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Pastorin: „Ich habe nie Gegenwind gespürt“

Die Theologische Hochschule in Ewersbach bildet seit der Nachkriegszeit Pastoren und Missionarinnen für den Dienst in den Freien evangelischen Gemeinden (FeG) aus. Seit 2010 dürfen dort auch Frauen als Pastorinnen ordiniert werden. Der Weg dorthin war spannend – und etwas holprig. Merle Schwarz war eine der ersten, die ihn beschreiten durften.

Von Lydia Rieß

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„Ich habe viele Semester-Eröffnungs-Gottesdienste in Ewersbach mitbekommen, als mein Vater dort noch Pastor war. Was mich immer am meisten beeindruckt hat, war, wenn Studienanfänger so richtige Berufungsgeschichten erzählt haben. Ja Scheiße, und dann passiert mir das selbst!“

Eigentlich ist Merles Weg zu Beginn ein ganz anderer. Zunächst studiert sie ein Jahr Humanbiologie in Marburg, bricht dann aber ab, wechselt nach Dessau in eine Ausbildung zur Physiotherapeutin und landet schließlich in Gelsenkirchen. Nebenbei engagiert sie sich in ihrer FeG vor Ort – mit wachsendem Eifer. „Ich habe dort eine Liebe zum Gemeindedienst entwickelt. In den Sommerferien war ich oft als Mitarbeiterin auf Freizeiten. Dort habe ich zum ersten Mal gepredigt und sehr positives Feedback bekommen.“

Zuhause telefoniert sie mit ihrem Vater und gesteht ihm, dass ihr Herz wohl doch etwas mehr für die Gemeindearbeit schlägt als für die Physiotherapie. Ihr Vater ist zunächst skeptisch und verweist darauf, dass die FeGs auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen sind. Merle stimmt zu, damit ist das Thema erst mal vom Tisch.

Zwei Monate später fährt sie zum Jugendleiter-Kongress auf dem Dünenhof in Cuxhaven. „Dort kam Doris Schneider auf mich zu. Sie war Gemeindereferentin in Schalksmühle, wo mein Vater zu dem Zeitpunkt Pastor war. Sie sagte ‚Merle, kannst du dir nicht vorstellen, in den vollzeitlichen Dienst zu gehen? Und studier’ mal fünf Jahre, drei sind zu wenig für dich.‘ Bäm. Ich hab dann erst mal angefangen zu lachen.“ Die Klärung der „Frauenfrage“ im Bund FeG liegt zu dem Zeitpunkt noch in der Zukunft, an Pastorinnen denkt noch niemand. Das fünfjährige Studienprogramm am Seminar in Ewersbach (später: Theologische Hochschule) ist den Pastoren vorbehalten. „Die Frauen, die in die Mission wollen oder Gemeindereferentinnen werden, lassen sich dort drei Jahre ausbilden.“
Und doch: Merle beschließt, dass es nun dran ist, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Sie schlägt die Bibel auf, um nach Antworten zu suchen, vor allem aber führt sie ein sehr offenes Gespräch mit Gott. „Ich sagte zu ihm: Wenn du das wirklich willst, dann musst du mir diese Berufung bestätigen.“

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Klare Zeichen

Ein paar Wochen später übernimmt sie die Gottesdienstmoderation in ihrer Gemeinde. „Hinterher kamen mehrere Feedbacks. Der erste sagte mir nur im Vorbeigehen ‚Na, Mädel, wann fängst du denn endlich an, Theologie zu studieren?‘ Die zweite, eine Seniorin, kam mit Tränen in den Augen zu mir und sagte ‚Du musst unbedingt weitermachen, das ist so gut, was du da machst.‘ Und dann bekam ich spätabends noch einen überraschenden Anruf von einer Seniorin, die eigentlich ziemlich Haare auf den Zähnen hatte. Sie sagte: ‚Ich hab dich nach dem Gottesdienst nicht mehr erwischt, aber es ist mir ein Herzensanliegen, ich muss dir unbedingt sagen, das ist gut, was du machst, und du musst unbedingt weitermachen.‘ Da merkte ich plötzlich: Es wird eng. Ich wurde mit einem Gott konfrontiert, der sehr direkt in mein Leben reinredete.“

