Demut heißt: „sich ducken, sich beugen“. Was es wirklich bedeutet, demütig zu leben, wird oft missverstanden. Theologe Christof Lenzen ist überzeugt: Mit blinder Folgsamkeit hat das nichts zu tun.
Was für ein furchtbares Wort: Demut! Automatisch schwappen in mir innere Bilder hoch: Mönche, die sich selbst kasteien, Katzbuckelei, Unterwürfigkeit, auf sich herumtrampeln lassen und immer schön dienen, dabei den Mund halten und nicht aufmucken. Puh!
Doch auch: Demut – was für ein notwendiges Wort! Ich spüre angesichts der glatt polierten, fassadenhaften Influencerinnen und Influencer auf Instagram oder TikTok, die vor allem eins machen: Sich selbst und ihr glorreiches Leben in den Mittelpunkt stellen – ich spüre, dass Demut fast schon wie ein Gegenentwurf, vielleicht sogar ein Heilmittel sein kann in unserer egozentrischen Welt! Und dabei meine ich nicht das gesunde Ichbewusstsein, von dem auch Gott möchte, dass wir es in uns tragen. Das Wissen um Würde und Begabungen, um Gottebenbildlichkeit und Verantwortung.
Da ist aber auch dieser andere Teil in uns, der uns und unserer Umwelt nicht guttut! Die Mystiker nannten und nennen es „das falsche Selbst“ oder eben schlicht Ego. Es will sich selbst zur Mitte machen und wichtiger sein als andere, als die Umwelt und auch als Gott. Und es geht dabei über Leichen. Wir treffen auf dieses falsche Selbst, Tag für Tag. Bei denen, die ohne Rücksicht auf Verluste Benzin durch ihr SUV jagen, als gäbe es kein Morgen. Die sich ihr Billigfleisch auf den Grill legen – Hauptsache, es qualmt. Die Menschen abwerten und verurteilen aufgrund von Hautfarbe, Status, Geschlecht, was auch immer. Egos zeigen in diesen Tagen mehr und mehr ihre hässliche Fratze. Und ja, ich bin auch dabei! Der einzige Unterschied kann sein: Immer weniger aus dem falschen Selbst leben wollen und immer mehr aus dem gesunden Ich, das Gott geschenkt hat. Demut? Kann dabei wesentlich helfen! Schauen wir uns diese an.
Ich bin nicht der Schöpfer
Schon das Alte Testament erhebt Demut zu einer wertvollen Tugend, einer Haltung, die guttut! Dabei bedeutet das hebräische Wort so viel wie „sich ducken, sich beugen“. Was in mir gewisse Abwehrreflexe auslöst, die aber für den modernen und postmodernen Menschen seit der Aufklärung ganz typisch sind! Was aber ist wirklich gemeint? Dass sich der Mensch gegenüber dem Stärkeren beugt. Gegenüber Gott. Aus dieser Demut erwächst die Ehrfurcht vor eben diesem Gott. Ich möchte das ernst nehmen, meine Reflexe zurückstellen und dem nachspüren.
„Schon das Alte Testament erhebt Demut zu einer wertvollen Tugend, einer Haltung, die guttut! Dabei bedeutet das hebräische Wort so viel wie ’sich ducken, sich beugen‘.“
Diese Demut zu besitzen, hat nämlich sehr positive Konsequenzen! Sie bedeuten: Ich anerkenne mich als Geschöpf. Und ich habe einen Schöpfer und das bin nicht ich! Ich bin Ton, nicht zuerst Töpfer. Erst wenn ich das angenommen habe, kann ich in einer Haltung leben, in der mir Gott selbst ebenfalls Ton in die Hände drückt, damit ich diese Erde mit ihrer Schöpfung heilsam gestalte. Maße ich mir selbst an, Schöpferin und Schöpfer zu sein, die und der niemanden über sich hat, dann wird es schief, ja gefährlich. Dann fühlt sich zwar unser falsches Selbst gebauchpinselt, weil wir dann selbst Majestät unseres Lebens sein dürfen – aber wir sind wesensmäßig nicht dazu gemacht!
