Manche Politiker tun so, als wäre Nächstenliebe ein nationales Gut. Hier braucht es biblisch begründeten Widerspruch.
Von Dr. Ulrich Wendel
Nächstenliebe ist von Beginn an das Markenzeichen des christlichen Glaubens gewesen – und ist es noch. Aber nicht exklusiv des christlichen Glaubens, sondern das Nächstenliebe-Gebot ist eine Kernbotschaft des Alten Testaments (3. Mose 19,18). Der Jude Jesus lehrt seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, von der jüdischen Bibel zu lernen.
Also müssten wir es einfach tun: unsere Nächsten lieben. Allerdings gibt es in der politischen Öffentlichkeit seit einiger Zeit eine unsägliche Diskussion, wer denn mit den Nächsten gemeint sei. Ob das wirklich ganz allgemein alle Menschen sind – oder vielleicht doch vorwiegend die, die mir persönlich nahestehen. Dies ist der aktuelle Rahmen, in dem die Nächstenliebe-Lüge befeuert wird.
Bibel-Irrtümer in der Politik
Diese Lüge geht zum Beispiel so: Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, wird damit zitiert1, dass die Bibel „Nächstenliebe, nicht allgemeine Menschenliebe“ lehre. Das griechische Ursprungswort für „Nächster“ bedeute „der Angehörige des eigenen Volkes“. Berndt wird weiter zitiert: „Den Fremden sollten wir achten, aber unsere Liebe und Zuwendung gehört den Angehörigen des eigenen Volkes“. Zwischen „eigen und fremd zu unterscheiden“ sei „das Natürlichste der Welt – und auch christlich“.
Der AfD-Politiker2 ist nicht der erste und einzige, der so denkt. Anfang des Jahres äußerte sich der US-amerikanische Vizepräsident JD Vance über das (katholisch-dogmatische) Konzept der Rangfolge der Liebe (ordo amoris) und beschrieb es so: „Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nachbarn, dann liebst du deine Gemeinde, dann liebst du die Mitbürger in deinem eigenen Land und erst im Anschluss kannst du dich auf den Rest der Welt fokussieren und ihn priorisieren.“ Kein Geringerer als der spätere Papst Leo XIV. hatte ihn daraufhin öffentlich über das Wesen der biblischen Nächstenliebe aufgeklärt.
Im Licht der Bibel ist das Konzept der „gestaffelten“ Liebe falsch. Wollten uns die Politiker darüber belügen? Oder wissen sie es einfach nicht besser? Aber auch eine Unwahrheit, die man mit Nachdruck verbreitet, wird bald zur Lüge.
Sachkenntnis wäre schön
Wenden wir uns also den Fakten zu – was hier bedeutet: Schauen wir uns an, was in der Bibel steht. Natürlich kann man jetzt einzelne Verse herauspflücken und die gestaffelte Liebe damit zu belegen versuchen. So macht es der Philosoph Robert Spaemann, den die katholische Tagespost mit viel Sympathie (auch für JD Vance) zitiert: „Johannes schreibt in einem Brief: Tut Gutes allen. Besonders aber den Glaubensgenossen.“ Hier zeigt sich allerdings schon gleich die Unkenntnis: Es ist nicht Johannes, sondern Paulus, der das schrieb (Galater 6,10). Wenn Spaemann die Bibelstelle nicht richtig kannte, hätte doch wenigstens die Tagespost-Redaktion einen Faktencheck machen können.
Ähnliche Unkenntnis auch beim AfD-Politiker Berndt, der meint, das „griechische“ Ursprungswort für „Nächster“ bedeutet „Volksgenosse“. Was Berndt meint, trifft für das Alte Testament zu, aber das ist auf Hebräisch geschrieben. Sorry, es gibt kein „griechisches“ Ursprungswort. Sachkenntnis wäre schön gewesen.
Ausländer im Alten Testament
Aber was ist jetzt mit den Aussagen der Bibel? Machen wir einen kleinen Streifzug.
