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„In Gottes Hand“: Leben mit der Niere der eigenen Frau

Am 28. Februar feiert Stefan Loß Geburtstag. „Nierengeburtstag“. Denn es ist der Tag, an dem er 2017 erfolgreich die Niere seiner Frau transplantiert bekam.

Von Jörg Podworny

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Stefan Loß hustet erst mal kräftig zu Beginn unseres Treffens, das online, per Zoom stattfindet, wie so viele Begegnungen in diesen Pandemie-Zeiten. Er ist erkältet, seit Wochen krankgeschrieben: „Das dauert bei mir immer länger. Wegen der Medikamente. Die verlangsamen den Heilungsverlauf.“ Loß ist außerdem „Hochrisikopatient“, der vor Infekten auf der Hut sein muss, seit ihm vor knapp vier Jahren eine neue Niere eingesetzt wurde.

„Zystenniere“ lautete die ärztliche Diagnose, die ihm jahrelang das Leben schwer gemacht hat. Die Krankheit wird vererbt, mit einem 50-Prozent-Risiko. Wer betroffen ist, in Deutschland etwa 80.000 Menschen, dessen gesundes Nierengewebe schrumpft, die Nierenfunktion geht zurück, ab dem 50. Lebensjahr droht die Dialyse. Gleichzeitig wächst das Organ: „Ich kenne jemanden, der hatte eine 8-Kilo-Niere – das ist schon jenseits von lustig“, erzählt Loß. Auch seine eigene Niere machte erheblich Druck und zunehmend Probleme: „Sie war am Ende dreieinhalb Kilo schwer und so groß wie ein Männerkopf.“

Die Niere muss raus

Schon 2008 wurde die Zystenniere bei ihm diagnostiziert. Die Krankheit ist nicht heilbar und die Perspektive lautet: Irgendwann versagt die Niere, dann sind Dialyse und Transplantation die einzigen Optionen. Trotzdem hat Loß die Fragen zunächst jahrelang verdrängt: „Wenn der Arzt mir gesagt hätte: Laufen Sie ab jetzt jeden Tag 10 Kilometer! Fahren Sie Fahrrad, machen Sie Kniebeugen, ernähren Sie sich vegan … ich hätte alles gemacht, um die Krankheit zu besiegen. Aber du kannst ja nichts machen! Es ist eh wurscht.“ Anfangs sind die schlechten Aussichten nur „ein blöder Gedanke“. Aber bis 2015 verschlechtert sich sein Zustand so rapide, die ungesund wachsende Niere verursacht derart Schmerzen, dass Anfang 2016 klar ist: Es muss etwas passieren! Die Niere muss raus!

Ein ungutes Gefühl schleicht sich ein: „Das wird mein Leben begrenzen“, begreift Loß. Auch „einfach vor sich hin leben“, mit netten Plänen später für die Rente, geht nicht mehr. Ängste kommen hoch, vor einer ungewissen Zukunft.

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Ein Osterfest zwischen Tod und Leben

Ist die persönliche Situation schon außergewöhnlich, so sorgen andere Ereignisse in der Familie für ein zusätzliches Auf und Ab der Gefühle. Ostern 2016 wird ein ganz besonderes Fest.

„Meine Mutter war schwerkrank, sie lag erst in der Klinik, dann im Pflegeheim, wog noch 35 Kilo und wollte eigentlich nicht mehr leben. Mein Vater war verzweifelt, er kam mit dem Gedanken nicht klar, dass er sich von seiner Frau verabschieden muss. Parallel war meine älteste Tochter hochschwanger und es war klar: Irgendwann jetzt kommt das Kind. Und wenn das Telefon klingelt, sagt entweder mein Schwiegersohn ‚Das Enkelkind ist da!‘ – oder mein Vater ruft an und sagt ‚Die Mutti ist gestorben.‘“

