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Mein Burn-out und das Leben danach

Jahrelang hatte Christina Schöffler die kleinen Hinweise ihres Körpers ignoriert und damit ihre Grenzen ständig überschritten. Der daraufhin folgende Burn-out half ihr, einiges in ihrem Leben neu zu sortieren.

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Ich erinnere mich noch genau an den Moment meines Zusammenbruchs. Es war auf dem Weg zu einer Freundin. Ich war mit dem Auto unterwegs und schon etwas spät dran. Der Fahrer vor mir fuhr langsam und vorsichtig, und in mir brodelte es vor Ungeduld. Da sprang die Ampel auf Rot. In diesem Moment fing ich an zu weinen. Oder besser: verzweifelt zu schluchzen. Ich musste anhalten und konnte mich lange nicht beruhigen. Und die Tränen sollten weiter fließen. Wenn ich mich abends in mein Bett legte, fingen sie an zu strömen. Wie eine stille, dunkle Flut. Eine tiefe Erschöpfung, die ich lange verdrängt hatte, drang plötzlich mit Wucht an die Oberfl äche. Eine Traurigkeit, die ich nicht benennen konnte, die einfach da war und sich wie ein schwarzer Schleier über meine Seele legte.

WEITER FUNKTIONIEREN

Tagsüber versuchte ich, weiter zu funktionieren. Ich ging zur Arbeit und hörte den Drogenabhängigen zu, die ich im Entzug betreute. Innerlich war ich aber total distanziert und kaum mehr in der Lage mitzufühlen. Im Leitungsteam unserer Gemeinde überforderte mich schon die kleinste Situation, und trotzdem konnte ich kaum eine Aufgabe abgeben. Obwohl meine Seele auf Rot geschaltet hatte, machte ich einfach weiter, weil ich mich unfähig dazu fühlte anzuhalten. Ein wiederkehrender Traum, den ich hatte (wenn ich denn endlich einmal schlafen konnte), war der, dass ich in einem Fahrzeug saß, das bergab fuhr, und die Bremsen funktionierten nicht mehr. Das Gefährt wurde immer schneller, und ich raste auf den Abhang zu, bis ich endlich, kurz vor dem Sturz in die Tiefe, schweißgebadet aufwachte. Nicht gerade erholsame Nächte! Und in jenem Sommer hatte ich meinen Urlaub nicht zum Ausruhen genutzt, sondern war auf einen Missionseinsatz nach St. Petersburg gefahren. Der Teamleiter hatte sich nach der Hälfte der Zeit verabschiedet und einer jungen Engländerin und mir die Leitung überlassen. Es war eine wunderbare Zeit und doch war ich so erschöpft, dass ich mich davor fürchtete, mitten auf der Straße zusammenzubrechen und in einer russischen Psychiatrie aufzuwachen. Zurück im Alltag bröckelte meine Seele weiter. Ungesunde Verhaltensmuster, wie ich den Stress kompensieren konnte, wurden immer stärker. Ich stopfte mich mit Essen voll, manchmal bis zum Erbrechen. Ich schaute Pornos und schämte mich dafür und schwor mir jedes Mal: Das ist jetzt aber das letzte Mal! Mehrere Fernsehkabel habe ich in dieser Zeit vor Wut über mich selbst durchgeschnitten! Und Jesus? Er schien oft so weit weg, und doch wollte ich weiter die Welt für ihn retten. Bis ich irgendwann spürte: Jetzt geht nichts mehr. Wenn ich jetzt nicht etwas ändere, dann ist da ein Abgrund, und ich falle so tief, dass ich nicht weiß, ob ich den Sturz noch irgendwie abfangen kann. Jeder Test über Burn-Out, den mir meine besorgten Freunde damals vorlegten, mündete in dem Ergebnis: Suchen Sie sofort einen Arzt oder Therapeuten auf!

