Wer mag die Prinz-Eisenherz-Frisur? Unser Kolumnist Tom Laengner jedenfalls nicht. Hier erklärt er, was das mit der richtigen Technik beim Brötchenschneiden zu tun hat – und Jesus.
Seit dem Kinofilm Easy Rider wollte ich eigentlich immer nur ich selber sein. Doch einmal kam es ganz anders. Wenn auch nur für einen kurzen Moment. Da sah ich aus wie Prinz Eisenherz. Meine Frau hatte mir die Haare geschnitten. Zum Glück hatte sie nicht auch noch die Geflügelschere verwendet. Ich sah richtig bescheuert aus. Soviel stand für uns beide fest. Aber wir haben uns auch schlapp gelacht. Es sah halt ungewollt nach Karneval aus, war aber kein Weltuntergang. Einig waren wir auch, dass ich jetzt ruck-zuck zu einem richtigen Friseur wandern sollte; einem, der was von seinem Handwerk versteht. So erinnerte ich nur kurz an den Wikingerprinzen aus dem sagenumwobenen Thule.
Anders ist nicht zwingend falsch.
Tom Laengner
Irgendwie hatten wir es damals mit Kamm und Schere nicht richtig gemacht. Allerdings war es auch gar nicht so wichtig gewesen. Im Laufe der Jahre lernten wir dann dazu. So hockte eines grauen Dortmunder Sommertages eine Alice aus Atlanta auf unserer Terrasse. Wir hatten Brötchen besorgt. Und das schnitt die Mittelschullehrerin nun auf. Nichts ahnend, und als sei es die selbst verständlichste Sache der Welt, setzte sie das Messer vertikal an. Das ist die Bewegungsrichtung, die überall auf der Welt gerne beim Holz hacken genommen wird. Dabei erzählte sie entspannt lächelnd weiter. Nur ich war kurz fassungslos: von oben nach unten?! Hatte sie die knusprigen 70 Gramm Weizengebäck so nicht kaputt gemacht? Bis zum Ende des Frühstücks habe ich dazu geschwiegen.
Doch dann hatte ich ein Bild davon, dass es Dinge auf dieser Erde gibt, die weder richtig noch falsch sind. Sie sind anders. Das zu verstehen, finde ich richtig wichtig. Anders ist nicht zwingend falsch.
Der goldene Schnitt
Meine Brötchenweisheit hielt ähnlich dem ungebrochenen Weitsprung-Weltrekord von Bob Beamon 1968 über Jahrzehnte. Dann hatte ich so etwas wie eine Offenbarung. Sie erschien in Gestalt eines Pide-Brotes, das meine Frau selber backen wollte. Geübt knetete sie den Teig, ließ ihn in sanfter Kälte im Kühlschrank ruhen und trug ihm möglicherweise sogar Gedichte vor. Das Geschehen wirkte beruhigend und feierlich. Schließlich schien der Teig vor Wonne tief durchzuatmen.
Wer es richtig macht, und das ist wichtig, bestaunt dann im Inneren eine Tasche, die mit, sagen wir mal, allem Möglichen befüllt werden kann.
Bis hierher war also alles gut gegangen, und es duftete auch vielversprechend. Doch dann kam die Enttäuschung um die Ecke. Mit tief verinnerlichter deutscher Brötchen-Tradition schnitten wir das duftende Backwerk von rechts nach links. Doch statt Taschen zum Befüllen bekamen wir Schnipsel zum Dippen. Wir hatten irgendetwas richtig falsch gemacht. Nun empfinde ich es nicht als moralisch verwerflich, ein Brot kreuz und quer zu schneiden. Falsch gehandelt hatten wir insofern, als wir unser Ziel ja nicht erreicht hatten. Was war also zu tun? Wir dachten her und dachten hin. Es vertiefte nur den Kummer über unseren misslungenen Versuch.
Schließlich schnitten wir ein zweites Brot von oben nach unten in der Mitte durch. Und siehe da, es schien uns anzulächeln, bekam gute Laune und machte mittig Platz für Kartoffeln, Joghurt und Kreuzkümmel. In diesem Zusammenhang gab es also tatsächlich richtig und falsch. Und das zu erkennen, scheint mir richtig wichtig. Ich hätte mein Ziel sonst niemals erreicht!
Jesus als Lebens-Coach
Schade ist allerdings, wenn ich keine Ziele habe oder sie nicht kenne. Ein noch nicht erreichtes Ziel liegt erfahrungsgemäß in der Zukunft. Auf dem Weg dorthin lauert der harmlos erscheinende Appetit in seiner charmanten Art. Was er so macht? Er macht, dass wir mehr wollen. Immer mehr. In der deftigen Sprache des Neuen Testamentes heißt das ‚Habgier‘. Das kenne ich gut, du auch?
