Der katholische Theologe Michael Brendel glaubt, dass Christen nicht um das Thema KI herumkommen. Er findet, dass die Kirchen dazu nicht schweigen dürfen, weil die Technologie starke gesellschaftliche Auswirkungen hat.
Seit Ende 2022 der Chatbot ChatGPT veröffentlicht wurde, ist Künstliche Intelligenz in aller Munde. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein neues Tool oder eine neue Funktion durch die – vor allem sozialen – Medien geistert. Doch Künstliche Intelligenz steht auch in der Kritik, etwa wegen ihres riesigen Energiebedarfs, ihrer mangelnden Faktentreue oder ihrer Rolle als Brandbeschleuniger für Desinformation und Propaganda.
Herr Brendel, inwiefern sind ChatGPT und andere KI-Dienste eine Herausforderung für den Glauben?
Michael Brendel: Ich würde sogar sagen, dass Künstliche Intelligenz eine Provokation für den Glauben ist. Denn sie zielt ins Herz unserer Religion, nämlich auf das Wort. Im Christentum ist das Wort heilig. „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“, heißt es im Johannesprolog. Jesus Christus wird als das Mensch gewordene Wort gedeutet. Der Sprache wohnt also etwas Göttliches inne. Es ist für uns Menschen sogar heilsnotwendig, denn ohne Sprache wird kein Sakrament gültig!
Dieses Medium nutzen nun auch Computer. Anders als herkömmliche Datenbanken und Suchmaschinen können ChatGPT und andere KI-Chatbots lange, komplizierte Sätze und umgangssprachliche Ausdrücke verarbeiten. Andersherum können sie sich durch Sprache verständlich machen. Sie können etwas erzeugen, dass für uns Bedeutung hat. Dass es neben Gott und den Menschen jetzt eine dritte Entität gibt, die Sprache verwendet, nämlich KI-Computer, kann uns Gläubigen, persönlich wie als Kirche, nicht egal sein.
Wie sollte die Kirche mit der Technologie umgehen?
Zunächst einmal müssen die christlichen Kirchen anerkennen, dass es eine dritte Seinsform gibt, die Sprache nutzt. Dazu müssten sie sich verhalten – und zwar nicht nur durch die Betonung, dass bei KI der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse, wie es aus dem Vatikan und der EKD zu hören ist. Die Kirchen sind herausgefordert, eine differenzierte Haltung zu der Technologie einzunehmen. Nicht nur, weil schon heute Predigten und Gebete von ChatGPT getextet werden, womit KI-Sprache ein spiritueller Gehalt zugesprochen wird. Haltung bedeutet auch, Position zu beziehen im aktuellen KI-Diskurs.
Die Kirchen müssen sich starkmachen für die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die die KI-Technologie infrage stellt. Sie müssen Stellung beziehen gegen jene, die KI für die neue Krone der Schöpfung halten oder sogar als Heilsbringer, als Gott selbst! Zuletzt müssen sie sich positionieren, weil auch Christen und Christinnen durch die KI-Welle verunsichert sind, etwa weil sie Angst vor einem Jobverlust haben. Auch die Seelsorge darf nicht sprachlos gegenüber KI sein.
Frage: Gibt es für die Kirchen sinnvolle Einsatzmöglichkeiten von KI?
Im Anschluss an den ausführlichen Reflexionsprozess, zu dem natürlich auch jeder Gläubige eingeladen ist, ja. Ich könnte mir einen Chatbot vorstellen, der Glaubensinteressierten das Christentum nahebringt, quasi als Erstkontakt mit dem Glauben. Für diesen Zweck eignet sich ein Chatbot besser als ein menschliches Gespräch. Denn dafür müssen Kirchenferne erst einmal die meterhohen Kirchenmauern aus Ritualen und sprachlichen Codes erklimmen, die die Kirchen in den letzten 2000 Jahren um sich herum gebaut haben. Gegenüber einem sprachbegabten Computer fällt es leicht, zu bekennen, dass man keine Ahnung von den christlichen Hochfesten hat oder das Vaterunser nicht kennt. Denn eine KI verurteilt nicht. Wenn eine kirchenferne Person keine Angst haben muss, mit ihren Fragen in ein Fettnäpfchen zu treten, ist der Grundstein für eine Begegnung mit einer pastoralen Person gelegt. Eine KI kann Glaubensinteresse wecken – Glaubensbegleitung braucht natürlich das persönliche Miteinander.
Ein anderes Beispiel, wie die Kirche KI nutzen kann, betrifft den Religionsunterricht. Ich habe eine Seminareinheit konzipiert, die ich „Psalmen im Spiegel von KI – KI im Spiegel von Psalmen“ genannt habe. Bei der Methode liegen KI-generierte Bilder und Ein-Satz-Zusammenfassungen einzelner Psalmen im Seminarraum. Diese sollen die Lernenden an der Wand hängenden Psalmtexten zuordnen. Das macht Schülern wie Erwachsenen Spaß, es regt aber sie auch zur Reflexion über ihren Glauben an. Denn die Reduktion eines Psalms auf ein Motiv oder einen Satz durch die KI stellt den Lernenden die Frage, was für ihren Glauben die Kernaussage des Psalms ist. Ganz nebenbei werden mit der Übung wichtige Fragen zu den Fähigkeiten und Grenzen Künstlicher Intelligenz aufgeworfen.
Wir sehen: Für uns Gläubige wie für die Kirchen ist Künstliche Intelligenz Provokation und Chance zugleich. Um hier sprach- und handlungsfähig zu sein, müsste die verfasste Kirche aber überhaupt erst einmal die Tragweite und Bedeutung der Technologie anerkennen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Brendel ist Theologe, Studienleiter und KI-Experte im Ludwig-Windthorst-Haus. Das Ludwig-Windthorst-Haus (LWH) ist die Katholisch-Soziale Akademie und Heimvolkshochschule des Bistums Osnabrück in Lingen/Holthausen (Ems).
