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Christsein und Führung: Das Drama des leisen Scheiterns

Auch christliche Führungskräfte scheitern – manche laut, noch viel mehr leise in unendlichen Grabenkämpfen und Zynismus. Ein nachdenklicher Zwischenruf von Thomas Härry

Vor wenigen Tagen ist das von Michael Herbst und mir herausgegebene Buch „Von der dunklen Seite der Macht: Was Führung gefährdet und was sie schützt“ (Gerth Medien) erschienen. Zusammen mit anderen Autorinnen und Autoren beschäftigen wir uns mit der Frage, wie man krasses Führungsversagen verarbeiten kann – und welche Möglichkeiten der Prävention es für Organisationen gibt. Das Tagesgeschehen hier in der Schweiz macht gerade deutlich, wie hochaktuell das Thema ist. Momentan steht einer der über eine lange Zeit beliebtesten Schweizer Banker vor Gericht. Die Anklage: Begünstigung, Vetternwirtschaft, ungetreue Geschäftsführung und horrende Bankspesen, bei denen es bei genauerem Hinsehen um Clubbesuche, Sex und Besäufnis ging – alles auf Kosten der Bank. Parallel dazu ist gerade wieder das traurige Kapitel des sexuellen Missbrauchs durch Priester an Kindern in den Schlagzeilen.

So viel Schaden, so viel Leid – verursacht von Führungskräften. Immer wieder auch von solchen, denen der Glauben wichtig ist. Es ist zum Weinen. Doch mich beschäftigt noch etwas anderes:
Beim Thema Führungsversagen denken wir rasch an krasse Geschichten. An Fehltritte, wie den gerade genannten. Wären sie selten, müsste es das von mir und Michael herausgegebene Buch nicht geben. Doch das ist nur eine Form des Scheiterns. Ich nenne es das „laute Scheitern“. Es ist weithin sichtbar und verbunden mit allen entsprechenden Schäden und Konsequenzen. Daneben gibt es eine andere, viel öfter vorkommende Form von Führungsversagen. Ich nenne es das „leise Scheitern“. Darunter verstehe ich Verhaltensweisen von Führungspersonen, nur selten zum großen Knall führen, in letzter Konsequenz aber genauso großen Schaden anrichten wie lautes Scheitern. Es kann sein, dass das „leises Scheitern“ einer Führungsperson nie benannt, nie aufgedeckt, nie geahndet wird – weil es eben leise und unauffällig geschieht. Es wird gerne übersehen und verharmlost. Es gibt in unseren Kirchen und Organisationen hunderte, ja tausende Fälle von leisem, unentdecktem Leitungsversagen. Der damit verbundene Schaden ist immens. Wovon spreche ich? Leises Scheitern geschieht dort…

…wo Führungskräfte ihre Leitungsaufgabe halbherzig wahrnehmen und fundamentale Führungsgrundsätze missachten.
…wo Leitende ihre Zeit vertrödeln, stundenlang unnötig am Handy hängen, anstatt die strategischen und geistlichen Schritte in die Wege zu leiten, die ihre Organisation nach vorne bringen würden.
…wo sich Geistliche in ihrem Arbeitszimmer verschanzen und tagelang kaum erreichbar sind, statt sich um die Menschen zu kümmern, die ihren Rat und ihre spirituelle Führung brauchen.
…wo Pastorinnen und Pastoren sich nicht mehr die Zeit nehmen, vor Gott still zu werden, die Bibel zu lesen, auf die Impulse des Heiligen Geistes zu hören und daraus ihr Wirken zu gestalten.
…wo Leitende sich nicht um ihre Mitarbeitenden kümmern, keine Fördergespräche führen, kaum Anerkennung und Wertschätzung für deren Engagement ausdrücken.
…wo sich Leitende in Konkurrenzdenken und belanglosen Grabenkämpfen erschöpfen, überall das Haar in der Suppe suchen, sich erlauben zynisch und lieblos zu werden und der Gemeinde in ihren Predigten immer wieder zu verstehen geben, wie unzufrieden sie mit ihr sind.
…wo Menschen in Verantwortung an ihren Führungssesseln kleben, sich nicht weiterbilden, ihren Leitungsmuskel nicht mehr trainieren, nichts Neues mehr lernen und stattdessen vor sich hinwursteln, mal dies, mal jenes Modell kopieren, alles ausprobieren und nichts wirklich zu Ende bringen.
…wo Pfarrerinnen und Pfarrer sich einreden, sie seien richtig gute Verkündigerinnen und Verkündiger – oder würden vorbildlich leiten, obwohl die Mehrheit in ihrem Umfeld dies ganz anderes sieht, es aber nicht laut sagen darf.
…wenn Leitende jede Rückfrage und Kritik zu ihrem Führungsverhalten als inkompetentes Laiengeblöck oder diabolische Anfechtung abtun und nicht willig sind, sich ernstgemeinten Anfragen zu stellen.