Dabei verliere ich mein Ziel aus den Augen. Denn wollte ich nicht zum Beispiel im Sommer mit dem Rad nach Holland? Doch dann lächelt mich eine Torte nach der anderen an. Wir wissen, wie die Geschichte ausgehen kann. Da berät mich mein Stress, schmollt mein Selbstmitleid und schließlich trinke ich aus Kummer abends am Grill noch zwei Weizenbier. Torte und Weizenbier sind prima. Doch auf dem Weg zum Ziel meiner Sehnsucht können sie verzwickte Fallen werden. In der Bibel wird vom „flüchtigen Genuss der Sünde“ geschrieben. Als hätte der Autor mich gekannt. Man kann auch sagen: ‚Der Genuss geht, die Wampe bleibt“. Und das Meer sehe ich nie. Ach Jesus, hätte ich dich doch früher als Coach und Meister des Lebens akzeptiert!
Neulich hat mir übrigens meine Tochter die Haare geschnitten. Ich hatte spontan so die Idee dazu. Sie kannte Prinz Eisenherz nicht und hatte mutig zugesagt. So saß ich dann unter dem Laubdach des Blauregens. Ein schwarzer Frisierumhang gab der Szenerie beinahe einen professionellen Anstrich. Und am Ende war ich immer noch ich selber geblieben, sah dabei aber viel besser aus als vorher. Mission erfüllt!
Wir dürfen uns und anderen gutes tun
Ich persönlich glaube nicht, dass die Lust auf viel Torte, dazu noch Bier und als Nebenwirkung einen „Schmierbauch“ – auf die Habgier zurück zu führen ist. Es sei denn man versteht Habgier (als eher aus der Mode gekommenen Begriff) nicht mehr so wie er früher zu verstehen war. (Ich will dann gierig besitzen was wir fehlt, aber andere besitzt). Habgier ist dem Wortsinn nach aggressiv und egoistisch. Was allerdings keine Ausrede sein soll auch gegen falsche Ernährung, zu viel Essen und ungesunde Kost, ist die Tatsache: Das Gehirn ist eine (sehr egoistische) Instanz und täuscht uns – gegebenfalls auch mit Heißhunger – vor, wir müssten nunmehr (umgangssprachlich) sofort sündigen. Unser Denk- und Gefühlsorgan wll belohnt werden, und damit wir selbst auch, weil es unbenommen der Bedürftniss des ganzen Körpers – oder dessen Risikofaktoren – vorallem Süßes und damit Zucker mag. Aber Zucker und ggfls. andere Stoffe umso wichtiger ebenso benötigt. Um einem alten Spruch zu folgen, unser
„Glück liegt auf dem Rücken der Pferde“, oder in dem guten und/oder im fulminanten Mahl in einem guten Restaurant, so kann doch Glück und Glücklichsein nicht nur ernährungsbedingt erzeugt werden. Andererseits hat Jesus selbst mehrtägige Hochzeiten mitgefeiert und ist nicht in die Fußstapfen der Asketen getreten.
Ich würde mich lieber an den vom Apostel Paulus formulierten Vorschlag halten, alles sei in Ordnung, man solle aber prüfen ob es auch gut (für uns und andere) wäre. Ich glaube auch nicht, daß die Bibel ein Hand- oder Rezeptbuch für alle denkbaren Lagen sowie Marginalitäten des Lebens ist, sonst wäre es auch nicht sinnvoll alles zu prüfen. Für diese Prüfung gibt es zwei maßgebliche Gründe: 1) Ist es zutreffenderweise auch für meine Mitmenschen gut 2) Ist es für mich gut. Übrigens, mit den Seligpreisungen in der Bergpredigt ist die Seligkeit als andere Sprachform des Glückes gemeint. Wirklich glücklich macht uns Lebenssinn, also etwa eine Christin oder ein Christ zu – und auch den Mut zu haben etwas gegen den Strom zu schwimmen. Nur so kommt man auch zur Quelle zurück. Ich glaube auch nicht, dass Jesus für alle Kleinigkeit ein Lebens-Coach sein muss. Er ist für alle Menschen gestorben, die je auf Erden lebten oder leben werden, und nicht nur für uns Gläubigen, zu deren Erlösung und als Bote eines „Neuen Himmel und einer Neuen Erde“, Er hat also – um es hier „locker vom Hocker“ zu schreiben – noch viel wichtigeres zu tun. Unsere Freiheit ist immer in Abwägung unserer Verantwortung für die Mitmenschen und uns selbst. Dazu hat Gott den guten seelischen Seimografen des Gewissens erschaffen und auch zur inneren Unterstützung wurde uns die Heilige Geistkraft gesandt. Aber wir dürfen uns belohnen, uns was gutes tun, sogar in Urlaub fahren. Das macht nicht glücklich, aber idealerweise ist doch hilfreich.