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Missbrauchsskandal: Kommunikation in der Krise

Der Missbrauchsskandal an Jesuitenschulen der katholischen Kirche zieht immer weitere Kreise. Die Zahl der Missbrauchsfälle scheint größer als bislang angenommen. Die Kirche versucht, durch offene Kommunikation mit der Debatte umzugehen – zumindest teilweise.

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Das Titelbild des aktuellen "Spiegel" ist provokant: Ein katholischer Geistlicher hält in der einen Hand die Bibel oder ein Gesangbuch, mit der anderen fasst er sich in den Schritt. "Die Scheinheiligen – Die katholische Kirche und der Sex", titelt Deutschlands einflussreichstes Magazin. In ihrer Titelgeschichte fordern die Autoren um Redakteur Peter Wensierski, der seit Jahren auch über die beiden Kirchen berichtet, eine Aufarbeitung des "offensichtlich gestörten" Verhältnisses der Kirche zur Sexualität. "Die katholische Kirche sollte endlich erkennen, dass sich das menschliche Triebleben, gleich ob hetero- oder homosexuell, nicht päpstlichen Lehrmeinungen unterwerfen kann", heißt es im "Spiegel".

Die Autoren schildern nicht nur bekannte Missbrauchsfälle von Priestern und Geistlichen, sie erkundigten sich für ihre Geschichte auch in allen 27 Bistümern nach bekannt gewordenen Missbrauchsfällen oder Verdachtsmomenten. Das Ergebnis: Die Umfrage ergab, dass seit 1995 mindestens 94 Kleriker und Laien unter Missbrauchsverdacht geraten sind. 30 von ihnen wurden in der Vergangenheit juristisch belangt und verurteilt. Viele Fälle waren zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens jedoch bereits verjährt.

Aktuell stehen den Angaben zufolge mindestens zehn Kirchendiener unter Missbrauchsverdacht. Von den 27 Bistümern, die der "Spiegel" am vorigen Dienstag angefragt hatte, antworteten 24. Nur die Bistümer Limburg, Regensburg und Dresden-Meißen verweigerten eine Auskunft zu Missbrauchsfällen. Man wolle "die aktuelle Diskussion nicht noch befeuern", erklärte etwa der Sprecher des Bistums Dresden-Meißen.

"Künstlich beleuchtet"

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Die meisten Bistümer geben bereitwillig Auskunft – und auch in Sonntagspredigten thematisierten Priester die aktuelle Diskussion. Gleichzeitig wird Kritik an der Berichterstattung über den Missbrauchsskandal laut. Der Nachrichtensender "n-tv" zitiert etwa den Domkapitular der Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin, Ulrich Bonin. Es müsse Licht auf die Fälle von Missbrauch fallen, sagte er am Sonntag in seiner Predigt. "Aber es darf kein künstliches Licht sein, sondern ein Licht des Glaubens. Kein Blitzlichtgewitter des Medien-Hypes, sondern Gottes Licht." Man dürfe die Fälle nicht verdrängen. Aber das Thema werde durch die Medien künstlich beleuchtet.

Schwer wiegt der Vorwurf des "Schweigens als System", der immer wieder zu lesen ist. Jahrzehnte wurden Missbrauch und sexuelle Übergriffe durch die katholische Kirche verheimlicht oder kleingeredet, das steht fest. Dennoch, auch größtmögliche Transparenz gibt es, zumindest in einigen Bistümern. In allen Kirchen des Bistums Hildesheim etwa wurde an diesem Sonntag eine Erklärung von Bischof Norbert Trelle verlesen. "Die ganze Institution hat Schuld, weil sie für eine Mentalität gesorgt hat, ‚bitte nicht darüber reden’", heißt es in dem Schreiben des Bischofs, in dem er "mit Scham und Empörung" auf die Missbrauchsfälle reagiert und mögliche weitere Opfer aufruft, sich zu melden. Das Bistum werde alles daran setzen, für Aufklärung zu sorgen. Zu Recht könne man von der Kirche erwarten, dass sie alles unternehme, um solche Taten zu verhindern.

Nicht alle Bistümer gehen derart offensiv mit dem Skandal um. Wie eine dpa-Auswertung der Homepages von allen 27 Bistümern und Erzbistümern ergab, haben bis vergangenen Samstag nur fünf eine offizielle Stellungnahme zu den Vorwürfen auf ihrer Startseite ins Netz gestellt. Damit verlinken diese Seiten auch sofort zu den offiziellen Ansprechpartnern der Bistümer für Opfer sexuellen Missbrauchs durch Geistliche.

Bereits seit 2002 Leilinien der Bischofskonferenz

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Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte jetzt auf ihrer Internetseite die bereits 2002 herausgegebenen Leitlinien "Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche". Darin heißt es: "Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird zunehmend in unserer gesamten Gesellschaft und auch in der Kirche offenkundig. Er zeigt eine tiefgehende Krise an und ist für die Kirche eine Herausforderung zu einer Reinigung aus dem Geist des Evangeliums." Der sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche habe "einen zerstörerischen Charakter gegenüber Kindern und Jugendlichen. Sie verletzen deren Würde und Integrität tief. Die Opfer werden in ihrer Entwicklung schwer geschädigt, bei ihnen und bei ihren Angehörigen wird großes Leid ausgelöst. Wenn ein Geistlicher sich an einem Kind oder Jugendlichen vergeht, verdunkelt er auch die christliche Botschaft und die Glaubwürdigkeit der Kirche und fügt der kirchlichen Gemeinschaft schweren Schaden zu. Sexueller Missbrauch Minderjähriger ist darum nicht nur nach staatlichem Recht, sondern auch in der kirchlichen Rechtsordnung eine Straftat."

In der "Rheinischen Post" meldete sich am Montag der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, zu Wort. Er sieht einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Missbrauchsvorwürfen gegen Geistliche an Jesuitenschulen und einem Tabuisieren von Sexualität in der katholischen Kirche. Glück warnte gleichzeitig davor, Priester und Ordensleute einem Generalverdacht auszusetzen. Auch bestehe kein Zusammenhang zwischen dem Zölibat und dem Missbrauch. Die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen sei in kirchlichen Einrichtungen "eher deutlich geringer" als in anderen.

Dem pflichtete der Berliner Kriminalpsychiater Hans-Ludwig Kröber bei, wie die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) meldet. Die jüngsten Umfrageergebnisse des "Spiegel" über kirchliche Missbrauchsfälle in ganz Deutschland zeigen nach Ansicht des Wissenschaftlers, dass sexueller Missbrauch bei Mitarbeitern der katholischen Kirche sehr viel seltener vorkommt als bei anderen erwachsenen Männern. Der KNA sagte Kröber, die vom "Spiegel" ermittelten Zahlen legten nahe, dass die Geisteshaltung, in der Priester lebten, sie weitgehend davor schütze, Täter zu werden. Kröber, der als Professor für Forensische Psychiatrie an der Berliner Klinik Charité arbeitet, meinte zudem, dass nicht-zölibatär lebende Männer mit einer 36-fach höheren Wahrscheinlichkeit zu Missbrauchstätern würden als katholische Priester. Seit 1995 habe es in Deutschland mehr als 200.000 polizeilich erfasste Fälle von Kindesmissbrauch gegeben. In der aktuellen Debatte bestehe die Gefahr, dass die Kirche Selbstgeißelung betreibe und aus Angst vor neuem Unrecht an vermeintlichen Opfern alle Anschuldigungen ungeprüft akzeptiere.

(Quelle: Christliches Medienmagazin Pro)

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