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Was sich von der Gartenarbeit für das Glaubensleben lernen lässt

Uli Eggers und Thomas Härry philosophieren über Gartenarbeit und was sie daraus gelernt haben – zum Beispiel über Lebensphasen und Gottesdienste.

Uli: Thomas, das ist ja noch ein Thema, bei dem es uns beiden ähnlich geht: Wir sind begeisterte Garten-Fans – obwohl wir privat nur gut 120 Quadratmeter hinterm Haus haben. Kein Prachtstück, aber heiß geliebt. Zumindest im Frühjahr – ich habe darüber schon mal ein AUFATMEN-Editorial geschrieben: Meine Liebe ist da nämlich sehr selektiv. Im März etwa kann ich es kaum erwarten, irgendwo schon Knospen schwellen zu sehen. Mittlerweile weiß ich, dass bei uns im Norden der mittlere Birkenknospen-Grün-Sichtbar-Zeitpunkt immer so um den 15. April herumliegt. Ich bin da genau am Verfolgen und kann also immer schön messen, ob wir kalte oder warme Frühjahre haben. Dieses Jahr war bei uns eher früher Grün zu sehen. Ich fiebere der Gartenzeit richtig entgegen. Geht Dir das auch so, Thomas?

Thomas: Ja, absolut – und bei uns kommt das Grün sogar noch deutlich früher. Im Frühjahr wirst Du mich besonders gern im Garten finden. Dieses Jahr etwa habe ich drei Kubikmeter frischen Mutterboden für ein paar Hochbeete anliefern lassen – und stand dann vor einem riesigen schwarzen Berg! Viel zu viel Erde! Also bin ich in der Nachbarschaft herumgelaufen und habe guten Boden angeboten – viele haben zugeschlagen und waren dankbar für meine Lieferungen. Dabei entwickelten sich super Gespräche – ein ganz neuer Blick auf die Nachbarschaft, gut für das Vertiefen von Kontakten. Mutterboden wirkt da fast noch besser als das gemeinsame Grillieren im Sommer! Jetzt sind ja auch wieder die Tomaten dran …

Uli: Und du nimmst bestimmt wieder frischen Fisch als Dünger unter die Wurzeln. Wir wollen das jedenfalls wieder machen, nachdem Du Dir auf einer unserer gemeinsamen Touren das mal als guten Tipp abgeholt hast. Ich erinnere mich noch gut, wie Du in dem kleinen Dörfchen Comthurey bei Fürstenberg einfach eine alte Frau angesprochen hast, die so tolle Tomaten auf der Terrasse hatte, wie sie denn dieses starke Wachstum hinkriegt. Wir waren auf der Suche nach Überresten eines Mustergutes aus der NS-Zeit, wo unter der Regie von Heinrich Himmler Gewürze zur Selbstversorgung Deutschlands in der Kriegszeit aufgezogen werden sollten und viele Zwangsarbeiterinnen besonders von den Zeugen Jehovas aus dem nahen KZ Ravensbrück eingesetzt wurden (… aus Glaubensgründen liefen die nicht weg). Die alte Dame war vermutlich so überrascht über den freundlichen Schweizer im tiefsten Mecklenburg, dass sie willig ihr Geheimnis verriet: Fisch aus dem nahen See unter die Tomaten-Wurzeln ergibt Riesenwuchs …

Thomas: Ja, ich habe es dann ausprobiert. Meine liebe alte Mutter hat mir von ihrem Fischhändler am See frischen Fisch besorgt – und das Ergebnis war gut, wobei meine Töchter skeptisch nachfragten, ob solche Tomaten denn  noch vegetarisch wären. Bei der Ernte witzelten sie, die schönen Früchte würden nun doch etwas stark nach Fisch riechen. Was natürlich nicht stimmte …

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Uli: Ja, bei uns hat der Fisch auch positiv gewirkt – Alaska-Seelachs vom Discounter unten in den Topf. Wobei ich zu meiner Frau immer sage: Der Fisch kostet mehr als wir am Ende an Tomaten ernten … Dieses Jahr habe ich übrigens eine besondere Piraten-Aktion gemacht: Wir haben Eichhörnchen im Garten, die fleißig Nüsse verbuddeln – und am Ende vergessen. Deswegen wachsen ständig Haselnuss-Büsche und Walnuss-Bäume bei uns. Einer war schon über zwei Meter groß geworden – passt aber einfach nicht rein in unseren engen Raum. Einfach wegtun mochte ich nicht, in unserer Lebensgemeinschaft brauchte auch keiner einen Walnussbaum. Also habe ich ihn im März ausgebuddelt und heimlich 150 Meter weiter in die Grünzone einer ehemaligen Marinekaserne bei uns um die Ecke gepflanzt. Und als das unauffällig geklappt hat, habe ich gleich noch einen Pflaumenbaum hinterher gebracht, der zu viel war …

Thomas: Und sind sie angewachsen?