Nächstenliebe ist als Gebot im Alten Testament verankert, haben wir gesehen. Und ja, hier ist das eigene Volk im Fokus. Aber immer werden dabei die „Fremden“ mitgedacht, denen man seine Zuwendung nicht entziehen darf. Das ist nicht zuletzt im unmittelbaren Kontext des Nächstenliebe-Gebots so: 3. Mose 19 ,9-10. Auch im Zusammenhang der Zehn Gebote: 2. Mose 20,10. Auch im Umfeld weiterer Gebote: 2. Mose 22,20; 23,9. Auch in der Botschaft der Propheten: Maleachi 3,5. Begründet ist das ganz hochkarätig, nämlich im Wesen Gottes selbst: „Er verhilft Witwen und Waisen zu ihrem Recht. Er liebt die Ausländer und gibt ihnen Nahrung und Kleidung“ (5. Mose 10,18). In all dem wird schlicht vorausgesetzt, dass „Fremde“, Ausländer, im Land Israel leben.
Jesus definiert „Nächster“
Gehen wir ins Neue Testament. Die Definition von Jesus, wer denn mein Nächster sei, ist so klassisch, dass alle christlich sozialisierten Menschen sie schon im Kindergottesdienst lernen. „Und wer ist mein Nächster?“, fragt ein Gesetzeslehrer, und Jesus erzählt das Gleichnis vom Samariter, der dem hilft, der unter die Räuber gefallen ist. Samaritaner, die Andersgläubigen, die religiös Fremden in Israel: So einer handelt im Gleichnis barmherzig und erweist sich als Nächster, über Kultur- und Milieugrenzen hinweg (Lukas 10,29-37). Der Nächste ist hier gerade nicht der Nahe, sondern der Ferne, Fremdartige, über den man zufällig „stolpert“.
„Eskalation der Nächstenliebe“
Auch Papst Franziskus ordnete wenige Monate vor seinem Tod in einem Schreiben an die US-amerikanischen Bischöfe die „Ordnung der Liebe“ dem Samariter-Gleichnis zu: „Die wahre ordo amoris, die gefördert werden muss, entdecken wir, wenn wir beständig über das Gleichnis vom ‚barmherzigen Samariter‘ (vgl. Lk 10,25-37) meditieren, das heißt, wenn wir über die Liebe meditieren, die eine Brüderlichkeit schafft, die ohne Ausnahme für alle offen ist.“ (Vatikan-News).
Und Paulus, der ja schrieb, man solle das Gute zuerst an den „Glaubensgenossen“ tun? Kleiner Seitengedanke: Der Glaubensgenosse ist ja etwas anderes als ein Volksgenosse. Das Reich Gottes und die christliche Kirche sind international übergreifend aufgestellt. Selbst wenn mir nur an Christen läge und ich nur mit ihnen solidarisch wäre, müsste ich demnach mexikanische, serbische, kenianische und pakistanische Jesusnachfolger herzlich aufnehmen.
Neutestamentliche Gedankenketten
Aber Paulus hat – im Zusammenklang mit anderen Brief-Autoren des Neuen Testaments – noch mehr zu sagen. An auffällig vielen Stellen entwerfen sie eine „Eskalation“ der Nächstenliebe. Sie geht bewusst von innen nach außen und ist erst zum Ziel gekommen, wenn man außen angelangt ist. Gönnen wir es uns, diese Stellen hier einzeln aufzuführen (Lutherübersetzung; ich erlaube mir, Pfeile einzuzeichnen):
- „Euch aber lasse der Herr wachsen und immer reicher werden in der Liebe untereinander → und zu jedermann …“ (1. Thessalonicher 3,12).
- „So wendet allen Fleiß daran und erweist in eurem Glauben → Tugend und in der Tugend → Erkenntnis und in der Erkenntnis → Mäßigkeit und in der Mäßigkeit → Geduld und in der Geduld → Frömmigkeit und in der Frömmigkeit → Brüderlichkeit und in der Brüderlichkeit → die Liebe [agápē; allgemeine Nächstenliebe]“ (2. Petrus 1,5-7).
- „Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander → und für jedermann“ (1. Thessalonicher 5,15).
