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Stadionsingen: VfL, Grönemeyer und etwas „Stille Nacht“

„VfL“, skandieren die Fans, etwas leiser dann „Stille Nacht“. Eindrücke vom Stadionsingen in Bochum – von Fan-Hymnen über Volker Rosin bis zur Weihnachtsgeschichte.

Von Rüdiger Jope

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Neben mir sitzt Sabine. Auf ihrem Kopf blinkt ein Geweih. Der Schriftzug ihrer Mütze predigt „Ruhrpott“. Die 73-Jährige ist leutselig. „Wir sind heute hier, um mit der ganzen Familie zu singen. Wenn wir jetzt noch in Leverkusen gewinnen, kann Weihnachten kommen.“ Sagt’s und zieht ihren Bauch ein, damit Sohn Michael mit dem Getränketräger auf dem blauen Plastiksitz landen kann. Sohn Milo dreht sich um. „Ist das meine Cola?“ Daneben kuschelt sich seine kleine Schwester Nicole in den Schoß von Mama Ute und schiebt sich abwechselnd Schnuller und Kekse in den Mund. Im Arm: Schneemann Olaf – mit kleinem VfL-Schal. „VfL“ schallt es aus knapp 11.000 Kehlen. Papa Michael – Dauerkarteninhaber – streckt die Arme mit dem Schal nach oben.

Dann wird’s weihnachtlicher. „5, 4, 3, 2, 1“ zählen vor allem die Kinder runter. Der Weihnachtsbaum fängt an zu leuchten. Zaghafter Applaus. Mit „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“ versuchen Band und Chor, sich akustisch durchzusetzen. Sabine hält Michael das Programmheft zum Mitsingen hin. Er nippt an seinem Bier. Beim Lied in der „Weihnachtsbäckerei“ fachen die vielen Kita-Kinder im Stadion die Mitsingbegeisterung etwas an. Als dann Volker Rosin mit „Da war ein Stern“ ans Mikro tritt, lächelt die 73-jährige Sabine. „Den haben schon unsere Kinder gemocht“, sagt sie, und stimmt lauthals ein: „Das Licht in dieser Nacht. Hat Jesus uns gebracht.“

“ … den Köööönig“

„VfL“ ruft Stadionsprecher Michael Wurst. „VfL“ tönt es zurück. Die Pott-Hymne wird angestimmt: „Bochum“ von Herbert Grönemeyer. Die Schals auf den Rängen gehen nach oben. Das zuvor sanfte Mitsinglüftchen wird zum Sturm. Michael, Milo, Ute, Sabine und 10.996 Fans brüllen: „Hier, wo das Herz noch zählt. Nicht das große Geld. Wer wohnt schon in Düsseldorf. Bochum, ich komm‘ aus dir. Bochum, ich häng‘ an dir. Oh, Glück auf, Bochum“. Applaus brandet auf.

„Es gibt Tage, da ist man nicht fröhlich, da ist einem nicht zum Jubeln zumute“ leitet der Stadionsprecher über. Er berichtet davon, dass er an diesem Morgen seinen Schwiegervater zu Grabe getragen habe. Der Geräuschpegel geht merklich zurück. Andächtig stimmt die „Gemeinde“ ein in „Herbei, oh ihr Gläubigen, fröhlich triumphierend … O lasset uns anbeten. O lasset uns anbeten. O lasset uns anbeten, den Köööönig!“ „VfL“ steigt es trotzig in den Nachthimmel.

Stadionsingen Bochum 2023
Stadionsingen Bochum (Foto: Stiftung Creative Kirche)

Heiland oder Hai-Land?

Ein Esel tritt auf, erzählt aus seiner Sicht das Weihnachtsgeschehen – ein Wort-zum-Sonntag-Moment. Nicole muss auf die Toilette. Michael fragt: „Bratwurst mit Ketchup oder Senf?“ Leute drängeln sich an uns vorbei. Menschen fluten in den Gang. Bei „Rudolf, the red-nosed reindeer“ sind die blauen Sitzschalen wieder gut gefüllt. Sabine schunkelt. Jesus, der Sohn Gottes, wird geboren. „Er ist der Heiland der Welt“ heißt es von der Bühne. Fragend dreht sich Milo zur Oma um. „Häh? Hai-Land?“ Ich grinse. Die 73-Jährige winkt lachend ab. „Wir sind halt nicht so religiös, aber Kirche im Stadion ist doch ein Muss.“ „VfL“, dröhnt es.

Dann gehen die Neonröhren aus. Das armeisenhafte Gewusel verstummt. „Stille Nacht! Heilige Nacht“. Die Handys verwandeln das Stadion in ein Lichtermeer. Sabine schnäuzt ins Taschentuch. Nicole schläft auf dem Schoß ihrer Mutter. Milo zerdrückt den leeren Plastikbecher. Michael legt den Arm um Ute. „Christ, der Retter, ist daaaaaaa! Christ, der Retter, ist daaaaaa!“ Tosender Applaus. „Jetzt kann es Weihnachten werden“ entfährt es der Oma, rückt ihr blinkendes Geweih zurecht. Ich frage Michael, wie er den „Gottesdienst“ fand. Er zögert. „War ein Heimspiel. Fühlt sich an, wie ein 1:1. Ich hätte mir mehr Drive, Lautstärke und Tore“, gewünscht“, sagt er, wickelt sich den VfL-Schal um den Hals und schiebt grinsend nach „Aber dass Kirche zu uns Fans kommt, ist jut.“

