In der katholischen Kirche in Deutschland herrscht Aufbruchstimmung: Der synodale Weg steht an. Bischöfe und Laien wollen gemeinsam Reformen anstoßen. Aber woher kommt die Synode überhaupt? Dr. Christian Hennecke vom Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim klärt auf.
Von Christian Hennecke
Die katholische Kirche ist hierarchisch und also monarchisch strukturiert, wie eine absolutistische Monarchie. So kann man es überall nachlesen. Aber ganz so einfach ist das nicht. Denn dann stellt sich ja die Frage, warum im Augenblick in ihr so intensiv in Synoden gerungen wird, wie sie etwa im Oktober 2019 in Rom mit den Bischöfen des Amazonasgebietes stattfand. Und dann wäre auch schwer zu erklären, warum in Deutschland so intensiv um einen synodalen Weg gerungen wird. Geht es bei Synoden wirklich um etwas? Oder sind es nur Scheinveranstaltungen? Und ist der hier in Deutschland angedachte synodale Weg ein gemeinsamer Weg der Erneuerung, eine Machtprobe – oder ein Schritt nach vorn? Ich lade herzlich ein zu einer kleinen Führung in den Kosmos der Synodalität der Katholischen Kirche.
Biblische Ursprünge
Der Ursprung aller Synodalität liegt – für alle Christen – in der Grunderfahrung der frühen Christenheit: In der Ungewissheit und in der Unmöglichkeit, Gottes Wege zu kennen, erfahren schon die Jünger von Emmaus (Lk 24), dass der Auferstandene mit ihnen geht, ihnen die Schrift erschließt und neue Wege öffnet. Sie kommen zusammen, die gemachten Erfahrungen zu reflektieren, um Gottes Wirken zu erkennen. Das ist eine Grundwirklichkeit der werdenden Kirche, wie sich dann ja auch in der Apostelgeschichte zeigt: Das Pfingstereignis macht deutlich, dass in diesem Zusammenkommen ein Geist wirksam wird, der die Richtung angibt. Und das Apostelkonzil macht noch einmal deutlich, mit welcher Autorität Entscheidungen getroffen werden können. Dort heißt es „Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen!“ (Apg 15,28).
Synode bedeutet Konzil
Synode – das meint Zusammenkommen, gemeinsam sich des Weges vergewissern – wird ins Lateinische als „concilium“ übersetzt. Synode und Konzil sind also bedeutungsgleich. In der Kirchengeschichte gab es viele lokale und regionale Konzilien, auf der jeweils für ihren Einzugsbereich Fragen besprochen und Entscheidungen getroffen wurden. Hier trafen sich die Bischöfe der Region. Die Ortskirche ist ja – katholisch gesehen – das Bistum mit seinen Pfarreien, und regionale Synoden waren Versammlungen der Bischöfe dieses Einzugsbereichs.
„Wenn dann ein Konzil einmütig zu Entscheidungen kam, dann war das ein Wunder.“
Die großen Konzilien der alten Kirche sind dann tendenziell nichts anderes: Alle Bischöfe der Bistümer kommen zu den großen Lehrfragen zusammen. Und so spricht man in diesem Zusammenhang auch von „ökumenischen“ Konzilien, weil eben „alle“ dabei waren. Wenn dann ein Konzil einmütig zu Entscheidungen kam, dann war das ein Wunder – und in der Tat wurde dies so bewertet. Denn solche Einheit kann nur Gott wirken.
Ein anderes Kirchenbild
Eine solche synodale Grundstruktur des Kircheseins kreuzt sich konfliktreich mit einem Hierarchieverständnis, dass spätestens seit Kaiser Konstantin die Kirchen – nicht nur die katholische – prägt. Hier wird nämlich, zeitgeistig am Kaisertum und später an anderen politischen Herrschaftsstrukturen orientiert, sehr deutlich eine Herrschaftskultur des Oben-unten leitend, die sich dann verschärfte, als Klerus und Laien zu unterschiedlichen Klassen des Christseins wurden.
