Anica Russo traut sich was. Die Sängerin hat sich über die Jahre eine internationale Fangemeinde aufgebaut. Jetzt spricht sie in einem Song das erste Mal über ihren Glauben.
Hallo Anica, warum glaubst du?
Anica Russo: Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen. Beten war eine der ersten Sachen, die ich als Kind gelernt habe. Und wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Außerdem gibt mir der Glaube unglaublich viel Halt. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich nicht allein bin. Mein Glaube hilft mir, Dankbarkeit, aber auch Ängste auszudrücken.
Wie hat sich dein Glaube seit deiner Kindheit verändert?
Ich stelle mir Gott nicht mehr als Mann vor, der hinter den Wolken sitzt, vor. Der Satz „Ich bin der Ich-bin-da“ bringt mein Gottesbild auf den Punkt. Ich sehe Gott mehr als eine höhere Kraft, die überall präsent ist. Er ist für mich nichts Fassbares, sondern etwas Unfassbares.
Eine höhere Kraft, zu der du aber eine persönliche Beziehung hast?
Ja, total. Das ist zwar wieder anthropomorph, aber dadurch, dass ich von klein auf jeden Abend ein Gespräch mit ihm führe, ist Gott für mich doch auch wieder etwas Fassbares. Ich spüre, dass ich in Kontakt mit Gott bin und das ist schön.
Auf Instagram schreibst du, dass du dich erst als „gläubig“ bezeichnet hast, dann eine Zeit lang als „spirituell“ und jetzt wieder als „gläubig“. Warum dieser Wechsel?
Als Jugendliche habe ich vieles hinterfragt und versucht, meinen Platz im Leben zu finden. Es gab eine Phase, wo es plötzlich total uncool war, zu sagen, dass man religiös oder gläubig ist. Viele Leute haben einen komisch angeguckt und nicht verstanden, warum man so einen Quatsch glaubt.
Für mich war mein Glaube trotzdem immer Bestandteil meines Lebens. Ich habe aber aufgehört, jedem davon zu erzählen, dass ich vor dem Essen bete. Wenn ich mit Leuten im Restaurant war, habe ich das ein bisschen versteckt. Ich fand es blöd, komisch angeschaut zu werden oder immer wieder Diskussionen führen zu müssen.
Wie ging es dann weiter?
In dieser Zeit habe ich mich auf eine Erkundungsreise in die Spiritualität begeben und unter anderem meditiert. Da habe ich gemerkt, dass Meditieren nichts anderes als Beten ist. Man zeigt zum Beispiel seine Dankbarkeit jemandem gegenüber, ob man das jetzt Universum oder Gott nennt, spielt für mich keine Rolle.
Ich habe viele Parallelen entdeckt, die meinen Glauben bereichert haben. Wenn mich jetzt jemand nach meinem Glauben fragt, dann kann ich sagen: So gesehen ist ein Gebet nichts anderes als eine Meditation. Das eröffnet Anknüpfungspunkte und ermöglicht Dialog.
Die beiden Ebenen sind auf gar keinen Fall identisch, aber sie haben Schnittpunkte. Die finde ich superschön und habe sie für mich zu der Art und Weise, wie ich heute glaube, zusammengefügt.
„Nur weil ich nicht zur Kirche gehe, bedeutet das nicht, dass ich keine Christin bin.“
Auf Instagram schreibst du auch, dass du nicht mehr in die Kirche gehst. Warum?
Zur Kirche zu gehen war bei mir ein Familienritual, was nicht komplett aus eigener Motivation kam. Irgendwann kamen mehrere Faktoren zusammen, wo ich mich dann in der Institution Kirche nicht mehr wohlgefühlt habe – unter anderem weil meine Werte nicht ganz mit denen der katholischen Kirche übereinstimmen.
Aber nur weil ich nicht zur Kirche gehe, bedeutet das nicht, dass ich keine Christin bin. Mein Glaube ist von der Kirche abgekoppelt.
Würdest du deinen Glauben gerne mehr in Gemeinschaft mit anderen Christen leben oder ist das nichts für dich?
Für mich ist mein Glaube eine persönliche Sache. Die Bedeutung dahinter und die Message des Glaubens an sich teile ich jedoch gern mit anderen und freue mich natürlich auf Menschen zu stoßen, die meine Gedanken teilen.
Ich brauche nicht zwingend eine Gemeinschaft, um meinen Glauben zu leben. Wenn es sich aber ergibt, dann ist das natürlich etwas ganz Besonderes.
Anlässlich deines neu erschienen Songs „Sunday Service“ hast du das erste Mal öffentlich über deinen Glauben gesprochen. Wie haben deine Fans auf dein Glaubensbekenntnis in Songform reagiert?
Tatsächlich richtig schön. Ich habe angefangen „Sunday Service“ vor der Veröffentlichung auf TikTok zu teilen, um zu schauen, wie der Song ankommt.
Irgendwann habe ich dann auch von der Message erzählt. Ganz viele junge Leute haben mir gesagt: „Hey, ich fühle genauso. Ich traue mich auch nicht so wirklich über meinen Glauben zu sprechen, aber ich glaube an Gott.“ Das hat mich total positiv überrascht, weil ich das sonst gar nicht so wahrgenommen habe.