Frau Stress Pixabay
Symbolbild: Pixabay

AUSGEBRANNT FÜR JESUS

Genau das tat ich dann. Ziemlich widerstrebend. Ich ging zu einer Therapeutin. Mit ihrer Hilfe fing ich an, ein paar Dinge zu verändern. Besser: Sie befahl es mir! Alternativ müsste sie mir einen sofortigen Klinikaufenthalt empfehlen. Das wollte ich nicht – obwohl ich inzwischen weiß, dass es wunderbare Kliniken gibt und ein Aufenthalt dort ein großer Segen sein kann. Zuerst stieg ich aus dem Leitungsteam meiner Gemeinde aus. Dann reduzierte ich meinen Job auf 75 Prozent. Und ich begann, den ungesunden Verhaltensmustern in meinem Leben ins Auge zu blicken. Warum musste ich immer alles geben was ich hatte? Woher kam die Annahme in mir, dass ich für die Gefühle anderer Menschen zuständig war? Wieso konnte ich in Situationen kaum spüren wie es mir ging, stattdessen aber immer sagen, wie es den anderen ging? Wieso bemerkte ich erst dann, dass ich zu viel gegeben hatte, wenn ich völlig erschöpft war und kurz vor dem Zusammenbruch stand? Ich fühlte mich ausgebrannt für Jesus. Ich hatte doch alles für ihn gegeben und jetzt war ich am Ende der Fahnenstange angekommen. Soll er doch schauen, wie er mich jetzt wieder funktionsfähig macht! Aber da kam der leise Zweifel, ob es wirklich Jesus war und meine Nachfolge hinter ihm her, die mich an diesen Punkt gebracht hatte. Oder ob nicht tief in meiner Seele eine Not war, die endlich Heilung brauchte.

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SORTIEREN UND AUFRÄUMEN

Ich bin christlich aufgewachsen. Hatte eine wunderbare Kindheit. Kaputt – das waren doch die anderen. Mein Auftrag war es, ihnen zu helfen. Die rettende Botschaft bringen. Und nun stand ich vor dem Trümmerhaufen meiner eigenen Seele. Ich erkannte, dass die Worte von Jesus mir galten: „Ich bin nicht für die Gesunden gekommen, sondern für die Kranken.“ Ich konnte erleichtert die Hand heben und sagen: „Jesus, hier! Ich brauche dich! Ich bin echt kaputt. Wie gut, dass du für mich gekommen bist!“ Und dann habe ich ihn gebeten, mir beim Sortieren und Aufräumen zu helfen. Darin ist er einfach so richtig gut. Er streckte die Arme nach mir aus und ich hörte seine Worte: „Bist du müde, ausgelaugt und religiös ausgebrannt? Dann komm zu mir. Lass uns zusammen sein und du wirst wieder zu Kräften kommen und dein Leben wiederfinden. Ich zeige dir, wie du wirklich zur Ruhe kommen kannst. Gehen wir zusammen, beobachte, wie ich die Dinge tue, lerne den ungezwungenen Rhythmus der Gnade. Ich werde dir nichts Schweres oder Krankmachendes auflegen. Bleib mit mir in Kontakt und du wirst lernen, frei und leicht zu leben.“ (Matthäus 11,28-30 – frei übersetzt aus „The Message“).

Und genau das tat er und tut er bis heute: Er bringt mein angetriebenes Herz zur Ruhe. Er lehrt mich etwas vom Rhythmus der Gnade. Er befreit mich aus ungesunden Mustern und Bindungen. Manches fiel mit der Zeit einfach von mir ab, wie alte Blätter, wenn neues Leben nachkommt. Manches ist ein andauernder Prozess, weil es darum geht, langjährige Verhaltensmuster zu verändern. Aber Jesus macht mich ganz langsam neu und lässt mich wieder zu Kräften kommen.

Jesus Hirte
Bild: pixabay

Wir haben den Trümmerhaufen gemeinsam aussortiert. Und da war einiges, was einfach wegkonnte: Da war das Idealbild der Christina, die ich gerne wäre. Die nie jemanden enttäuscht. Die jeder mag und die versucht, es jedem recht zu machen. Es war eine ziemliche Erleichterung, dieses schwere Teil loszuwerden und dem befreienden Gedanken mehr Raum zu geben: Ich bin nicht das, was andere über mich denken! Ich bin das, was Jesus in mir sieht. Und die Welt geht nicht unter, wenn Menschen mich weniger toll finden und wenn sie von mir ab und zu richtig enttäuscht sind. Im Gegenteil: Das gehört einfach zum Leben dazu! Der andere darf seine Erwartungen an mich haben (so wie ich das auch an andere habe) – aber ich muss sie deshalb doch nicht erfüllen. Als ziemlich sensibler Mensch muss ich lernen, dass es nicht meine Aufgabe ist zu erspüren, was andere denken. Nein. Ich habe im Kopf der anderen Menschen eigentlich überhaupt nichts verloren! Sensibilität ist eine Gabe, andere zu verstehen, aber wenn ich sie nicht begrenze, dann wird sie zerstörerisch für mein gesamtes Leben. Dann bin ich immer nur bei dem anderen und übernehme keine Verantwortung mehr für mein eigenes Leben. Also übe ich mich darin, mich um mein eigenes Leben zu kümmern.