In dieser Lage verspürt Stefan Loß wenig Lust auf normale Begegnungen und Gespräche. Am Karfreitag besuchen der überzeugte Christ und seine Frau Sabine darum die szenische Aufführung der Matthäuspassion in einem Kino. Das Passionsstück und der Künstler, der Jesus in seinem Leiden mitfühlend darstellt, packen ihn: „Menschen, die so eine Krisensituation wie ich in ihrem Leben nicht haben, können das gar nicht wahrnehmen“, sinniert er. „Aber Jesus als Mensch, der da weinend steht, die Gottesferne erlebt – und trotzdem ist Gott da! Das war für mich genau der richtige Moment!“, erinnert Loß sich.

Am Ostersonntag fahren sie ins Krankenhaus, sitzen bei der todkranken Mutter am Bett, lesen für sie den Trost-Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“). Danach besuchen Stefan und Sabine noch einen Friedhof. „Von den vielen Grabsteinen dort hat mich einer besonders beeindruckt – ein Koffer aus Stein. Für mich war das ein Bild dafür, dass wir hier ‚nur auf der Durchreise‘ sind. Wenn du deine eigene Endlichkeit spürst, durch deine Krankheit, den Tod – meine Mutter ist an dem Abend gestorben – und gleichzeitig die Geburt deines ersten Enkelkindes vor Augen hast; dann merkst du auf einmal: Ja, so ist aber das Leben! Wir haben hier nur ein Durchgangsstadium. Im Blick darauf, gerade an Ostern, kriegt alles eine andere Dimension. Ich habe dadurch eine andere Perspektive gekriegt, für mein ganzes Leben.“

Egal, was kommt,
es liegt alles in Gottes Hand.

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Zwei Tage nach Ostern wird dann die Enkeltochter geboren, Elise, zum ersten Mal halten Oma und Opa das Neugeborene in ihren Armen. Und „das Krasse war“, erzählt Stefan: Nach dem Besuch in der Klinik saßen sie zur Feier des Tages noch beim Italiener, als eine E-Mail des Bestatters eintraf. Er bat darum, den Text für die Traueranzeige der Mutter freizugeben. „Uns ist da noch mal richtig bewusst geworden, wie verdichtet das ist, wie eng Tod und Leben beieinander liegen.“ Zugleich sind die Tage „eine Auszeit, in der meine Krankheit mal keine Rolle gespielt hat“. Und vorsichtig ergänzt er: „Sie haben mich vielleicht vorbereitet auf das, was dann kam, mir ein bisschen mehr Gelassenheit gegeben, weil wir wissen: Egal, was kommt, es liegt alles in Gottes Hand.“

Das lange Warten

Im Juni folgt die unvermeidliche Operation, in Heidelberg wird die kranke Niere entfernt. Keine schöne Zeit, aber es gibt auch Hoffnung. Durch einen Bekannten im „Zystennieren“-Verein, in dem Stefan sich engagiert, hat er erfahren, dass seit gut zehn Jahren auch Organe zwischen Ehepartnern transplantiert werden können, nicht mehr nur zwischen Geschwistern. Ein Antikörper-Test muss klären, ob das fremde Organ abgestoßen wird oder nicht. Nach dem Test bekommen Stefan und Sabine Loß grünes Licht! Damit kommt auch ein Ende der Dialyse in Sicht, die nicht nur anstrengt, sondern auch nur „das Notprogramm“ bis zu einer Transplantation bedeutet: Der Körper wird nur alle zwei Tage entgiftet und in der Regel gibt es Nebenerkrankungen, Herzprobleme etwa. Außerdem ist die Dialyse nur die „Ersatztherapie“. Und bis zu 50 Prozent der Dialyse-Patienten verkraften die Behandlung auf die lange Dauer von vielleicht zehn Jahren nicht. Je schneller ein Organ zur Verfügung steht, desto besser.

