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Die „unbekannten Kinder“ von Bergen-Belsen

51 Mädchen und Jungen wurden im September 1944 aus den Niederlanden ins KZ Bergen-Belsen deportiert. 80 Jahre nach der Befreiung kommen einige von ihnen zum Gedenken dorthin zurück.

Von Karen Miether (epd)

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Wenn Greet und Robert Coopman Ende April aus Israel nach Bergen-Belsen reisen, kommen sie an einen Ort, an dem sie schon als Kinder waren. Erinnern können sie sich daran aber nicht. «Wir waren zu jung», sagt der 84-jährige Robert. Er war gerade vier Jahre alt, seine Frau nicht einmal zwei, als sie im September 1944 aus dem Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden in das Konzentrationslager deportiert wurden. Als Erwachsene kehrten sie vor ein paar Jahren das erste Mal an den niedersächsischen Ort zurück. «Wir wollten unser Lebenspuzzle vollständig machen», so beschreibt es die heute 82-jährige Greet.

Am 15. April 1945, vor 80 Jahren, befreiten britische Truppen Bergen-Belsen. Daran erinnert eine Gedenkfeier am 27. April, an der auch die Coopmans, der Kanadier Gershon Willinger und weitere der einstigen Kinder teilnehmen wollen, die damals «unbekannte Kinder» genannt wurden. Die 51 jüdischen Mädchen und Jungen aus den Niederlanden eint eine besondere Geschichte: Um ihnen das Leben zu retten, hatten ihre jüdischen Eltern sie versteckt, zumeist bei Pflegefamilien. Doch viele wurden verraten. Als vermeintliche Waisenkinder kamen sie zunächst nach Westerbork, dann nach Bergen-Belsen. Im November 1944 wurden sie noch in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie bei Kriegsende befreit wurden.

Als Zeitzeugen in Schulen unterwegs

Lange Zeit wussten Robert und Greet Coopman nicht, dass diese Geschichte sie schon früh verband. Bis heute treten sie als Zeitzeugen in Schulen auf. In der Präsentation, die sie dafür erarbeitet haben, findet sich eine Transportliste aus dem Lager Westerbork. «girl: G. Troostwijk 1942» steht darin, Greets Geburtsname. Für Robert ist neben dem Vornamen nur ein Fragezeichen aufgelistet.

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Er selbst erfuhr deshalb erst spät, dass auch er zu der Gruppe der inhaftierten Kinder gehörte. Erst am 24. Mai 2001 bekam er den Anruf eines weiteren Überlebenden, der recherchiert hatte und ihm mitteilte, dass auch er eines der «unbekannten Kinder» ist – wie seine Frau. Für Robert kaum zu glauben: «Greet und ich, die wir 49 Jahre verheiratet sind, waren beide auf demselben Zugtransport nach Bergen-Belsen und Theresienstadt – ohne dass wir das wussten.»

Dass sie überhaupt am Leben geblieben sind, haben sie wohl dem Geschick ihrer Pflegeeltern und anderer Beschützer zu verdanken, sagt die Historikerin Diana Gring von der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Diese hätten bewusst Zweifel an der jüdischen Herkunft der Kinder gestreut. «Das reine Gerücht, dass von den Nazis sogenanntes ‚arisches Blut‘ in ihren Adern fließt, hat sie gerettet.» Für Gring zeigt das auch die Perfidie des NS-Rassenwahns. Der letzte Zug, der mit den Kindern Westerbork verließ, fuhr nicht wie viele andere zuvor nach Auschwitz.

Die Historikerin hat mit zwölf der «unbekannten Kinder» Interviews geführt. «Was mich besonders berührt hat, ist die verzweifelte Suche vieler von ihnen nach Information, nach ihrer Identität», sagt sie.