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Und nicht jede Not, die ich wahrnehme, ist auch ein persönlicher Auftrag an mich! Eine Freundin sagte mir den wunderbaren Satz: „Christina, ich habe zwei gute Nachrichten für dich: Es gibt einen Messias – und du bist es nicht!“ Ehrlich, genau so etwas muss ich hören!

Und ich versuche, ein bisschen mehr auf meinen Körper zu hören: Warum habe ich bei dieser Anfrage plötzlich Herzrasen? Wieso schlafe ich so unruhig? Und mein Nacken ist ja total verspannt … Sich selbst spüren, nennt man das wohl. Jahrelang habe ich diese kleinen Hinweise meines Körpers übersehen. Ich habe sie schlicht ignoriert. Und damit meine Grenzen ständig überschritten.

GESUNDE BEZIEHUNGEN

Apropos Grenzen – das war wohl etwas vom Wichtigsten, das ich lernen musste (und bis heute lerne): Ich habe Grenzen. Das macht mich sogar aus! Unsere Begrenzungen geben uns unsere Form. Da höre ich auf. Da fängt der andere an. Ich muss nicht die Gefühle des anderen übernehmen. Da ist sein Leben. Seine Verantwortung. Und hier fängt mein Leben an. Diese Haltung versetzt mich in die Lage, gesunde Beziehungen aufzubauen. Beziehungen, in denen wir unsere gegenseitigen Grenzen akzeptieren und uns so lieben lernen, wie wir sind, und mit allem, was wir nicht sind.

Neulich habe ich gelesen, dass es wunderbar wäre, wenn wir neben Gabentests in den Gemeinden auch „Grenztests“ anbieten würden. Was für ein toller Gedanke! Wie gut hätte mir vor zwanzig Jahren ein Zettel getan, auf dem nicht nur meine Gaben gestanden hätten, sondern auch die Dinge, für die ich einfach nicht geeignet bin und die ich besser anderen überlassen sollte. Wie befreiend, wenn man manches einfach loswerden kann, weil man erkennt: Das ist ja überhaupt nicht mein Ding! Von so einer Aufgabe sollte ich besser die Finger lassen! Diese Sache kann ein anderer so viel besser und ganz leicht machen, während sie mich sehr viel Kraft kostet.

GRENZEN DER BELASTBARKEIT

Ganz langsam lerne ich, mich mit meinen Grenzen auszusöhnen. Meine Fähigkeiten sind begrenzt. Meine Belastbarkeit hat ihre Grenzen. Ich brauche ganz schön viel Schlaf. Und Zeiten für mich alleine, um aufzutanken. Ich brauche die Natur, um mich innerlich zu erden. So hat mich Gott gemacht. Und ein kleiner Mittagsschlaf, ein gutes Essen und ein kurzer Spaziergang sind nicht zu unterschätzen! Seine Grenzen anzunehmen, ist ein Akt der Demut. Ich bin ein Geschöpf. Und die Kraft liegt darin, entsprechend der eigenen Wirklichkeit zu leben. Wahrhaftig zu sein.

Zur Wahrheit gehört auch, dass ich mich nicht verbiege, sondern in Situationen ehrlich auch Nein sagen darf. Ohne Rechtfertigung! Oder vielleicht ab und zu ein vorsichtiges: „Das klingt gut. Vielleicht mache ich da mit. Aber lass mich erst noch mal überlegen.“ (Oder die geistliche Variante: „Lass mich erst noch mal darüber beten.“) Das gibt mir Zeit, um zu prüfen, ob ich mich jetzt nicht wieder überfordere. Birgit Schilling hat es in ihrem wunderbaren Artikel „Nein sagen ohne Schuldgefühle“ in der November-Ausgabe von JOYCE so gut ausgedrückt: „Gott hat uns so gemacht, dass wir zu ganz vielem Nein sagen müssen und nur zu ganz wenigem Ja sagen können. Und ein Ja zu einer bestimmten Aufgabe oder zu einer ganzen Lebensphase, bringt auch immer ein Nein zu etwas anderem mit sich.“

Nein Pixabay
Foto: Pixabay

Seit ich eine Familie habe, merke ich das ganz besonders. Gott hat uns ein Maß gegeben, aus dem wir leben können. Und wir können uns nicht in sämtliche Richtungen verschwenden. Und wenn ich Ja sage, dann lerne ich, dass ich nicht immer alles geben muss, was ich habe! Manchmal sind fünfzig Prozent auch gut genug. Manchmal ist es gut, wenn ich ein bisschen von mir zurückhalte und damit dem anderen mehr Raum gebe.