Es beginnt bei Stefan Loß das lange Warten auf den richtigen Zeitpunkt, freie Klinikplätze, dass der Körper stabil genug ist. Nach dem Ersten Advent 2016 soll es endlich soweit sein: „Das Pflegepersonal hatte sämtliche Vorbereitungen getroffen, ich hatte alles durch an den Maschinen“, erzählt Stefan. „Und dann wird die OP abgesagt, zwei Tage vorher!“ Eine Infektion. Die Entzündungswerte sind zu schlecht. „Sie müssen nach Hause.“

Weihnachten zu Hause wird schlimm. Die geplatzte Hoffnung, total erschöpft, Angst vor dem zweiten Anlauf: „Die Tortur schaffe ich nicht nochmal“. Es fühlte sich an wie eine unwirkliche, nicht gewollte „Parallelwelt – und ich war ein totaler Stinkstiefel“, lacht Stefan heute. Ein Song des deutschen Pop-Musikers Adel Tawil, „Ist da jemand?“, gewinnt in den Tagen an Bedeutung: „Das ist genau der Punkt. Du liegst nachts im Bett und stellst dir existenziell diese Frage: Ist da wirklich jemand, der mir die Hand hält, der mich sieht, mit den Schmerzen, mit der Angst? Für mich war es wichtig, dass ich immer wieder kleine Fingerzeige von Gott bekommen habe. Nie dramatisch, wie Goldregen vom Himmel. Aber ich hatte innerlich Frieden. Ich konnte ruhig schlafen, mit Ärzten und den Leuten um mich herum auf gute Weise reden. Die ganze Unsicherheit hat mich nicht um den Verstand gebracht. Ich hatte das nicht nur im Kopf, sondern habe es immer wieder tief gespürt: Ja, ich bin nicht allein! Ich fühl mich geborgen.“

Dann, nach zwei weiteren Monaten, Ende Februar, kann die Operation endlich stattfinden, die Niere wird erfolgreich verpflanzt. Seit dem 1. März 2017, fast vier Jahre, lebt Stefan Loß nun mit der neuen Niere – gut, wie er sagt, mit nur wenigen Einschränkungen.

Wahrscheinlichkeit: 10 Prozent

Tabletten gegen die Abstoßung gehören jetzt zum Alltag, auch beim Essen muss er aufpassen: „Mettbrötchen sind der Killer“, lacht er, „rohes Fleisch ist tabu, auch Sushi sollte ich nicht essen – mag ich aber auch nicht.“ Vorsicht gilt bei allem, was das Immunsystem schwächt. Jetzt in Corona-Zeiten sollte er als Hochrisikopatient sich das Virus „natürlich auch nicht einfangen“. Auf der anderen Seite wird er medizinisch weitaus besser betreut als die meisten seiner Mitmenschen. „Ich bin vorsichtiger als andere – aber das Ganze nervt schon gewaltig“, bekennt er. Auch darauf, dass er in den vergangenen Jahren zwangsläufig zum Medizin-Fachmann geworden ist, könnte er „getrost verzichten“.

Fest beibehalten wollen Sabine und Stefan Loß den „Nierengeburtstag“, den sie jedes Jahr am 28. Februar, dem Tag der Transplantation, feiern. „Wir nutzen das bewusst als einen Tag, an dem wir Gott danken für das Geschenk. Man verdrängt das so schnell. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so klappt wie jetzt, lag bei 5 bis 10 Prozent. Unser Leben könnte auch komplett anders aussehen. Dass es jetzt so gut ist, ist ein Grund zu feiern, dankbar zu sein.“


Der Artikel stammt von Jörg Podworny und erschien in der Zeitschrift lebenslust (Ausgabe 01/2021). lebenslust ist ein Produkt des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört. 

 

 

 

Über seine Erfahrungen hat Stefan Loß ein Buch geschrieben: „Auf Herz und Nieren. Als das Leben mit mir Achterbahn fuhr“, ist im Brunnen Verlag erschienen. 

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