Wenig später besucht Merle eine Freundin in Ewersbach. Sie erzählt ihr, was bei ihr gerade los ist. Während Merle ihr Herz ausschüttet, legt die Freundin ihr einen Zettel hin. Sie fällt fast aus allen Wolken. „Das waren die Lernaufgaben für den Bibelkenntnistest. Den musste man damals ablegen, wenn man in Ewersbach studieren wollte. Meine Freundin hatte mit der Hochschule gar nichts zu tun. Ich fragte sie, woher um alles in der Welt sie diesen Zettel hatte.“ Die Freundin erzählt, dass sie vor einiger Zeit einen Übernachtungsgast bei sich hatte, der für die Aufnahmeprüfung am Seminar lernte. Als sie dann den Zettel mit den Lernaufgaben sah, hatte sie den Eindruck, den müsse sie kopieren. Und jetzt wisse sie wofür. „Ich merkte plötzlich: Ich komm aus der Nummer nicht mehr raus.“

Merle Schwarz
Merle Schwarz. Foto: Lydia Rieß

Merle fängt wieder an zu beten. Sie hat gerade ihre Wohnung gemütlich eingerichtet, einen Mini gekauft, den sie noch abbezahlen muss – und sie hat Angst vor diesem Schritt ins Ungewisse. Sie stellt Gott eine Bedingung: Ein Votum will sie noch haben, und zwar von ihren Eltern. Besonders von ihrem Vater, der zuvor ja eher verhalten auf ihre Anfragen in Richtung vollzeitlicher Dienst reagiert hatte. Deshalb ist ihr Bestätigung von dieser Seite sehr wichtig.

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„Das Gespräch mit meinen Eltern hatte ich dann an meinem Geburtstag – der ist zufällig an Weihnachten. Kurz vorher hatte ich noch einen Gabentest ausgewertet, der natürlich auch in Richtung vollzeitlicher Dienst deutete.“ Sie erzählt ihren Eltern, was sie gerade bewegt. Die Reaktion ist unerwartet: „Sie fingen an zu lachen, mein Vater fast zu weinen, und er sagte dann: ‚Völlig klar: Du gehst nach Ewersbach.‘“ Merle ist erst mal völlig durch den Wind, schließlich gibt es auch noch andere Ausbildungsstätten und gute Gründe gegen Ewersbach.

Veränderungswille

Anfang 2006 folgt die Bewerbung in Ewersbach und die obligatorische Besucherwoche, um sich das Seminar erst mal anzuschauen. Merle muss ihre Bewerbung vor dem gesamten Lehrerkollegium erklären, wie es für alle Bewerber üblich ist. „Die Allianzmission hatte damals schon gesagt, dass sie besser ausgebildete Missionarinnen braucht. Damit war der fünfjährige Studiengang schon für Frauen geöffnet worden, aber eben nur für Missionarinnen.“ Merle beschließt, die Karten auf den Tisch zu legen: Sie weiß sich für das fünfjährige Studium berufen, aber weiß ebenso klar, dass sie nicht in die Mission gehen wird. Sie kann sich vorstellen, danach Gemeindereferentin zu sein. „Dann bin ich eben überqualifiziert.“

In dieser Zeit hat sie Gespräche mit anderen Studentinnen, die ihr dreijähriges Studium bereits nach und nach aufstocken durften. Sie freuen sich über Merles Ambitionen, das fünfjährige Programm zu absolvieren. „Sie sagten mir aber auch, ich müsse mich darauf einstellen, dass hier ein scharfer Gegenwind weht.“ Sie erzählen davon, dass eine Studentin unter Tränen vom Predigtdienst in einer der umliegenden Gemeinden zurückkam und erzählte, dass nach der Predigt ein älterer Bruder auf sie zugekommen sei und gesagt habe, die Predigt wäre richtig gewesen, aber wann sie denn mal ihrem Schöpfungsauftrag nachkommen wolle: Familie und Kinder. Merles Reaktion? „Ich nahm das wahr und auch ernst, aber ich wollte eigene Erfahrungen machen.“

