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Hybride Kirche: Remix im Reich Gottes

Die vergangenen zwei Jahre waren für viele Gemeinden sehr lehrreich. Jetzt ist es Zeit, einen Ausblick zu wagen: Wie können die vielen positiven digitalen Erfahrungen ein fester Bestandteil von Kirche werden?

Von Tobias Faix

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Hybridität – ein Begriff mit langer Geschichte und besonderer Aktualität. Ferdinand Porsche entwickelte 1902 den „Mixte-Hybridantrieb“, bei dem ein Verbrennungsmotor und ein Elektroakku den gemeinsamen Antrieb bildeten. Aber erst in den letzten Jahren hat sich der Hybridantrieb in der Schweiz durchgesetzt. Überhaupt ist „hybrid“ eines der aktuellen Zauberworte und beschreibt das Zusammenkommen von zweierlei unterschiedlichen Systemen oder auch Technologien.

Längst gehören hybride Systeme auch jenseits der Autobranche zu unserem Alltag, vor allem, wenn es um die Frage der gemeinsamen Nutzung von analogen und digitalen Formaten geht – ob die Steuerung des Hörgerätes via Smartphone, die Kommunikation mit WhatsApp oder die Navigation zum nächsten Reiseziel. Hybride Systeme sind ein fester Bestandteil unseres Alltags und wir können uns ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen.

Kirche im Umlernprozess

Die Coronazeit hat durch den viel beschriebenen „Digitalisierungszwang“ nun auch in der Kirche nicht für möglich gehaltene Reformen angestoßen. Das ist gut und ich freue mich über viele digitale Gottesdienste und vielfältige Veranstaltungen, aber die entscheidende Herausforderung steht noch vor uns: Die Umlernprozesse in einer Zeit mit und nach Corona.

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Die Ergebnisse der internationalen Studie „Churches Online in Times of Corona“ (CONTOC), von 2020 sind überraschend positiv: Obwohl es für 95 % aller Beteiligten die ersten digitalen Umsetzungen im kirchlichen Kontext waren, sehen zwei Drittel diese Entwicklung positiv und erklären, dass sich ihre alltägliche Arbeit durch die Pandemie völlig verändert hat.

Die Macher der Studie sprechen von einer „postdigitalen Reformation“, in der sich der digitale Wandel durch alle kirchlichen Bereiche zieht. Diese Zeit wird eine Zeit des Neuen sein. Warum? Weil es fatal wäre zu denken, man könnte einfach so in die alten analogen Formate zurückkehren und genauso wäre es fahrlässig, ausschließlich in den neu erprobten digitalen Formaten zu denken.

Nein, es braucht eine Neuschöpfung – einen Remix des Besten aus beiden Wirklichkeiten. Daher scheint es mir wichtig, dass wir analoge und digitale Angebote nicht gegeneinander ausspielen und auch die jeweiligen Vor- und Nachteile benennen und einordnen, bevor wir über das Neue einer hybriden Kirche nachdenken.

Sieben Vorteile der analogen Angebote

1. Der analoge Raum ist ein geschützter Raum, mit einer überschaubaren Gruppe an Menschen, wo Fehler passieren und vergehen können. Während sie bei digitalen Angeboten eine größere Reichweite und manchmal einen „Ewigkeitscharakter“ haben.
2. Vertrautheit, Nähe und Berührung sind vor allem analog möglich und für uns beziehungsorientierte Menschen unverzichtbar.
3. Das Gemeinschaftsgefühl und gemeinsames Singen sind durch kaum etwas zu ersetzen.
4. Austausch, Anteilnahme und Gemeinschaft können leichter und direkter erlebt werden, miteinander feiern, essen und singen spielt in der Nachfolge eine zentrale Rolle.
5. Gruppendynamiken und (geistliche) Resonanzräume entstehen analog besser und nachhaltiger.
6. Diakonisches Handeln, Hilfe für Menschen in Not, Reaktion auf Krankheit, Einsamkeit und Notlagen kann analog zielgerichteter geschehen. Aber auch die analoge Arbeit mit Kindern, Teenagern und Jugendlichen ist in dieser Entwicklungsphase unverzichtbar, vor allem wenn es um beziehungsorientierte Arbeit und das Wahrnehmen von Gefühlen und Stimmungen geht.
7. Es gibt eine Unabhängigkeit von Netzbandbreiten, technischen Ressourcen und Begabungen. Digitale Teilhabe ist für manche Menschen ein Ausschlusskriterium.