Deportiert und ermordet

Gershon Willingers erste Erinnerungen setzten ein, als er nach dem Krieg wieder in die Niederlande zurückkehrte. Er weiß heute, dass seine Eltern ihn aus Angst um sein Leben in einer nichtjüdischen Pflegefamilie unterbrachten. Da war der kleine Gert, wie er damals hieß, ungefähr fünf Monate alt. Vater Guido und Mutter Edith Helene Willinger-Rothschild wurden im Vernichtungslager Sobibor ermordet. «Die Vergangenheit hat ihre Spuren hinterlassen», sagt der 82-jährige frühere Sozialarbeiter, der heute im kanadischen Toronto lebt, im Telefoninterview.

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Willinger wuchs nach Ende der NS-Zeit bei Pflegeeltern und zeitweise in einem Waisenhaus auf. Die Suche nach Bausteinen seiner Familien-Geschichte begleitet ihn bis heute. Im vergangenen Jahr hatten Schüler ihn nach Düsseldorf eingeladen, an das Gymnasium, das sein Vater und zwei seiner Onkel besucht hatten, berichtet er. «Es war besonders, die Treppen dort zu betreten, über die schon sie gegangen sind.» Gemeinsam enthüllten die Mitglieder der Geschichte-AG und Willinger eine Gedenktafel für jüdische Schüler, die das Gymnasium besucht haben.

Sein halbes Leben lang habe er sich nicht getraut, über seine Geschichte zu reden, sagt der 82-Jährige. «Wer war ich, der ich doch keine eigenen Erinnerungen hatte?» Doch Gespräche unter anderem mit seinem Psychiater hätten ihm klargemacht, dass seine Geschichte von Bedeutung ist: «Der Holocaust ist ein Teil meiner DNA geworden.» Als er begann zu sprechen, habe sich vieles für ihn geändert, sagt Willinger. «Es ist mir zur Pflicht geworden», betont er. «Noch immer gibt es so viele Menschen, die den Holocaust leugnen. Auch hier in Kanada ist der Antisemitismus verbreitet.»

Tausende Kinder inhaftiert

Unter den rund 120.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren in Bergen-Belsen laut der Gedenkstätte insgesamt etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert. Schätzungen zufolge starben dort rund 800 Kinder. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die SS die Lagerregistratur vernichtet hat. Das jüngste der «unbekannten Kinder», ein Mädchen im Säuglingsalter, kam noch während des Transportes aus Westerbork um.

Greet Coopmans Eltern und ihr kleiner Bruder wurden in Auschwitz ermordet, Roberts Eltern in Sobibor. Viel Zeit, in der Vergangenheit zu graben, hätten sie mit eigenen Kindern und Beruf nicht gehabt, sagt Robert im Videogespräch, und seine Frau fügt an: «Wir hatten ja keinerlei Unterstützung durch Eltern und Großeltern, wir waren immer bemüht, dafür einen Ersatz zu finden.»

Im Ruhestand wanderten sie 1998 aus den Niederlanden nach Israel aus. Wie Gershon Willinger und seine Frau Jane sind die Coopmans mehrfache Eltern und Großeltern. Auf dem letzten Bild der Präsentation, die die Coopmans über ihr Leben an Schulen zeigen, prosten sich die beiden mit Weingläsern zu. «To Life» haben sie darüber geschrieben, die englische Übersetzung des hebräischen Trinkspruches «Le Chaim» – «Auf das Leben».

Video: „Unknown Children“

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4 Kommentare

  1. War das der Tiefpunkt menschlicher Grausamkeit? Das Quälen und die Ermordung unzähliger jüdischer Kinder in deutschen Konzentrationslagern?
    Die Kulturnation Deutschland, das Land der Dichter und Denker, haltlos in den Sumpf aus Bosheit und Verblendung versunken. Wie krank, ist es sich an unschuldigen Kindern zu vergreifen!?
    Wir die wir die Gnade der späten Geburt erfahren haben können es nicht wirklich fassen, versuchen uns in hilflosen Erklärungen, „nie wieder“ Proklamationen, Ignoranz, oder einem gepflegten Antisemitismus.
    Versuchen wir mal eine göttliche Perspektive einzunehmen: „wer mein Volk antastet, tastet meinen Augapfel an“, zumindest zu Zeiten des Alten Testaments droht Gott mit Vergeltung, durch den Propheten Hesekiel lässt er ausrichten , er sucht die Schuld der Väter an den Kindern und Kindeskindern heim. Ist das noch gültig, oder hat es sich der Allmächtige anders überlegt?
    Haben ein paar Millionen deutsche Mark an Reparationszahlungen für Israel die Schuld die auf unserer Nation liegt getilgt? Schützt uns eine halbherzige Aufarbeitung der Nazizeit und der begangenen Gräuel an Gottes auserwählten Volk vor Gottes Gericht?
    Ich befürchte nicht, Gottes Mühlen mahlen langsam und auch das Mantra eines doch so lieben und gnädigen Gottes kann mich zumindest nicht überzeugen. Ich befürchte da kommt noch was auf uns zu !