Was folgt, ist eine Zeit voller Wunder. Merle besteht den Aufnahmetest und bekommt die Zusage, dass sie die fünfjährige Pastorenausbildung beginnen darf. Außerdem finanziert ihr eine Frau aus der Gemeinde ihren geliebten Mini, ihr BAföG-Antrag hat Erfolg und sie findet einen Job auf Honorarbasis. In ihrem dritten Semester wird im Bund FeG zum ersten Mal über die Frauenfrage abgestimmt. Die benötigte 2/3 Mehrheit wird knapp verfehlt. „Aber mehr als die Hälfte war für die Öffnung des Bundes für Pastorinnen. Und das hieß: An das Thema müssen wir noch mal ran.“

Predigende Frauen?

Im Studium macht sie tatsächlich andere Erfahrungen als angekündigt. „Ich weiß nicht, ob mir da geholfen hat, dass ich selbst mit drei Brüdern großgeworden bin, dass ich ein sehr burschikoser Typ bin, dass ich nicht auf den Mund gefallen bin, dass ich sehr viel Humor habe und mit Männern auch gut rumflachsen kann – ich habe diesen Gegenwind nie gespürt.“ In ihrem Semester herrscht ein gutes Miteinander unter den Kommilitonen, und auch das Lehrerkollegium steht voll hinter ihr.

Sie erinnert sich allerdings auch an eine Begegnung mit einem älteren Herrn in der Gemeinde vor Ort. „Der sagte zu mir ‚Ich hab gehört, du machst jetzt hier die fünf Jahre. Und was machst du dann damit?‘ Ich sagte etwas flapsig ‚Das weiß ich doch noch nicht, das weiß der Herr allein.‘ Wir haben beide gelacht und gut war.“ Für den Predigtdienst gibt es damals eine spezielle Liste von Gemeinden, bei denen Frauen als Predigerinnen akzeptiert werden. „Aber die habe ich nie gebraucht. Ich wurde angefragt. Manchmal von Gemeinden, die gesagt haben, sie wollen das mal testen und ihre Erfahrungen machen mit einer Frau, die predigt. Ich glaube, ich hatte auch die Berufung, eine der ersten Pastorinnen zu sein. Den Weg zu bereiten.“ Auch heute bekommt sie noch manchmal solche Anfragen. Es geht nicht darum, dass ich glänzen will, sondern dass ich ein Baustein sein will für den Weg, den eine Gemeinde geht.“

Die zweite Abstimmung im Bund FeG erfolgt, als Merle gerade aus dem halbjährigen Gemeindepraktikum zurückkehrt. Sie ist am Ende ihres Studiums angelangt. Diesmal wird die nötige Mehrheit erreicht. „Der Tag hat sich mir natürlich eingebrannt. Wir hatten bei uns in der Frauen-WG Sekt kaltgestellt, nur für den Fall. Du konntest das aber nicht groß feiern, weil auch Leute dabei sind, für die das auch ein Schmerz ist, wenn der Bund sich öffnet. Das wäre nicht die richtige Achtung vor den Andersdenkenden gewesen.“

Überhaupt hat sie Achtung vor der Meinung derer, die Frauen in dieser Rolle kritisch sehen. „Ich versteh das. Ich hab in manchen Punkten auch eine Haltung oder Meinung, die nicht jedem passt, und das möchte ich auch respektiert haben. Anderen überstülpen, dass sie jetzt gefälligst Frauen akzeptieren sollen, nachdem sie damit aufgewachsen sind, dass das theologisch nicht richtig ist, funktioniert nicht und ist auch nicht fair. Deshalb finde ich es gut, dass die Ortsgemeinden bis heute selbst entscheiden können, wie sie das halten. Schwierig finde ich, wenn das zu einer persönlichen Ablehnung wird – oder als Irrlehre bezeichnet wird. Ich glaube, das kann man nicht machen, weil es aus meiner Sicht nicht heilsentscheidend ist.“