Stadionsingen Bochum Nahaufnahme 2023
Stadionsingen Bochum (Foto: Stiftung Creative Kirche)

4 Kommentare

  1. Ja, Gott liebt jeden Menschen, deshalb hat er seinen Sohn zur Rettung aller Menschen in die Welt gesandt. Jeder Mensch der Jesus Christus als Retter annimmt ist gerettet. Ansonsten ist „Weihnachten“ ein Fest der Welt, Gottes Wort sagt uns nicht, dass wir dieses Fest feiern sollen.
    Wer will kann ja mal googeln: „Weihnachten eine gefährliche Fabel“
    Lieber Gruß Martin Dobat

    • Herr Dobat, die Bibel lehrt uns in der Tat nicht, dass wir Weihnachten feiern sollen. Oder irgendein anderes christliches Fest. Die ersten Christen waren alle jüdisch geprägt. Mit den zahlreichen Vorschriften im AT will ich an dieser Stelle gar nicht anfangen.

      Die biblischen Texte sagen uns über viele Dinge überraschend wenig – oder sogar nichts. Zur Sklaverei finden sich etliche Stellen, jedoch keine, in der deren Abschaffung gefordert würde. An dieser Stelle sind wir heute – zum Glück – weiter als die biblischen Autoren. Oder sehen Sie das anders?

      Sie schreiben:
      „Weihnachten ist keine biblische Lehre. Wenn Jesus gewollt hätte, dass wir seinen Geburtstag feiern, hätte er uns auch gesagt, wie wir das tun sollen.“

      Wohl kaum, denn Geburtstagsfeiern waren damals generell eher unüblich. So wie Smartphones zum Beispiel. Apropos. In den biblischen Texten finden sich keine Hinweise auf Smartphones, Autos, Worshipbands, Gabeln, Radios, elektrische Rasierer, Kugelschreiber oder das Internet. Letzteres zumindest nutzen Sie, wie ich sehe. Also fühlen Sie sich durch die Bibel dazu legitimiert, richtig? Sie interpretieren Stellen und deuten Sie auf Dingen hin, die sich in den Texten nicht finden.

      Was Weihnachten und andere christliche Feste betrifft: Natürlich wurde Jesus nicht am 25. Dezember geboren. Das ist keine neue Erkenntnis (… übrigens enthält Ihre Abhandlung über die Entstehung von Weihnachten einige sachliche Fehler bezüglich Konstatin etc.). Und von der ursprünglichen Botschaft, dass Gott Mensch wurde, ist im kommerzialisierten Westen wenig geblieben. Aber was spricht dagegen, in den Gottesdiensten zu Weihnachten zum Glauben einzuladen? Immerhin sind die Kirchen voll. Nichts, finde ich.

      „Götzendienst“, schreiben Sie? Spricht da Angst aus Ihnen, Herr Dobat? Keine Sorge, Gott ist größer.

      Aber ich vermute, dass Sie sich meine Worte nicht zu Herzen nehmen werden, da Sie in Ihrem Text mehrmals betonen, dass Ihnen der Heilige Geist die Wahrheit offenbart habe. Damit ist eigentlich jede Diskussion überflüssig, da gegensätzliche Meinungen Ihrer Auffassung nach „satanisch“ sein müssen. Nun, ich konnte es mir dennoch nicht verkneifen.

      • Lieber Mark, ich glaube, dass die Schreiber der Bibel durch den Heiligen Geist geleitet waren.
        Ansonsten schreibe ich von mir und rufe dazu auf, mal konstruktiv darüber nachzudenken, nicht mehr und nicht weniger!
        Ein lieber Gruß zu Ihnen, Jesus ist Sieger!

        Martin Dobat

  2. Weihnachtsliedersingen in Fußballstadien ist erfreulich

    Na und, ist doch positiv. Wir können uns ja nicht beschweren, dass an Heiligabend die Kirchen nicht voll sind und oftmals an normalen Sonntagen im Kirchenjahr leider an Magersucht teilnahmemäßig leiden. Da könnte man am Weihnachtsliedersingen mit Kurzandacht und Vaterunser – wie auch in Berlin im Fußballstadion – nicht mäkeln. Kirche und damit wir Christinnen und Christen nicht als Sondergruppe, sondern mittendrin, ist doch was feines. Ich bin auch niemand dem es ansteht festzustellen, wer innerlich (und optimalerweise auch äußerlich) ein Gläubiger ist und auf Gott vertraut. Die Botschaft Jesu und zumal die von Weihnachten, ist an alle Menschen gerichtet und wir müssen sehen wie wir dies in unserem Leben umsetzen. Am besten wird die Bibel auf 2 Beinen gelesen, die das leben was man glauben und hoffen darf: Ganzheitlich. Aber da gibt es kein menschliches Maß. Es ist wie mit dem Gleichnis der Arbeiter im Weinberg. Nicht der längste und fleißigste Arbeiter ist es, sondern jede und jeder der überhaupt hier antritt. Es wird noch abenteuerlich: Gott liebt sogar jeden Menschen auf dieser Erde und zwar sogar voraussetzungslos. Unser Bringschuld als Gläubige ist nur Dankbarkeit für das kommende Reich Gottes, was mit einem kleinen Baby beginnt – dem besten Einfall des Himmels in diesem Universum.

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