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Sophie Scholl: Studentin, Christin, Heldin

Am 9. Mai wäre die Widerstandskämpferin Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. Wer war diese junge Frau?

Von Christina Brudereck

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„Ich kannte Sophie nicht als Heldin“, erzählt Susanne Hirzel. Freundin von Sophie Scholl. Schulkameradin. Pfarrerstochter. Musikstudentin. Mitglied der Weißen Rose. Zeitzeugin. Weggefährtin.

Ich selbst kenne Sophie Scholl nur als Heldin. Als bemerkenswert tapfere Person. Widerstandskämpferin. Vorbild, wahrlich unerreicht. Eine, die mit anmutig jugendlicher Energie für Menschlichkeit und Gerechtigkeit einstand. Ja, ich habe auch eine junge Frau vor Augen, die Familienbande, Verliebtheit und Gemeinschaft erlebte. Aber vor allem ist sie für mich eine, die ihr Leben riskierte und für ihre hohen Ideale getötet wurde. Ich kenne sie nur aus Briefen, die sie hinterlassen hat. Aus Büchern, Biografien. Aus dem Film „Sophie Scholl. Die letzten Tage“ von Regisseur Marc Rothemund, in dem sie von Julia Jentsch dargestellt wird. Aus den Erzählungen ihrer älteren Schwester Inge. Ich kenne alte Fotos. Eine Schule, die nach ihr benannt ist. Und mehrere Kinder. Sie ist eine Ikone.

Das Vorbild

Sophie wurde vor einhundert Jahren geboren. Am 9. Mai werde ich sie feiern, ihr Geburtstag steht in meinem Kalender. Die Medien werden an sie erinnern. Bilder und Zitate von ihr werden gepostet, geteilt und gelikt. Beeindruckende Sätze wie „Steh zu den Dingen, an die du glaubst. Auch, wenn du alleine dort stehst.“ Eindringliche Sätze: „Man muss etwas tun, um selbst keine Schuld zu haben.“ Große Sätze: „Das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht.“ Appelle, die so aktuell sind: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt.“ Sophie Scholl ist für mich eine mutige Studentin aus München. Die gemeinsam mit ihrem älteren Bruder Hans im Juni 1942 die „Weiße Rose“ gründete, eine Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus, die Flugblätter verfasst und verteilt hat. Und dafür enthauptet wurde. Ermordet.

Es ist nicht das runde Jubiläum, das mich noch einmal ein Buch über sie lesen ließ. Sondern, dass eine „Jana aus Kassel“ sich neulich ernsthaft mit Sophie Scholl verglich. Und die Einschränkungen durch die Pandemie mit der menschenverachtenden NS-Diktatur. Und Masketragen wie Kontaktbeschränkungen mit einem Leben in einem Regime, das einen rassistischen Vernichtungskrieg führte. Eine Meinung, die sie äußern durfte in einer Demokratie, die gerade versucht, Leben zu retten. Eine Freiheit, die Sophie Scholl ebenso nicht hatte. Es sind Menschen wie Jana, die mich mehr lesen lassen.

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Das neue Buch von Robert M. Zoske will Sophies Geschichte von Mythen und Legenden befreien und ein neues Porträt von ihr malen. Beim Lesen lernte ich Sophie noch einmal anders kennen:

Die Tochter

Das vierte Kind. Zu Hause in christlichhumanistischer Atmosphäre. Umgeben von Geschwistern. Aufgewachsen in Forchtenberg, Ludwigsburg und Ulm.

Das Hitlermädchen

Sophie wird Mitglied im „Bund Deutscher Mädel“. Sie mag die Ausflüge und Freizeitangebote wie Theater, Sport und Basteln. Nein, sie war nicht immer die Freundin der jüdischen Mitschülerinnen und hat die Nazis nicht von Beginn an abgelehnt. Ihr Pflichtbewusstsein als Deutsche ist zunächst weit größer als ihr Freiheitswille und ihr Empfinden für die Grausamkeit der Diktatur.

Die Konfirmandin

Ihr Pfarrer war vom begeisterten Hitlerfan zum kritischen Gegner geworden. Sophie sucht, hört zu, lässt sich herausfordern, betet, sucht weiter. Sie erlebt Gottesdienst und Abendmahl als Trost und Kraftquelle.

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Die Schülerin

Die diesem Lernort wiederum nichts abgewinnen kann. Die nie ein „Backfisch“ ist, kein für ein Mädchen typisches Verhalten zeigt, nie eine Dame werden will, sondern einen unbändigen Eigensinn und Kühnheit zeigt.