Eine andere Grenze, die wir seit kurzem als Familie bewusst aufgestellt haben, ist der Sabbat. Wir versuchen gemeinsam, den wöchentlichen Feiertag einzuüben. Es ist noch ganz holprig. Ganz kleine Schritte. Aber es tut so gut! Was für ein Geschenk Gottes! Ein Tag, an dem ich mal (fast) alles liegen lassen darf und erfahren kann: Das Leben läuft auch ohne meine Bemühungen weiter. Ich bin nicht so wichtig, wie ich das oft denke. All das ist ein großes Lernfeld für mich. Es braucht Zeit, neue Verhaltensweisen einzuüben. Auch darin will ich barmherzig mit mir sein. Und ich will barmherzig mit dem anderen sein. Dem Mann, dem Kind, den Freunden. Und der (langsamen) Verkäuferin an der Kasse. Sie alle haben ja auch ihre Grenzen.

HEIL WERDEN

Mein Burn-Out hat sich vor fast zwanzig Jahren ereignet. Die Auswirkungen spüre ich bis heute. Narben auf der Seele sind geblieben, die mich immer noch einschränken. Aber vielleicht ist das gut so. Ich lerne, dass Jesus mich nicht wieder „funktionsfähig“ machen will, dass ich wieder in einem Rennen laufen kann, das mich am Ende erneut kaputtmacht, sondern er will mich einfach heil machen.

Kurz nach dem Zusammenbruch musste ich lernen, feste Grenzen aufzurichten. Einfach, weil ich bisher ein offenes Land für alles und jeden war. Da muss man eine Zeitlang einiges abwehren und die Grenzen ziemlich dicht machen. Am Anfang kann das auf die anderen etwas hart wirken. Besonders, weil das Umfeld ganz andere Reaktionen gewohnt ist. Aber mit den Jahren erlebe ich, dass die Grenzen zu Markierungen und Richtlinien geworden sind und kein Bollwerk mehr mit Stacheldraht, hinter dem ich mich ängstlich verstecken muss. Immer mal wieder spaziere ich über diese Begrenzungen, besonders dann, wenn Jesus mich mit funkelnden Augen anschaut und sagt: „Sollen wir ein bisschen neues Land einnehmen? Komm, sei mutig Ich bin mit dir!“

Vor zwei Wochen habe ich zusammen mit meiner Freundin Becky einen Alphakurs in unserem Wohnzimmer gestartet. Ich habe zu ihr gesagt: „Becky, ich bewege mich hier total außerhalb meiner Begabung! Ich kann so etwas eigentlich gar nicht. Ich bin keine Evangelistin!“ Ich habe echt Panik vor den Abenden. Ich wälze mich nachts im Bett und überlege, ob es meinen Nachbarn wohl gefallen wird, oder ob es eine Katastrophe wird und wir in naher Zukunft unseren Wohnort wechseln müssen. Aber ich will dabei sein. Ich will erleben, wie Jesus Neues tut.

Gestern Abend zog eine Nachbarin strahlend mit dem Lukasevangelium ab, nachdem wir für sie gebetet haben. Wow! Ich stehe staunend auf neuem Land. Um so etwas zu erleben, verlasse ich gerne meine Komfortzone, meine Grenze, und gehe Jesus entgegen. Ich glaube, ich muss immer wieder die Erfahrung machen festzustellen: Das habe ich überhaupt nicht drauf! Da liegt einfach alles an Jesus. Und mit diesem entspannten Wissen, dass er es macht und nicht ich, kehre ich wieder in „mein Land“ zurück. Mit neuen Saatkörnern in der Hand. Gespannt, was davon auf „meinem Boden“ wachsen wird. In dem Land, das Gott mir gegeben hat. Wo ich mich zu Hause fühle. Und ich erlebe immer mehr das, was in Psalm 147,13-15; steht: „Er schafft Frieden deinen Grenzen. Er sättigt dich mit bestem Weizen.“ Das, so glaube ich, ist Gottes Herzensanliegen für uns.


Blog der Autorin: denspatzinderhand.blogspot.de

Literatur zum Thema: Es ist genug! Wie Christen ihr Burn-out erleben und überwinden (Hrsg. Claudia Filker).

Psychiatrische Kliniken mit christlichem Profil:

Joyce Cover 2(18Dieser Artikel ist zuerst in der Frauenzeitschrift JOYCE erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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