„Auf einmal war klar: Die einen sind mehr, besser und wichtiger als die anderen. Die Laien haben nichts zu sagen, sie sollen gehorchen.“
Das hat den Begriff der Hierarchie entscheidend geprägt. Eigentlich ist ja gemeint, dass Amtsträger in der Nachfolge der Apostel den „heiligen Ursprung“ bewahren und kritisch-prophetisch immer wieder ins Spiel bringen. Insofern Christus dieser Ursprung ist, hat dies auch eine Dimension der Autorität. Denn es geht immer darum, die Identität der Kirche zu bewahren und im Heute zu gestalten. Viel zu schnell vermengte sich eine solche Sichtweise jedoch mit einem hierarchischen Kirchenbild. Und auf einmal war klar: Die einen sind mehr, besser und wichtiger als die anderen. Die Laien haben nichts zu sagen, sie sollen gehorchen.
Das II. Vatikanische Konzil
Die katholische Kirche hat in der Zeit nach dem I. Vatikanischen Konzil 1869 eine klare hierarchische Struktur, auch deshalb, weil der Papst eine herausragende Machtstellung innehatte. Gleichzeitig veränderte sich die Welt rasant und fundamental. Jetzt entdecken Theologen die frühe Kirche und ihre synodale Gestalt neu. Und durch die Ökumene mit anderen Kirchen rückt die Synodalität wieder ins Zentrum des Interesses.
Das wird deutlich im Blick auf das Selbstverständnis der Kirche: Das II. Vatikanische Konzil – mehr als 2000 Bischöfe trafen sich dafür von 1962 bis 1965 in mehreren Sitzungsperioden in Rom – sieht die Kirche nicht zuerst als Institution und Struktur, sondern betont die Gleichwürdigkeit aller Christen, des Volkes Gottes, in deren Dienst die Amtsträger, Priester, Bischöfe und der Papst, stehen. Es ist ihre Aufgabe, das Wort zu verkünden und die Sakramente so zu feiern, dass alle Christen daraus leben können. Und es ist ihre Aufgabe, die Einheit der Kirche in ihrer Vielfalt zu wahren und zu fördern – denn die vielfältige Einheit bezeugt Christus.
Zeit des Umbruchs
Den Ursprung gegenwärtig zu halten, ins Heute zu bringen, das aber ist eine synodale Herausforderung. Das II. Vatikanische Konzil war selbst für die Bischöfe eine spannende und geistvolle Erfahrung. Es ging eben nicht darum, Texte zu schreiben und neue Erkenntnisse zu sammeln. Sondern es war für viele – in jenen Zeiten des Umbruchs – eine begeisternde, ja fast pfingstliche Erfahrung des Kircheseins. In der Tat: Das Konzil erfuhr sich selbst als Kirche – als Erfahrung des Miteinanders, als Weltkirche, als Ort des Hinhörens, des Ringens und der Suche nach Antworten auf die Fragen der Zeit.
„Synodalität ist kein Machtinstrument der Kleriker, sondern eigentlich der Grundvollzug des Kircheseins auf allen ihren Ebenen.“
Und diese prägende Erfahrung führte zu einer neuen und doch ganz alten Perspektive: Synodalität ist kein Machtinstrument der Kleriker, sondern eigentlich der Grundvollzug des Kircheseins auf allen ihren Ebenen. Sehr eindrücklich formuliert das eine der vier Hauptdokumente des Konzils, das „Gaudium et spes“: „Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind.“ (GS 11).