Gemeinde gefunden

Wenig später ist sie Teil des Vermittlungsverfahrens des Arbeitskreises für Pastorenwechsel (AKPW), in dem Gemeinden für die Abgänger des fünfjährigen Studienganges gesucht werden. Und es klappt. „Die Leute in der Gemeinde waren sehr überrascht, dass sie so schnell mit mir als Frau konfrontiert werden – haben mich dann aber sehr klar berufen.“ Dass Pastorinnen eine Neuerung sind, der man sich erst einmal annähern muss, merkt sie auch in ihrem Bewerbungsgespräch. „Ich habe meine Berufungsgeschichte erzählt und wie ich so über bestimmte Punkte denke, und die Fußballfrage haben wir natürlich geklärt, ganz wichtig hier im Ruhrgebiet. Dann setzte ein Schweigen ein. Ich fragte sie, ob sie mit ihren Fragen durch wären, und sagte: ‚Dann würde ich gerne noch meinen Part sagen.‘ Ich kann nicht sagen, dass ich die Gabe der Ehelosigkeit habe, und ich würde durchaus heiraten, wenn mir der Richtige über den Weg läuft. Aber an sich fühle ich mich wohl mit meinem Single-Sein, und ich denke, dass ich keine eigenen Kinder haben werde. Das war eine große Erleichterung. Sie haben sich bedankt, dass ich das so offen angesprochen habe, weil die nicht jemanden haben wollten, der nach zwei oder drei Jahren wieder wegen Mutterschutz ausfällt, sondern mit dem sie längerfristig planen können. Gerade wegen des geplanten Neubaus und einer bevorstehenden Gemeinde-Fusion.“

Spannend war es für Merle auch, die Entwicklung der Gemeinde während ihres Bewerbungsprozesses zu sehen. „Die Oberhausener Gemeinde hat einen brüdergemeindlichen Hintergrund, ist also schon konservativ. Es gab fünf Leute, die auf den ersten Impuls hin sagten ‚Wir treten aus, wenn die kommt‘. Da wurden dann viele Einzelgespräche geführt und auch gesagt, wir schauen uns das erst mal an. Ausgetreten ist am Ende keiner. Da hat Gott viel gewirkt. Die haben dann gesagt: ‚Wir haben theologisch gesehen zwar unsere Fragezeichen, aber wir haben den Eindruck, wir können miteinander arbeiten.‘ Und nicht mehr als das möchte ich.“

Ob sie ihren Job als Pastorin anders macht, als es ein Mann machen würde? „Ich bin da schon so ein bisschen Mama. Und Mutti will, dass der Laden läuft. Ich bin sehr empathisch. Was mir manchmal auch Fluch ist. Und ich bin sehr früh dran, Dinge auch anzusprechen, wo ich das Gefühl habe, da haben die Jungs noch gar nicht gecheckt, dass das wichtig ist. Ich denke, ich kann’s nur als die Frau machen, die ich bin. Mit den Gaben, die mir Gott gegeben hat. Da fließt natürlich das Geschlecht wie auch die Persönlichkeit mit ein.“

Auch wenn es lange gedauert hat, bis sich der Bund FeG der Frage nach Pastorinnen geöffnet hat, empfand Merle dort von Anfang an viel Offenheit. „Das ist natürlich meine positive Geschichte. Ich schließe nicht aus, dass es da auch andere Erfahrungen gegeben hat.“ Inzwischen ist Merle seit sieben Jahren Pastorin in der FeG in Oberhausen. „Die Leute fangen jetzt langsam an zu fragen: ‚Du bleibst doch hoffentlich noch?‘ Das empfinde ich als sehr wertschätzend.“

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