- „Erinnere sie daran, dass sie sich den Obrigkeiten, die die Macht haben, unterordnen, dass sie gehorsam seien und zu allem guten Werk bereit, niemanden verleumden, nicht streiten, freundlich seien und alle Sanftmut beweisen gegen alle Menschen“ (Titus 3,2). (Anmerkung: Wenn die „Obrigkeit“ bestreitet, man solle barmherzig „gegen alle [!] Menschen“ sein, dann steht das Ende des Verses in Spannung zum Anfang. Im Neuen Testament ist klar, dass die „Obrigkeit“ nicht zu definieren hat, was die „guten Werke“ sind, sondern hier behält sich das Neue Testament die Deutungshoheit vor. Gute Werke gegenüber „allen Menschen“ wären im Konfliktfall also auch gegen die Obrigkeit durchzusetzen.)
- „Ehrt jedermann, habt die Brüder und Schwestern lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!“ (1. Petrus 2,17). (Anmerkung: Die Liebe zu den Glaubensgeschwistern und die Ehrerweisung gegen den „König“ streichen nicht die erste Aufforderung durch, „jedermann“ zu ehren.)
- „Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!“ (Philipper 4,5). (Anmerkung: „Man beachte: ‚allen Menschen‘ soll unsere Güte bekannt werden, also nicht nur den Gesinnungsgenossen, Mitchristen und Angehörigen, sondern auch den Draußenstehenden, Gleichgültigen, ‚allen Menschen‘. Jesu Entschränkung der Liebe auch auf den Feind (Mat.5,43ff.) steht – auch ohne formale Anklänge – deutlich im Hintergrund.“ Gerhard Barth, Der Brief an die Philipper, Seite 73.)
Keine Abschwächung
Die Bewegungsrichtung der Liebe ist eindeutig: Sie fängt innen an, macht aber auf dem Weg nach außen nicht an bestimmten Grenzen halt (etwa an den Grenzen der Familie, der Nation, der Religion) und schwächt sich an diesen Grenzen auch nicht ab, sondern die Liebe setzt ihren Weg ungemindert fort: von innen nach außen, hin zu allen Menschen.
Das ist es, was Jesus will. Das ist es, was das Neue Testament vielfach unterstreicht. Das ist es, was Gott schon in der Hebräischen Bibel dringlich gemacht hat.
Finger weg also bitteschön von biblischen Aussagen, die als Halbwahrheit formuliert und politisch instrumentalisiert werden! Es ist Zeit, Schluss zu machen mit der Nächstenliebe-Lüge!
Dr. Ulrich Wendel war Lehrbeauftragter für Neues Testament, ist Chefredakteur des Magazins Faszination Bibel, Mitherausgeber des Lexikons zur Bibel und Herausgeber verschiedener Bibelausgaben und Studienbibeln.
1 Evangelische Nachrichtenagentur IDEA e.V.; Pressedienst vom 27.10. 2025
2 Mit dem Einstufungsvermerk vom 14.4. 2025 hat der Verfassungsschutz Brandenburg den Landesverband Brandenburg des AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
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Im Prinzip ein guter Text von Hr. Wendel.
Was mir fehlt, sind die Antworten auf die nicht-thematisierten Elefanten im Raum:
– Koennen wir allen Menschen helfen? (Nein, wird auch nirgends verlangt?)
– Muss es also eine Art von Triage (Auswahlverfahren) geben? (Ja, leider; Ressourcen sind endlich).
– Sollten wir allen Menschen helfen, bis zur Selbstaufgabe/Selbstzerstoerung? (Das kann ein Einzelner fuer sich so entscheiden; aber keine Gruppe fuer mich, sonst setzt Bockigkeit ein)
– Werden hier die Kategorien individuelle Verantwortung (Helfe deinem Naechsten) vermischt mit einer ggfs mehr oder weniger vorhandenen gesellschaftlichen Verantwortung („wir alle [aka va die Anderen ;-)]“ helfen allen Naechsten? (Ja, das ist der alte Trick, moralischen Druck aufzubauen. V.a. von denen, die sowieso von OPM leben (other peoples money). Solange kollektive Hilfe freiwillig ist, ist sie gut. Wenn sie aber zum Zwang wird: „Los, du hast viel mehr als die Armen, gib gefaelligst, arbeite laenger, zahle mehr Abgaben, …“ wird es schief!
