Was haben die Geschenke, die wir uns an Weihnachten machen, eigentlich mit der biblischen Weihnachtsbotschaft zu tun?
Die Bibel ist der Weltbestseller. Ein dicker, gewichtiger Wälzer. Kann man alles, was in der Bibel steckt, in einen Satz packen? Klar! Das behaupten jedenfalls gut gelaunte Christinnen und Christen. Im Neuen Testament heißt es an einer Stelle nämlich sehr markant: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab.“ Und „hingeben“, das ist ja – unter uns gesagt – nichts anderes als „schenken“. Man könnte also auch sagen: „So sehr liebte Gott die Welt, dass er den Menschen seinen Sohn schenkte.“ Und damit ist ein ganz entscheidendes Wesensmerkmal des christlichen Glaubens äußerst treffend beschrieben. Gefällt mir! Der Heilige Abend, sprich: der Tag, an dem weltweit die Geburt von Gottes Sohn Jesus Christus mit vielen Kerzen gefeiert wird, ist also tatsächlich von Anfang an der große „Tag des Schenkens“ gewesen. Kein Wunder, dass sich seit Jahrhunderten die Menschen rund um den Weihnachtstag gegenseitig gute Gaben und Aufmerksamkeit kredenzen, um etwas von diesem einzigartigen Geist des Schenkens weiterzugeben und auch für andere erfahrbar werden zu lassen. Nur: Warum musste Gott denn überhaupt seinen Sohn „verschenken“? Hätte er den nicht einfach selbst behalten können? Ich meine: Den Sohn verschenken … Das klingt ziemlich extrem. Die Bibel beschreibt Gott durchweg als jemanden, der sich aus lauter Liebe nichts mehr wünscht, als mit den Menschen zusammen zu sein. Nur klappt das irgendwie nie so richtig. Vermutlich, weil Gott sich nur schwer mit menschlichen Sinnen erfassen lässt. Man kann ihn nun mal nicht einfach sehen oder hören – geschweige denn verstehen. Auch wenn das natürlich schön wäre. Andererseits: Könnte ein Mensch Gott einfach so mir nichts, dir nichts begreifen, dann wäre Gott nicht Gott. Finde ich.
Ein Gott zum Anfassen
Nachdem Gott also auf unterschiedlichste Weise, aber ohne bleibenden Erfolg versucht hat, mit den Menschen in Kontakt zu kommen (durch Visionen, durch Propheten oder durch Erscheinungen), entwickelt er einen wahrhaft göttlichen Gedanken: „Moment mal! Wenn ich mit den Menschen wirklich von Angesicht zu Angesicht reden will, dann muss ich … selbst Mensch werden. Dann muss ich etwas von mir abgeben.“ Dass Gott diesen Teil von sich, der Mensch wird, dann seinen „Sohn“ nennt, ist natürlich auch ein Versuch, dieses einzigartige Geschehen irgendwie menschlich nachvollziehbar zu umschreiben. Man kann also sagen: Seitdem Gott an Weihnachten in Menschengestalt auf die Welt gekommen ist, als kleines, ganz irdisches Baby, ist er den Menschen nicht mehr fremd. Anders ausgedrückt: Wer ernsthaft wissen möchte, wie Gott ist, der braucht sich nur den Menschen Jesus Christus anzuschauen. Jesus ist quasi so etwas wie der „Download“ Gottes – um es mal ein bisschen frech und postmodern auszudrücken. Gott selbst ist und bleibt unbegreiflich. Aber in Jesus macht er sich begreiflich. Und auch angreifbar. Ein Gott zum Anfassen. Diese Zuwendung zu den Menschen, diese grandiose Geschenk-Idee Gottes ist übrigens auch religionsgeschichtlich einzigartig: In den meisten Religionen geht es nämlich eher darum, dass die Menschen sich durch gute Taten, Spenden oder ein bestimmtes Verhalten quasi einen Weg zu Gott verdienen sollen. Im Christentum ist es andersherum: Da kommt Gott zu den Menschen. Das ist das große Geschenk des Himmels an Weihnachten.
Ein Ausdruck von Liebe
Und noch etwas: Das Wort „Geschenk“, so hat es der große Sprachforscher Jakob Grimm einmal in einem Vortrag erklärt, stammt ursprünglich von „Einschenken“. Das lässt sich auch ganz einfach erklären: Dem von seiner Wanderung müden Gast wurde bei der Begrüßung erst einmal „eingeschenkt“. Das heißt: Sein Durst wurde gestillt. Und diese Bedeutung des Wortes „Schenken“ kann man getrost auf den Glauben übertragen. Denn Jesus erwähnt selbst mehrfach, dass er auf die Welt gekommen ist, um den „Lebensdurst der Menschen“ zu stillen. Einmal sagt er wörtlich: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben strömt.“ Und ich sag mal so: Wer wirklich erlebt, dass seine tiefsten Sehnsüchte gestillt werden, der wird tatsächlich laut rufen: „Ich bin reich beschenkt.“
„Jesus ist so etwas wie der ‚Download‘ Gottes.“
Weihnachten, genauer gesagt: die Geburt von Jesus Christus, ist tatsächlich Gottes großes Geschenk an die Welt. Und das Schenken ist Gott so wichtig, dass er nicht einmal eingreift, als die Menschen sich dreißig Jahre später entschließen, Jesus am Kreuz hinzurichten. Gott geht den Weg des Menschen bis zum Ende mit. Um ihnen dann mit einem Knalleffekt zu zeigen, dass der Tod bei ihm nicht das letzte Wort hat: Indem er Jesus auferstehen lässt. Sprich: Gott ist einfach nicht totzukriegen. In den letzten Jahren klagen viele Menschen darüber, dass „Weihnachten“ irgendwie vor lauter Kommerz immer belangloser zu werden droht: „Ach, es wäre so schön, wenn mir wieder mal ein bisschen weihnachtlicher zumute wäre!“ Vielleicht hilft da ja die kluge Erkenntnis, dass all die Geschenke, die wir einander machen, nur eine Folge des himmlischen Geschenks sind, das der Menschheit vor 2.000 Jahren gemacht wurde. Ein Ausdruck der Liebe, die auf die Welt gekommen ist. Und wer sich mal ernsthaft fragt, was eigentlich seinen Lebensdurst oder den seiner Familie und Freunde stillen könnte, der ahnt auch, dass es dabei um viel mehr geht als um ein paar hübsch verpackte Schlipse, CDs oder Nintendos. Ja, mehr noch: Ein echtes Geschenk hat immer damit zu tun, dass wir etwas von uns verschenken. Der Dichter Joachim Ringelnatz formulierte das in einem seiner Gedichte einmal so: „Schenke mit Geist ohne List. / Sei eingedenk, / dass dein Geschenk / du selber bist“. Ich glaube: Gott hat das verstanden.
Von Fabian Vogt
Fabian Vogt ist Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und arbeitet außerdem als Künstler und Schriftsteller. Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift Lebenslust – das Heiligabend-Special erschienen. Lebenslust wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de und Amen.de gehören.