Uli: Tatsächlich, ja, beide! Liegt wahrscheinlich daran, dass ich liebevoll jede Woche vorbeigeschaut habe, um das Wachstum zu kontrollieren. Ich sage ja: Im Frühjahr ist meine Liebe zum Garten heiß! Aber der Witz ist – und daran habe ich viel gelernt: Schon im Sommer nimmt mein Eifer beträchtlich ab. Was, schon wieder Rasen mähen? Nervt langsam! Und im Herbst liegt alles nass und wild herum und müsste dringend mal eine liebevolle Hand bekommen. Umpflanzen, aufräumen, fertig machen: Ach, nee, jetzt raus? Muss das sein? Und im Winter ist ja eh alles tot, was soll ich da im Garten?

Thomas: Wenn bei mir diese Müdigkeit aufkommt, dann meldet sich in mir die mahnende Stimme von Wendell Berry, einem meiner Lieblingsautoren. Er schreibt, Landwirtschaft und Garten würden einen Menschen dazu erziehen, den einfachen Dingen in anhaltender Beständigkeit Sorge zu tragen. Dasselbe gilt ja für gute Erziehung und Ehe. Diese Lebensregel treibt mich dann wieder in den Garten. Und was genau hast du gelernt aus dieser schwankenden Zuneigung?

Uli: Zum einen, dass ich da beträchtlichen Gefühlsschwankungen unterworfen bin, die jeweils sehr real rüberkommen und mein Verhalten unbewusst steuern: Mal zieht es mich total – und ich könnte kaum verstehen, wieso man kein Gartenfreund ist. Mal lässt es mich total kalt. Für mich wird da deutlich, dass es offensichtlich bei mir so etwas wie Ebbe und Flut gibt – nicht nur beim Garten, sondern auch in meiner Einstellung zu Dingen: Mal echt begeistert. Mal angenervt und desinteressiert. Und beides fühlt sich echt an, steuert mich. Ich habe nachgedacht darüber, wo das sonst vielleicht noch so ist in meinem Leben – und habe eine ganze Reihe von Themen bemerkt, wo ich ganz natürlich Ebbe und Flut erlebt – und vermutlich auch abgestrahlt habe. Wenn man sich das klarmacht, wird man barmherzig – und selbstkritisch …

Thomas: Das musst du nochmal erklären, was meinst du damit?

Uli: Es ist im Grunde sehr einfach – aber ich bin selbst verblüfft, wie massiv bei mir und anderen die Auswirkungen dieser „natürlichen Selbstverständlichkeit“ sein können, mit der wir etwas für absolut richtig und „dran“ empfinden können – oder auch nicht. Wenn ich mir klarmache, dass es nicht nur mir so geht, sondern dass vermutlich alle Menschen solche Ebbe- und Flut-Einstellungen haben, dann merke ich, wie sehr es da krachen kann. Oder: wie sehr wir barmherzig und gelassen werden müssen, mit den je unterschiedlichen Einstellungen – sonst kracht es eben.

Thomas: Nenn mal ein paar Beispiele, das ist mir noch zu theoretisch …

Uli: Das Thema dahinter ist ja im Grunde das der Lebensphasen: Frühling mit Gartenliebe, Herbst mit Desinteresse. Beides sehr real. Und ich merke: Lebensphasen habe ich bei ganz vielen Dingen – etwa im Zusammenhang des Gemeindelebens: Wie muss ein Gottesdienst aussehen? Hey, da hatte ich quer durch mein Leben starke Überzeugungen und habe für sie gekämpft. Und andere haben da auch starke Überzeugungen – und kämpfen. Heute etwa nerven mich Gebetsgemeinschaften in Gottesdiensten – früher fand ich sie vermutlich ein auflockerndes Element. Heute fühle ich mich eher bedrängt und bin genervt vom „Runterbeten“ der Themen. Oder Musik: Ich war ein Vorkämpfer für Worship im Gottesdienst – heute vermisse ich die alten Lieder mit ihrem Tiefgang und ihrer Haltekraft, weil es nur noch Worship gibt. Oder Predigt: Wie oft wird im Gottesdienst nur von links nach rechts wiederholt, was sowieso schon alle wissen und brav abnicken? Oder die Moderation: Warum braucht man im Gottesdienst ein zweites auflockerendes Zusatz-Programm als Talentwettbewerb oder Leistungsschau der Persönlichkeiten? Wenn es nach mir ginge, wäre ich vermutlich heute eher in einem konservativ-landeskirchlichen Gottesdienst aufgehoben, mit berechenbarer Liturgie, den guten alten Liedern und einer kurzen, intellektuell ansprechenden, biblisch orientierten Predigt. Ich habe immer noch so viel Betrieb in meinem Leben, dass ich sonntags Ruhe und Sammlung suche – nicht ein buntes Programm mit ständigem Wechsel …

Thomas: Hallo, das klingt nach Konfliktpotential für deine Gemeinde!