Die Geliebte

Befreundet mit Fritz Hartnagel, Soldat (und später aktiv in der Friedensbewegung). Ihre Zeilen spiegeln die inneren Kämpfe vom Leben in Krieg und Diktatur. Die beiden philosophieren, stützen sich, sehnen sich nacheinander. Die ausgesprochen strenge Sexualmoral von Sophie macht die Beziehung immer wieder sehr kompliziert.

Die Außenseiterin

Sophie ist oft einsam. Außenseiterin. Auch während ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin und des späteren Arbeitsdienstes. Zum ersten Mal schreibt sie jetzt das Zitat von Jacques Maritain in ihr Tagebuch: „Il faut avoir un esprit dur et le cœur tendre.“ Sophie erlebt, dass sie einen scharfen, wachen Geist und ein weiches Herz braucht. Nach außen meist fröhlich, sucht sie nach Urteilsvermögen und Klarheit und will sich gleichzeitig berühren lassen von der Not, die andere erleiden. Sie wird diesen Satz noch oft zitieren, in vielen Briefen, die sie schreibt.

Die Briefeschreiberin

Religiöse, geistliche, philosophische und politische Fragen tauscht Sophie auch mit Waldemar Gabriel aus. Er ist Soldat, sie verliert allmählich den Glauben an den Krieg.

Die Studentin

In München. Sommersemester 1942. Sophie erfährt von der ersten Flugblattaktion. Gegen ihren Vater läuft wegen hitlerkritischer Äußerungen ein Gerichtsverfahren. Immer größer wird in ihr der Wunsch, etwas zu tun. Als Bischof von Galen in einer Predigt Jesus zitiert mit den Worten „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, ist das ein wichtiger Impuls für die 21-Jährige. Ihr Entschluss, in den aktiven Widerstand zu gehen, steht fest. Sie schreibt: „Habe ich geträumt bisher? Manchmal vielleicht. Aber ich glaube, ich bin aufgewacht.“

Die Rebellin

Sophie nimmt an konspirativen Treffen teil. Mit Hans plant sie die Flugblätter-Aktionen. Sie wird immer ungeduldiger. Rigoros moralisch. Und immer mehr bereit, persönlich Nachteile in Kauf zu nehmen. Zu leiden – wie Christus gelitten hat. Ihr Glaube, ihr Wille zur Nachfolge, ihre gottergebene Herzenshaltung motivierten sie. Nur innerlich bleibt die Unruhe. Nach ihrer ersten Flugblattaktion schreibt sie: „Mein Gott, ich kann nicht anders als stammeln vor dir.“

Die Märtyrerin

Nur ein paar Monate nach Gründung der Gruppe werden die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 verhaftet und vier Tage später zum Tode verurteilt. Hans ist 24, Sophie 22 Jahre alt.

Das Mädchen

Sophie war ein Mädchen. Ein Mensch. Mit Ecken, Schwächen und Zweifeln. Weder ihr Freundeskreis noch ihre Beziehungen zu Männern oder ihr Studium haben sie wirklich glücklich gemacht. Um Gott hat sie gerungen und fand bei dieser Größe am ehesten Frieden und Halt. Trotz aller Widrigkeiten und innerer Kämpfe hat sie gelebt, was sie als richtig erkannt hatte. Sophie war Christin und davon zu lesen, hat mich berührt. Ich habe eine Schwester entdeckt, die ihren Weg suchte, wahrhaftig zu leben. Ihrem Gottvertrauen, Wissen, ihrer Liebe zu entsprechen und damit auf die schrecklichen Ereignisse um sie herum zu reagieren.

Die Heldin

Und so bleibt Sophie Scholl eine Heldin für mich. Die Erinnerung an sie weckt uns, gegen jede Art von Diskriminierung aufzustehen. Heute. Unsere Angst zu überwinden. Haltung zu zeigen. Uns einzumischen. Wenn der Holocaust verharmlost oder geleugnet wird. Wenn Frauen ‚Fotze‘ genannt werden. Kinder ausgelacht, weil sie nicht den stereotypen Bildern von Mädchen und Jungen entsprechen. Schwarze beleidigt. Migrantinnen ‚Kopftuchmädchen‘ genannt werden. Wenn die politische Anerkennung von LGBTQ-Rechten lächerlich gemacht wird. Teenager ‚Opfer‘, ‚Jude‘ oder ‚Schwuler‘ als Schimpfworte benutzen. Menschengruppen mit Vorurteilen belegt werden. Wir brauchen solche Widerstands-Ikonen wie Sophie Scholl. Gerne auch mit dem Hinweis darauf, dass sie nicht vollkommen waren. Möge ihr 100. Geburtstag uns ermutigen und anspornen.


Diesen Artikel schrieb die Theologin und Schriftstellerin Christina Brudereck zunächst für die Zeitschrift Joyce (Ausgabe 02/2021). Das Frauenmagazin erscheint regelmäßig im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört. 

 

 

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