortieren und zwischen den Menschen unterscheiden: Hier die guten Christen – da die Nichtglaubenden; da Christus – im Gegensatz zu den Moslems. So handelt allerdings auch nicht Gott: Er lässt die Sonne auf alle Leute auch scheinen, die nicht dacor mit ihm sind – oder wie so oft – „die ihn überhaupt nicht kennen“. Ich glaube, Jesus hatte solche Unterschiede niemals gemacht. Deshalb haben ihn die damalig Rechtgläubigen nicht akzeptieren wollen. Er saß mit den angeblich Gottlosen zusammen, den Unreinen, Unanständigen oder den Sündern und Zöllner. Dabei zeigt sich auch in unserer allgemeine Lebenserfahrung: Nicht jeder mit fremder Andersartigkeit, der anderes riecht, isst, aus einer anderen Kultur kommt, ist ein schlechterer Mensch wie wir. Aus der Perspektive anderer Menschen, die uns da einigermaßen fremd gegenüber stehen, haben wir ebenso eine fremde Kultur, essen anders und riechen abweichend. Das Wort von den Messermännern in der Politik ist sehr bösartige Polemik. Im übrigen ist die Gleichheit der Menschen in unserem Bewusstsein sehr sinnvoll und überflüssige Distanz aufhebend, dem Anderen als Gegenüber in einem missionarischen Sinne auch vorzuleben und zu kommunizieren: Lasst euch versöhnen mit Gott. Man kann aber nicht Versöhnung mit Gott predigen und Wände zwischen Menschen ziehen. Dies fängt da an im gedanklichen Einsortieren: Menschen mit anderer Herkunft sind auch unsere Mitmenschen. Im übrigen haben alle Menschen und fühlende Wesen im Universum die gleiche Herkunft: Sie kommen alle von Gott. Wir sind sogar Geist von seinem Geiste. Sodann gehen wir wieder zurück ins alte Paradies, in einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde. Als Wesen die Abbild ihres Schöpfers in der Art des Lebensführung sein sollten, gehen die meisten Probleme auf Erden zurück dass wir jene Ebenbildlichkeit nicht gerne leben möchten.

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