Führende Vertreter der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) haben scharfe Kritik an einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) geübt.Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder in freikirchlichen Familien mehr Gewalt erleiden als in evangelisch-landeskirchlichen oder katholisch geprägten Familien.
Für die Studie hatte das KFN zwischen 2008 und 2011 deutschlandweit insgesamt 23.500 Jugendliche befragt. Bei sehr religiösen freikirchlichen Eltern erlebten demnach 26 Prozent der befragten Jugendlichen „schwere Gewalt“. In katholischen und evangelischen Elternhäusern sei es dagegen umgekehrt, so der Direktor des Instituts, der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer: „Je religiöser sie sind, desto seltener üben sie Gewalt aus.“
Unter Generalverdacht
„Hier werden alle Freikirchler unter Generalverdacht gestellt“, kritisierte der VEF-Vorsitzende, FeG-Präses Ansgar Hörsting aus Witten. „Dies entspricht nicht der Realität.“ Dies zeigten auch die Kommentare zu der Studie auf der Internetseite des Norddeutschen Rundfunks. Gewaltfreie Erziehung sei in der VEF Konsens, und in den Mitgliedskirchen gebe es zahlreiche erfolgreiche Projekte, die sich für das Kindeswohl und gegen jede Form von Gewalt und Missbrauch an Kindern einsetzen: „Die von Professor Pfeiffer in Interviews vorgetragenen Beispiele für gewaltsame Erziehung sind uns zutiefst fremd.“ Zudem, so Hörsting weiter, sei die „freikirchliche Landschaft in Deutschland viel zu heterogen, als dass man alle Freikirchen über einen Kamm scheren“ könne.
Peter Jörgensen, Beauftragter der VEF am Sitz der Bundesregierung, hob das Interesse der Vereinigung an differenzierten Ergebnissen hervor: „Seit Jahren bieten wir dem Institut unsere Kooperation an.“ Kurz vor der Veröffentlichung habe das KFN versprochen, für die notwendige Differenzierung zu sorgen, doch die Zusage sei nicht eingehalten worden. Pfeiffer erklärte dazu, dass dies tatsächlich anders geplant gewesen sei. Datenschutzrechtliche Bedenken hätten jedoch eine Aufschlüsselung nach einzelnen Freikirchen unmöglich gemacht. In Einzelfällen wäre sonst die Identifikation einzelner befragter Kinder möglich gewesen.
Erfolgreiche Initiativen
„Uns ist eine differenzierte Forschung vor allem deshalb so wichtig, weil diese dazu beitragen würde, tatsächlich an den richtigen Stellen Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder vor Übergriffen zu schützen“, erklärte Jörgensen. Als Beispiel für erfolgreiche freikirchliche Kindes- und Jugendschutzkampagnen nannte Jörgensen die Initiative „Sichere Gemeinde“ des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) und „Ein Notfallplan“ der Evangelisch-methodistischen Kirche.
Auch der Präsident des Bundes evangelisch-freikirchlicher Gemeinden (BEFG), Hartmut Riemenschneider, kritisierte die verallgemeinernden Aussagen der Studie und wandte sich ausdrücklich gegen eine „unpräzise Begrifflichkeit“. So werde „evangelisch-freikirchlich“ in der Forschungsarbeit als Synonym für alle evangelischen Freikirchen verwendet, was schlicht falsch sei: „Es handelt sich nicht um einen Gattungsbegriff, sondern um einen Wortlaut aus dem Namen des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, einer Körperschaft, die sich ebenso wie alle VEF-Mitgliedskirchen von den beschriebenen gewaltsamen Erziehungspraktiken ausdrücklich distanziert.“
Pfeiffer verwies bei der Vorstellung der Studie auf den negativen Einfluss von christlichen Erziehungsratgebern aus den USA, die in evangelikalen Familien populär seien und in denen Eltern detaillierte Anweisungen für Prügelstrafen gegeben würden. In Deutschland seien diese Bücher aus der Feder von fundamentalistischen US-Theologen inzwischen von der Bundeszentrale für jugendgefährdende Schriften verboten worden. In der Gesamtbevölkerung seien die Fälle von Misshandlungen und Missbrauch von Kindern in Deutschland stark rückläufig. Der Anteil der Kinder, die ohne Gewalt aufwuchsen, habe sich im Verlauf von knapp 20 Jahren von 26 auf 52 Prozent verdoppelt.