Ja, wir haben Autorität, ja, wir haben Schöpferkraft. Aber diese sind verliehen und kein Selbstzweck. Wir sind verbunden! Verbunden untereinander, mit dieser Welt und mit Gott. Und erst, wenn wir uns einordnen in diesen Schöpfungszusammenhang, produzieren wir weniger Leid. Das wussten auch schon die Urvölker dieser Welt, das weiß auch die Bibel – wir haben es leider mehr und mehr vergessen in dem Wahn, selbst Gott sein zu wollen.
Jesus lebt Demut vor
Dann kommt dieser Jesus. Und mit ihm ein unglaublicher Plot-Twist in der Geschichte zwischen Gott und Mensch, der einem geradezu den Atem rauben kann. Jesus verlangt keine Demut, er sagt, dass er selbst von Herzen demütig ist! Gott ist demütig! Er demütigt sich selbst und wird Mensch. Klein. Verletzlich. Und unterwirft sich den Egos seiner Zeit, die ihn letztlich umbringen, weil sie ihn nicht ertragen!
Wir unterwerfen uns also keinem weit entfernten Gott mehr, sondern werden zum Wegbegleiter, zum Freund des demütigen Gottes selbst. Jesus könnte uns das etwa so sagen: „Ich sehe, dass ihr es nicht aus euch selbst heraus schafft, euch einzuordnen in den Schöpfungszusammenhang und diese Welt so zu einem besseren Ort zu machen – also lebe ich es euch jetzt vor, komme auf Augenhöhe und wenn ihr wollt, machen wir das in Zukunft zusammen! Denn diese Welt soll ein besserer Ort werden. Aber das mache ich nicht gegen euren freien Willen!“ So zeigt Jesus im Neuen Testament, wie Demut aussieht und das ist alles andere als Duckmäuserei!
Natürlich dient Jesus. Das heißt aber auch, dass er genauso Klartext redet, Autoritäten hinterfragt und radikal Umkehr predigt gegenüber den Mächtigen. Ja, ich würde ergänzen: Gerade, weil er selbst demütig ist, weil er sich selbst aus Liebe gedemütigt hat, kann er nicht gedemütigt werden. Er ist frei! Und kann deswegen sagen und tun, was ihm aufs Herz gelegt ist ohne Rücksicht auf Menschenmeinung und -zustimmung! Demut erzeugt Freiheit! Erzeugt das nicht Lust auf Demut?
„Gerade, weil Jesus selbst demütig ist, kann er nicht gedemütigt werden.“
Wachstumsschritte für mehr Demut
Aber wie wachsen wir nun in gesunder Demut? Ich selbst bin wahrlich kein Held in Demut. Denn das ist ja auch ganz schön schwer erst einmal! Je mehr wir im Leben – gerade in unseren prägenden Lebensjahren – verletzt wurden, desto mehr ist da etwas in uns, das nach Bedeutung und Wert lechzt, das „Ich, Ich, Ich“ sagt und sich eben nicht einordnen möchte! Dieses verletzte innere Kind darf nicht plattgemacht werden! Es darf stattdessen Stück für Stück lernen, dass Demut guttut und heilt! Dazu formuliere ich einige Thesen zur Demut, die bei den ersten oder nächsten Schritten helfen können.
- Demut wächst aus Stärke. Nur wer sich gefunden hat, kann loslassen. Es geht nicht darum, sich selbst zu vernichten, geringzuschätzen, kleinzumachen. Demut ist eine Haltung, die aus Stärke erwächst. Ein wichtiges Reframing für unsere Seele!
- Demut feiert Gaben und Grenzen. Gesunde Demut denkt nicht geringer von sich, als man ist. Da ist kein Raum für Selbstabwertung. Das ist schon deswegen wichtig, weil wir uns sonst nur selbst verletzen würden, wir schlagen damit das in uns, was eh schon geschlagen ist, und das kann niemals gesund sein. Deswegen denkt Demut nicht größer, aber auch nicht kleiner von sich!
