Als "unausgewogen" hat der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Volker Jung, den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kritisiert. Nur auf rund 20 von insgesamt über 540 Seiten werde das Thema Reichtum behandelt. "Der Bericht zeigt, dass Reichtum offenbar noch mehr als Armut ein Tabuthema ist", sagte Jung.
In dem Bericht fehle eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Folgen des zunehmenden privaten Reichtums. "Doch wer darüber diskutieren will, wird leider schnell mit dem Etikett Neiddebatte belegt und mundtot gemacht", bedauerte Jung. "Es geht aber nicht um Neid auf den Erfolg und Wohlstand einzelner, sondern um den sozialen Frieden in der Gesellschaft und eine gemeinsame Zukunft für alle", so Jung.
Der Kirchenpräsident sprach sich für eine "neue Vermögenskultur" aus. Ziel müsse es sein, Reichtum sinnvoll für die Gemeinschaft einzusetzen und Reiche dabei zu unterstützen. Es sei auch ein Anliegen vieler Vermögender, angesichts erheblicher Ungleichgewichte für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen. Auf dem zurückliegenden Weltwirtschaftsgipfel in Davos sei die wachsende Ungleichheit als Gefahr für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft ein zentrales Thema gewesen. Auch die evangelische Kirche könne sich an einer offenen und fairen Debatte über die Bedeutung des Wohlstands beteiligen. Für den Herbst sei beispielsweise eine Veranstaltung mit Stiftungsgründern geplant. "Wir wollen mit Vermögenden mehr darüber sprechen, unter welchen Bedingungen Reichtum entsteht und welche Probleme, aber auch welche Chancen darin stecken", kündigte Jung an.
Jung verwies auch auf eine aktuelle Stellungnahme des "Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung" der EKHN in Mainz zum Armuts- und Reichtumsbericht. Demnach habe der Bericht erneut bestätigt, dass der Graben zwischen Armen und Reichen weiter gewachsen sei. Da der Reichtum aber nur unzureichend im Blick sei, falle es schwer, politisch tragfähige Ideen zur Überwindung dieser Kluft zu entwickeln. Dafür sehe der Bericht erheblichen Handlungsbedarf. Jung hob insbesondere die unzureichenden Investitionen in Hilfen für Kinder und Jugendliche hervor. Er forderte, beispielsweise die Chancen auf erfolgreiche Schul- und Ausbildungsabschlüsse von benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu verbessern.
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Die ausführliche Stellungnahme des „Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung“ der EKHN zum Bericht ist zu finden unter www.zgv.info.