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Sieben Vorteile der digitalen Angebote

1. Das weltweite Netz bietet freien, zeitunabhängigen und selbst gestalteten Zugang. Weder ein Gemeindehaus noch eine Kirche müssen betreten werden.
2. Gemeinschaft ist selbstgewählt und orientiert sich „am Gleichen“ oder am als „ähnlich“ Empfundenen. Konfessionelle Grenzüberschreitungen sind alltäglich, neue Gemeinschaften entstehen.
3. Die Teilnahme ist anonymisiert und unverbindlich möglich und nicht hierarchisch geprägt. Dadurch sinkt die Hemmschwelle zur Interaktion.
4. Religiöse Kommunikation ist persönlich, fragend, schwellenlos, scheinbar enttabuisiert und situativ möglich.
5. Das Digitale ermöglicht Reichweite und Vernetzung, die über die örtlichen Grenzen der Kirche hinausgeht.
6. Für neue Formen von Ehrenamt sind die Bedingungen optimal. Bisherige Gruppen, wie technisch begabte Menschen, rutschen in den Fokus, die Jüngeren lehren die Älteren.
7. Digitale Formate wie Youtube-Gottesdienste haben eine größere Nachhaltigkeit, weil sie nicht auf einen Livetermin festgelegt sind.

Etwas Neues schaffen

Das Entscheidende an hybrider Kirche ist nun, dass aus einem „Entweder-Oder“ ein „Sowohl-als-Auch“ entsteht. Es geht nicht um ein Zusammenpacken von analogen und digitalen Veranstaltungen, sondern aus beidem entsteht etwas Eigenständiges und Neues.

Die Frage, die sich für hybride kirchliche Veranstaltungen deshalb zwangsläufig stellt, ist: Wie verändert sich die Kommunikation und der oder die Kommunizierende des Evangeliums in diesen Entwicklungen? Wo ergeben sich neue Chancen und Möglichkeiten? Aber wo gibt es auch Grenzen und Verformungen? Wo wird der hybride Gottesdienst zu einer Selbstinszenierung, die im Bewertungsmodus besucht wird? Und wo haben das Evangelium und die Kirche den Auftrag, manchen digitalen Entwicklungen entgegenzuwirken?

Ein digital kommuniziertes Angebot macht noch keine digitale Gemeinde und ein online übertragener Gottesdienst noch keine hybride Kirche.

Dabei wird deutlich, dass noch viele Fragen offen sind und wir dringend eine digitale und hybride Einrichtung brauchen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Ein digital kommuniziertes Angebot macht noch keine digitale Gemeinde und ein online übertragener Gottesdienst noch keine hybride Kirche. Deshalb lohnt es sich, die verschiedenen Angebote, Formate und Möglichkeiten etwas differenzierter anzuschauen. Die US-Kommunikationswissenschaftlerin und Expertin für digitale Religion Heidi A. Campbell unterscheidet zwischen drei unterschiedlichen Formaten:

„Transferring“ – analoge Formate werden digital übertragen

Hybride Kirche beginnt mit der Liveübertragung eines Gottesdienstes, sodass Menschen die Chance einer analogen und digitalen Beteiligung haben. Aber das ist eben nur der Anfang. Die Stärken beider Welten zu vereinen braucht Arbeit, Fantasie und Ausdauer. Für die digitalen Sehgewohnheiten müssen einzelne Teile des Gottesdienstes gekürzt und schnellere Interaktionen ermöglicht werden. Es braucht eine andere Form der Moderation und eine Sprache, die voraussetzungsfrei durch den Gottesdienst führt, Rituale und Liturgien erklärt und die Teilnehmenden in den Ablauf und Inhalt eines Gottesdienstes mitnimmt.

„Translation“ – Analoge Formate werden an die digitale Form angepasst

Die Übertragung eines Gottesdienstes wird durch interaktive Tools wie Mentimeter oder Padlet ergänzt. Es gibt eine eigene Moderation für digital Zuhörende, sodass sie direkt angesprochen und in die lokalen Gepflogenheiten hineingenommen werden. Außerdem besteht die Möglichkeit durch Beteiligungsformate wie Chats oder Kommentarspalten, auf das Gehörte zu antworten und zu reagieren. Im Anschluss findet möglicherweise ein Zoom-Gemeinschaftsteil (digitales Kirchencafé) statt, in dem Themen des Gottesdienstes aufgenommen und bei einem Kaffee gemeinsam besprochen werden.

„Transforming“ – Neue Bedürfnisorientierte Formen werden geschaffen

Eine Veranstaltung wird so konzipiert, dass der Schwerpunkt weder auf dem analogen noch auf dem digitalen liegt und die Teilnehmer in wechselseitigen Kontakt treten können. So werden beispielsweise Antworten der digitalen Teilnehmenden über Leinwände in den analogen Gottesdienst übertragen, Interviews gemacht oder von verschiedenen Orten Gottesdienstteile eingespielt. Der gesamte Gottesdienst wird nach einem eigenen Regieplan angelegt und bei jedem Punkt wird bedacht, wie die analogen und digitalen Teilnehmenden einbezogen werden können. Das ist vor allem zeitlich und technisch aufwendig und kann sicher nicht von jeder Gemeinde durchgeführt werden.

