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Weihnachten: Obdachlose nach Hause einladen

Heiligabend in der Kirche: Ein Obdachloser sitzt allein am Rand. Er riecht nach kaltem Rauch, Schweiß und Alkohol. Draußen ist es bitterkalt. Wohin soll er gehen?

Von Hans-Helmut Kürzdörfer

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Er passt einfach nicht in den feierlichen Rahmen. Seine Hände sind blau, geschwollen und zeigen Erfrierungen. Sie sind riesig, aber doch Hände, Menschenhände, die den Asphalt und den Rinnstein kennen, grob gefurcht wie rissiges Brot. Der Mann sitzt auf der Seitenbank an der Treppe, und er sitzt allein, obwohl die Menschen sich in den anderen Bänken zusammendrängen müssen und auch in den Gängen stehen. Zusammengerückt, als wollten sie sich schützen. Eine leere Bank und in der Mitte ein Mann, der anders ist. Der Mann riecht nach kaltem Rauch, Schweiß und billigem Rotwein. Seine zerlumpte Kleidung ist feucht und kalt.

Von der Kanzel kann man Wortfetzen vernehmen, hin und wieder auch ganze Sätze: „Friede auf Erden … der Heiland geboren … sie hatten keinen Raum in der Herberge …“ Der Mann brummelt vor sich hin, manchmal ist es mehr ein Knurren, dann wieder wie leises Weinen: „… saukalt … kein Essen heute … weiß nicht, wo ich übernachten soll …“, gefolgt vom Rascheln seiner Plastiktüten und einem leisen Klirren von Flaschen.

Fröhliche Weihnachten?!

Dann die Schlussworte des Pfarrers: „Der Herr segne euch und behüte euch … er lasse sein Angesicht …“ Dazwischen: „… weiß nicht, wo ich übernachten soll …“ Und von der Kanzel: „… er erhebe sein Angesicht auf euch …“, und: „… mir ist so kalt …“ Die Menschen strömen zum Ausgang. „Fröhliche Weihnachten! … Frohes Fest! … Gesegnete Weihnachten!“

„Mir ist so kalt …“ Der Mann steht draußen vor der Tür, in seine gekrümmten Hände fallen Münzen, meist kleine Münzen – und einmal raschelt es auch, als Frau Dr. Meier vorübergeht. Die fröhlichen Gesichter sind plötzlich leer, erstarrt, hilflos, und das Lächeln gleicht dem von geschnitzten Masken. Ich stehe etwas abseits an der Treppe und warte auf meine Frau.

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Der Mann murmelt erneut: „… ich weiß nicht, wo ich übernachten soll!“ Die Menschen rufen sich lachend „Frohe Weihnachten“ zu und drücken sich an dem Mann vorbei. Dazwischen hört man einige Stimmen sagen: „Warum gehst du nicht zur Obdachlosenhilfe, zur Caritas, zum Pfarrer?“ „War ich schon, aber heute ist Weihnachten …“

Er weiß nicht, wo er übernachten soll

Da kommt meine Frau mit unseren beiden Töchtern, die zehn und elf Jahre alt sind: „Papa, da bist du ja! Wir haben dich gesucht. Schau, da ist der Mann aus der Kirche. Er weiß nicht, wo er übernachten soll. Er hat schon alles versucht.“

Da höre ich, wie meine Frau auch schon anbietet: „Kommen Sie doch mit zu uns. Irgendwie werden wir Sie schon unterbringen.“ Ich will noch einwenden: „Das geht doch nicht!“, aber meine Frau hat schon seine Plastiktüten ergriffen.

Das geht wirklich nicht. Unsere Wohnung ist für so etwas doch viel zu klein. Dieser wildfremde, in Lumpen gehüllte Mann, unsere beiden halbwüchsigen Töchter …, denke ich noch, als meine Frau den Fremden auch schon am Arm ergreift.

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Frischluft tut Not

Wir zwängen uns in unseren VW-Käfer. Ich kurbele das Fenster herunter – Frischluft tut Not –, auch wenn es eiskalt ist. Dann sind wir zu Hause. In der Küche beherrscht der Mann mit seiner Fülle den Raum. Unsere Kinder verfolgen jede seiner Bewegungen mit großen, staunenden Augen. Er schält sich aus seinen Lumpen: ein Mantel, noch ein Mantel, dann ein Pullover, noch eine Jacke … Was er braucht, trägt er am Körper. Dann befreit er seine Füße von den Fußlappen. Meine Frau füllt eine große Schüssel mit heißem Wasser. Der Mann genießt das Fußbad sichtlich, mit tiefem Schnaufen, fast hört es sich wie ein Grunzen an. Seine geschundenen Füße scheinen aufzuatmen. Das Frostblau wechselt in ein tiefes Rot über. Der Mann lehnt sich zurück und lächelt.

Jetzt feiern wir Weihnachten. Ich lese die Weihnachtsgeschichte vor: von den Hirten auf dem Felde, die von ihren Herden zum Stall eilen und das Kind in der Krippe finden, den Heiland, wie ihnen die Engel gesagt hatten. Dann singen wir „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“. Ich sage Gott ein Dankeschön für das Wunder der Heiligen Nacht und für den Mann, der an diesem Tag bei uns zu Gast ist.

Es macht Freude, ihm zuzusehen

Beim Essen macht dieser sich über die dampfenden Pellkartoffeln und den Heringstopf her. Unsere beiden Mädchen vergessen fast zu essen und bekommen runde Augen. Der Mann leert beinahe allein die Schüsseln. Es macht Freude, ihm zuzusehen. Er seufzt tief und zufrieden. Wie schön kann so ein zerfurchtes, bartstoppeliges, altes Gesicht doch sein! Dann kramt er aus seiner Tasche ein zerknittertes Marienbild und gibt es uns: „Ich Ungar, ich auch christlich. Danke! Ich Josef heiße!“ Er erhebt sich. „Ich jetzt gehen muss.“

Nach langem Herumtelefonieren bringe ich Josef schließlich nach Regensburg, wo ich für ihn einen Schlafplatz in einem Obdachlosenheim finden konnte. Spät komme ich zu meiner Familie zurück – o du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.


Diese Geschichte erschien bei Gerth Medien im Buch „Im Dunkel scheint dein Licht“ von Andi Weiss. Gerth Medien gehört wie Jesus.de zur SCM Verlagsgruppe.

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