    • Was ist wirklich gemeint?

      So ganz kann ich den Kommentar des lieben Stammtischbruders nicht verstehen. Er schreibt ja nichts falsches und alles was er meint, meine ich auch. Also was soll es heißen: „Die Kulturnation Deutschland, das Land der Dichter und Denker, haltlos in den Sumpf aus Bosheit und Verblendung versunken. Wie krank ist es, sich an unschuldigen Kindern zu vergreifen“?? Ist ja grundsätzlich richtig, aber zu unkonkret. Man kann eher nicht in der Art einer Rasenmähermethode behaupten, alle Leute bei uns seien in den Sumpf aus Bosheit und Verblendung versunken. Dass es einige sind, dem würde ich zustimmen. Auch was die Rechtsradikalen betrifft. Oder diejenigen, die Kinder (oder Erwachsene) missbrauchen. Und natürlich darf niemand das Volk Gottes antasten. Aber dies heißt ja nicht, dass die israelische Regierung nicht kritisiert werden darf und ggfls. diese auch gegen Menschenrechte verstößt. Jesus jedenfalls würde es bestimmt auch nicht gutheißen, wenn Siedler die Palästinenser nicht nur bedrohen, sondern ihnen dreist ihre Felder stehlen. Ein Heiliges Land ist nur dann heilig, wenn es sich auch heilig anfühlt. Jedenfalls sollten wir uns hier mit unseren jüdischen Mitgläubigen noch sehr viel solidarischer fühlen und dies auch öffentlich exemplarisch leben. Aber gleichzeitig kann ich nicht auch das regelmäßige Sterben von vielen Menschen, vorallem auch der Kinder, im Gazasteifen einfach ignorieren, denn das „du sollst nicht töten“ oder das „sollst deinen Nächsten lieben“, gilt genauso wie ihnen auch allen Menschen. Mit Israel versöhnt mich stets, daß hier – gemessen auch an deren Bevölkerungszahl – dort die größte Friedensbewegung unseres Planeten besteht. Ich hoffe, dies bleibt so. Denn wir alle sind Kinder Abrahams. So ganz absurd ist noch nicht einmal die Überzeugung ultraorthodoxer Juden, die den Staat Israel erst anerkennen wollen, wenn der Messias Einzug gehalten hat. Da wir ja auch auf ihn warten, gibts da Berührungslinien. Aber Jesus kommt als Friedefürst und er soll sanftmütig sein. Leider kommen viele Formen von Religion, auch bei uns Christinnen und Christen, nicht sanftmütig und liebevoll daher. Dann wäre unsere Liebe wirklich einladender. Mein alter Traum, ein viertel mal nach Israel zu reisen, kann ich wahrscheinlich abschreiben in diesem Leben. Das ist sehr schade. Den Stammtischbrüdern wünsche ich Frohe Ostern !

      • Ein paar klärende Worte zur deutschen Sprache: Man sagt z.B. ganz Neapel versinkt im Müll, oder Bogota ist fest in der Hand krimineller Banden, niemand nimmt das wörtlich, sondern es zeichnet eine Tendenz ab, oder ein großes Problem wird beschrieben. Und so ist auch meine Darstellung Deutschlands währen der Naziherrschaft zu verstehen. Jeder weiß es gab auch stille Kritik und aktiven Widerstand am Regime. Es ist dennoch völlig legitim von der Nation Deutschland zu sprechen, wir wurden/werden weltweit auch so wahrgenommen.
        Also werden sie bitte nicht zum Erbsenzähler lieber Bernd Hehner!
        Über ihre Tendenz bei jedem Thema ihre allgemeine Weltsicht kundzutun sehe ich hinweg, zumal ich auch dazu neige.