- Demut erdet uns auf gesunde Weise. Das lateinische Wort für Demut ist humilitas – da steckt humus drin, die Erde. Somit kann Demut auch verstanden werden als ein „sich zur Erde halten, nicht abheben“. Demut achtet das Geschöpfliche und die Schöpfung nicht gering und nimmt das Leben an, flüchtet nicht vor ihm. Gleichzeitig weiß sie um den Himmel und will, dass ein wenig mehr Himmel auf dieser Erde sichtbar wird.
- Demut kann den Kopf unter den Arm nehmen, ohne das Gesicht zu verlieren. Wir nehmen unseren Kopf, unsere Gedanken häufig zu ernst, identifizieren uns sogar mit ihnen. Dabei ist unser Kopf nur ein Teil des Ganzen und wir dürfen diesen Teil auch relativieren. Wir sind nicht verpflichtet, jeden Gedanken ernst zu nehmen. Wir dürfen über uns lachen und uns relativieren. Wir dürfen Fehler machen und diese fröhlich eingestehen. Demut lehrt uns, dass wir nicht gedemütigt werden können, wenn wir echt sind.
- Demut bedeutet Respekt – sich selbst gegenüber, der Umwelt, dem Nächsten und Gott. An diesem Punkt stoßen wir auf eine sich selbst verstärkende Abhängigkeit: Demut erzeugt Respekt und Respekt verstärkt die Demut. Sich einsetzen, dienen, den Mund aufmachen, heilen, zuhören, vom Gegenüber her denken und nicht nur von sich selbst her, vergeben und Vergebung empfangen – all das fehlt heute so sehr. Und hat so viel mit Demut zu tun.
Natürlich gibt es auch eine falsche Demut. Eine Demut, die Sympathien einheimsen will, denn natürlich wird eine sanfte, demütige Haltung erst einmal gern gesehen. Dann aber wird Demut zum Trick des Hochmuts! Da spielt uns das Ego einen Streich. Das müssen wir im Blick behalten. Sonst aber gilt: Kaum etwas ist so kraftvoll wie die Demut. Und so heilsam. Für uns und unsere Welt.
Christof Lenzen ist Theologe, Ehemann und Vater aus Hanau.
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift andersLEBEN erschienen. andersLEBEN erscheint im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.
Falsches Selbst“ oder Ego
Er war eher selten ein aggressiver Mensch. Sehr kleingewachsen, wurde der Bürgermeister gefühlt drei Meter groß, wenn die bösen Jugendlichen mit lauten Mopeds sehr viel Lärm vor seiner Tür verbreiteten. Große Menschen mussten dies immer nach außen deutlich machen, damit es jeder ebenfalls glaubte. Sie saßen nicht nur auf einem hohen Thron, sondern die Untergebenen mussten zu den Füßen eines weltlich Allmächtigen sich sodann kleinmachen, demütigen und auf Gnade und Erhörung hoffen. Natürlich braucht ein König ein großes Schloß, einen Park dazu und selbst heute noch einen enormen Hofstaat. Macht haben auch ganz viele Personen in Vorzimmern von Landräten, Ministern und Präsidenten, denn sie bestimmen wen die Dame oder der Herr an der Macht empfängt und wann dies geschieht. Sie legen Wert darauf diese Regeln strikt anzuwenden, denn nur darin besteht ihre Macht. Sie machen dies, was Betroffene als Makel empfinden: Sie demütigen, machen abhängig und zeigen, wer das Sagen hat. So fühlt es sich an. Auch sehr machtlose Personen können enorm mächtig sein, über Terminkalender, auch für dringliche Arzttermine. (Flache Hierarchien in Großfirmen und Institutionen haben sich schnell ins Gegenteil verkehrt, weil Hierarchie immer Macht bedeutet. Denn kein Vorstand möchte sich dysfunktionalisieren und keiner der Macht ausüben muss/soll/darf will darauf verzichten. Nur Jesus war ganz demütig, er ließ sich freiwillig für unsere Lieblosigkeit hinrichten).