Viele haben in der Kommentarsektion kurz von ihren eigenen Erlebnissen und Situationen gesprochen. Das hat mir in dem Moment auch voll gutgetan, zu wissen, dass man nicht alleine ist, sondern andere Leute im selben Alter auch so fühlen. Das hat mich bestärkt, „Sunday Service“ zu veröffentlichen und diese Message zu teilen.
Wird dein Glaube in Zukunft weiterhin eine Rolle in deinen Songs spielen?
Auf jeden Fall. Songs sind, wie Gebete, für mich eine Möglichkeit mit Gott zu connecten. In ihnen verarbeite ich meine Ängste und Sorgen. Sie sind ein Ventil dafür.
Ich finde es schön, dass Stars und Musiker aus den USA in Reden, wenn sie zum Beispiel einen Preis gewonnen haben, Gott danken. Sie sprechen offen über ihren Glauben, wie Justin Bieber oder Kanye West es tun.
„Der Blick auf US-amerikanische Popstars bestärkt mich darin, ebenfalls über meinen Glauben zu sprechen.“
In Amerika ist es ein viel präsenteres Thema, mit dem in der Popmusik offener umgegangen wird als in Deutschland. Der Blick auf US-amerikanische Popstars bestärkt mich darin, ebenfalls über meinen Glauben zu sprechen.
Du würdest dir also wünschen, dass sich auch in Deutschland mehr Menschen trauen, offen über ihren Glauben zu sprechen?
Ich würde mich freuen, wenn jeder offen glauben kann, was und wie er oder sie möchte, ohne Angst haben zu müssen, dass man doof angeguckt wird oder in unangenehme Diskussionen reinkommt. Das ist alles, was ich mir wünsche.
Wenn man nicht glaubt, ist das auch gar kein Problem. Es ist aber schade, dass man es sich zweimal überlegt, ob man vor großem Publikum in Deutschland Gott dankt oder nicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Pascal Alius.
Weitere Informationen über Anica Russo und ihren neuen Song “Sunday Service“ findest du auf ihrer Webseite.
Gottesdienst feiern mit allen Sinnen
„Ich stelle mir Gott nicht mehr als Mann vor, der hinter den Wolken sitzt, vor. Der Satz „Ich bin der Ich-bin-da“ bringt mein Gottesbild auf den Punkt. Ich sehe Gott mehr als eine höhere Kraft, die überall präsent ist. Er ist für mich nichts Fassbares, sondern etwas Unfassbares“! Bei diesem Bekenntnis (hier zitiert) bin ich ganz bei Anica. Für mich ist er das ganz große Licht der Liebe, so wie es Nahtoderfahrene begegnet ist oder Saulus vor Damaskus, als er von dieser Liebe Gottes und seinem Licht so übermannt wurde, dass er sich freiwillig für die Nachfolge Jesu entschied. Ich kann die Künstlerin durchaus verstehen, dass sie nicht in die Kirche gehen möchte. In meiner Jugend hatte ich eine Freundin, die jeden Sonntag von der Familie gezwungen wurde, in die Messe zu gehen. Ich gebe ehrlich zu: Wir haben die beiden Eltern überlistet, sind mit meinem alten Auto zwei Stunden durch die Gegend gefahren und dann habe ich sie wieder zuhause abgeliefert. Manches geht kaputt, auch in Sachen „Liebe zu Gott“, wenn man Zwang ausübt. Andererseits ist die Gemeinde wichtig, die Bibel beschreibt sie sehr bildlich (aber auch entsprechend konservativ) als Leib Christi. Wir brauchen uns auch als Christinnen und Christen gegenseitig, als Geschwister, um uns den Rücken zu stärken und auf unserer Karawane durch die Zeit in die große Ewigkeit zum Durchhalten und Weiterlieben. Da Jesus Christus für alle Menschen gestorben ist, gibt es auch für alle Hoffnung. Menschen für Christus zu gewinnen ist sehr wichtig, aber wir sollten nicht so tun als ob ihre Seligkeit und Errettung allein von uns abhängt. In einem biblischen Gleichnis sucht Jesus das Verlorene Schaf so lange bis er es gefunden hat. Kein Wort von Strafe, dass es sich verselbständigt hatte. Und er fordert nicht barsch die Umkehr, sondern er legt es auf seine Schultern und trug es heim. Also lasst die Kirche im Dorf, wenn Leute nicht in die Kirche gehen. Vielleicht sollten wir dann eher fragen, wie wir ihnen dies schmackhaft machen können. Gottesdienst feiern mit allen Sinnen wäre auch eine Alternative. Gottesdienst ist etwas schönes, egal in welcher Form. Allerdings wird häufig vergessen, dass der manchmal triste Montag auch ein Gottesdienst ist, allerdings ein sehr praktischer. Und Autofahren ist Gottesdienst. Achtsamkeit auch. Denn wir begegnen überall in der Welt, auch bei den größten „Kotzbrocken“ (bitte ich zu entschuldigen), denjenigen, die Gott über alles liebt. Er, sie oder es ist kein Schönwettergott, keiner den man gütig stimmen muss und barmherzig, er ist es schon – und war es schon immer. Schon seit Beginn des Universums.