  2. Verboteantrag stellen bevor es zu spät ist

    Unter den rund 120.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren in Bergen-Belsen laut der Gedenkstätte insgesamt etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert. Schätzungen zufolge starben dort rund 800 Kinder. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die SS die Lagerregistratur vernichtet hat. Das jüngste der «unbekannten Kinder», ein Mädchen im Säuglingsalter, kam noch während des Transportes aus Westerbork um. (Zitat Ende).

    In den Naziverbrechen der Konzentrationslager wurde die Zwiespältigkeit in der Gestalt des Bösen deutlich, daß die hier mordenden Menschen zuhause liebevolle Familienväter oder -mütter waren. Im KZ Buchenwald gab es für die dortigen Angehörigen der SS und ihrer Kinder sogar einen kleinen Zoo, während gleich nebenan Menschen gequält und ermordet wurden. Der ehemalige Bundespräsident Lübcke war der Konstrukteur der Verbrennungsöfen samt Bedienungsanleitung – es konnen dort jeweils bis maximal 2000 Menschen verheizt werden. Es tun sich also immer noch tiefe Abgründe auf und wir sollten sehr sehr vorsichtig mit der Frage umgehen, wie wir mit unseren Rechtsradikalen in unseren Parlamenten hier umzugehen haben. Deren perfide Taktik besteht darin, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen. Irgendwann gibt es keinen Punkt einer Umkehrmöglichkeit mehr. Nun ist auch Donald Trump nicht mit den Nazis zu vergleichen, aber was er dort quasi als Alleinherrscher macht, ist eine Art von Staatsstreich auf anscheinend (noch) legale Art. Rechtsradikalen kann man bei uns nicht in die Demokratie einbinden, ohne daß sie diese Demokratie zerstören wollen. Jetzt gibt es vielleicht noch eine Möglichkeit, den Verbotsantrag durch das Verfasssungsorgan des Bundesrates beim BVG zu stellen, bevor es zu spät ist. Leider geht der Krug solange zum Brunnen bis er bricht und dies ist immer ein Zustand, in dem man die Feinde der Demokratie nicht mehr los wird. Allerdings versündigen sich diejenigen, die solche Parteien, egal aus welchen Erwägungen, wählen. Ich halte dies für enorm unchristlich, denn unchristlich ist bereit derjenige, der unserer christlichen Liebe nicht unbedingten Vorrang vor allen anderen politischen und taktisch gedachten Vorhaben einräumt. Rechtsradikale in die Demokratie einzubinden ist ein Irrweg, der aber gerne von diesen angenommen wird nach der unausgesprochenen Volksweisheit für Dummheit: „Die dümmsten Kälber laden ihren Metzer selber ein“! Wenn Herr Spahn jetzt forderte, der AfD doch die demokratischen Rechte gewählt zu werden für Ausschussvorsitze einzuräumen, muss er wohl völlig geistig abwesend gewesen sein. Ich will ihm nicht unterstellen, daß er dies nach der Prüfung seines Gewissens und unseres historischen Wissens über die Nazis, verantwortlich vorschlug. Die CDU sollte man in jedes Nachtgebet einschließen, daß sie sich nicht von der AfD vor sich hertreiben lässt und eines schönen Tages doch die Regierung stellt. Wehe denen, die dann unseren Klimawandel und diese Neunazis noch jeden Tag ertragen müssen. Die Hölle ist dann beweisenermaßen jener Zustand, den wir leicht auf politischen Art, und auch demokratischen Wahlen, schnell herzusstellen vermögen und wo planmäßig die Lüge zur Wahrheit ummodelliert wird.

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