Die Argumentation ueber die Moral fuehrt zu verhaerteten Fronten. Einzuladen, persoenlich mitzuhelfen, zu dienen, zu geben ist dagegen der richtige Weg. Auch zu akzeptieren, wenn das immer weniger auf dem aktuellen Niveau wollen.
In der Demokratie muss man aushalten, wenn eine Mehrheit eine gewisse Zeit das Falsche, das Unvernuenftige, das Unsinnige will (unkontrollierte, ueberfordernde Migration). Die „umzingelnde Realitaet“ buegelt das ueber kurz oder lang wieder aus! In diesem Prozess sind wir seit ca. 1 Jahr angefangen. Er wird weiter gehen. Die AfD ist das Symptom, nicht die Ursache, oder?
LG Joerg
Im Buch ‚der Name der Rose‘ wird von einem Theologischen Disput berichtet. Ich weiß nicht, ob dieser wirklich historisch ist. Ich kann es mir aber gut vorstellen.
‚Gehörte Jesus seine Kleidung?‘ Sprich hatte er eigenen Besitz?
Ein großer Teil des Klerus, der dieses theologisch bejahte, folgerte daraus, dass es dann auch in Ordnung sei, immense Reichtümer persönlich zu haben.
Dieser Trick wird auch bei der Nächstenliebe angewandt. Man kann doch gar nicht allen Nächstenliebe zukommen lassen, deshalb nehmen wir nur die uns nächsten, schon das ist schwierig.
Die Behauptung stimmt, die Schlussfolgerung aber ist falsch (und unbiblisch). Denn die Beispiele, wo jemand geholfen wurde, das waren in der Regel völlig Fremde. Nicht die ganze Welt, aber immer genau da, wo man es sah.
> Die AfD ist das Symptom, nicht die Ursache,
Die Ursache ist auch nicht die Migration. Mit der wird Deutschland als 3.reichstes Land der Welt locker fertig (was eine vernünftige Regelung nicht ausschließt, aber die will ja kaum einer auf beiden Seiten wirklich). Die Ursachen sind vielfältig: Ein Aufkommen und Schüren von Hass und Feindseligkeit, gepaart mit einer Neiddebatte und Lügenkampagnen, wie sie früher technisch gar nicht möglich waren. Und damit verbunden einer Enthemmung weiter Teile der Bevölkerung. Bei all dem ist die AfD Mitursache und Symptom gleichermaßen.
Es ist halt ein Unterschied, ob jemand Christ oder christlich ist.
Viele Christen gehen davon aus, dass sie damit automatisch christlich sind. Wie der Artikel zeigt, ist das ein Irrtum.
Wenn es jetzt im evangelischen heißt ‚allein der Glaube …‘, so stellt sich die Frage, ob es bei diesen Christen wirklich der gemeinte Glaube ist. Mir scheint da oft falsche Sicherheit vorzuherrschen.
Niemand kann sich der Faszination Gottes entziehen
Antwort an Chey: Natürlich bin ich nicht allwissend und versehen mit absoluter Wahrheit. Aber entweder ist jemand Christ/in, oder nicht. Ist man dies aber, dann sind sie auch christlich zu nennen. Selbstverständlich sind Atheisten, Nihilisten, Positivisten und auch Anhänger anderer Religionen dabei grundsätzlich keine schlechteren Menschen, was sich aus Lebenserfahrungen ergibt. Liebevolle Menschen mit viel Empathie gibt es überall. Obwohl es darüber wahrscheinlich keine Studie gibt, die hinter die Stirnen von Menschen sieht und deren Gefühle. Mit Glauben ist hier vor allem im evangelischen, aber heute sicherlich auch im katholischen Sinne, immer und in allererster Linie ein ganz großes Vertrauen in Gott gemeint. Die Psychologen auch auch Theologen – wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven – wissen, dass unsere Gläubigen, und sinngemäß auch jene in anderen Religionen, stets von Person zu Person, ihr sehr ureigenes Gottesbild haben. Dieses resultiert möglicherweise nicht unerheblich aus den Erfahrungen mit den eigenen Eltern. Wer da Urvertrauen gewonnen hatte, sieht im Väter- und Mutterbild das eigene Gottesbild bestätigt. Mir wird deutlich, dass dies menschliche Annäherungen an ein nicht so einfaches Thema sind. Von Jesus wissen wir extrem wenig, außer was uns treulich urgemeindlich überliefert ist und sich an Inhalt und Tiefe, leider auch zu Oberflächlichkeit, über die vielen Jahrhunderte deutlich veränderte. Es ist naheliegend, dass man die Bibel eher an der Person Jesu, also mehr an den biblischen Redakteuren der vier Evangelien, als den Briefen der Bibel festmacht. Leider sind auch die Info`s der Bibel über Jesus Christus wie ein vielfach übermaltes Bild. Es gibt den Jesus aus gut gemeinter jüdischer Sicht, jenen heute auch der Evangelikalen, Liberalen und der Charismatiker, sowie darüber hinaus noch die Sichtweisen einer holzschnitzsartigen mittelalterlichen Form der Fundamentalisten. Viele überzeugte Christinnen und Christen haben oft leider wenig Informationen über den Glauben.