> Sie müssen Stellung beziehen gegen jene, die KI für die neue Krone der Schöpfung halten oder sogar als Heilsbringer, als Gott selbst!
Ich muss mich beruflich -wie wohl immer mehr Menschen- mit KI beschäftigen. Und habe dabei auch mit Menschen zu tun, die begeistert von KI sind, mitunter auch etwas blauäugig nach meiner Auffassung.
Aber mir ist selbst bei den größten Enthusiasten noch nie jemand begegnet, der KI für die Krone der Schöpfung oder gar für Gott hält.
Mir scheint eher, Herr Brendel baut hier ein nicht reales Schreckgespenst auf, um darauf seine Gegenthesen verbreiten zu können.
KI bietet Chancen, teilweise extreme Chancen z.B. bereits für Blinde und Sehbehinderte bei Mediennutzung. Genauso wie Risiken, z.B. in Hinblick auf Fake-News. Und es wird den Alltag, auch Berufsalltag stark beeinflussen (bestimmte Berufe werden wohl auch verschwinden). Diese Entwicklung wird man auch nicht mehr zurückdrehen können. Fraglich ist, ob man sie überhaupt noch lenken kann. Sprich man muss lernen, damit umzugehen. Da helfen aber keine ausgedachten Schreckbilder.
Ja, Künstliche Intelligenz ist eine disruptive Technologie, die – ähnlich wie das Internet – unsere Gesellschaft stark verändert. Aber sie ist keine Provokation für den Glauben an sich und auch keine „dritte Seinsform“. KI hat kein Verständnis von der Welt und auch kein Bewusstsein. Alle Ergebnisse von KI basieren auf Wahrscheinlichkeiten, die aus Trainingsdaten abgeleitet werden. Von einer GPAI (General Purpose Artificial Intelligence) sind wir noch meilenweit entfernt und vielleicht wird es sie auch nie geben.
Kirchen und Gläubige sollten die Möglichkeiten von KI nutzen ohne falsche Angst, wie sie dieser Artikel suggeriert. Gleichzeitig darf man auch nicht blauäugig davon ausgehen, dass KI nur Gutes schaffen wird. Die Kritikpunkte und Gefahren liegen auf der Hand – allerdings vollkommen unabhängig von Glaubenssätzen und Seinsformen.
KI kann uns bald sogar Empathie vorgaukeln
Ich bin kein Technik-und Fortschrittsfeind. Auch gehöre ich nicht sinnbildlich zu denen, die schon damals glaubten, als die allererste Bahn von Nürnberg nach Führth fuhr, dies schade dem menschlichen Gehirn. Aber ich glaube, was der katholische Theologe Michael Brendel hier meint: Die Kirchen müssen sich starkmachen für die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die die KI-Technologie infrage stellt. Sie müssen Stellung beziehen gegen jene, die KI für die neue Krone der Schöpfung halten oder sogar als Heilsbringer, als Gott selbst! Zuletzt müssen sie sich positionieren, weil auch Christen und Christinnen durch die KI-Welle verunsichert sind, etwa weil sie Angst vor einem Jobverlust haben. Auch die Seelsorge darf nicht sprachlos gegenüber KI sein“ (Zitatende).
Wenn Jesus (sinnbildlich) das Wort Gottes ist, dann kann ich – wie in einem Dreieck meiner Lebensbezüge – mit Gott – dem Mitmenschen kommunizieren – und dann kommen Worte Gottes und der Menschen bei mir wieder an. Empathische Menschen mehr als auch etwas weniger empathische können sich in andere Leute hineinversetzen. Wenn wir jemand unverhofft und spontan anlächeln, gibt es meist eine entsprechende Reaktion. Wir müssen und dürfen uns in die Augen blicken, auch unter der Feinfühligkeit, die richtige Nähe und Distanz zu den Mitmenschen zu finden. Dies alles kann KI nicht. Deshalb ist KI nicht schlecht. Aber sie ist nicht eine weitere Form, die irgendwann droht eine Seele zu werden. Denn KI könnte uns vorspiegeln Empathie zu besitzen, uns an Stelle von erforderlicher Liebe zu kalter Logik zu verdammen. Auch wenn das etwas satirische Weltraummärchen „Per Anhalter durch die Galaxies“ noch vor der KI-Einführung geschrieben wurde, ist doch die sinnbildliche Erzählung sinnstiftend, daß ein Computer nach unendbaren langen Zeiten festgestellt habe, was der Sinn des Lebens sei – nämlich 44.
Gott ist keine Formel, der Mensch keine biologische Maschine und das Universum kein Supercomputer. Gott ist in allen Dingen und alle Dinge sind in Gott und wir dürfen ihn lieben, unseren Nächsten und uns selbst. Dann ist Gott ist die Fülle des Lebens und die Unendlichkeit der Liebe. Die KI ist nützlich dafür, wenn wir nicht kreativ genug wären eigene Texte und Bücher zu schreiben, aber es wäre zugleich traurig zu wissen, daß da eine Maschine Gefühle beim Leser erzeugt, welche die Maschine nicht selbst empfindet – weil es nur ihr Programm ist. Ich möchte nicht in einer Welt leben, wo einsame Menschen morgens ihre KI küssen und sie soziale Geborgenheit vorfinden, die ihnen ein Programm lediglich suggeriert. Es kann nämlich nicht nur falsche Wahrheiten geben, sondern auch falsche Gefühle und die großen Möglichkeiten, uns unendlich zu manipulieren. Deshalb benutze ich die KI gerne für Wissen, aber nicht um mit ihr zu kuscheln.