Die großen Fragen der Gegenwart
Das ist ein spannender Text. Denn er macht deutlich, dass immer wieder neu das ganze Volk Gottes sich fragen muss, wie die Zeichen der Zeit, wie die großen Fragen der Gegenwart im Licht des Evangeliums gedeutet werden sollen. Deutlich wird auch, dass Synodalität nicht einfach ein politischer Abstimmungsprozess ist. Hier knüpft die katholische Kirche neu an den Ursprüngen an. Es geht um einen geistlichen Unterscheidungsprozess, es geht um Grundhaltungen des Hinhörens auf Gottes Wort, auf seine Zeichen. Es geht um eine Atmosphäre der Gegenwart des Geistes, damit Gott sein Volk führen kann, damit deutlich wird, wie heute das Evangelium verkündet werden kann.
Es ist nicht verwunderlich, dass deswegen seit dem II. Vatikanischen Konzil die Praxis der Synoden einen kräftigen Schub bekommen hat – auf allen Ebenen. Die Einrichtung von „pastoralen Räten“ in Kirchengemeinden, die Durchführung von Bistumssynoden und Regionalsynoden, aber auch die regelmäßige Durchführung von Kontinentalsynoden oder thematischen Synoden – all dies macht deutlich, dass hier ein neuer Wind zu wehen begonnen hat .
Plötzlich eine Umfrage
Vielleicht hat niemand das Thema der „Synoden auf katholisch“ so befeuert wie Papst Franziskus. Seit dem II. Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche auf weltkirchlicher Ebene und für einzelne Kontinente etwa alle zwei Jahre solche Synoden durchgeführt. Im Jahr 2015 fand die erste dieser Synoden über das Thema „Ehe und Familie“ unter der Leitung von Papst Franziskus statt. Und sie begann im Vorfeld mit einer Überraschung. Dem Papst war nämlich wichtig, dass im Vorfeld möglichst viele Christen befragt werden.
„Wie macht man das, ‚alle‘ befragen? Geht das überhaupt?“
Bisher reichten die Bischofskonferenzen im Vorfeld Antworten auf einen Fragenkatalog ein, der die Herausforderungen des Themas ausleuchten sollte. Das war schon fast Routine. Auf einmal wurde es spannend und herausfordernd: Wie macht man das, „alle“ befragen? Geht das überhaupt? In Europa war das in vielen Kirchen ein spannender Versuch, den Glaubenssinn des Volkes wahrzunehmen, seine Meinungen zu erfragen und in die Diskussionen einzubringen.
Bischofssynode beschließt nicht
Am Ende der oft vierwöchigen Beratungen steht ein Abschlussdokument, das möglichst einmütig den Sachstand beschreibt. Dieses Ergebnis wird dem Papst überreicht, der dann ein offizielles Schlussdokument schreibt und veröffentlicht. Wichtig ist hier: Bischofssynoden sind keine Beschlussorgane, sondern Beratungsorgane des Papstes. Dieser ist die meiste Zeit Hörer der Beratungen und am Ende derjenige, der sich – mehr oder weniger – die Beiträge der Bischofssynode zu eigen macht.
„Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.“
Mitten in die Synode 2015 fiel ein besonderes Ereignis: In einem Gottesdienst zum 50. Jahrestag der Einführung der Weltbischofssynoden äußerte sich der Papst grundsätzlich zum synodalen Weg der katholischen Kirche. Für den Papst ist Synodalität das, was Kirche zu Kirche macht, gerade heute. „Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet. […] Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon um Wort ‚Synode‘ enthalten: Gemeinsam voranzugehen – Laien, Hirten und der Bischof von Rom – ist ein Konzept, das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist.“
Dahinter steht ein Kirchenverständnis, dass eben gerade nicht machtorientiert ist. Es geht immer um das „gesalbte und geliebte Volk Gottes“, in dem es eine wirkliche Gleichwürdigkeit aller gibt – und ein Wissen darum, dass die geistvolle Gegenwart Gottes nicht in Muster des Oben (Lehren) und Unten (Lernen) gefasst werden kann. Die Kirche, die gemeinsam auf dem Weg ist, ist eine Lernende als Ganze.
Christian Hennecke ist Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Generalvikariat des Bistums Hildesheim.
In Teil II erklärt Christian Hennecke, was nun der „synodale Weg“ genau ist.