Ich persönlich bin vollständig davon überzeugt, dass jede/r jenseits dieser hier geschilderten Fakten mit demjenigen Gott, der auch das ganze fast Universum nur mit Liebe regiert, aber dennoch trotzdem wie der Schatten über meiner rechten Hand sehr nahe ist, einen persönlichen seelischen Kontakt pflegen könnte und sich subjektive Glaubenserfahrung eigentlich nur aus einer persönlichen Gotteserfahrungen und -begegnen ergeben muss. Denn diese Erfahrung zeigt sich zumeist darin, in Gott die sanfte und sehr persönliche und vor allem absolute Liebe zu erleben und nicht jene Befürchtung, dass der sinnbildlich beste Vater und liebste Mutter am Ende 99% seiner Kinder einfach ins Nichts wirft.. Oder schlimmer noch in mittelalterlicher Sichtweise, in einer Hölle ewig quält. Dieses Gottesbild hat sich leider aus sehr allgemeiner Erfahrung der Antike, mit brutalsten Herrschern, auch in die Vorstellung einer Herrschaft Gottes eingeschlichen. Daher kommt auch die Idee, der Himmel habe kriegerische Engel und gute Engelsoldaten kämpfen gegen diejenigen Bösen und Abtrünnigen, um die Herrschaft in der Unendlichkeit. Nicht wenige Christen, wenn sie denn ihren Glauben reflektieren, glauben an Gott als den ganz Anderen, der eher am Ende aller Zeiten alles wieder in Ordnung bringt, was wir auf Erden hier eben nicht getan haben. Wenn Gott Liebe ist, dann funktioniert diese Liebe auch nicht, dass sie unter Voraussetzungen geschenkt wird, etwa durch Leistung. Die weltweite Christenheit ist trotzdem eine Einheit in der Vielfalt, aber es gibt in den unterschiedlichsten Kirchen bzw. hier ebenso unterschiedlichen Menschen und Kulturen, also keine absoluten Schnittmengen. Nicht umsonst besteht das Doppelgebot der Liebe als Heilsvoraussetzung, nicht aber eine Glaubenslehre, welche alle Widersprüche des Seins einfach zu erklären in der Lage wäre. Da wird dann gerne auf den Buddhismus verwiesen, aber Schwachpunkte sind hier, dass auch diese Religion nur aus Menschen besteht, die in anderen Ländern und anderen Gesellschaften auch nicht immer friedlich agieren. Nur diese Religion versucht Gott nicht zu erklären, was wir hier ebenfalls nicht könnten. Genauso wie Unendlichkeit ist er als Gott keine Projektion menschlicher Vorstellungen und niemals auf dem Wege habhaft zu machen, ihn in einer Formel bald auch zu erklären. Es scheint kein Gottesteilchen zu geben, dass die Kette schließt und alles kausal sinnhaft machte. Gott ist höher als unsere Wege und Gedanken. Als überzeugter Christ bin ich zuversichtlich, dass alle Menschen am Ende aller Tage alles wissen dürfen. Immerhin bin ich Gott auch begegnet. Eine solche Begegnung schildert die Bibel durch Saulus, der vor Damaskus einem großen Licht begegnet, Gott selbst, Aber dann wird aus dem brutalen Verfolger der jungen Gemeinde der Apostel Paulus. Vor allem diese Geschichte lässt mich hoffen, dass niemand auf Erden und in der Unendlichkeit in der Lage wäre, sich der Faszination Gottes zu entledigen. Am Ende begegnet jeder Gott und versöhnt sich.
