Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind
Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner
Das war diese Woche einfach zu heiß, um einen klaren Gedanken zu fassen. Wie er die Tage trotzdem sinnerfüllt rumgekriegt hat, erzählt Tom Laengner.
Ich habe einen Stuhl in den Schatten gestellt. Dann habe ich mich drauf gesetzt, um anschließend mit Respekt vor den 38 Grad einfach mal sitzen zu bleiben. Und während ich so den Brombeeren beim Wachsen zusah, kam ich auf Ideen: Hat der Zitronenfalter ein Bildungsproblem, wenn es ihm nicht gelingt, Zitronen zu falten? Gehört Spaghettieis zu den wesentlichen Dingen, von denen ein Mensch nie genug haben kann? Mir scheint, Hitze kann auf das Leben eines Menschen tiefgreifenden Einfluss haben.
In der vorangegangenen Nacht hatte ich auf dem Fußboden geschlafen. Ich fand weich und bullig warm viel unangenehmer als hart und kühl. Um halb sechs Uhr bin ich dann aufgestanden. Und es ging raus aufs Rad. So meinte ich der großen Hitze ein Schnippchen schlagen zu können. Doch als ich nach fast dreieinhalb Stunden und 70 Kilometern wieder zuhause war, war ich trotz der Morgenkühle platt. Später wäre ich wahrscheinlich platter gewesen. Und der Rest von mir wäre wohl verdunstet.
Warum kennt der Alltag kein „Hitzefrei“?
Meine Frau schlug dann vor, für diesen Tag Hitzefrei auszurufen. Das kannte ich nur aus dem Schulbetrieb. An die Vorschriften aus der „Bereinigte Amtliche Sammlung für Schulvorschriften“ halten wir uns allerdings nicht. Und ist es nicht seltsam? Inklusive Leerzeichen sind die Ausführungen in der BASS über den Umgang mit hohen Temperaturen in Lernmanufakturen etwa so lang wie die Zehn Gebote in der Bibel. Ob sie aber das Zeug dazu haben, eine Gesellschaft zu prägen? Das bezweifele ich.
So habe ich zur Feier des Tages ein wenig Lachs gekauft. Außerdem noch Austernpilze. Ein echtes Privileg! Weil ich Urlaub habe, kann ich mir Hitzefrei leisten. Ein Bauarbeiter, der in der Nachbarschaft die Straße mit stark duftendem Asphalt veredelt, hat es leider nicht so gut. Aber ich kann mir den Tag veredeln; wenn ich will. Ich kann unsere Fenster putzen, eine komplette Etappe der Tour de France anschauen oder mich mitten am Tag einfach nochmal aufs Ohr hauen.
Als ich von dem Nickerchen wieder wach wurde, bekam ich noch mit, wie der Radprofi Simon Geschke sein Bergtrikot bei der Rundfahrt verteidigen konnte. Ich staunte und frage mich immer wieder, wie die bei so hohen Temperaturen nicht vom Rad kippen! Na ja, wahrscheinlich üben sie jeden Tag hart und hören dann nicht auf, in die Pedale zu treten. Das sollte ich als Nachfolger von Jesus auch versuchen.
Wir brauchen eine Duschkampagne!
Ich habe mich ehrlich gesagt erst einmal kurz abgeduscht. Zu allem Überfluss habe ich noch eine kleine Wanne in die Kabine gestellt. Das Wasser kann ich noch nutzen. Nicht für den guten Espresso, aber für die guten Blumen. Außerdem bin ich sowas wie ein Fan der Duschkampagne von Hugo Chavez geworden. Der war mal Präsident von Venezuela. Im Zuge einer Wasserknappheit hatte er 2009 den Menschen empfohlen, nur drei Minuten zu duschen. Nicht im Leben, sondern bei einem einzelnen Duschvorgang. Fand ich damals schon so schön praktisch. Es nicht zu machen, weil Männer wie Lenin, Ho Chi Minh und Mao Tse-tung es auch gemacht haben sollen, wäre schade. Es ist überschaubar schwierig. Spaß macht es auch und es hilft mir über Mythen hinweg zu kommen, dass ich sowieso nichts machen kann.
Auf jeden Fall kann ich mir noch einen Espresso machen. Der bleibt bei inzwischen 38,5 Grad etwas länger heiß. Dann schaue ich wieder den Brombeeren zu. Beim Wachsen lassen die sich ja sowas von Zeit!
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Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.