Heute in der Politik ist es fast schon Brauch, ein wenig populistisch zu sein, mit markigen Worten, markigen Plänen und bisweilen sehr unliebsame Mitbewerber:innen für unfähig, dumm oder als Lügner zu bezeichnen. Und selbstverständlich ist man alleine der Vertreter völliger Wahrheit und Klarheit. Als ich mit dem Fahrer eines hohen Politikers einmal ins Gespräch kam, erzählte er mir, dass sein Fahrgast – ein bekannter Politiker – mit ihm an jedem Arbeitstag bis zu 14 Stunden unterwegs sei, also manchmal auch an Wochenenden. Das politische Geschäft ist so anstrengend, daß sich Betroffene wie im Haifischbecken fühlen, von Feinden umschlossen. Aber würde man nicht den eigenen politischen Freunden oder Gegnern zum Opfer, müsste man an Erschöpfung sterben. Was aber selten geschieht, auch Adrenalien kann Leben verlängern. Macht auf Zeit, bedeutet sie als Gewählter in Stetigkeit zu verändern und es muss viel Zeit und Energie aufgewendet werden, nicht nur dem Land zu dienen, sondern vorallem dem dringend erforderlichen Machterhalt. Despoten ändern sofort den Verfassungszusatz, der es erlaubt, auf Lebenszeit der Herrscher zu bleiben.
Der damalige Bundeskanzler Schmidt bezeichnete den Abgeordneten X als seinen dümmsten Parlamentarier, was aber gleichwohl auch nur in vertrauter Runde geschah. Der Abgeordnete X war wie mein Nachbar, kleingewachsen, trug Hosenträger, sah aus wie ein kleiner Beamter mit abgewetzter Aktentasche und kam überall zu spät. Aber seine Größe bestand in der Allpräsenz. Kein Tag, keine Woche und kein Monat, wo von ihm in der örtlichen und regionalen Presse kein Bericht stand, oder ein Bild abgedruckt wurde. Es gab keine Feier ohne Meier (Müller oder Schulze). Wie Genscher ist er sich wohl auch öfters unterwegs begegnet, nur eben als Abgeordneter nicht auf dem Flughafen, sondern auf den Autobahnen unserer Republik. Egoisten sind meist Opfer, weil sie sich vermarkten müssen. Sie woillen sich groß machen, weil andere sonst größer sind und sie überschatten. Man wird sich dann immer mehr zur eigenen Welt. Wie damals die Herren des Turmbaues zu Babel. Als sehr einsame Machthaber, isoliert in der Höhe des Turmes, deren Volk sich wegen der Demütigungen der Mächtigen spaltete und kleiner mehr den anderen verstand. Dies ist immer schon geschichtliche Realität gewesen: Macht erzeugt Demütigung. Ohne Machtzu sein wird oft als eine Ohnmächtigkeit erfühlt.
Nun will ich kein Gebet anstimmen: „Lieber Gott, danke dass ich nicht so sein muss“?! Wir sind, ein wenig oder ein wenig mehr, immer auch solche Egoisten. Wir kreisen um uns selbst. Wir müssen im Vorstand sitzen und nicht im Plenum. Wir hätten gerne Macht und sind weniger begeistert die Macher. Wir bieten älteren Menschen gerne den Platz im vollen Bus an, aber nicht bei der Macht. Aber wir können uns auch unter Gott sehr gerne demütigen. Nicht als Akt der Unterwerfung, sondern als ein Tun, Fühlen und ein Gebet, dass darum weiß, dass Gott selbst alle Wirklichkeit, sowie auch uns umfasst und in unserer Seele wohnen will. Als Kind Gottes muss ich mich auf keinen Schemel stellen um größer zu sein. Ich bin deshalb wertvoll, weil Gott mich für wertvoll hält und unverbrüchlich liebt. Deshalb können auch kleine Menschen glücklich werden, denn ihre Heimat wird nicht obdachlos und ist im Himmel sicher. Der Egoist kreist nur um die kleine Welt, die er kennt, sich selbst. Der Demütige liebt Gott mehr als alles andere. So jedenfalls wäre es im Ideal.