Ich meinte die Unterscheidung:
Christ: Bezeichnet sich als Christ und wird auch so von anderen bezeichnet
christlich: Handelt wie ein Christ (Maßstab: die Aussagen Jesus in den Evangelien dazu); auch wenn es nur ein Samariter ist.
Ein guter gründlicher Artikel zum Thema Nächstenliebe. Trotzdem noch ein paar kritische Gedanken.
Wir Männer sollen unsere Frauen lieben (an den Mann gerichtet, wie Christus die Gemeinde) und umgekehrt und die Liebe zu eigenen Fleisch und Blut soll und darf die Liebe zum Nächsten übersteigen. Also ich sehe schon so etwas wie eine „Rangfolge“. Und es ist auch erlaubt zu irgendeinem Menschen eine stärkere Zuneigung zu empfinden als zu irgendeinem anderen. Bleiben wir einfach natürlich in unserem Menschsein!
Die Fürsorge des Staates gilt in erster Linie der eigenen Bevölkerung, das ist doch logisch. Und je nach Vermögen hilft man den Fremden.
Jesu Anspruch und Lehre beim Thema Liebe übersteigt die natürlichen Ressourcen eines Menschen. Er sprengt die menschliche Dimension und lässt einen erstmal ratlos zurück. Bei genauerem Hinsehen wird man verstehen, dass er den Neuen Menschen im Blick hat, den dem Gott das steinerne Herz genommen hat und ein fleischenes gegeben. Nur mit dem Beistand des hl Geistes können wir die Begrenzungen unseres Liebespotenzials sprengen und sogar zur Feindesliebe kommen. Wollten wir es ohne Gott schaffen würden wir scheitern.
Man sollte vorsichtig sein, die Forderungen Jesu, die zuerstmal an das Individium gestellt sind einszueins auf Staaten zu übertragen, so funktioniert das nicht und verleitet zur Heuchelei, man will „das Gute tun“ an den Staat delegieren.
Lieber Herr Wendel,
noch nie habe ich einen Artikel von ihnen umsonst gelesen. Da ist immer was dabei, was mir etwas beibringt. Vielen Dank!
Sven Godau – ein ganz normaler Pastor…
Ein wirklich guter Artikel, vielen Dank. Ich habe immer noch im Kopf, wie der so populäre Charlie Kirk agiert hat. Neben extrem konservativen Ansichten zum menschlichen Zusammenleben, die eben konservativ aber deswegen nicht per se falsch sein müssen (gibt halt verschiedene Auslegungen der Bibel, manche sind näher dran, manche leider weiter weg), hat er aber sogar die Gleichberechtigung der schwarzen US-Bevölkerung als falsch deklariert, überhaupt Minderheiten herabgesetzt und die Überlegenheit der „Weißen“ hervorgehoben. Bisher konnte mir noch keiner der Kommentatoren hier erklären, aus welchen biblischen Einsichten das hergeleitet wird und ob das überhaupt noch als christlich anzusehen ist. Es einfach als seine persönliche politische Meinung unvermittelt neben seinen Glauben zu stellen, empfinde ich nicht als ausreichend. Schließlich agierte er nicht vorrangig als Politiker, der nebenbei auch Christ ist, sondern hat sich vorrangig als christlicher Verkündiger dargestellt, der quasi aufgrund seines Glaubens notwendig zu diesen und jenen ultra-konservativen Erkenntnissen gekommen sei und diese deshalb in seine christliche Verkündigung hineinmischte. Und darin dann die Botschaft: wenn jemand glaubhaft und wirklich Christ sein wolle, müsse er im Grunde diese gleichen politischen Einsichten teilen. Sonst steht nicht nur seine politische Urteilsfähigkeit in Frage, sondern sein Glaube und gleich mit.