Uli: Nein, eben nicht. Denn das meine ich ja mit dem „Barmherzigkeit lernen“ aus der Einsicht in meine eigenen Phasen des Lebens: Vieles davon fand ich doch selbst mal gut und habe dafür gekämpft. Jetzt finden es offensichtlich andere gut – ich nicht mehr. Für mich ist die Lernkurve dabei, das als Faktor zuzugestehen – und einfach meine Klappe zu halten. Wer über 60 ist und sich geistlich nicht selbst ernähren kann oder sich ein Setting sucht, in dem das möglich ist, der hat etwas verpasst. Der Gottesdienst ist nicht für mich, sondern für alle. Hauptsache also für einige, am besten für die Mehrheit. Aber ich bin nicht Maßstab – weder für Musik noch für Predigt oder Sonstiges. Im Klartext: Ich muss nicht mehr andere zu meiner Lebensphase bekehren, sondern nehme wahr, dass es viele Zugänge gibt. Und jede Gemeinde muss sich am Ende für einen Stil entscheiden – und hoffentlich die Mehrheit treffen. Und ich bleibe solidarisch dabei, wenn mein Bedürfnis gerade nicht mehr das Empfinden der Mehrheit trifft.

Klar wünsche ich mir, dass immer wieder auch mal verschiedene Lebensgefühle aufgenommen werden. Aber ich verstehe vor allem für mich selbst, dass ich selbst mit Phasen lebe und Ebbe und Flut bei Themen habe. Also bin ich barmherzig, verkneife mir möglichst oft Kritik und Urteile und habe Verständnis. Ehrlich: Ich habe dadurch meinen Garten viel gelernt – denn beide Gefühle sind für mich intensiv, Frühling und Herbst. Und wenn ich meine Umwelt jeweils auf die beiden Gefühle verpflichten müsste, dann würde ich ständig „bekehrend“ und kritisierend herumlaufen – und wüsste doch, dass ich selbst auch wechselnde Phasen und Ansprüche und Vorlieben habe. Also: Barmherzigkeit einüben und gelassen werden …

Thomas: Wertvoll und interessant, welche Parallelen vom Garten zum Leben bzw. zur Gemeinde du ziehst. Ich kann da voll mitgehen und fühle oft ähnliches. Wir pumpen viel Künstliches in unsere Gottesdienste und Gemeinde hinein. Mehr Mut zur Einfachheit (was nichts mit billig zu tun hat)! Für mich ist der Garten auch ein Lehrmeister des Lebens, aber auf einer anderen Ebene. Der Garten lehrt mich Geduld. Manchmal stehe ich vor dem frisch angesäten Beet und denke: „Na kommt schon, ihr Karotten, macht vorwärts!“ Ich möchte heute säen und übermorgen ernten. Doch Gottes Schöpfung funktioniert nicht so. Und Gottes Reich auch nicht. Der Garten lehrt mich Frustrationstoleranz. Da kommt ein Unwetter und verhagelt mir den Salat. Ich muss von vorne anfangen. Ein Käfer frisst mir den Kohl. Wochenlange Mühe ist dahin. Manchmal geht viel Arbeit ins Leere. Dann heißt es, neu anfangen, es wieder wagen, nicht aufgeben. Wie im Leben. Wie in der Gemeinde. Wie in der Ehe. Der Garten lehrt mich Demut: Ich kann mein Bestes geben, am Ende bin ich vor allem Zuschauer und habe vieles nicht in der Hand. Sonne, Regen, Hitze, Kälte … auf so viele Faktoren habe ich keinen Einfluss. Wie im Reich Gottes. Ums größer das Erntefest, wenn ich wie letztes Jahr von fünf Gurkensetzlingen ganze 104 teils richtig große Gurken ernten konnte. Rate, womit ich diese Gurken gedüngt habe … Richtig, mit Fisch!


Thomas Härry und Ulrich Eggers sprechen über Glaube, Führung, Lebensstile und Literatur. Die Idee kam ihnen beim Biografie-Projekt von Ulrich Eggers. (Der Ideen-Entzünder – Von der Treue im Großen, mutigen Entscheidungen und dem Glauben am Montag)

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1 Kommentar

  1. Liebe fängt im Garten an.
    Wer’s Unkraut stehen lässt, geht nirgendwo mehr ‚ran.
    Denn alles was da steht und wächst und laufen kann,
    Ist ein Wunder. Denket d’ran.

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