Leises Scheitern hat viele Gesichter. Dies sind nur einige davon. Sie führen zu den leisen Dramen vernachlässigter, nicht wirklich ernstgenommener Führung. Meiner Meinung nach leiden Kirchgemeinden und Organisationen weit mehr an diesen stillen, kaum je wirklich öffentlich werdenden Katastrophen als an den großen, medialen Skandalen. Wohl verstanden: Beides sind Katastrophen, die dem Leib Christi schaden. Aber es ist eben nicht nur die Sünde des Machtmissbrauchs, des sexuellen Übergriffs oder der Veruntreuung von Geldern – sondern genauso die Sünde der Faulheit, der Oberflächlichkeit und der stillen Verweigerung. Erstere werden zu Recht geahndet. Letztere viel zu oft und zu Unrecht geduldet.
(Auszug aus: Michael Herbst & Thomas Härry, Hrsg. (2022): Von der dunklen Seite der Macht: Was Führung gefährdet und was sie schützt. Asslar: Gerth Medien)

Ulrich Eggers kommentiert:
Es liegt sehr viel Pharisäertum in der Luft, wenn es um Leitung geht. Lange Finger, die auf das spektakuläre Versagen zeigen. Und ja, das leise Scheitern ist vermutlich viel öfter Problem und Tatbestand, als es gesehen oder beklagt wird. Als jemand, der viele Jahre in Leitungspositionen innerhalb von Firmen oder Organisationen war, sehe ich zugleich: In sehr viele Leitungsaufgaben wächst du hinein – im Grunde egal, welche Ausbildung du hast. Eine spezifische Leitungsausbildung scheint mir selten – du hast was gelernt, kommst aus einem Fach – aber Leitung als KnowHow, als Charakter-Herausforderung, als ganzheitliches Gefordertsein – wo lernt man das? Klar, da gibt es sicher Fortbildungen – und die sollten wir nutzen. Zugleich: Oft frisst der fordernde Status Quo einer Aufgabe alle notwendige Zeit für solche Lern-Phasen – sie passen einfach kaum rein. Spring ins Wasser – und schwimm. Und entweder kannst du das, oder du kannst es nicht so gut – und dann passiert viel von dem leisen Versagen. Also: Mehr gute Vorbereitung auf Leitung – Förderprogramme für junge Leitende, die nicht aus Betriebswirtschaft, IT oder Powerpoint-Anwendung bestehen.

Und dann aber auch noch: Bessere Systeme von Rechenschaft – einem Leitungsgremium Berichte geben, gute Zahlen präsentieren, große Erfolge – das ist das eine. Etwas Anderes ist es, Mentoren oder Freunde zu haben, bei denen man einfach mal durchdenken kann, was einem fehlt, wo es hakt, wie man weiterkommt. Ohne, dass man sofort vor einem Leitungsgremium dadurch in Probleme gerät. Ich denke: Wer gute Leitung und Leitende haben will, kann etwas dafür tun – als Firma, Gemeinde, Missionswerk.


Der Dialog zwischen Thomas Härry und Ulrich Eggers geht weiter:
www.EggersundHaerry.net

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