Es geht bei hybrider Kirche im Kern nicht um die richtige Nutzung von digitalen und analogen Methoden, sondern um einen Kulturwandel hin zu einem neuen Weg.

Das muss auch gar nicht sein. Es geht bei hybrider Kirche im Kern nicht um die richtige Nutzung von digitalen oder analogen Methoden, sondern um einen Kulturwandel hin zu einem neuen Weg. Hier geht es darum, das gesamte Angebot einer oder mehrerer Gemeinden in seiner Gesamtheit zu betrachten. Denn hybride Kirche meint mehr als einen Gottesdienst und sieht die gesamte Kirche mit all ihren Standbeinen, wie Seelsorge, Diakonie, altersbezogene Gruppen wie Kinder-, Jugend- oder Senioren- oder Kleingruppenarbeit und vieles mehr.

In Zeiten der Erneuerung unserer traditionellen Kirchenlandschaft gilt es zu fragen, ob eine einzelne Kirche oder Gemeinde wirklich alles abbilden muss. Vor dem Hintergrund, dass sich auch Konfessionen zunehmend auflösen, wird in Zukunft also die Frage sein: Wie können verschiedenen Gemeinden in einem Stadtteil (Dorf etc.) gemeinsam ihre „Persönlichkeit“ in einem „Gemeindeteam“ einbringen? Wo können digitale, hybride und analoge Angebote stattfinden? Welche Gemeindepersönlichkeit hat besondere Begabungen oder Erfahrungen und bildet dies besonders gut ab? Wird sie von den anderen dabei unterstützt?

Das gilt umso mehr für die kommenden Fragen einer hybriden Kirche, denn die Anforderungen und Qualitätserwartungen werden steigen und nicht jede einzelne Gemeinde kann und muss sie erfüllen. Mir ist klar, dass das ein weiter Weg ist, der bisherige Konkurrenzgedanken überwinden muss, aber ich halte ihn für notwendig.

Tobias Faix ist Professor für Praktische Theologie an der CVJM-Hochschule in Kassel mit den Schwerpunkten Gemeindepädagogik, interkulturelle und empirische Theologie.


Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift „Gemeinde praktisch„. Sie wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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2 Kommentare

  1. Wir sollten das berühmte Kind nicht mit dem Bade ausschütten. „Die christliche Gemeinde versammelt sich. Das ist ein Wesensmerkmal. So hat Jesus sie gestiftet. Ich denke, im Himmel wird dann auch keiner nur virtuell dabei sein wollen“! Zitat von Ulrich Wößner. Er hat vollkommen recht. Andererseits werden durch Fernsehen und Internet sehr viele – aber derzeit wenig einschätzbare Zahl von – Menschen mit Seelsorge- und Gottesdienstangeboten erreicht, oder auch mit Filmen und Informationssendungen über den christlichen Glauben An digitalen kirchlich-christlichen Formaten wird niemand teilnehmen, der dies nicht ausdrücklich möchte und dem es nicht zusagt – das Gegenteil müsste richtig sein. Es sehen die christlich fern, die auch nicht mehr zur Gemeinde kommen können, oder die aus durchaus nachvollziehbaren Gründen im Einzelnen ein gestörtes Verhältnis zur Kirchengemeinde haben. „Ein Kulturwandel hin zu einem neuen Weg“!!?? Dies ist mir zu ideologisch. Der neue Weg der Gemeinde Jesu ist neben dem sich versammeln an einem bestimmten Ort (Kirche), alternativen Angeboten analog oder digital im Netz als dritte wichtige Möglichkeit: Das Gehen an die Hecken und Zäune, aus der alleinigen Komm-Struktur auch eine Geh-Hin-Struktur zu machen, dort zu sein wo die Menschen sind und das Leben mit anderen zu teilen. Letzteres kann auch auf Zeit sein. Aber mit einem Außenseiter zu wohnen macht ihn zum Insider. Jesus ist auch zu den Menschen gegangen, hat mit ihnen gegessen, getrunken und Wasser zu Wein gemacht. Das war sein neuer Weg. Er lebte das was er glaubte. Wir sollten das verkörpern was wir sind, Christinnen und Christen. Ursprunglich war das revolutionär-

  2. Die christliche Gemeinde versammelt sich. Das ist ein Wesensmerkmal. So hat Jesus sie gestiftet.
    Ich denke, im Himmel wird dann auch keiner nur virtuell dabei sein wollen …

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